Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

ASIEN/002: Umsiedlung am Yangtze - Ein Erfolg? (Spiegel der Forschung)


Spiegel der Forschung Nr. 1/2010
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen

Umsiedlungen am Yangtze - ein Erfolg?
Ausmaß und Folgen des Landnutzungswandels in der Drei-Schluchten-Region

Von Christoph Seeber und Lorenz King

Die ehemals fruchtbaren Talböden sind überflutet, Landwirtschaft wird hoch darüber auf neu angelegten Terrassen betrieben - Foto: Lorenz King

Die ehemals fruchtbaren Talböden sind überflutet, Landwirtschaft
wird hoch darüber auf neu angelegten Terrassen betrieben

Foto: Lorenz King

Die Errichtung des Drei-Schluchten-Staudamms am Yangtze, eines der weltweit prominentesten und meist diskutierten Wasserbauprojekte, hat weitreichende Auswirkungen auf die umliegenden Ökosysteme und die lokale Bevölkerung. Im Rahmen des vom Forschungszentrum Jülich koordinierten Deutsch-Chinesischen Yangtze-Projekts ist eine Gießener Arbeitsgruppe in das Verbundprojekt "Landnutzung, Erosion, Hangbewegungen" eingebunden mit der Aufgabe, den Landnutzungswandel in einem Nebeneinzugsgebiet des Yangtze zu dokumentieren. Die Frage nach dem Erfolg der oft sehr negativ beurteilten Umsiedlungsmaßnahmen im Rahmen des Drei-Schluchten-Projekts kann zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und Lebensqualität für die städtische Bevölkerung ist sicher als Erfolg zu betrachten. Im Landwirtschaftsektor haben allerdings die ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der Umsiedlungspolitik bislang nur wenig zur Verbesserung der Situation der Bauern beigetragen. Forschungsarbeiten in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen in China werden in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Lorenz King am Geographischen Institut und am Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen bereits seit den 1980er Jahren erfolgreich betrieben.

Große sozio-ökonomische und naturräumliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Errichtung des Drei-Schluchten-Staudamms finden vor allem in jenen Gebieten statt, die direkt vom Aufstau und von lokalen Umsiedlungen betroffen sind. Eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung der Hänge in der gebirgigen Region wird durch Bodenerosion gefährdet. Der Aufstau kann zudem lokal zu Bergstürzen und Hangrutschungen führen, die eine ernste Gefahr für die Bevölkerung darstellen.


Das Dreischluchtenprojekt: Aufstau, Umsiedlungen, Landnutzungswandel

Das Drei-Schluchten-Projekt am Yangtze ist derzeit das weltweit größte Wasserbauprojekt. Es wird die bisher höchste durch Wasserkraft erzeugte Energiemenge, rund 22,4 Mio. kW, erzeugen, und die Umsiedlung der Bevölkerung wird mit etwa 1,13 Mio. umgesiedelten Personen alle bisher durchgeführten Staudammprojekte übertreffen.

Die Kosten, die insgesamt durch das Drei-Schluchten-Projekt entstehen, wurden ursprünglich auf 90 Milliarden Yuan (1 Euro ~ 10 Yuan) geschätzt. Während der Umsetzung des Projekts musste die Schätzung der Gesamtinvestition unter Berücksichtigung zusätzlicher Kosten, die durch Umweltveränderungen und soziale Umbrüche entstehen, auf 204 Milliarden Yuan nach oben korrigiert werden.

Karte der vom Dreischluchtenprojekt direkt betroffenen Distrikte. Die Entfernung von der Talsperre bis nach Chongqing beträgt 630 Flusskilometer.- © Jens-Philipp Keil

Karte der vom Dreischluchtenprojekt direkt
betroffenen Distrikte. Die Entfernung von der Talsperre
bis nach Chongqing beträgt 630 Flusskilometer.

© Jens-Philipp Keil
Eingriff in den Landschaftshaushalt

Vor allem der Umfang des Eingriffs in die Landschaft ist es, der auch heute, nach dem Erreichen des Stauziels von 175 Meter ü. M., nicht abschließend beurteilt werden kann. Der Aufstau des Yangtze löst flussaufwärts einen weiträumigen Landnutzungswandel aus. Beim maximalen Aufstau auf 175 Meter ü. M. sind 13 Kreise, drei Stadtbezirke und drei bezirksfreie Städte mit einem Flächenverlust von 632 km²; betroffen. Dabei werden rund 24.500 Hektar vormals landwirtschaftlich genutzter Fläche überflutet.

Die Landwirtschaft bildet in der Drei-Schluchten-Region nach wie vor eine wichtige Einkommensgrundlage, was zur Folge hat, dass abseits der überfluteten Gebiete neue Flächen in Kultur genommen werden müssen. Da sich diese meist in Hang- und Hochlagen befinden, sind sie meist weniger fruchtbar als das früher genutzte Kulturland im Talboden. Eine gleichwertige Kompensation der Agrarflächen ist somit kaum möglich. Hinzu kommt, dass die chinesische Gesetzgebung zum Boden- und Gewässerschutz vorsieht, Ackerland in steilen Hanglagen über 25° Neigung aufzugeben und möglichst aufzuforsten. Daraus resultiert ein enormer Nutzungsdruck auf die noch verfügbaren Flächen.

Das Stauziel von 175 Metern ü.M. ist erreicht! Fährhafen an der Mündung des Xiangxi in den Yangtze. - Foto: Lorenz King

Das Stauziel von 175 Metern ü.M. ist erreicht!
Fährhafen an der Mündung des Xiangxi in den Yangtze.

Foto: Lorenz King

Staudammprojekte und Umsiedlungspolitik in China: ein Paradigmenwechsel

Sehr kritisch werden in den ausländischen Medien die Folgen des Projekts, vor allem die Umsiedlung der Bevölkerung entlang des Yangtze und seiner Nebenflüsse, betrachtet. Seit 1949 wurden in China etwa 80.000 Talsperren errichtet, die insgesamt die Umsiedlung von rund zehn Millionen Menschen erforderten. Die Zwangsumsiedlungen zogen meist eine Verschlechterung der Lebensumstände der Betroffenen durch Landverlust, Verarmung und soziale Ausgrenzung sowie langfristig negative Folgen für die Umwelt nach sich. Aus den Erfahrungen vergangener Umsiedlungsprojekte heraus wird im Rahmen des Drei-Schluchten-Projekts von der chinesischen Regierung eine entwicklungsorientierte Umsiedlungspolitik mit dem Ziel verfolgt, über Kompensationszahlungen hinausgehend nachhaltig profitable Einkommensgrundlagen zu schaffen. Das Konzept der entwicklungsorientierten Umsiedlungspolitik sieht vor, umfassende Infrastrukturmaßnahmen in den betroffenen Regionen durchzuführen und Investitionen in Produktionsstandorte anzuregen, um eine wirtschaftliche Aufwertung der betroffenen Region zu erreichen.

