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TEXTILIEN/038: Ultra Fast Fashion - Gefährliche Mode (Securvital)


Securvital 2/23 - April/Juni 2023
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Ultra Fast Fashion
Gefährliche Mode

von Astrid Froese


Neue Fashion-Labels vertreiben im Internet supergünstige Trendkollektionen. Diese gehen jedoch teilweise mit erheblichen gesundheitlichen Risiken einher.

T-Shirts für 4 Euro, Schuhe für 7 Euro oder ein Hochzeitskleid für 8 Euro - Ultra Fast Fashion macht es möglich. Die Trendartikel zu Schnäppchenpreisen sprechen vor allem junge Kunden an.

In den vergangenen Jahren hat sich im Onlinehandel eine neue Riege von Modeunternehmen etabliert. Shein aus China, Boohoo aus Großbritannien und Emmiol aus Hongkong. Das Geschäftskonzept dieser Anbieter ist so einfach wie erfolgreich: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz spüren sie in den sozialen Netzwerken neue Trends auf. Bilderkennungsalgorithmen werden darauf trainiert, Kleidung auf geposteten Instagram-Fotos auszuwerten und damit beliebte Farben, Formen und Zusammenstellungen zu ermitteln.

Mithilfe von billig arbeitenden Nähereien, Zulieferern und Subunternehmen werden von den so herausgefilterten Kleidungsstücken zunächst wenige Probeartikel produziert, in verschiedenen Varianten online angeboten und von Influencerinnen empfohlen. Verkaufen sie sich gut, wird umgehend nachgeordert. Produzierten Modehäuser früher zwei Kollektionen pro Jahr - eine für Frühjahr/Sommer und eine für Herbst/Winter -, werden nun Tausende neue Teile Tag für Tag in die Online-Shops eingestellt und in Echtzeit auf die Nachfrage reagiert.

Algorithmen statt Service

Da die Unternehmen ihre Ware übers Internet vertreiben und keine Ladenmieten zahlen, machen sie Ketten wie H&M oder Zara mit ihren Tiefstpreisen mächtig Konkurrenz. Statt in den stationären Handel investieren sie ins Marketing. Über YouTube, Instagram und TikTok überschwemmen die Fashion-Anbieter ihre bevorzugte Zielgruppe - Mädchen und junge Frauen - mit Werbung. Mit dem Resultat, dass einzelne Käuferinnen 50, 60 und mehr Teile pro Bestellung ordern.

Experten fürchten, dass die Rabatt- und Belohnungsaktionen sowie die manipulative Nutzerführung in den Online-Stores junge Menschen kaufsüchtig machen. Dazu gehören auch sogenannte »Dark Patterns«: Manche Anbieter belohnen das tägliche Öffnen der App auf dem Smartphone mit Punkten, die die Ware noch billiger machen.

Gestützt werden diese Sorgen von den selbst gedrehten Videos der Kundinnen des Online-Versenders Shein: Unter dem Hashtag #sheinhaul (englisch »haul«= Ausbeute, Fang) präsentieren Käuferinnen Aufnahmen von den Anproben ihrer Käufe. Der Konzern wiederum nutzt diese Videos für Werbezwecke. Allein auf TikTok verzeichnet der Hashtag #sheinhaul inzwischen Milliarden von Views.

Konsum ohne Bedarf

Als der stationäre Handel wegen der Coronapandemie zeitweise wochenlang schließen musste, verschaffte dies den Ultra-Fast-Fashion-Anbietern einen gigantischen Schub. Während der Gewinn von H&M 2020 um rund 88 Prozent einbrach, konnte Boohoo 2021 seinen Umsatz um 45 Prozent, Asos um knapp 20 Prozent und Shein sogar um 60 Prozent im Vorjahresvergleich steigern.

Mit einem Wert von geschätzt knapp 100 Milliarden Euro ist Chinas größter Onlinehändler Shein nach Angaben des Finanzdienstleisters Bloomberg mittlerweile mehr wert als H&M und Zara zusammen. Rund 600.000 Artikel umfasst das Sortiment des Fashion-Giganten. Täglich kommen Tausende Teile von über 2000 Zulieferern hinzu. Verkauft wird in 150 Länder.

Vor allem junge Käuferschichten honorieren das Konzept: Auf Instagram hat Shein mehr als 27 Millionen Follower, auf Facebook sind es 28 Millionen. Und genau über diese Kanäle befeuert der mittlerweile größte Onlinehändler den Durchlauf in den Kleiderschränken.

