Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


ASIEN/099: Indien - Sandbergbau in Frauenhand, Nachhaltigkeit durch Selbsthilfegruppen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2015

Indien: Sandbergbau in Frauenhand - Nachhaltigkeit durch Selbsthilfegruppen

von Stella Paul


Bild: © Stella Paul/IPS

Bei Tagesanbruch finden sich Frauen an den Flussufern des indischen Küstenstaates Andhra Pradesh ein, um den Sandbergbau zu überwachen
Bild: © Stella Paul/IPS

GUNTUR, INDIEN (IPS) - Die 37-jährige Kode Sujatha braucht eine Weile, bis das Geschrei aufhört und sich die Männer in einer Reihe aufstellen. Sie haben in der Ortschaft Undavalli am Krishna-Fluss in Guntur, einem Distrikt im südostindischen Bundesstaat Andhra Pradesh, Sand abgebaut und verladen. Nun warten sie auf ihren Lohn.

"Wenn Sie eine Quittung haben, treten Sie hintereinander vor. Dann können wir Sie auch bezahlen. Das Gezeter bringt gar nichts." Gute Nerven und viel Geduld sind Grundvoraussetzungen für die Arbeit, die Sujatha, eine ehemalige Landarbeiterin, Tag für Tag bewältigt. Sie gehört einem 18 Mitglieder zählenden Frauenkollektiv, der 'Undavalli Mutually Aided Cooperative Society', an, die den gesamten örtlichen Sandbergbau kontrolliert.

Der Umgang mit den ungeduldigen Schiffern ist nicht die einzige Schwierigkeit, mit der sich Sujatha und die anderen Frauen auseinandersetzen müssen. Da gibt es auch die einflussreiche Sandmafia, die überall in dem Bundesstaat ihr Unwesen treibt und mit ihrem Raubbau an der Natur der Landdegradation Vorschub leistet. Doch die Frauen sind fest entschlossen, ihrem Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen. Denn der Kontrolle des Sandbergbaus verdanken sie ein vergleichsweise gutes Einkommen und die Möglichkeit, mehr aus ihrem Leben zu machen.


Sinkende Sandreserven

Was die Wenigsten wissen: Sand wird angesichts der hohen globalen Nachfrage immer mehr zu einem seltenen Gut. Wie aus dem Bericht des UN-Umweltprogramms (UNEP) 'Sand: rarer than one thinks' hervorgeht, machen Sand und Kies den größten Teil der etwa 59 Milliarden Tonnen Material aus, die weltweit jedes Jahr abgebaut werden.

Die globale Nachfrage liegt bei jährlich 29,5 Milliarden Tonnen Sand für die Zement- und Betonindustrie. Hinzu kommen weitere 180 Millionen Tonnen, die von anderen Branchen nachgefragt werden. Insgesamt liegt der kombinierte Verbrauch von Sand und Gestein bei mehr als 40 Milliarden Tonnen jährlich - das ist die zweifache Menge an Sedimenten, die alle Flüsse der Welt mit sich führen, wie aus dem UNEP-Bericht hervorgeht.

Zu den besonders verheerenden Folgen des unstillbaren Hungers nach Sand gehört die Erosion der Fluss- und Küstengebiete, wodurch sich das Risiko von Überschwemmungen erhöht, der Grundwasserpegel sinkt und sich der Nachschub von Sedimenten verringert. Hinzu kommt, dass der Transport der Sand- und Gesteinsmengen viel CO2 freisetzt. Die Produktion einer Tonne Zement bedeutet die Emission von 0,9 Tonnen CO2.

Schätzungen des CO2-Informationsanalyse-Zentrums CDIAC zufolge wurden im Jahr 2010 1,65 Milliarden Tonnen CO2 durch die Zementherstellung freigesetzt - das entsprach fast fünf Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen jenes Jahres.