Fähren verbinden die neu angelegten Siedlungen entlang des Hauptflusses Yangtze. - Foto: Lorenz King

Fähren verbinden die neu angelegten Siedlungen
entlang des Hauptflusses Yangtze.

Foto: Lorenz King
Lokale Umsiedlung und Fernumsiedlung

In der Anfangsphase der Planungen wurde von der chinesischen Regierung das Konzept der lokalen Umsiedlung der Bevölkerung in höhere Lagen bevorzugt, da davon ausgegangen wurde, dass die soziale Stabilität durch den Verbleib der Bevölkerung in der Heimatregion eher zu bewahren sei. Zunächst war sogar vorgesehen, dass die gesamte betroffene Bevölkerung lokal umgesiedelt werden sollte. Die Pläne zur lokalen Umsiedlung wiesen jedoch Mängel in der Schätzung der Verfügbarkeit und der Tragfähigkeit nutzbarer Flächen auf. Die Annahme, dass die gesamte betroffene Bevölkerung in der Region verbleiben könne, basierte auf der Auswertung von Infrarot-Luftbildern, wobei die Fläche des neu verfügbaren Landes um bis zu 50% überschätzt wurde. Außerdem existierten bei den ersten Planungen die erst in den 1990er Jahren eingeführten Umweltgesetze zum Boden- und Gewässerschutz durch Aufforstung noch nicht. Um die Ziele der Umweltpolitik mit der Umsiedlung zu vereinbaren, wurde die Zahl der in andere Provinzen umzusiedelnden Landbevölkerung von ursprünglich 82.000 auf 125.000 Personen angehoben.

Die Fernumsiedlung der Landbevölkerung erfolgte in fruchtbare Regionen anderer Provinzen, vorrangig Shanghai, Jiangsu, Zhejiang und Guangdong. Diese boten sich für die Fernumsiedlung an, da dort Agrarland durch Abwanderung der ansässigen Landbevölkerung in die Städte verfügbar wurde. Während die Fernumsiedlung einerseits den Nutzungsdruck in der Drei-Schluchten-Region mindert, entstehen andererseits zusätzliche Kosten, indem die Ansiedlung z.B. finanziell durch zeitweilige Aussetzung der Agrarsteuern erleichtert wird.

In einer frühen Studie der Resettlement Expert Group im Jahr 1985 wurde zunächst geschätzt, dass etwa 725.500 Menschen infolge des Drei-Schluchten-Projekts umgesiedelt werden müssten. Diese Zahl bezog sich jedoch lediglich auf die Personen, deren Häuser im Überflutungsbereich lagen. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass Teile der Bevölkerung zwar durch den Aufstau nicht ihr Haus verlieren, hingegen aber den Verlust ihres Ackerlandes als Lebensgrundlage erleiden würden. Für die Betroffenen ist dieser Fall noch weitaus ungünstiger, erhalten sie dadurch doch keine finanzielle Entschädigung für den Neubau eines Hauses. Ein Umzug aus den alten, sehr einfachen Unterkünften ist in den meisten Fällen kaum zu umgehen.

Wo früher im Talboden der Yangtze-Nebenflüsse Landwirtschaft betrieben wurde fahren heute Frachter und Brücken verbinden die neu angelegten Städte an den meist steilen Hängen. - Foto: Lorenz King

Wo früher im Talboden der Yangtze-Nebenflüsse Landwirtschaft
betrieben wurde fahren heute Frachter und Brücken verbinden
die neu angelegten Städte an den meist steilen Hängen.

Foto: Lorenz King

Durch den oft enormen Flächenbedarf für Infrastrukturmaßnahmen im Zuge der Verlegung und des Aufbaus neuer Städte mit modernen urbanen Strukturen, wie z.B. neu angelegte, breite Verkehrswege, Plätze und Parks, können weitere potentielle Agrarflächen nicht genutzt werden. Zur Fehleinschätzung der Zahl umzusiedelnder Personen trug außerdem bei, dass nicht alle Bewohner registriert waren und somit auch nicht in die Schätzungen einbezogen werden konnten. Unter Berücksichtigung dieser Fakten und eines Bevölkerungswachstums um 1,2% von 1989 bis 2009 steigt die Zahl der Umsiedler auf den realistischen Wert von 1,132 Mio. Personen.

Von der umgesiedelten Bevölkerung sind etwa 40 Prozent Bauern, doch für nur höchstens zwei Drittel von ihnen kann agrarisch nutzbares Land bereitgestellt werden. Für jene Bauern, die kein neues Land erhalten können, entsteht ein hohes wirtschaftliches und soziales Risiko. Zwar sollen die Betroffenen im Industrie- und Dienstleistungssektor beschäftigt werden, doch dies ist aufgrund der oft mangelnden Ausbildung meist nicht umsetzbar. Hohe Arbeitslosigkeit und Verarmung sind für die betroffene Landbevölkerung ein großes Risiko. Zudem hemmt das chinesische Haushaltsregistrierungssystem, das Stadt- und Landbevölkerung streng trennt, die Beschäftigung der Landbevölkerung in den Städten. Auch für jene Landbevölkerung, die neue Flächen zugeteilt bekommt, können Nachteile entstehen. Die zur Verfügung stehenden Flächen in Hanglagen erreichen meist nicht die Güte der alten Flächen.

Die Umsiedlung der Stadtbevölkerung erscheint weniger problematisch, da für die Stadtbevölkerung leichter neuer Wohnraum und neue Arbeitsplätze bereitgestellt werden können. Dennoch entsteht auch hier ein beträchtliches Risiko, da einerseits die erhaltenen Kompensationen für verlorenen Wohnraum begrenzt sind, andererseits die Ansprüche insbesondere der jungen umgesiedelten Bewohner steigen, die daher häufig hohe Kredite aufnehmen um neuen Wohnraum erwerben zu können.


