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ASIEN/054: Indien - Oberstes Gericht nimmt Umweltverträglichkeitsstudien aufs Korn (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. März 2011

Indien: Oberstes Gericht nimmt Umweltverträglichkeitsstudien aufs Korn

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 14. März (IPS) - In Indien hat sich der Oberste Gerichtshof grundsätzlich gegen die Zustimmung zu Entwicklungsprojekten gestellt, die auf Umweltverträglichkeitsstudien (EIAs) privater Beratungsfirmen beruhen. Erwartet wird, dass der Vorstoß des Präsidenten des hohen Tribunals, Sarosh Homi Kapadia, Konsequenzen für Unternehmen haben wird, die in dem südasiatischen Land in ökologisch sensible Vorhaben investieren wollen.

Investoren die Wahl der Berater zu überlassen, heiße den Bock zum Gärtner machen, sagte Kapadia Anfang des Monats bei einer Anhörung zu einem Bergbauprojekt des französischen Zementherstellers Lafarge. So sei es äußerst unwahrscheinlich, "dass Antragsteller von Projekten (Unternehmen) viel Geld dafür ausgeben, sich negativ beurteilen zu lassen".

Kapadia steht im Ruf, aktivistennahe Entscheidungen zu treffen. Er löste kürzlich einen politischen Eklat aus, als er inmitten des von Betrugs- und Korruptionsfällen aufgeheizten Klimas die Ernennung von Polayil Joseph Thomas, dem Hauptangeklagten einer Bestechungsaffäre, zum neuen Chef der indischen Korruptionskontrollstelle rückgängig machte.


Umweltstudie in Projektumsetzungsphase

Umweltschützer begrüßten die offensive Position des Obersten Richters. "EIAs sollten in der Planungsphase durchgeführt und gebilligt werden und nicht erst nach dem Erwerb von Land und Bankkrediten", meinte dazu Ravi Agarwal von der Umweltgruppe 'Toxic Links'.

Die Umweltnachhaltigkeitsstudien würden in der Regel als eine lästige und vernachlässigungswerte Übung betrachtet, kritisierte auch M. H. Qureshi, ein ehemaliger Geographieprofessor am Studienzentrum für regionale Entwicklung der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu-Delhi.

Vor der Umsetzung von Großprojekten sei es wichtig, die Meinung aller gesellschaftlichen Sektoren einzuholen, betonte Qureshi, der zurzeit die Umsiedlung und Entschädigung der Zehntausenden von Indern überwacht, die dem Narmada-Megadamm weichen mussten. Rating-Agenturen, die von privaten Playern angeheuert würden, berücksichtigten nur selten die Interessen der Anrainer und die Folgen für die Umwelt.

Die Internationale Vereinigung für Folgenabschätzung ('International Association for Impact Assessment' - IAEI) definiert EIA als einen "Prozess, um die biophysischen, sozialen und anderen relevanten Auswirkungen von Entwicklungsprojekten zu identifizieren, vorherzusagen, zu bewerten und zu entschärfen, noch bevor weit reichende Entscheidungen getroffen und Verpflichtungen eingegangen werden".


Am Umweltministerium vorbei

Kritik an der Art und Weise im Umgang mit den EIAs kommt auch von Umweltminister Jairam Ramesh. So gebe es in dem südasiatischen Land die Tendenz, mit Projekten loszulegen, ohne die Zustimmung seines Ministeriums einzuholen. Dahinter stehe die optimistische Annahme, dass Umweltstudien auch in der Projektumsetzungsphase noch gebilligt würden. "Doch mein Amt entscheidet von Fall zu Fall unter Einhaltung der geltenden Gesetze und Statuten prüfen", versicherte er.

Derzeit prüft Ramesh eine umstrittene Müllrecycling-Anlage, die einmal 2.010 Tonnen Müll in Energie umwandeln soll. Das Vorhaben im Herzen der Hauptstadt steht kurz vor seiner Fertigstellung, ohne dass das Bauunternehmen 'Infrastructure Leasing Financial Services Limited' beim Ministerium um grünes Licht angesucht hätte.

In vielen Fällen wurden EIAs nach Jahre langen Querelen wieder aberkannt. So hat das Umweltministerium am 31. Januar dem südkoreanischen Pohang-Stahlunternehmen zwar die Genehmigung für den Bau eines Stahlwerks im ostindischen Bundesstat Orissa erteilt, ihm aber die Erstellung einer neuen EIA abverlangt. Die zuvor angefertigte und bei 'M. N. Dastur & Company (P) Ltd.' in Auftrag gegebene Studie hatte unterschlagen, dass die Schmelze in der Nähe eines Strandes entstehen soll, in denen die bedrohten Oliven Ridley-Schildkröten jedes Jahr ihre Eier ablegen.

Der Präsident des obersten indischen Gerichts Kapadia hat vorgeschlagen, die "riesigen Summen", die für private Beraterfirmen ausgeben werden, künftig für den Aufbau einer staatlichen Infrastruktur zu verwenden, die fähig ist, verlässliche EIAs zu erstellen. (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011