In Indien hat der seit Jahrzehnten anhaltende Bauboom die Nachfrage nach Sand entschieden in die Höhe getrieben. Der Subkontinent verfügt über die drittgrößte Bauindustrie der Welt. Riesige Sandbergbauoperationen, von denen viele unreguliert und illegal vonstatten gehen, bringen die Flüsse um ihre natürlichen Umfassungen mit der Folge, dass die Flüsse tiefer, die Mündungsgebiete breiter werden, und die Grundwasserreserven versalzen. Der Sandbergbau verschärft in Indien die Zwillingsprobleme Überschwemmungen und Wassermangel.


Graswurzel-Lösung für globales Problem

In den letzten Jahren hat eine unspektakuläre Graswurzelbewegung unwissend die Weichen für das gestellt, was sich nun als fähiges Netzwerk zur Bekämpfung des illegalen Sandbergbaus bewährt. Gemeint sind die sogenannten Frauen-Selbsthilfegruppen (SHGs), die ihre mageren Ersparnisse zusammengelegt haben, um den Frauen mit Mikrokrediten zur Gründung kleiner Unternehmen zu verhelfen. Allein in Andhra Pradesh gibt es um die 850.000 SHGs, in denen sich mehr als 10,2 Millionen arme Landfrauen organisiert und in mehr als einem Jahrzehnt mehr als 287 Millionen Dollar zusammengespart haben.


Bild: © Stella Paul

Seit Frauengruppen den Sandbergbau in Andhra Pradesh überwachen, werden solche illegalen Sandtransportschiffe in dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens seltener gesichtet
Bild: © Stella Paul

Laut Solomon Arokiyaraj, Geschäftsführer der staatlichen Gesellschaft zur Beseitigung der ländlichen Armut (SERP), sind die SHGs ideale Partner, um den Ressourcenabbau nachhaltiger zu gestalten und die Armut zu bekämpfen. Arokiyaraj zufolge leiten die Frauen inzwischen 300 unterschiedliche Bergbaustätten im 49 Millionen Einwohner zählenden Bundesstaat Andhra Pradesh. Die Teams bestehen in aller Regel aus jeweils zehn bis zwölf Frauen.

Wie Venketeshwara Rao, Regierungsvertreter im Bezirk Guntur, der das Projekt übersieht, gegenüber IPS erläutert, sind die Frauen von Undavalli berechtigt, auf einem acht Hektar großen und verschlammten Gelände zu operieren, das die Bundesumweltbehörden ausgewählt hatten.

Jeden Tag nach Sonnenaufgang finden sich die Frauen vor Ort ein. Um sechs Uhr in der Früh werden die Bagger angeworfen. Der ausgebaggerte Schlick wird auf Boote verladen und dann zu den Lkws gebracht, die den Sand abtransportieren. Das überschüssige Wasser wird in den Fluss zurückgepumpt. "Um ein Boot zu füllen, braucht ein Bagger bis zu drei Stunden. Jedes Boot kann so viel Sand aufnehmen, um 20 größere Laster zu füllen", berichtet Malleshwari Yepuri, einer der örtlichen Bergleute.

Rao schätzt, dass seit November 2014 die von Frauen geführten Gruppen in den acht genehmigten Sandabbaugebieten in Guntur mehr als eine Million Kubikmeter Sand verkauft und damit über eine Million Dollar verdient haben. Bevor die Frauen mit dem Sandbergbau begannen, hatten sie als Landarbeiterinnen weniger als einen US-Dollar pro Kopf und Tag verdient. Jetzt tragen sie jeweils sechs Dollar am Ende jeden Tages nach Hause. Die Kooperative selbst behält pro Kubikmeter Sand 0,07 Dollar ein. Jährlich kommen auf diese Weise gut 1.000 Dollar zusammen.


Gesetze und Schlupflöcher

Mit zwei größeren Flusssystemen - dem Krishna und dem Godavari - gesegnet, verfügt Andhra Pradesh über eine atemberaubende Artenvielfalt: angefangen von einer einzigartigen Flora und Fauna der Küstengebirge der Eastern Ghats bis zu den extrem fruchtbaren Ebenen im Einzugsbereich der Flüsse.