Das Untersuchungsgebiet Xiangxi

Zur Dokumentation des Landnutzungswandels und Ermittlung der Risiken durch Naturgefahren als Folgen des Drei-Schluchten-Projekts wird seit April 2008 in einem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Projekt exemplarisch das Einzugsgebiet des Xiangxi im Westen der Provinz Hubei untersucht. Der Xiangxi ist ein 80 Kilometer langer Nebenfluss des Yangtze, der im gebirgigen, über 3000 Meter hohen Naturschutzgebiet Shennongjia entspringt und 40 Kilometer flussaufwärts des Drei-Schluchten-Staudamms in den Yangtze mündet. Sein Einzugsgebiet umfasst eine Fläche von 3.200 km². Die Landschaft des Xiangxi-Einzugsgebiets ist durch Bergketten und tief eingeschnittene Täler geprägt. Siedlungen und Landwirtschaftsflächen liegen, bedingt durch das steile und zerklüftete Gelände, meist in den Tälern und auf den weniger steilen Hängen. Angebaut wird überwiegend Reis, Weizen, Raps, Mais und Tabak sowie zunehmend auch Orangen.

Administrativ gehört das Xiangxi-Einzugsgebiet zu den Kreisen Zigui, Xingshan und Shennongjia, und diese wiederum unterstehen dem Bezirk Yichang. Die größte Siedlung ist die neue Kreisstadt Gufu mit etwa 30.000 Einwohnern. Sie wurde ab 1992 im Rahmen der Umsiedlungen neu errichtet, da die alte Kreisstadt Gaoyang nahezu vollständig abgerissen und auf einem höheren Niveau neu errichten wurde. Zumindest entlang der größeren Täler verfügt das Xiangxi-Einzugsgebiet heute über ein neues, gut ausgebautes Verkehrsnetz, das im Westen des Einzugsgebietes den Erholungsort Muyu als touristisches Zentrum für den Nationalpark Shennongjia erschließt.

Gaoyang: Bis 2002 Sitz der Kreisverwaltung von Xingshan, heute neu aufgebauter Wohnort der verbliebenen Landbevölkerung. Die Stadtbevölkerung wurde in die neue Kreisstadt Gufu umgesiedelt. - Foto: Christoph Seeber

Gaoyang: Bis 2002 Sitz der Kreisverwaltung von Xingshan,
heute neu aufgebauter Wohnort der verbliebenen Landbevölkerung.
Die Stadtbevölkerung wurde in die neue Kreisstadt Gufu umgesiedelt.

Foto: Christoph Seeber

Landwirtschaft und Landnutzungswandel im Xiangxi-Einzugsgebiet

Die Landwirtschaft im Untersuchungsgebiet unterliegt durch den Aufstau und den Umbau der Infrastruktur einem starken Wandel. Ein generelles Problem der Landwirtschaft ist hier die geringe Pro-Kopf-Anbaufläche von 0,078 Hektar, die zwar knapp über dem chinesischen Durchschnitt von 0,076 Hektar liegt, was jedoch laut FAO (Food and Agricultural Organization) als äußerst kritisch im Hinblick auf die Ernährungssicherung eingestuft wird. Als Alternative zum Anbau flächenextensiver Agrarprodukte zur Selbstversorgung und zum Verkauf auf lokalen Märkten soll der Anbau von Zitrusfrüchten als "Cash Crop" für Verkauf und Export das Einkommen der Landbevölkerung stabilisieren und verbessern.

Diese Entwicklung in der Landwirtschaft wird derzeit von der Gießener Forschergruppe großflächig erfasst, wobei die Fernerkundung geeignete Verfahren anbietet. Durch Fernerkundung können auch schwer erreichbare Landschaftsteile besser flächendeckend erfasst werden. Aufnahmen des optischen Erdbeobachtungssatelliten Landsat mit einer räumlichen Auflösung von 30 m eignen sich dafür. Im Süden des Xiangxi-Gebiets werden zusätzlich Aufnahmen des ASTER-Sensors (Advanced Spaceborne Thermal Emission and Reflection Radiometer) verwendet, der an Bord des von den USA und Japan betriebenen Erdbeobachtungssatelliten TERRA seit 1999 in Betrieb ist. ASTER bietet durch die räumliche Auflösung von 15m eine bessere "spektrale Signatur" bzw. Differenzierung der Landnutzungsklassen.

Zur Dokumentation der Landnutzungsänderung im gesamten Einzugsgebiet wurden Landsat-Aufnahmen von 1987 und 2007 klassifiziert. Die Fläche des bis 2007 überschwemmten Landes ist mit 0,3 Prozent der Gesamtfläche des Einzugsgebietes zwar gering, dennoch sind dadurch 9,4 km² für Landwirtschaft und Besiedlung entlang des Unterlaufs des Xiangxi nicht mehr nutzbar. Insbesondere hier liegen die beschriebenen, durch das Drei-Schluchten-Projekt umstrukturierten Gebiete.

Im Untersuchungszeitraum von 20 Jahren ist eine Zunahme von Wald- und Buschland, sowie von Orangengärten festzustellen, die Ackerflächen hingegen haben deutlich abgenommen. Orangengärten etablierten sich hauptsächlich entlang der breiteren, gut zugänglichen Täler. Von der Gesamtfläche des Einzugsgebietes sind etwa 12 Prozent, am Unterlauf des Xiangxi hingegen 26 Prozent der Fläche von Landnutzungsänderungen betroffen. Das Ausmaß des Landnutzungswandels hängt sehr stark von der Nähe zum Stausee, dem Vorhandensein von Verkehrswegen, Topographie und zahlreichen weiteren Faktoren ab. Ein Forschungsziel ist die Entwicklung von Szenarien für die zukünftige Entwicklung der Landnutzung im Xiangxi-Gebiet durch geeignete Modellierung.


Sozio-ökonomische Folgen und Entwicklungspotentiale

Endgültige Aussagen über sozioökonomische Folgen des Drei-Schluchten-Projekts lassen sich derzeit noch nicht formulieren. Untersuchungen der School of Social and Environmental Enquiry der University of Melbourne in den Kreisen Zigui und Badong belegen, dass mit der entwicklungsorientierten Umsiedlungspolitik kleinräumig sehr unterschiedliche Erfolge erzielt werden. Im Kreis Zigui konnte man bereits einen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens und eine überwiegend positive Bewertung der Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Situation erkennen. Im Kreis Badong wurde eine gegenläufige Entwicklung festgestellt. Die Bereitschaft und der Motivation der Kreisregierung Investoren anzuwerben ist oft Ursache für diese Unterschiede.

