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ENERGIE/1513: Von wegen Klimaretter - Erdgas gilt zu Unrecht als klimafreundlicher Energieträger (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2016

Von wegen Klimaretter
Erdgas gilt zu Unrecht als klimafreundlicher Energieträger

von Daniel Hiß


Immer mehr Studien zeigen: Erdgas kann keinen Beitrag zum Klimaschutz oder zum Gelingen der Energiewende leisten. Statt zur Brückentechnologie taugt Erdgas nur zur Bremse einer progressiven Energiepolitik. EU-Kommission (EU - Europäische Union) und Bundesregierung setzen dennoch verstärkt auf diesen Energieträger und werfen die in Paris vereinbarten Klimaziele über Bord.

Bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (UN) in Paris 2015 haben sich die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedsstaaten darauf verständigt, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu beschränken und den Ausstoß von Treibhausgasen signifikant zu verringern. Im Kern geht es bei den Gipfelbeschlüssen von Paris vor allem um eine Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen. So jedenfalls sieht es die Erdöl- und Erdgasindustrie, die sich als große Gewinnerin des Klimavertrags fühlt. Schließlich preist sie schon seit Jahren Erdgas als Partner der Erneuerbaren Energien und klimafreundliche fossile Brücke in eine regenerative Energieversorgung und sauberen Ersatz für Kohle an. Diese Marketingsprüche der Erdgas- und Energiekonzerne sind längst Leitbild der Politik. Erdgas als Brückentechnologie - insbesondere diese Vorstellung verfängt, lässt sie doch den eingeschlagenen Weg der Energiewende nur halb so steinig und schwer erscheinen.

Mythos sauberes Erdgas

Gerade im Energiewendeland Deutschland wird diese Erzählung nur selten hinterfragt. Dabei gäbe es dafür gute Gründe. Sicher, in der Verbrennung stößt Erdgas deutlich weniger klimaschädliches CO2 aus als Kohle. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Methanemissionen etwa, die bei Gewinnung und Transport von Erdgas anfallen, finden in kaum einer Statistik Berücksichtigung. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen schrieb die Bundesregierung im Januar 2016 vielsagend: "Bei der Nutzung von Erdgas werden im Vergleich zu anderen fossilen Energieträgern die geringsten Treibhausgasemissionen erzeugt, vorausgesetzt, dass es zu keiner Freisetzung von hohen Methanemissionen entlang der Erdgasförder-, Liefer- und Nutzungskette kommt."[1]

Angesichts der Tatsache, dass immerhin 10 Prozent der deutschen Methanemissionen aus der heimischen Erdgasproduktion stammen, ist das eine nicht unwichtige Einschränkung. Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan, das bei einem Zeithorizont von 100 Jahren rund 25-mal klimaschädlicher ist als CO2. Bei einem Zeithorizont von nur 20 Jahren liegt das Treibhauspotenzial von Methan laut Weltklimarat (IPCC) sogar bei einem CO2-Äquivalent von 84 - eine Tonne Methan entspricht also 84 Tonnen Kohlendioxid. In einer vergleichenden Berechnung für einen Zeitraum von 20 Jahren kommt die US-Umweltorganisation Food and Water Watch daher zu dem Ergebnis, dass Erdgas eine deutlich schlechtere Klimabilanz als Kohle hat, wenn nur 2,8 Prozent des Gases unverbrannt in die Atmosphäre entweichen.[2] Zwar sind Methanemissionen nur schwer zu berechnen, US-Studien und einige Messungen an konkreten Förderstellen zeigen allerdings, dass die Leckageraten wohl deutlich über diesem Wert liegen. Insbesondere durch den Einsatz von Fracking, das in den USA seit Beginn der 2000er Jahre einen regelrechten Erdgasboom ausgelöst hat und über dessen Einsatz auch hierzulande gestritten wird, verschlechtert sich die Klimabilanz von Erdgas deutlich. Das ist in erster Linie auf die deutlich höheren Methanleckagen bei Fracking im Vergleich zur konventionellen Erdgasgewinnung zurückzuführen.

Gas verdrängt Erneuerbare

Der kurze Blick auf die Klimabilanz verdeutlicht: Erdgas als klimafreundlicher fossiler Energieträger ist vor allem ein unhaltbares Marketing-Versprechen. Enorme Gesundheits- und Umweltrisiken, die von der Gasgewinnung in konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten ausgehen, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Auch hier zeigt sich: Ganz anders als sein Ruf ist Erdgas kein sauberer Energieträger. Auch an deutschen Erdgasförderstätten sind Störfälle und Umweltverschmutzungen etwa durch austretendes Lagerstättenwasser oder unsachgemäß entsorgte Bohrschlämme keine Seltenheit.[3]

Ein Anstieg der Gasverstromung könnte schlussendlich dazu führen, dass die CO2-Emissionen weiter steigen. Im besten Fall sinkt der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bis 2050 um lediglich 2 Prozent. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie aus dem Jahr 2014, an der unter anderem das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beteiligt war.[4] Das Fazit der ForscherInnen lautet: Mehr und vor allem günstiges Gas einzusetzen hilft weder dem Klima noch dem Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Grund dafür sind vor allem Verdrängungseffekte von Erdgas gegenüber regenerativen Energieträgern. Zwar könnten rund 10 Prozent der Kohle durch Gas substituiert werden, allerdings würden auch rund 8 Prozent der Erneuerbaren aus dem Markt gedrängt. Billiges Erdgas konterkariert obendrein sämtliche Effizienzbemühungen, da Kostenanreize wegfallen. Auch das Umweltbundesamt (UBA) kam im vergangenen Jahr zu einem ähnlichen Urteil und warnte davor, die Ausbeutung unkonventioneller Erdgasvorkommen weiter voranzutreiben. Dies hätte langfristig einen Anstieg der Treibhausgasemissionen und damit höhere Kosten für die Einhaltung der Klimaziele zur Folge.[5]

