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ENERGIE/1389: Erneuerbare Energien - "Ökologisch hui - sozial pfui?" (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 106/3.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Ökologisch hui - sozial pfui?
Soziale und gesundheitliche Aspekte der erneuerbaren Energien

Von Dirk Seifert


Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft. Bis 2020 werden in dieser Wachstumsbranche rund 500.000 Arbeitsplätze erwartet. Es ist inzwischen eine weltweit expandierende Industrie entstanden. Unternehmen, die teilweise rasend schnell gewachsen sind und der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. Nachfrage personell und organisatorisch kaum hinterherkommen. Darunter sind sehr viele neue, häufig mittelständische Unternehmen.

Die Erneuerbaren sind wirtschaftlich längst in der "Mitte der Gesellschaft" angekommen. Anlagenbauer wie Siemens verdienen inzwischen umfangreich an ihnen und im Bankenbereich sind Investitionen und die "Energiewende" längst zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Idealismus, wie er in den frühen Anfangsjahren der erneuerbaren Energien Pflicht war, um gegen Vorurteile, Ignoranz und schwierige Marktlage durchzuhalten, ist heute zwar noch spürbar. Mit den Märkten wächst aber auch die schnöde Erkenntnis: Mit Sonne, Wind und Wasser, mit Blockheizkraftwerken lässt sich nicht nur die CO2-Bilanz verbessern, sondern schlicht sehr gut Geld verdienen. Kein Wunder, wenn in letzter Zeit verstärkt Klagen von Beschäftigten über die Arbeitsbedingungen in einigen Unternehmen laut werden (siehe Beispiele im Kasten S. 29)[s.u.].

Grund genug, nicht nur die energiepolitischen Perspektiven beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Blick zu haben, sondern sich auch mit den sozialen Bedingungen dieser Branche auseinanderzusetzen. Diese Erkenntnis greift im Umfeld der Umweltbewegung langsam Raum. Am 17. September wird es in Hannover einen ersten Kongress geben, auf dem diese Probleme zum Thema gemacht werden. Unter dem Titel "Wende in der Atompolitik" wird einerseits die Notwendigkeit eines Atomausstiegs angesichts des völligen Scheiterns der dauerhaften Lagerung des Atommülls beleuchtet. Andererseits werden die energiepolitischen Perspektiven des Ausbaus der erneuerbaren Energien untersucht. Erstmals wird es dabei auch um die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien gehen, zu dem vor allem Gewerkschafter aus verschiedenen IG Metall-Bezirken bzw. Verwaltungsstellen beitragen werden.

Dass die IG Metall hier besonders aktiv ist, hat seine Gründe: Auch sie ist von den gravierenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen stark betroffen und muss sich angesichts sinkender Mitgliederzahlen einiges einfallen lassen. Da ist die Wachstumsbranche der erneuerbaren Energien natürlich interessant. Allerdings haben diese neuen Betriebe mit der bisherigen Wirtschafts- bzw. Arbeitskultur herzlich wenig zu tun. Die Gewerkschaften stehen allzu häufig vor dem Tor, nicht aber im Betrieb.

Im Zentrum stehen soziale oder auch gesundheitliche Belange der KollegInnen in den Betrieben, bei denen sich die Gewerkschaften als Partner anbieten wollen. Sei es bei der Frage von Betriebsräten, Tarifverträgen, Löhnen und Gehältern, der Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen und vielem mehr.


Ökologisch, sozial, gerecht...

Keine Frage: Die sozialen oder gesundheitlichen Probleme, die es in einigen Unternehmen der erneuerbaren Energien gibt, sind kein Grund, nicht an der Energiewende festzuhalten! Angesichts der globalen Bedrohungen durch Klimakatastrophe und atomaren Risiken ist der Ausbau der erneuerbaren Energien von entscheidender Bedeutung für den Umbau unserer Energieversorgung. Immerhin handelt es sich hier um Bedrohungen, die den gesamten Planeten betreffen und unter deren Auswirkungen schon viele Millionen Menschen heute konkret leiden!

Doch die Umweltbewegung könnte hier Verantwortung übernehmen und nicht nur auf hohe ökologische Standards, sondern auch auf gesunde und sozial gerechte Arbeitsbedingungen bestehen! Schließlich kaufen wir ja auch keine Ökoteppiche aus Kinderhand!

Die erneuerbaren Energien stehen in der Vorstellung vieler Menschen zu Recht für eine umweltfreundliche und auch gerechtere Welt. Das muss auch bedeuten, dass die Arbeitsbedingungen in dieser Branche an solchen Ansprüchen gemessen werden dürfen. Dieser Verantwortung müssen sich die Unternehmen stellen. Dass dies nicht von heute auf morgen klappt, dass es angesichts des enormen Wachstums dieser Branche und hohem Druck zu Schieflagen, Fehlern und Mängeln kommt, ist sicher unvermeidlich. Aber das Ziel muss klar sein und darüber muss man reden!

Dirk Seifert, Energiereferent von ROBIN WOOD in Hamburg, energie@robinwood.de


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Gesundheitsprobleme beim Rotorenbau?

In diesem Frühjahr haben die Organiser der IG Metall gemeinsam mit der regionalen Verwaltungsstelle im Raum Emden mit einer Kampagne im Bereich der Windanlagenhersteller in Ostfriesland begonnen. Vor allem um die Firma Bard in Emden ist es in den letzten Wochen zum Konflikt gekommen. Bard gehört zu den Unternehmen, die in den letzten Jahren enorm gewachsen sind. 700 MitarbeiterInnen sind es in den letzten drei Jahren geworden. Hinzu kommen noch einmal 300 LeiharbeiterInnen.

Seit einiger Zeit, so die IG Metall, häufen sich die Beschwerden von MitarbeiterInnen über gesundheitliche Probleme. Verstärkt soll es zu allergischen Reaktionen bei MitarbeiterInnen gekommen sein. Atembeschwerden, Nasenbluten und rote, schuppige Haut sowie Juckreiz seien vermehrt aufgetreten. Die könnten, so der Verdacht, durch den Einsatz eines Epoxidharzes entstehen, der bei der Fertigung von Rotorblätter für Windanlagen eingesetzt wird: Epikure Curing Agent MGS LH 136. Laut Herstellerangaben kann dieses Material zu schweren Verätzungen führen, birgt die Gefahr ernster Augenschäden und kann zu einer Sensibilisierung bei Hautkontakt führen. Die Fortpflanzungsfähigkeit kann beeinträchtig werden und Personen mit vorhandenen Allergien sollten keinen Kontakt mit diesem Material haben.

Klar also, dass an die Verarbeitung dieses Stoffes hohe Arbeitsschutzanforderungen zu stellen sind. Doch, so der Vorwurf der IG Metall: Unterweisungen im Umgang mit dem Epoxidharz seien unzureichend, die Arbeitsschutzmaßnahmen mangelhaft. Bei Bard werde angesichts voller Auftragsbücher unter Hochdruck gearbeitet. Um die Aufträge schneller zu erledigen, kommt ein Härter zum Einsatz, der besonders schnell abbindet - aber auch besonders giftig sei. Außerdem gäbe es eine sehr hohe Staubbelastung in dem Betrieb.

Mit Aktionen und Flugblättern macht die IGM auf diese Probleme aufmerksam. Die Firmenleitung reagiert, ruft eine MitarbeiterInnenversammlung ein und spricht über mehr Gesundheitsschutz. Dann Anfang Juli demonstrieren 400 Beschäftigte von Bard vor der IG-Metall-Geschäftsstelle und werfen ihr vor, Arbeitsplätze zu gefährden. Die Kampagne der IG Metall würde KundInnen abschrecken. Inwieweit die Vorwürfe der IG Metall stimmen, ob einige Wenige betroffen sind oder Gesundheitsprobleme für einen größeren Teil der Belegschaft bestehen, ist derzeit schwer zu beurteilen.


Leiharbeit für das Klima?

Auch ein zweiter Bereich lohnt das Hinblicken: Allein 300 MitarbeiterInnen bei Bard Energy sind LeiharbeiterInnen. Das sind fast 50 Prozent der Beschäftigten. Und die IG Metall behauptet, dass es für dieselbe Arbeit bei Bard fünf unterschiedliche Löhne gibt. Mit Gerechtigkeit hätte das sicherlich nichts zu tun.

Apropos Leiharbeit: Die Firma AMBAU GmbH in Cuxhaven, Hersteller für Offshore- und Onshore Turmsegmente, hat gleich eine eigene Personalservice GmbH mit gegründet. Hier werden LeiharbeitnehmerInnen beschäftigt, die hauptsächlich bei AMBAU arbeiten. Von den 108 Beschäftigten im Werk in Cuxhaven sind 51 LeiharbeitnehmerInnen. Einen Betriebsrat gibt es nicht, nachdem ein Beschäftigter, der sich vor einem Jahr für die Gründung eines Betriebsrats stark gemacht hatte, entlassen wurde.


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 106/3.2010, S. 28-29
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010