Der Gießener Doktorand Jens-Phillip Keil stellte schon im Jahr 2002 im Rahmen seiner Diplomarbeit fest, dass ab dem Beginn der Bauarbeiten im Jahr 1993 ein starkes ökonomisches Wachstum im Kreis Xingshan einsetzte. Dies führte dazu, dass innerhalb weniger Jahre das Pro-Kopf-BIP (Brutto-Inland-Produkt), das 1993 mit ca. 2.200 Yuan noch unter dem chinesischen Durchschnitt (2.500 Yuan) lag, bereits 1998 mit etwa 5.400 Yuan einen Stand deutlich über dem chinesischen Durchschnitt von knapp 4.000 Yuan erreichte. Das starke Wachstum ist auf Investitionen zurückzuführen, die im Rahmen des Drei-Schluchten-Projekts in Infrastrukturmaßnahmen fließen und das Wachstum vor allem im Baugewerbe und der Baustoffindustrie stimulieren.

Das Seitental Xiangxi wird über eine Länge von 35 km vom Aufstau betroffen. Der neu geschaffene Stausee ist jedoch oft nur wenige hundert Meter breit. - © Christoph Seeber

Das Seitental Xiangxi wird über eine Länge
von 35 km vom Aufstau betroffen. Der neu geschaffene
Stausee ist jedoch oft nur wenige hundert Meter breit.

© Christoph Seeber
Orangenanbau: Grundlage für ein sicheres Einkommen?

Während einer Geländekampagne im September 2008 wurden von der Gießener Master-Studentin Megan Bissing-Olson (BSc.) Befragungen im Xiangxi-Einzugsgebiet für ihre Masterarbeit im interdisziplinären Studiengang "Transition Studies" durchgeführt. Die Befragungen richteten sich vor allem an Bauern, die von der Umsiedlung betroffen waren und heute Orangen anbauen. Die Befragungen erfassten Angaben darüber, wieviel Land die Bauern jeweils zur Bewirtschaftung zur Verfügung haben, wie hoch die Erträge sind, die sie durch den Anbau von Orangen erwirtschaften, und wie sie die Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Situation in den vergangenen Jahren seit Beginn der Umsiedlung bewerten. Dabei wurde deutlich, dass die finanziellen Erträge mit der pro Familie zur Verfügung stehenden Fläche steigen. Auf kleinen Flächen decken die Einnahmen aus dem Verkauf der Orangen kaum die Kosten für die Bewirtschaftung (Pflegemaßnahmen, Ernteeinsätze), so dass der Orangenanbau in vielen Fällen zurzeit kaum eine sichere Existenzgrundlage bietet. Die pro Bauer bzw. Familie verfügbare Fläche reicht bei den Befragten von 0,4 bis 3 Hektar. Die Erträge pro Jahr reichen von durchschnittlich 1.000 Yuan bei Bewirtschaftung von 0,4 Hektar bis zu 15.000 Yuan bei 3 Hektar Fläche.

Bauernhöfe werden hangaufwärts verlegt, Haupteinkommenszweig ist der Anbau von Orangen auf bisher als Ackerland genutzten Flächen. - Foto: Christoph Seeber

Bauernhöfe werden hangaufwärts verlegt, Haupteinkommenszweig ist
der Anbau von Orangen auf bisher als Ackerland genutzten Flächen.

Foto: Christoph Seeber

Die Hilfestellung der örtlichen Behörden zur Steigerung der Erträge besteht vor allem darin, dass auf bestehende Orangenbäume neue Sorten gepfropft werden, von denen erwartet wird, dass sie höhere Preise erzielen als die bisher angebauten Sorten. Die Bauern hingegen beklagen eher die große Entfernung zu den Absatzmärkten in den größeren Städten als Hemmnis für einen angemessenen Preis ihrer Produkte. Von den örtlichen Behörden organisierte Transporte der Früchte zu den Absatzmärkten, z.B. nach Yichang, beschränken sich auf Einzelaktionen.

Bauer auf seinem neuen Feld am terrassierten Steilhang. - Foto: Lorenz King

Bauer auf seinem neuen Feld
am terrassierten Steilhang.

Foto: Lorenz King
Auch die Bewertung der veränderten Lebensumstände ist in den untersuchten Orten sehr unterschiedlich. Am Unterlauf des Xiangxi, in dessen Umgebung fast ausschließlich Orangen angebaut werden, sind die Bauern mangels Alternativen wirtschaftlich allein auf dieses Produkt angewiesen und besitzen angesichts der niedrigen Preise von etwa 0,2 bis 0,4 Yuan pro Kilogramm in den vergangenen Jahren keine sichere Existenzgrundlage. In Quyuan, einem kleinen Einzugsgebiet östlich des Xiangxi, bewirtschaften die Bauern hingegen sowohl konventionelles Ackerland als auch Orangengärten. Sie bewerten ihre wirtschaftliche Situation überwiegend positiv, da ihnen Getreide- und Gemüseanbau sowie Viehhaltung zumindest die eigene Ernährung und ein Grundeinkommen sichern. Erträge aus dem Orangenanbau werden als willkommene Einkommensergänzung wahrgenommen.

Unterschiedlich wird die Entwicklung der Lebenssituation in der Ortschaft Xiakou wahrgenommen. Der Ort wurde ab 2001 am Hang oberhalb des heutigen Staubeckens neu errichtet, und die Bewohner wurden aus dem Tal an den Hang umgesiedelt. Da Xiakou mit seinem Hafen ein Umschlagplatz für Güter - vor allem Kohle und Baustoffe - ist und aufgrund seiner Lage einen Verkehrsknotenpunkt zwischen der Kreisstadt Gufu und der Landstraße nach Yichang sowie nach Süden zur Fähre nach Zigui bildet, hat sich im Ort ein reges Geschäftsleben mit Läden, Restaurants und Handwerksbetrieben entwickelt. Nicht nur alteingesessene Bewohner haben die Chance ergriffen, die günstige Lage Xiakous für ein eigenes Gewerbe zu nutzen. Auch von außerhalb haben sich Gewerbetreibende in Xiakou angesiedelt. Befragungen von Gewerbetreibenden ergaben eine überwiegend positive Bewertung der Entwicklung der wirtschaftlichen Situation seit der Umsiedlung.

Orangenanbau ist ein Haupteinkommenszweig der Bevölkerung im Tal des Xiangxi. - Foto: Lorenz King

Orangenanbau ist ein Haupteinkommenszweig der Bevölkerung im Tal des Xiangxi.
Foto: Lorenz King

Verlierer der Entwicklung der vergangenen Jahre sind Arbeiter, die kein Land besaßen, für das sie eine Kompensation hätten bekommen können. Viele Arbeiter haben ihre Arbeitsstelle verloren, da etliche Betriebe im Rahmen der Umsiedlung geschlossen wurden. Dieser Personenkreis erhält kaum staatliche Unterstützung und verdient seinen Lebensunterhalt heute meist als Tagelöhner.

Bislang ist offen, was langfristig die wirtschaftliche Grundlage in der Region sein wird. Die derzeitige Situation der Bauern lässt darauf schließen, dass unter den derzeitigen Umständen der Orangenanbau keine langfristig stabile Existenzgrundlage bildet. Wichtig ist daher der Ausbau des produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors.


Umweltrisiken und Naturgefahren

Umweltrisiken und Naturgefahren waren in der gebirgigen Drei-Schluchten-Region schon immer sehr vielfältig. Die vorhandenen Risiken werden jedoch durch das Drei-Schluchten-Projekt erheblich verstärkt. Zu nennen sind hier Hangrutschungen aufgrund der großen Schwankungen des Wasserspiegels im Stausee und die Folgen des großräumigen Landnutzungswandels, der bei intensiverer Nutzung der Hanglagen Erosion und Rutschungen begünstigen kann. Sedimenteinträge können langfristig dazu führen, dass die Staukapazität des Beckens abnimmt und somit der Hochwasserschutz und die Energiegewinnung durch das Sperrwerk beeinträchtigt werden. Der verzögerte Abbau der Schadstoffe im Stausee stellt ein weiteres Risiko dar.

Ohne Worte. Foto: Lorenz King

Ohne Worte.
Foto: Lorenz King

Bodenerosion: Gefahr für Landwirtschaft und Gewässer

Bodenerosion ist ein weltweit bedeutendes Umweltproblem, das gerade in der Drei-Schluchten-Region große Ausmaße erreicht. Bisherige Untersuchungen gehen von jährlichen Erosionsraten von etwa 3.000 t/km² und einem jährlichen Verlust von 40 Mio. t Bodenmaterial in der gesamten Drei-Schluchten-Region aus. Natürliche Einflüsse, die im Wesentlichen zur Bodenerosion beitragen, sind das steile Relief, extreme Niederschläge zur Monsunzeit und Böden, die aufgrund ihrer Textur und geringen Mächtigkeit kaum in der Lage sind, genügend Wasser zu speichern. Hinzu kommen eine relativ geringe Waldbedeckung der Drei-Schluchten-Region und die intensive landwirtschaftliche Nutzung. Da das Agrarland und damit die Lebensgrundlage der ansässigen Bevölkerung langfristig durch Bodenerosion geschädigt werden, ist die Minderung von Bodenerosion von besonderer wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung.

Im Rahmen des Forschungsprojekts ist es das Ziel des Tübinger Teilprojekts "GIS-basierte Erfassung und Analyse von Bodenerosion durch Wasser im Ökosystem Drei-Schluchten-Staudamm", Vorhersagemodelle für Bodenerosion auf die naturräumlichen Gegebenheiten des Xiangxi-Gebiets und die Landnutzung anzupassen, um mit ihnen flächendeckend hochauflösend Erosionspotentiale zu ermitteln und Entscheidungswerkzeuge zum nachhaltigen Landmanagement zur Verfügung zu stellen.

Gemütliches Abendessen in einem Straßenrestaurant im neuen Bezirkshauptort Zigui. - Foto: Lorenz King

Gemütliches Abendessen in einem Straßenrestaurant
im neuen Bezirkshauptort Zigui.

Foto: Lorenz King
Hangrutschungen am Staubecken: Auslöser, Risiken und Prävention

Eine besondere Gefährdung für Menschen und Sachwerte geht in der gebirgigen Region seit jeher von Hangrutschungen aus. Diese entstehen aufgrund von Relief und geologischer Struktur und werden bereits seit 60 Jahren umfassend geologisch untersucht. Entlang der Ufer des Drei-Schluchten-Reservoirs wurden bislang 2.500 großskalige Rutschungsmassen entdeckt. Seit 1982 traten über 70 Erdrutsche, Erdstürze und Schlammströme auf, die Menschen und Infrastruktur unmittelbar gefährdeten. Beispielsweise gerieten 1985 bei der Stadt Xintan in der Provinz Hubei ca. 30 Mio. m³ Fest- und Lockergestein ins Rutschen, wovon 2,6 Mio. m³ in den Fluss gelangten. Auch die Gefahr, dass durch Ereignisse dieser Art Flutwellen ausgelöst werden, ist durchaus gegeben. Zwar ist ein Großteil der Rutschmassen inaktiv, dennoch besteht die Gefahr, dass Rutschmassen durch den Einfluss des neuen Stausees reaktiviert werden und erneut in Bewegung geraten.

Eine besondere Gefährdung geht dabei von der Schwankung des Wasserstands aus, die im Jahresverlauf etwa 30 Meter beträgt. Im Frühsommer wird der Wasserstand auf 145 Meter ü. M. abgesenkt, um so die starken Monsunniederschläge in den Sommermonaten auffangen zu können. Bis Oktober wird dann der Höchststand von 175 Meter ü. M. erreicht. Danach setzt die maximale Energieerzeugung im Wasserkraftwerk ein. Das über den Sommer angestaute Wasser ermöglicht zudem eine Stabilisierung des Wasserstands des Yangtze unterhalb des Staudammes und sichert dort die Schiffbarkeit in den trockenen Wintermonaten. Durch die Seespiegelschwankungen verändern sich auch die hydrogeologischen Verhältnisse im Hang selbst, was zu Hanginstabilitäten größeren Ausmaßes führen kann.