EU setzt alles auf die Erdgas-Karte

Die Faktenlage ist eindeutig - dennoch nimmt die Politik diese Entzauberung des Erdgas-Märchens bislang nicht zur Kenntnis. Allen voran die Europäische Union setzt massiv auf Erdgas als Energieträger der Zukunft und weitet Programme und Maßnahmen aus, um die Versorgungssicherheit mit Erdgas langfristig zu sichern. Die Europäische Energieunion, der erste Fortschrittsbericht zur Energieunion sowie das im Februar 2016 veröffentlichte Maßnahmenpaket zur Sicherung der Erdgasversorgung in der EU sprechen eine eindeutige Sprache: Erdgas ist langfristig der wichtigste Energieträger in Europa. Um das zu gewährleisten, plant die EU-Kommission den Bau neuer Pipelines und sogenannter LNG-Terminals, um Flüssiggas per Schiff unter anderem aus den USA importieren zu können. Außerdem steht die Diversifizierung der Erdgasimporte sowie die Förderung der heimischen Erdgasproduktion auf dem Programm der EU-Kommission.

Der geplante massive Ausbau der Erdgasinfrastruktur zementiert die fossile Energieversorgung und schafft vor allem Anreize für milliardenschwere Fehlinvestitionen. Schon heute besteht in der EU eine Überkapazität an Erdgas- und LNG-Infrastruktur, die Importkapazitäten reichen aus, um die prognostizierte Erdgasnachfrage bis 2050 zu decken.[6] Die Umsetzung der Kommissionspläne würde dieses Problem noch verstärken. In eigenen Berechnungen zeigt die EU-Kommission auf, dass das Ziel, die Energieeffizienz in Europa bis 2030 um 27 Prozent zu steigern, eine um 15,5 Prozent gesunkene Erdgasnachfrage zur Folge hätte. Mit einem ambitionierten Effizienzziel von 40 Prozent könnte die Nachfrage sogar um 42 Prozent sinken.

Statt auf die eigenen Berechnungen zu vertrauen, Energieeffizienz und den Ausbau regenerativer Energien konsequent voranzutreiben, schafft die EU-Kommission mit den vorgelegten Maßnahmenpaketen allerdings langfristige Abhängigkeiten. Beim Ausbau der Erdgasinfrastruktur ist mit geplanten Nutzungsdauern von mehreren Jahrzehnten, im Regelfall über das Jahr 2050 hinaus, zu rechnen. Das schafft Lock-in-Effekte für Erdgas oder führt zu sogenannten "stranded assets" der beteiligten Unternehmen - also massive Kapitalvernichtung, die letztlich auch zu Lasten der SteuerzahlerInnen gehen.

Fossile Brennstoffe müssen im Boden bleiben

In Sachen verfehlter Klimapolitik steht die deutsche Bundesregierung der EU-Kommission allerdings in nichts nach. Im vergangenen Jahr hat das Kabinett ein Gesetzespaket auf den Weg gebracht, das Fracking in unkonventionellen Erdgaslagerstätten rechtssicher ermöglichen soll. Zwar liegt das Fracking-Gesetzespaket seit gut einem Jahr auf Eis, aber auch diese Initiative zeigt: Auf allen Ebenen lässt sich Politik gerne von falschen Hoffnungen in das vermeintlich klimafreundliche Erdgas treiben. Tatsächlich müsste Deutschland aber bis spätestens 2030 aus der Erdgas-Verstromung aussteigen, um seinen Beitrag zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels von Paris zu leisten.[7]

Eine ambitionierte Klimapolitik erfordert also unweigerlich, dass ein Großteil der weltweit bekannten fossilen Energierohstoffe im Boden bleibt. Schon um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, betrifft das auch 50 Prozent der weltweit bekannten Erdgasvorkommen.[8] Neue Investitionen in den Ausbau der fossilen Infrastruktur sind da das falsche Rezept.

Der Autor arbeitet beim Deutschen Naturschutzring zu
Rohstoffpolitik und Fracking.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Trotz Überkapazitäten bei den Erdgasimporten will die EU weitere Pipelines bauen lassen


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


1 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/076/1807665.pdf. 2 http://www.foodandwaterwatch.org/insight/urgent-case-ban-fracking. 3 Mirja Schoderer (2016): Das große Unwissen. umwelt aktuell, Nr. 06. 4 http://www.nature.com/nature/journal/v514/n7523/full/nature13837.html. 5 http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/climate_change_03_2015_the_impact_of_shale_gas_1.pdf. 6 Peter Polder/Tamra Gilbertson/Antonio Tricarico (2014). Natural Lock-in. Current politics in the European Union.
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/engl/Natural-gas-lock-in.pdf.
7 http://www.greenpeace.de/files/publications/160222_klimaschutz_paris_studie_02_2016_fin_neu.pdf.
8 Christophe McGlade/Paul Ekins (2015). The geographical distribution of fossil fuels unused when limiting global warming to 2°C.
http://tinyurl.com/gmgk6el

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Quelle:
Rundbrief 2/2016, Seite 31-32
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2016

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