Billig - und schmutzig

Doch nicht nur die Zahl der Follower in den sozialen Netzwerken nimmt rasant zu, sondern auch die Kritik an der schlechten Produktqualität und den miserablen Arbeitsbedingungen. So zeigt ein Greenpeace-Report die erhebliche Gesundheitsgefährdung, die von den Modeartikeln ausgeht. 47 Kleidungsstücke und Schuhe für Männer, Frauen und Kinder von Shein-Webseiten hat die Organisation zur chemischen Analyse in ein unabhängiges Labor geschickt. Die verheerende Bilanz: 15 Prozent davon enthielten gefährliche Chemikalien, die gegen EU-Grenzwerte verstoßen, in 15 Produkten sogar in besorgniserregenden Mengen.

"Aus Profitinteressen gefährdet der Konzern Shein die Gesundheit der Verbraucher"
Viola Wohlgemuth, Greenpeace

»In einem Kleid für ein kleines Kind wies das Labor einen hohen Gehalt an krebserregendem Formaldehyd nach, in einem Schuh die Weichmacher Phthalate«, sagt Viola Wohlgemuth von Greenpeace. »Aus Profitinteresse gefährdet der Konzern so die Gesundheit der Verbraucher - doch die Hauptlast für die Chemikalien-Abhängigkeit der Billigproduktion zahlen die Arbeiterinnen in den Produktions- und Zulieferbetrieben«, kritisiert die Expertin für Ressourcenschutz und Kreislaufwirtschaft.

Zu den gesundheitlichen Risiken für die Verbraucher kommen die desaströsen Folgen für die Umwelt, wenn die giftigen Chemikalien über Abwasser und Luft in die natürlichen Kreisläufe gelangen und in der Folge die Gesundheit der Bevölkerung in den Produktionsländern gefährden.

Auch wenn Shein eine »sichere, faire und angenehme Arbeitsumgebung« verspricht: Angestellte in Subunternehmen müssen laut Non-Profit-Organisation Public Eye oft 75 Stunden pro Woche arbeiten - für weniger als 1500 Euro im Monat, ohne Arbeitsverträge und Sozialleistungen, zum Teil in Werkstätten mit verbarrikadierten Fenstern ohne Notausgänge und unter miserablen hygienischen Bedingungen.

Wer sehen will, welche Auswüchse diese Modeproduktion mit sich bringt, braucht nur einen Blick in die Atacama-Wüste in Chile zu werfen: Berge von Billigklamotten türmen sich über mehrere Kilometer. Rund 59.000 Tonnen Fashion-Müll kommen laut Recherchen der Nachrichtenagentur AFP allein jedes Jahr im Hafen von Iquique im Norden Chiles an. Sie wurden in China, Bangladesch oder Indonesien produziert und konnten nicht verkauft werden. Teile davon werden in Chile und den Nachbarländern vertrieben. Der Rest landet auf Mülldeponien in der südamerikanischen Wüste, die jährlich um knapp 40.000 Tonnen an Billigtextilien anwachsen.

Da die Stoffe durch das Färben, Bleichen oder Bedrucken zum Teil so giftig sind wie Plastik oder Reifen, sind die Folgen für die Umwelt fatal. Laut Greenpeace setzt die Textilindustrie über 70 gesundheits- und umweltgefährdende Chemikalien ein. Allein das häufig verwendete Polyester benötigt 200 Jahre, bis es abgebaut wird - und ist dann immer noch als Mikroplastik übrig.

Ultra Fast Fashion, das sollte allen Käufern klar sein, geht mit immer schnelllebigeren Trends, Überkonsum, Ressourcenverschwendung, Ausbeutung und Umweltverschmutzung einher. Nicht umsonst stuft die Bewertungsplattform »Good on You« beliebte Ultra-Fast-Fashion-Labels wie Shein, Fashion Nova, Boohoo, PrettyðLittleThing und Cider mit »We avoid« (»Wir vermeiden«) ein.

Echte Alternativen

Doch es geht auch anders, wie Greenpeace oder Utopia immer wieder betonen: weniger und bewusster bestellen. Nachhaltig produzierende Fair-Fashion-Labels vorziehen. Individuelle Secondhandstücke erwerben. Ausgefallene Kleidungstücke mieten. Tauschbörsen und -partys besuchen, auf denen gemeinsam mit viel Spaß anprobiert wird, was jeder mitgebracht hat. Oder Fashion-Abende mit der besten Freundin vor dem eigenen Kleiderschrank veranstalten, bei denen das Vorhandene neu zusammengestellt wird. Denn auch weniger kaufen kann Freude machen. Und längst ist Fair Fashion genauso trendy wie Fast Fashion.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Suche nach Verwertbarem auf einer Altkleiderdeponie in der Atacama-Wüste, Chile
  • Mit Rabattaktionen und Pop-up-Stores lockt Shein vor allem junge Käufer an.
  • Nähen im Akkord: Arbeiterinnen in einer Shein-Textilfabrik in China

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Quelle:
Securvital 2/23 - April/Juni 2023, Seite 32-34
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und
Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 2. Mai 2023

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