Diese Gefahren sind den Behörden durchaus bewusst, und vielerorts werden Gegenmaßnahmen getroffen. Neu bebaute gefährdete Hänge werden mit umfassenden geotechnischen Sicherungsmaßnahmen, wie Drainagen und Schutzmauern, saniert, und Hinweisschilder geben in bekannten Gefahrenzonen Auskunft über Fluchtwege bei Auftreten einer Hangrutschung.

Im Teilprojekt "Massenbewegungen" der Universität Erlangen-Nürnberg werden derzeit in Zusammenarbeit mit Prof. Xiang Wei (China University of Geosciences) Rutschungen im Xiangxi-Einzugsgebiet kartiert. Die Gießener Arbeitsgruppe inventarisiert Gebäudebestände und Infrastruktur im Xiangxi-Gebiet, leitet deren Verwundbarkeit aus verschiedenen naturräumlichen Parametern ab und erstellt daraus eine Risikokarte, die eine planerische Hilfestellung zur Bewertung der Eignung von Standorten für die Bebauung liefert.

Auch die Wissenschaft profitiert vom Dreischluchtenprojekt: Die China University of Geosciences, Wuhan, hat eine Feldstation im neuen Bezirkshauptort Zigui erhalten. - Foto: Lorenz King

Auch die Wissenschaft profitiert vom Dreischluchtenprojekt: Die China
University of Geosciences, Wuhan, hat eine Feldstation im neuen
Bezirkshauptort Zigui erhalten. Die Unterkünfte der neuen Feldstation
sind teilweise fertiggestellt, andere sind noch im Bau (Bildhintergrund).

Foto: Lorenz King

Fazit

Seit rund 15 Jahren wird durch den Bau des Drei-Schluchten-Projekts der wirtschaftliche Aufbau bisher wenig entwickelter Gebiete in Zentral- und Westchina massiv gefördert, was implizit auch ein wichtiges Ziel des Projektes ist. Die gewaltigen Veränderungen für die Umwelt und die Bevölkerung in der Umgebung des Stausees und die Szenarien sind sowohl ein spannendes Forschungsobjekt für chinesische und ausländische Wissenschaftler, als auch ein spektakuläres Thema für die Medien. Ökonomische, soziale und ökologische Folgen greifen ineinander: Ein ökonomischer Aufschwung in der Region ist deutlich sichtbar, der Aufstau verstärkt jedoch auch Umweltrisiken und Naturgefahren vor allem durch Hanginstabilitäten, und die Lebensgrundlage der landwirtschaftlichen Bevölkerung wird sehr erschwert. Die chinesische Regierung ist durchaus bestrebt, ungünstige soziale Folgen des Drei-Schluchten-Projekts aufzufangen und negative Umweltauswirkungen zu mindern. Über die Folgen für Umwelt und Bevölkerung wird auch international wissenschaftlich intensiv geforscht. Die mittlerweile schon traditionell kritische Haltung in den ausländischen Medien bewirkt allerdings, dass selbst positiv zu bewertende Bestrebungen in der ausländischen Berichterstattung wenig Beachtung finden.

Die Frage nach dem Erfolg der oft sehr negativ beurteilten Umsiedlungsmaßnahmen kann zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend beantwortet werden. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und Lebensqualität durch die Schaffung moderner Strukturen und Dienstleistungen für die städtische Bevölkerung kann sicher als Erfolg gewertet werden. Im Landwirtschaftsektor haben die ergriffenen Maßnahmen der Umsiedlungspolitik bislang wenig zur Verbesserung der Situation der Bauern beigetragen. Eine wirtschaftlich profitable Landwirtschaft konnte sich bisher kaum entwickeln. Dies ist nur durch die Schaffung größerer Einheiten zu erreichen, was in Gebirgsregionen nicht überall möglich ist. Auch die Nachhaltigkeit der veränderten Landnutzung in der sensiblen Gebirgslandschaft bleibt noch abzuklären. Für viele Bauern sind Zusatzeinkommen in der Industrie und im Dienstleistungssektor unverzichtbar geworden. Die noch laufenden Arbeiten im Rahmen des Drei-Schluchten-Projekts verschaffen zurzeit noch zahlreiche Einkommensquellen. Die Schaffung langfristig profitabler Wirtschaftszweige in der Region ist jedoch notwendig. Zusammenfassend kann somit die Umsiedlungspolitik für die Stadtbevölkerung als zumeist erfolgreich gewertet werden, während für die Landbevölkerung die Erfolge der Umsiedlungen noch weitgehend ausstehen.

Insbesondere die städtischen Siedlungen im weiten Umkreis des Dreischluchtenprojektes schießen in den Himmel. Hier ein Flohmarkt in Yichang. - Foto: Lorenz King

Insbesondere die städtischen Siedlungen im weiten
Umkreis des Dreischluchtenprojektes schießen in den Himmel.
Hier ein Flohmarkt in Yichang.

Foto: Lorenz King

*


ZUSATZINFORMATION 1

Zur Geschichte des Yangtze-Dreischluchtenstaudamms

Bis in das Jahr 1919 zurück reicht die Geschichte des Drei-Schluchten-Projektes. Dr. Sun Yatsen, der Gründer und Parteiführer der Nationalen Volkspartei (Guomindang) plante schon damals die Regulierung des Yangtze mit Hilfe eines Staudammes. Hierdurch sollte die Energie des Wassers nutzbar und Zentralchina mit dem Schiff erreichbar gemacht werden. Konkreter sahen die Pläne seines Nachfolgers Chiang Kaishek aus, der vorsah, den Yangtze im Bereich der drei Schluchten aufzustauen. Im Jahr 1944 beauftragte China Wasserbauingenieure des US Bureau of Reclamation mit der Dammplanung, die eine Stelle nahe am heutigen Dammstandort vorschlugen. Die Pläne zerschlugen sich 1947 wegen des chinesischen Bürgerkrieges.

Das Dreischluchtenprojekt stellt das größte Wasserkraftwerk der Welt dar - entgegen den meisten Medienberichten ist die Talsperre jedoch bei weitem nicht die längste oder höchste. - Foto: Lorenz King

Das Dreischluchtenprojekt stellt das größte Wasserkraftwerk der Welt dar - entgegen den
meisten Medienberichten ist die Talsperre jedoch bei weitem nicht die längste oder höchste.

Foto: Lorenz King

Nach der Yangtze-Hochwasserkatastrophe von 1949 sah eine Studie vier kleinere Stauseen zur Hochwasserregulierung vor, wobei neben dem Yangtze auch drei Hauptzuflüsse am Oberlauf gestaut werden sollten. Die Studie zeigte jedoch, dass diese vier Stauseen die Hochwassergefahr für den Yangtze-Mittel- und -Unterlauf nicht entscheidend mindern. Mao Zedong, der Gründer und erste Präsident der Volksrepublik China, verfolgte daher die Idee, durch einen Damm im Bereich der drei Schluchten die Fluten des Yangtze zu kontrollieren um damit Hochwasserkatastrophen zu verhindern. Ein verheerendes Hochwasserereignis im Jahre 1954, bei dem etwa 33.000 Menschen starben, unterstrich diese Notwendigkeit zusätzlich. In den Jahren danach wurde daher die Planung des Projektes mit Unterstützung der sowjetunion fortgesetzt, bis es 1960 zum Bruch dieser zwischenstaatlichen Beziehungen kam. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre führten chinesische Wissenschaftler die Grundlagenforschungen zur Verwirklichung des Drei-Schluchten-Projektes fort, durch die Kulturrevolution wurden diese Arbeiten zwischen 1966 und 1969 jedoch unterbrochen.

Im Jahre 1970 wurde etwa 40 km flussabwärts des heutigen Drei-Schluchten-Staudamms mit dem Bau des kleineren Gezhouba-Staudamms begonnen, der nützliche Erfahrungen für die Durchführung des größeren Drei-Schluchten-Projektes bringen sollte. Nach Maos Tod im Jahre 1976 griff man die Idee eines Großprojektes wieder auf. Ein U.S.-Firmenkonsortium schlug 1985 vor, den Drei-Schluchten-Damm in einem Joint Venture mit der chinesischen Regierung zu bauen. Ebenso empfahl eine kanadische Machbarkeitsstudie 1988 den baldigen Baubeginn, doch wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde das Projekt aufgeschoben. Schließlich gelang es 1992 Chinas damaligem Ministerpräsidenten Li Peng, das Projekt politisch durchzusetzen, allerdings "nur" mit einer Zweidrittelmehrheit des Nationalen Volkskongresses. Der Yangtze wurde im November 2003 auf ein Niveau von 135 m ü.M. aufgestaut, im Jahr 2009 erreichte man schließlich die maximale Aufstauhöhe von 175 m ü.M..


ZUSATZINFORMATION 2

Hochwasserschutz und Hochwassermanagement am Yangtze
Bringt das Drei-Schluchten-Projekt Sicherheit vor Hochwasser?

Hochwasserschutz am Yangtze hat eine über 2.000 Jahre alte Tradition. Dies geht aus frühen Dokumentationen über Hochwasser- und Dürreereignisse hervor, die berichten, dass dem natürlichen Überschwemmungsgebiet des Yangtze neue Agrarflächen abgerungen und mit Deichen gegen die alljährlich wiederkehrenden Fluten geschützt wurden. Im Jahr 1998 schützten im Yangtze-Einzugsgebiet Deiche mit einer Länge von über 68.000 Kilometern 5,7 Mio. Hektar Ackerland und über 100 Mio. Menschen vor Überschwemmungen.

Seit 1950 steigt jedoch am Mittellauf des Yangtze in den Provinzen Hubei und Hunan die von Hochwasser betroffene landwirtschaftliche Fläche kontinuierlich an, wodurch die Hochwasserschutzplanung in dieser wirtschaftlich bedeutenden Region nationales Interesse erhält. Die frühzeitige Erstellung hydrologischer Vorhersagen ist dabei ein wichtiges Planungsinstrument, um Hochwasserschutzmaßnahmen einzuleiten und zu steuern.

Die Hochwassergefahr setzt mit dem alljährlich wiederkehrenden Sommermonsun ein (Mei-Yu-Regen). Wenn die Flusspegel des Yangtze an wichtigen Stationen eine Sicherheitsmarke überschreiten, leitet die zuständige Hochwasserbehörde Vorbereitungen zum Fluten eines Hochwasserrückhaltebeckens ein. Die Flutung von Hochwasserrückhaltebecken ist auch heute noch die letztmögliche und zugleich schnellste Maßnahme zur Regulierung des Yangtze-Abflussverhaltens und ein typischer Bestandteil der chinesischen Hochwasserschutzplanung.

Große Retentionsbecken sind jedoch in den letzten 20 Jahren oft unkontrolliert besiedelt worden, was bedeutet, dass diese heutzutage in der Praxis ihre Funktion nicht mehr erfüllen können. Das katastrophale Hochwasser von 1998 hat die Defizite dieser offiziellen Hochwasserschutzplanung eklatant aufgedeckt, als Rückhaltebecken zur Flutung vorbereitet wurden, auf die Flutung jedoch verzichtet werden musste, da diese politisch und sozial nicht tragbar gewesen wäre. Konflikte um heute dicht besiedelte Hochwasserrückhaltebecken sind in mehreren Dissertationen und anderen Publikationen der Gießener Arbeitsgruppe detailliert beschrieben.

Neben den Hochwasserrückhaltebecken wird auch dem Drei-Schluchten-Projekt ein hoher Stellenwert beim Hochwassermanagement beigemessen. Die fünf Hauptaufgaben des Drei-Schluchten-Projektes sind:

Regulierung der Hochwasserwellen aus dem Yangtze-Oberlauf zur Vermeidung und Minderung von Hochwasserschäden am Mittel- und Unterlauf,
Nutzung zur Erzeugung von Hydroenergie mit einer maximalen Generatorenleistung von 18.200 MW zur wirtschaftliche Entwicklung Zentralchinas und der Energieversorgung der Küstenstädte im Osten, wobei im Vergleich mit leistungsgleichen Kohlekraftwerken weniger Luftemissionen auftreten,
Verbesserung der Schifffahrt für Frachter bis 10.000 t durch die engen Yangtze-Schluchten zur Metropole Chongqing in Westchina, was ganz wesentlich zur ökonomischen Entwicklung dieses Raumes beiträgt,
Förderung der Entwicklung der westlichen Provinzen Chinas,
Kontinuität bei der Wasserversorgung für die Landwirtschaft und die Schifffahrt am Yangtze-Mittel- und -Unterlauf außerhalb der Regenzeit durch Erhöhung des Niedrigwasserabflusses von etwa 3.000 m³/s auf über 5.000 m³/s,
Schaffung von Wasserreserven für den zukünftigen Wassertransfer nach Norden.