Obwohl der Sandbergbau in Indien in Flussgebieten ohne eine Genehmigung verboten ist, berichten die Medien immer wieder von organisierten Syndikaten, die als 'Sandmafia' bekannt sind und gut an dem illegalen Sandbergbau verdienen. Auch kommt es vor, dass Lizenzen unerlaubt verlängert werden und die Produktion auch jenseits der erlaubten Gebiete stattfindet.

Im April 2015 hatte der Finanzminister von Andhra Pradesh, Yanamala Ramakrishnudu, gegenüber der lokalen Presse berichtet, dass illegale Sandproduzenten in den vergangenen zehn Jahren den Bundesstaat um Einnahmen im Wert von zehn Milliarden Rupien (150 Millionen Dollar) geprellt hätten.

Trotz der vielen negativen ökologischen Folgen des Raubbaus hat sich die lokale Regierung als unfähig oder unwillig herausgestellt, die Praxis zu stoppen. Erst der Aufschrei des bundesstaatlichen Bergbauministeriums im letzten Jahr führte dazu, dass Andhra Pradesh seine im Rahmen des Wasser-, Land- und Baugesetzes von 2002 vergebenen Lizenzen zurückziehen musste und den Frauenselbsthilfegruppen die Kontrolle über den Sandbergbau übergeben wurde.

Die SHGs sind strikt angehalten, dafür Sorge zu tragen, dass der Sandbergbau ausschließlich dort stattfindet, wo Schlickablagerungen die Umwelt belasten - etwa wo die Sedimentmenge das Fassungsvermögen der Flüsse übersteigt. In dem Bundesstaat gibt es rund 40 solcher anerkannter Sandreservoire, von denen einige bereits ein Jahrhundert alt sind. Auch Undavalli fällt in diese Kategorie. Dort sorgt der 1855 gebaute Prakasam-Staudamm am Krishna für die Zunahme der Sedimentmenge um jährlich zwischen 0,5 und 0,9 Prozent, wie von der Bewässerungsbehörde von Andhra Pradesh zu erfahren ist.

Doch nach wie vor werden Schürflizenzen nicht auf unbestimmte Zeit vergeben. Sie sind meist zwischen zwei und zwölf Monaten gültig - je nach vorhandener Sedimentmenge und den ökologischen Gegebenheiten.


Bild: © Stella Paul/IPS

Ländliche Frauen, die den Sandbergbau im südostindischen Bundesstaat Andhra Pradesh übernommen haben, lernen auch mit Computern umzugehen
Bild: © Stella Paul/IPS

Der Sandbergbau stellt die Frauen-Selbsthilfegruppen vor einige Herausforderungen. Sie mussten den Umgang mit Computern lernen, sind angehalten, die Degradierung der Umwelt zu verhindern und die Aktivitäten der Sandmafia anzuzeigen. Die Arbeit findet bei 40 Grad Celsius - ohne Schatten- und Schutzvorrichtungen - statt, doch Klagen der Betroffenen sind selten zu hören.


Anerkennung und bessere Einkommen

"Als ich noch auf einer Farm gearbeitet hatte, war ich eine von vielen Lohnarbeiterinnen", berichtet Yepuri Mani vom Sandbergbaukollektiv in Undavalli. "Ich war praktisch unsichtbar. Doch hier und heute sage ich anderen, was sie zu tun haben. Ich trage Verantwortung. Die Menschen sehen das Ergebnis meiner Arbeit und nehmen mich wahr. Das ist ein erhebendes Gefühl."

Frauen in Führungspositionen sind sicherlich kein Allheilmittel gegen die Probleme des globalen Sandbergbaus. Doch ländliche Frauen an die Spitze eines männerdominierten Industriezweiges zu setzen, könnte ein erster Schritt zu einem nachhaltigeren, graswurzelbasierten Wirtschaftsmodell im Sinne eines umsichtigen Umgangs mit der endlichen natürlichen Ressource Sand sein. (Ende/IPS/kb/26.08.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/08/shifting-sands-how-rural-women-in-india-took-mining-into-their-own-hands/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang