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ROHSTOFFE/066: Heimische Rohstoffförderung - Nebelkerze oder Chance zur Verringerung von Importabhängigkeit? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2022
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Forderungen nach heimischer Rohstoffförderung
Nebelkerze oder Chance zur Verringerung von Importabhängigkeiten?

von Josephine Koch


Auf dem Rohstoffkongress des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) Ende Oktober dieses Jahres wurde einmal mehr die Forderung laut, den Rohstoffabbau in Deutschland auszubauen. Ziel sei, auf diese Weise die starke Abhängigkeit Deutschlands von Rohstoffen aus dem Ausland zu reduzieren. Denn diese sei bei kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden deutlich höher als die deutsche Abhängigkeit von billigem Gas aus Russland. Doch verfügt Deutschland überhaupt über relevante Rohstoffquellen und was steckt noch hinter der Industrieforderung?

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Alarmzustand. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat uns die Folgen der Importabhängigkeit und fehlender Diversifizierung bei Erdgas erneut klar vor Augen geführt. Gleichzeitig hat er den Blick auch auf andere Rohstoffabhängigkeiten vor allem aus China gelenkt. Würde China die Lieferung von Seltenen Erden plötzlich stoppen, hätte dies sofortige und weitreichende Auswirkungen auf die deutsche Industrie, sagte der Präsident des BDI Siegfried Russwurm. China gilt als wichtiger, aber nicht unbedingt sicherer Lieferant von bedeutenden Rohstoffen. Es hat beim Abbau von Seltenen Erden eine Monopolstellung, denn dieser ist den meisten anderen Ländern zu teuer, zu anspruchsvoll und zu umweltschädlich. Global raffiniert die Volksrepublik nach Angaben der internationalen Energieagentur 87% der Seltenen Erden, daneben 65% des Kobalts, 58% des Lithiums, 35% des Nickels und ist größter Graphitproduzent. All diese Rohstoffe sind bedeutsam für die Energiewende und die E-Mobilität, aber auch für Flachbildschirme, Smartphones, Laptops, die Industrie 4.0 und die Rüstungsindustrie - also Bereiche, deren Mehrwert für die Allgemeinheit hinterfragt werden sollte und die wir entweder rohstoffärmer gestalten oder zurückfahren müssen.

Deutschland, neues Bergbauland?

Deutschland produzierte 2019 Rohstoffe im Wert von 11,4 Milliarden Euro. Dagegen importierte es Rohstoffe im Wert von 175 Milliarden Euro. Hierzulande gefördert werden neben Braunkohle und Baurohstoffen auch nichtmetallische Industriemineralien. Kritische mineralische Rohstoffe wie Indium, Wolfram, Kobalt oder Platinelemente kommen in Deutschland zwar vor, werden aber nicht abgebaut. Im Jahr 2012 wurden z.B. Erkundungsarbeiten für Seltene Erden nahe des sächsischen Ortes Delitzsch durchgeführt. Die 4,4 Millionen Tonnen des dortigen Erzes beinhalten geschätzt 20.100 Tonnen Seltenerd-Verbindungen bei Gehalten um 0,45%. 2017 wurde das Projekt wegen fehlender Wirtschaftlichkeit eingestellt. Seltene Erden treten oft in geringer Konzentration und in Kombination mit anderen Rohstoffen auf, die die Extraktion komplex und unwirtschaftlich machen. Die Verfahren zur Auslösung und Trennung der einzelnen Elemente ist anspruchsvoll und wegen der notwendigen Chemikalien zudem ökologisch problematisch. Auch wenn der Abbau von Seltenen Erden in Sachsen jetzt vielleicht ökonomisch lukrativer werden könnte, bleibt er aufwendig und dreckig. Mit Widerstand in der Bevölkerung ist zu rechnen. Nicht zuletzt ist fraglich, inwieweit der Abbau tatsächlich einen relevanten Beitrag zur Versorgung mit Seltenen Erden in Deutschland leisten würde. Denn in Europa könnte es bis 2050 zu einer Verzehnfachung der Nachfrage kommen.

Und andere gefragte Metalle?

Am aussichtsreichsten ist hier ein aktuelles Projekt, das auf die Gewinnung von Lithium aus den Tiefengewässern des Oberrheingrabens mittels Geothermieanlagen abzielt. Gelöst in salzigen Thermalwasserreservoiren befinden sich dort beträchtliche Mengen des weißen Goldes. Wegen des hohen Bedarfs an lithiumhaltigen Batterien für die Energiewende gilt Lithium als kritischer Rohstoff, von dessen Import Deutschland bisher zu 100% abhängig ist. 80% des weltweiten Lithiums stammen aus Chile und Australien, wo der Abbau von immensen Umweltauswirkungen, vor allem auf das Grundwasser, begleitet ist. In Deutschland soll die Lithiumgewinnung in Geothermalkraftwerken minimalinvasiv, mit wenig Flächenverbrauch und geringen Umweltkosten erfolgen. Doch ob das Projekt realisiert wird, steht noch in den Sternen. Seit Jahren regt sich Widerstand bei der betroffenen Bevölkerung, denn es sind Erdbeben und Umweltschäden zu befürchten. Außerdem: Die Extraktionstechnologien befinden sich noch in der Entwicklung und es könnte laut optimistischen Schätzungen mit dem gewonnenen Lithium gerade einmal 2-12% des Jahresbedarfs der geplanten Batteriefertigung in Deutschland gedeckt werden, selbst wenn alle relevanten deutschen Geothermiestandorte mit entsprechenden Anlagen ausgerüstet werden. Lithiumgewinnung in Deutschland aus Geothermie kann mittelfristig also nur eine Ergänzung sein.

Insgesamt dürfte das Potenzial zur Senkung der Importabhängigkeit durch den heimischen Abbau von Metallen eher gering sein. Allerdings könnte hinter dem Ruf nach vermehrter heimischer Rohstoffförderung und vereinfachten Genehmigungsverfahren auch das Interesse stecken, das hoch umstrittene und bis dato verbotene Fracking von Gas in Deutschland wieder salonfähig zu machen. Der BDI versuchte auf seinem Rohstoffkongress wieder einmal glauben zu machen, dass Fracking "unter Einsatz modernster Verfahren mit höchsten Standards" einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Importabhängigkeit leisten und die Energieversorgung in Deutschland sichern könne. Dabei muss der Abbau (und Verbrauch) von fossilen Energierohstoffen wie Gas, Öl oder Kohle nun wirklich bald der Vergangenheit angehören. Die Debatte über den Metallabbau hierzulande sollte hingegen - sensibilisiert für die damit verbundenen ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und Gerechtigkeitsfragen - geführt werden. Denn auch mittelfristig werden wir nicht ohne primär gewonnene Metalle auskommen. In vielen metallreicheren europäischen Nachbarländern sind die betroffenen Bevölkerungen bereits viel stärker mit problematischen Begleiterscheinungen des kommenden Metallabbaus in ihren Regionen konfrontiert. Vielleicht steigt durch entsprechende öffentliche Debatten auch hierzulande zumindest das Bewusstsein für die Bedeutung unseres Metallverbrauchs und die Einsicht für die Notwendigkeit, ihn massiv zu reduzieren und eine Kreislaufwirtschaft mit Sekundärrohstoffen aufzubauen.

Josephine Koch ist Referentin für Ressourcenpolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2022, Seite 56-57
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 16. Mai 2023

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