Die auf 185 m ü.M. liegende Krone der Dreischluchten-Staumauer ist 2.300 Meter lang. Schiffe überwinden dieses Hindernis über zwei fünfstufige Schleusentreppen oder ein Schiffshebewerk. Die maximale Betriebshöhe des Seespiegels liegt bei 175 m ü.M. Zu Beginn der Hochwassersaison wird der Seespiegel jedoch auf 145 Meter abgesenkt, was ein Rückhaltebecken von 22,5 Mrd. m³ für den Hochwasserschutz schafft. Wegen der Hoffnung auf einen effektiven Hochwasserschutz durch die Dreischluchten-Talsperre und infolge fehlender Finanzmittel wurde in den vergangenen Jahren anderen Schutzmaßnahmen geringere Priorität eingeräumt. Die Defizite der bisherigen Hochwasserschutzplanung sind auch bei den zuständigen chinesischen Stellen eine Sorge, die durchaus ernst genommen wird, denn die städtische Infrastruktur kann nur gesichert und Hochwasserschäden in ländlichen Gebieten können nur minimiert werden, wenn die nach der 1998er-Katastrophe erlassenen Richtlinien in der Praxis auch umgesetzt werden. Dies bedeutet allgemein:

die strikte Befolgung der hydrologischen Grundregel, das Niederschlagswasser (durch Verzicht auf Landwirtschaft in Steillagen und durch Aufforstung) so lange wie möglich auf der Fläche zu halten,
die Schaffung von Retentionsraum durch die Schaffung rein agrarisch genutzter Polder und Konzentration der Bevölkerung in Sicherheitsdistrikten,
Rückbaumaßnahmen in ehemals trocken gelegten Seengebieten (Wetland Restoration Programme),
das koordinierte Fahren von Hochwasser-Manövern nicht nur an der Dreischluchten-Talsperre, sondern an den zahllosen weiteren Stauseen im Yangtze-Einzugsgebiet,
der Aufbau eines Informations- und Kommunikationssystems für Entscheidungsträger und Bevölkerung.

Ein Blick nach Deutschland auf den "Aktionsplan Hochwasser Rhein" und die Schwierigkeiten bei dessen Umsetzung zeigt, dass die Verwirklichung dieser Punkte nicht leicht sein wird, denn auch in China sind die Vertreter lokaler Interessen z.B. in den Provinzen und Städten oft sehr durchsetzungsfähig. Über alternative Maßnahmen wie zum Beispiel die Schaffung von Hochwasserversicherungen sollte erst nach Verwirklichung der wichtigsten dieser Forderungen nachgedacht werden.



*


Danksagung

Die Autoren schulden zahlreichen Personen und Institutionen Dank für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung. Stellvertretend genannt für zahlreiche weitere Projektpartner seien hier Megan Bissing-Olson und Sarah Simon für ihren Feldeinsatz bei zahllosen Interviews der Einheimischen sowie die Professoren Xiang Wei und Wu Yijin (CUG und CCNU, Wuhan) für die logistische Unterstützung. Das laufende interuniversitäre Xiangxi-Projekt wird durch das BMBF gefördert, Partner sind die Arbeitsgruppen von Thomas Scholten (Tübingen, Projektkoordination), Joachim Rohn (Erlangen), Hermann Kaufmann (GFZ Potsdam) und Nicola Fohrer (Kiel). Über viele Jahre hinweg lieferten zahlreiche Freunde und Partner durch ihre Arbeiten die Basis für das Projekt, unter vielen anderen insbesondere Jiang Tong, Wang Run, Cai Qinghua sowie Heike Hartmann, Jens-Philipp Keil, Marco Gemmer und Stefan Becker.


Die Autoren

Lorenz King, geb. 1945 in Basel, Promotion 1974 an der Universität Basel, danach Postdoc an der McGill University Montreal, Kanada. Bis 1982 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Heidelberg, Leiter verschiedener Expeditionen in Polargebiete (Kanada, Alaska, Antarktis). Habilitation 1983 mit dem Thema "Permafrost in Skandinavien" und Ruf auf die Professur für Physische Geographie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seit 1986 betreibt Prof. King Hochwasserforschung in China (gefördert durch Volkswagenstiftung, DFG, MPG, BMBF, BMBF-IB). Seit 1998 ist er Leiter der Sektion I des Zentrums für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung der Universität Gießen. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen in China, Zentralasien und im Kaukasus mit den Themen Landnutzungswandel und Risiken durch Naturgefahren, Klimawandel und Wasserhaushalt in Trockengebieten sowie Umwelt- und Ressourcenschutz. Er leitet auf deutscher Seite die DFG/NSFC-geförderte deutsch-chinesische Kooperationsgruppe "Climate Change, Floods and Droughts".

Christoph Seeber, Jahrgang 1981, studierte von 2001 bis 2007 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main Geographie mit dem Schwerpunkt Physische Geographie und den Nebenfächern Geologie und Botanik. Seit Juli 2008 ist er am Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen Wissenschaftlicher Mitarbeiter im BMBF-Projekt "Landnutzungswandel und Vulnerabilität von Risikoelementen bei Massenbewegungen im Einzugsgebiet des Xiangxi" und befasst sich im Rahmen seines Promotionsvorhabens mit der fernerkundungsbasierten Analyse von Landnutzungsänderungen im Xiangxi-Gebiet.

Kontakt
Prof. Dr. Lorenz King
Dipl.-Geogr. Christoph Seeber
Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU)
Justus-Liebig-Universität, Senckenbergstraße 3, 35390 Gießen
E-Mail: lorenz.king@geogr.uni-giessen.de; christoph.seeber@zeu.uni-giessen.de


Der Artikel kann auch als PDF-Datei heruntergeladen werden unter:
http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2010/7656/pdf/Sdf_2010_1_50_63.pdf


*


Quelle:
Spiegel der Forschung Nr. 1/2010, 27. Jahrgang, S. 50-63
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen
Herausgeber: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen
Pressestelle der JLU Gießen
Ludwigstraße 23, 35390 Gießen
Tel.: 0641/99-120 40; Fax: 0641/99-120 49
E-Mail: pressestelle@uni-giessen.de
Internet: www.uni-giessen.de, www.uni-giessen.de/spiegel-der-forschung


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2010