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MASSNAHMEN/303: Industriegas-Projekte erzeugen Millionen Phantom-Emissionsreduktionen (FUE)


Forum Umwelt & Entwicklung - Pressemitteilung vom 18. Oktober 2010

Neue Studie zeigt: Industriegas-Projekte erzeugen Millionen Phantom-Emissionsreduktionen


BRÜSSEL, 18.10.2010 - Eine neue Studie zeigt, dass der Clean Development Mechanism (CDM) der UN-Klimakonvention in erheblichem Maße dazu beigetragen hat, die Adipinsäure-Produktion aus Industrieländern in CDM-unterstützte Anlagen nach China und Südkorea zu verlagern. Diese Anreize haben zu sogenannter "carbon leakage" geführt, einer Produktionsverlagerung die letztlich zu höheren Emissionen führt. Dies führte dazu dass 13.5 Millionen Emissionsgutschriften ausgestellt wurden, die auf reinen Phantom-Emissionsreduktionen beruhen.

Hintergrund: Lachgas ist ein unerwünschtes Nebenprodukt der Adipinsäure-Herstellung, aber auch ein äußerst wirksames Treibhausgas. Adipinsäure wird vor allem zur Nylon-Herstellung verwendet. Hersteller in Entwicklungsländern können Emissionsgutschriften durch den Clean Development Mechanism (CDM) bekommen, wenn das Nebenprodukt Lachgas zerstört wird.

Industriegasprojekte, die derzeit als CDM-Projekte anerkannt sind, geraten immer stärker in die Kritik. Das UN-Klimasekretariat untersucht derzeit Vorwürfe, dass Hersteller des Treibhausgases HCFC Schlupflöcher im CDM-System nutzen und die Emissionshandelsmärkte dadurch manipulieren, dass sie absichtlich die Produktion derjenigen Treibhausgase in die Höhe treiben, mit deren Beseitigung sie anschließend Geld verdienen können. CDM Watch hat vom Stockholm Environment Institute nun eine Studie erstellen lassen, um zu überprüfen, ob Adipinsäureprojekte eine Gefahr für die umweltpolitische Integrität des CDM darstellen.


Zentrale Ergebnisse

Die Studie zeigt, dass die Profite durch CDM-Emissionsgutschriften so groß sind, dass sie in einigen Fällen die Adipinsäureproduktion auf Produktionskosten unter Null subventioniert haben. Damit verschaffen sich CDM-Projekte einen enormen Wettbewerbsvorteil. Zudem wurde eine Produktionsverlagerung von Nicht-CDM-Anlagen zu CDM-Anlagen verursacht.

"Wir wissen seit einiger Zeit, dass diese Projekte enorme Profite aus dem CDM anhäufen", sagt Michael Lazarus, leitender Wissenschaftler beim Stockholm Environment Institute und Mitautor der Studie. "Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Profite nachweislich dazu geführt haben, dass in erheblichem Ausmaß die Adipinsäureproduktion von Nicht-CDM-Anlagen in CDM-Anlagen verlagert wurde, und sie deuten stark darauf hin, dass hier carbon leakage vorliegt".

Nur vier der mehr als 2300 Projekte, die bisher unter dem CDM registriert wurden, sind Adipinsäureprojekte. Aber diese vier Projekte sind für fast 20% der 440 Millionen Emissionsreduktions-Gutschriften verantwortlich, die bisher unter dem CDM ausgestellt wurden.

Die Kosten der Lachgasbeseitigung bei der Adipinsäureproduktion sind sehr niedrig und liegen zwischen EUR 0.10-0.40 pro Tonne CO2e-Reduktion. Hersteller können eine solche Emissionsreduktionsgutschrift für etwa EUR 13 verkaufen. Zudem können sich CDM-Projekte 100% ihrer Lachgasreduktionen anrechnen lassen, obwohl weite Teile dieser Industriebranche längst freiwillig bis zu 90% ihrer Lachgasemissionen vermeiden, ohne dafür Geld zu bekommen. Dadurch können CDM-Anlagen Nettoeinkünfte von etwa EUR 1,000 pro Tonne Adipinsäure kassieren.

Damit können CDM-Anlagen Adipinsäure zu sehr geringen oder sogar negativen Kosten herstellen. Nicht-CDM-Anlagenbetreiber haben daher einen massiven Wettbewerbsnachteil. Die Studie zeigt, dass trotz eines massiven globalen Nachfragerückgangs in 2008 and 2009 die Anlagenauslastung von CDM-Anlagen bei 85% blieb, während die Auslastung von Nicht-CDM-Anlagen auf 60% fiel.

"Unter der Annahme, dass die Anlagen mit der durchschnittlichen weltweiten Auslastungsquote gearbeitet hätten, kommen wir zu der Schätzung, das diese Produktionsverlagerung dazu führte, dass etwa 13.5 Millionen Emissionsreduktionsgutschriften in 2008 und 2009 ausgestellt wurden, die gar keine realen Emissionsreduktionen darstellen", so die Mitautorin Anja Kollmuss. "Dies entspricht etwa 20% aller Emissionsreduktionsgutschriften, die für Adipinsäureprojekte ausgestellt wurden. Diese Gutschriften werden gekauft, um Emissionsreduktionsverpflichtungen in der EU und woanders zu erfüllen. Sie führen aber tatsächlich zu einem Anstieg der Emissionen, weil die Käufer der Gutschriften dadurch das Recht erwerben, mehr zu emittieren."

