Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen e.V.
EU-News - 4. Mai 2023
Giftfreie Zukunft bisher nur auf dem Papier
Jahresbilanz nach der Bekanntgabe eines EU-Fahrplans [1] für die Beschränkung giftiger Substanzen durch Umweltorganisationen fällt ernüchternd aus. Chemikalienindustrie lobbyiert gegen Verbote, dabei spielt sie laut ChemSec eine entscheidende Rolle für mehr Unabhängigkeit von Drittländern.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres Fahrplans zur Beschränkung gefährlicher Chemikalien attestieren Europäisches Umweltbüro (EEB) und ClientEarth der EU-Kommission das Scheitern des Vorhabens. Am 25. April 2022 habe die EU-Kommission mit großem Medienecho angekündigt, rasch Tausende der berüchtigtsten Chemikalien in Konsumgütern oder schädlichen Flammschutzmitteln zu verbieten, um Unfruchtbarkeit, schwere Krankheiten und Umweltschäden zu verhindern. Insgesamt könnten im Rahmen des Fahrplans bis 2030 bis zu 7.000 Chemikalien verboten werden - ein gewaltiger Fortschritt, leider mit vielen Schlupflöchern.
Die Jahresbilanz [2] von ClientEarth und EEB zeigt ein ganz anderes Ergebnis. Die EU-Beamten hätten planmäßig Verbote für 14 Chemikaliengruppen vorgelegt. Zwei davon seien stark und umfassend genug, um die meisten Schäden zu verhindern. Elf andere Gruppen deckten nur eine kleine Anzahl von Chemikalien oder deren Verwendungen ab, so dass der Großteil der Umweltverschmutzung und ihrer Auswirkungen weiterhin möglich sei, während eine weitere Gruppe 'überflüssig' ist. Bei den meisten Dossiers handele es sich bisher um Entwürfe, die noch verbessert werden könnten. In ihrer jetzigen Form dürften jedoch Hunderttausende von Tonnen giftiger Stoffe pro Jahr dem Verbot entgehen. Die Versäumnisse im Detail:
Aus Sicht der Organisationen seien dafür einerseits der "Proteststurm" und die Lobbyarbeit der chemischen Industrie verantwortlich, immerhin der viertgrößte Industriezweig der EU. Schuldig sei aber auch die EU-Kommission selbst, die ihrer rechtlichen Verpflichtung und Befugnis, für umfassende und schnelle Verbote zu sorgen, nicht nachkomme. Die Grenzen der chemischen Verschmutzung seien aber bereits überschritten. Die Chemieproduktion sei seit 1950 um das 50-fache gestiegen und werde sich den Prognosen zufolge bis 2050 weltweit noch einmal verdreifachen. [Zum Weiterhören: DNR-Podcast Umwelt aufs Ohr [5]]
Die Organisation ChemSec wiederum bescheinigte der
Chemikalienindustrie am 24. April eine "entscheidende Rolle, um
die EU weniger verwundbar zu machen" und größere Unabhängigkeit
zu erreichen. Es gehe nicht nur um russisches Gas, alle
Wertschöpfungsketten, bei denen der europäische Markt in
erheblichem Maße von Drittländern abhänge, seien Gegenstand von
Diskussionen über strategische Autonomie. Von der chemischen
Industrie kämen deshalb auch viele Vorschläge für die
Kreislaufwirtschaft durch Recycling und Wiederverwendung von in
der EU hergestellten Materialien. ChemSec warnte allerdings
harsch: "Eine Kreislaufwirtschaft mit toxischen Stoffkreisläufen
ist keine strategische Autonomie, das ist einfach nur ahnungslose
Dummheit". Giftige Substanzen müssten aus Produkten generell
verbannt werden. Es sei besorgniserregend, dass die EU-Kommission
derzeit noch kein Konzept für die europäische
Chemikaliengesetzgebung vorgelegt habe. Die Integration einer
chemischen Perspektive sei für die strategische Autonomie aber
unvermeidlich, damit die Chemieindustrie ihren Teil zur Schaffung
eines unabhängigeren Europas beitragen könne. [jg]
EU-Chemikaliennews kurz & knapp
Bleiverbot in PVC: Die EU-Kommission hat einen delegierten
Rechtsakt [6] erlassen, der die Verwendung von chemischen
Zusatzstoffen auf Bleibasis im Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC)
verbietet; dies soll die Emissionen von jährlich bis zu 8,4
Tonnen Blei verhindern (dpa-Europaticker [7]).
Konsultation Recyclingkunststoff in Flaschen: Wieviel
Recyclingmaterial findet sich in Einweggetränkeflaschen aus
Kunststoff? Die EU-Kommission sammelt Kommentare [8] zu den
EU-Vorschriften für die Berechnung und Überprüfung des Gehalts an
recyceltem Kunststoff und für die Berichterstattung dazu.
Chemisches Recycling: ECOS, DUH und Zero Waste Europe haben den
vorgeschlagenen EU-Rechtsrahmen für Pyrolyse und Vergasung unter
Umweltgesichtspunkten analysiert [9].
PFAS in Dänemark: Der dänische Rechnungshof Rigsrevisionen [10]
hat die PFAS-Bemühungen des Umweltministeriums im Zeitraum
2007-2021 als 'sehr unzureichend' kritisiert.
Chemieindustrie/Anhörung Landtag: CSU-Fraktion [11] will 'aus
Sorge' noch vor der Sommerpause Anhörung zur Zukunft der
Chemieindustrie im bayerischen Landtag organisieren.
EEB/ClientEarth: EU pledge to ban most toxic chemicals is failing
NGOs
https://eeb.org/eu-pledge-to-ban-most-toxic-chemicals-is-failing-ngos/
ChemSec: The chemical industry has a crucial role in making the
EU less vulnerable
https://chemsec.org/the-chemical-industry-has-a-crucial-role-in-making-the-eu-less-vulnerable/
Links:
[1] https://single-market-economy.ec.europa.eu/news/sustainable-chemicals-commission-advances-work-restrictions-harmful-chemical-substances-2022-04-25_de
[2] https://drive.google.com/file/d/1ZJ2jUsXEuAkaPblod6ppDmdUNe2uiaJQ/view
[3] https://www.efsa.europa.eu/en/news/bisphenol-food-health-risk
[4] https://eeb.org/babies-exposed-to-highly-toxic-nappies-face-severe-disease-threat-later-in-life/
[5] https://www.dnr.de/giftfrei-leben-gesundheit-schuetzen-gefahren-minimieren
[6] https://single-market-economy.ec.europa.eu/publications/c20322785-commission-regulation-eu-amending-annex-xvii-regulation-ec-no-19072006-european-parliament_de
[7] https://www.eu-info.de/dpa-europaticker/321084.html
[8] https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13467-Einweggetrankeflaschen-aus-Kunststoff-EU-Vorschriften-fur-die-Berechnung-und-Uberprufung-des-Gehalts-an-recyceltem-Kunststoff-und-fur-die-Berichterstattung-dazu_de
[9] https://zerowasteeurope.eu/library/analysis-jrc-study-pyrolysis-and-gasification/
[10] https://mst.dk/service/nyheder/nyhedsarkiv/2023/apr/rigsrevisionen-kritiserer-miljoeministeriets-pfas-indsats/
[11] https://www.presseportal.de/pm/53955/5496206
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Quelle:
EU-News, 04.05.2023
Deutscher Naturschutzring
Dachverband der deutschen Natur-, Tier-
und Umweltschutzverbände e.V. (DNR) e.V.
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin-Mitte
Tel.: 030/6781775-70, Fax: 030/6781775-80
E-Mail: info@dnr.de
Internet: www.dnr.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 9. Mai 2023
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