Im Gegensatz dazu müssen alle drei Adipinsäureprojekte, die unter dem Joint Implementation (JI)-Mechanismus registriert wurden, den in der Industriebranche üblichen Stand der Technik anwenden und dürfen nur Emissionsgutschriften erhalten, wenn sie mehr als die 90%-Schwelle reduzieren. Damit erzielen sie lediglich etwa EUR 90 Profit pro Tonne Adipinsäure. Die Studie konnte keine schädlichen Produktionsverlagerungen aufgrund von JI-Projekten nachweisen. Ferner wies die Studie nach, dass sowohl die CDM- als auch die JI-Projekte extrem hohe Emissionsreduktionsleistungen von 98%-100% erzielten, höher als man bisher für technisch möglich gehalten hatte. Die erfolgreiche Umsetzung von JI-Projekten mit derart hoher Effizienz trotz bedeutend geringeren Einnahmen aus Emissionsgutschriften zeigt, dass auch solche Emissionsreduktionsprojekte immer noch profitabel arbeiten können.


Wer profitiert?

Die französische Firma Rhodia betreibt zwei CDM-Anlagen in Südkorea und Brasilien und hat bisher fast 65 Millionen Emissionsreduktionsgutschriften aus diesen beiden Projekten erhalten. Die chinesischen Firmen PetroChina und Shemna betreiben die beiden anderen Anlagen, die bisher etwa 13 Millionen bzw knapp 7,5 Millionen Emissionsreduktionsgutschriften erhalten haben. Die chinesische Regierung belegt die Einnahmen aus den Emissionsreduktionsgutschriften dieser beiden Projekte mit einer 30%igen Abgabe.


Entschiedene Maßnahmen sind nötig

Die Studie untersucht verschiedene Optionen, um solche Wettbewerbsverzerrungen und carbon leakage zu vermeiden sowie reale Lachgas-Emissionsreduktionen sicherzustellen, etwa indem ambitionierte Vorgaben in der CDM-Methodologie gemacht werden.

Solche Vorgaben könnten sehr wirksam sein. Eine revidierte Version der Anrechnungsmethodologie würde einen Beschluss des CDM Executive Board erfordern, und würde erst bei der Verlängerung der Anrechnungsperiode wirksam. Angesichts der Unsicherheit, ob ein solcher Beschluss zustandekommt, und des verzögerten Inkrafttretens 2013-2015, stellt die Studie fest, dass die regionalen und nationalen Behörden, aber auch die Käufer nachfrageseitige Beschränkungen überlegen sollten. Diese könnten schneller wirken, etwa indem Emissionsreduktionsgutschriften aus Adipinsäureprojekten gar nicht mehr oder nur noch teilweise anerkannt werden.

"Wir können uns dabei nicht auf den CDM Exekutivrat verlassen, der dafür bekannt ist, dass er Korrekturen fehlerhafter Methodologien am liebsten auszusitzen versucht" sagte Eva Filzmoser von CDM Watch. "Entschiedene Maßnahmen seitens der EU sind nun gefragt, um diesen Schwindel mit angeblichen Emissionsreduktionen zu beenden. Emissionsreduktionsgutschriften aus solchen Projekten müssen ebenso wie diejenigen aus HFC-23-Projekten aus dem EU-Emissionshandelssystem ausgeschlossen werden. Dadurch würden bessere Projekte die zu realen Emissionsreduktionen führen eine Chance bekommen."

Eine zweite Studie über CDM-Projekte mit Lachgas aus der Salpetersäureherstellung wird in Kürze veröffentlicht.

Sie finden die Studie auf
http://www.sei-international.org/publications?pid=1621.


Über CDM Watch: CDM Watch (http://www.cdm-watch.org) ist eine Initiative internationaler NGOs und wurde im April 2009 neu gegründet, um eine unabhängige Beobachtung von CDM-Projekten, der ihnen zugrundeliegenden Methodologien und der Arbeit des CDM Executive Board zu ermöglichen. Unser Ziel ist es, sicherzustellen dass der gegenwärtige CDM ebenso wie ein reformierter Mechanismus für die Zeit nach 2012 effektiv überprüft werden können und real zu nachhaltiger Entwicklung in den CDM-Projektländern beitragen.

Über das Stockholm Environment Institute: Das Stockholm Environment Institute (http://www.sei- international.org/) ist ein unabhängiges internationales Forschungsinstitut, das sich zu Umwelt- und Entwicklungsfragen seit mehr als 20 Jahren auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene engagiert. Das SEI hat sich eine Reputation für seine gründliche und objektive wissenschaftliche Analyse erworben. Das SEI will zu nachhaltiger Entwicklung beitragen, indem es eine Brücke zwischen Wissenschaft und Politik bildet.

Der Clean Development Mechanism (CDM): Der Clean Development Mechanism ist einer der drei flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls. Er ermöglicht es Unternehmen aus Industrieländern, Emissionsreduktionsprojekte in Entwicklungsländern durchzuführen und dafür handelbare Emissionsreduktionsgutschriften zu bekommen, die dem Volumen der reduzierten Emissionen dieser Projekte entsprechen.

Joint Implementation: Joint Implementation ist einer der drei flexiblen Mechanismen des Kyoto-Protokolls, und beruht wie der CDM auf einzelnen Projekten- d.h. Industrieländer erhalten Emissionsreduktionsgutschriften für Investitionen in anderen Ländern. Im Falle der JI-Projekte haben allerdings beide beteiligten Länder Emissionsreduktionsverpflichtungen unter dem Kyoto-Protokoll, während beim CDM Projekte in Ländern ohne Reduktionsverpflichtungen durchgeführt werden. Beim JI geht es in erster Linie um Projekte in Osteuropa und der früheren Sowjetunion.

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Quelle:
Pressemitteilung, 18.10.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010