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FRAGEN/009: Interview mit Mojib Latif - Der Zustand der Meere bestimmt das Schicksal der Menschheit (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2016

Der Zustand der Meere bestimmt das Schicksal der Menschheit

Interview mit Mojib Latif geführt von Steffen Reichert


Die Ozeane sind die träge Masse des weltweiten Klimasystems. Deshalb kommt ihnen auch eine überragende Bedeutung beim Klimawandel zu. Prof. Mojib Latif, einer der führenden Klimaforscher weltweit, warnt deshalb eindringlich vor Ozeanerwärmung, Meeresspiegelanstieg und Versauerung des Meerwassers. Als einer der bekanntesten Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel zog er auch die Zuhörer am UFZ in seinen Bann. Am Ende von Vortrag und Diskussion war klar: Ursachen und Folgen des Klimawandels sind komplex und vielgestaltig. Aber die Auswirkungen auf die Ozeane und das Ringen um deren Begrenzung entscheiden letztendlich über das Schicksal der Menschheit.


Herr Latif, Ende November 2015 hatten wir hier in Leipzig 17 Grad: Ist das noch normal? Sind das einfache Wetteranomalien oder Vorboten des Klimawandels?

Sowohl als auch. Als Einzelereignis kann man natürlich nicht sagen, ob das was mit Klimaveränderung zu tun hat. Weil es aber nicht das erste Mal in den letzten Jahrzehnten war und wir eine Häufung dieser warmen Tage im November feststellen, muss man schon sagen: Dies ist ein weiteres Mosaiksteinchen, das den Klimawandel bei uns in Deutschland belegt.

Sie waren an einem Positionspapier deutscher Klimaforscher maßgeblich beteiligt, in dem es um die Perspektiven der Klimaforschung 2015 bis 2025 geht. Worin sehen Sie die zentralen Herausforderungen?

Wir haben da drei Themenblöcke benannt: Da ist zum einen das Verständnis vom Klima. Wir sind noch weit davon entfernt, das System wirklich im Detail zu verstehen. Dann müssen wir zusehen, dass wir die Klimarisiken besser verstehen und wie man als Gesellschaft mit ihnen umgehen kann. Und das dritte ist die Frage der Klimaforschung in der demokratischen Gesellschaft. Welche Stellung nimmt eigentlich die Klimaforschung ein? Dies gilt sowohl für den Blick nach innen als auch nach außen.

Wo bestehen Lücken im Verständnis des Klimasystems?

Es sind viele Dinge, an denen wir arbeiten müssen. Ich nenne jetzt mal als ein Beispiel die Wolken. Wolken sind relativ kleinräumig, in ihnen laufen sehr komplexe physikalische Prozesse ab. Phasenübergänge vom gasförmigen Zustand in den flüssigen bis hin in die Eisphase sind zu analysieren. Das alles in Modellen darzustellen ist natürlich sehr schwierig. Dann müssen wir die Stoffkreisläufe besser verstehen. Also zum Beispiel die Wechselwirkung zwischen dem physikalischen Klimasystem und dem Kohlenstoffkreislauf. Wir wissen ja zum Beispiel, dass nicht das ganze Kohlendioxid, das wir ausstoßen, in der Luft bleibt. Ein Teil geht in die Vegetation, ein Teil geht in die Meere. Und beides hat natürlich Auswirkungen auf die terrestrischen und auch auf die Meeres-Ökosysteme. Diese Dinge muss man verstehen. Und vor allem, wie diese Systeme auf das Klima rückwirken. Dazu brauchen wir Daten, Wissen und Modelle aus der terrestrischen Umweltforschung und der Troposphärenforschung.

Eine ganz große Unbekannte im Hinblick auf den Meeresspiegelanstieg sind auch die kontinentalen Eisschilde - also Grönland und die Antarktis. Die fangen jetzt an zu schmelzen. Wir wissen aber nicht genau, wie schnell die abschmelzen können. Da haben wir bisher nur wenige Messungen, deswegen müssen wir unser lückenhaftes Messsystem erweitern. Und natürlich auch unsere Modellpalette vergrößern, um dann die Prozesse besser darstellen zu können.

Was ist das Handwerkszeug für langfristige Klimaprognosen?

Sie brauchen zwei Dinge: Messungen, ohne die gar nichts geht. Sie müssen ja den gegenwärtigen Klimazustand definieren, um von ihm aus weiterzurechnen. Sie brauchen die Messungen auch, um Modelle zu verifizieren. Und sie brauchen die Modelle selbst, um mit ihnen in die Zukunft blicken zu können. Egal wie schlecht oder gut sie sind, sie können nur mit Modellen in die Zukunft blicken.

Sie weisen unermüdlich darauf hin, dass unser Planet ohne intakte Ozeane für Menschen unbewohnbar zu werden droht. Was ist denn die Rolle der Ozeane, warum sind diese für das Klimasystem so wichtig?

Zwei Aspekte: Zum einen sind die Ozeane die träge Masse des Systems, sie nehmen sehr viel Wärme auf und geben diese dann langsam wieder in die Atmosphäre ab. Die Meere haben etwa 90 Prozent der Energie der letzten 40 Jahre aufgenommen, die durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre zurückgehalten wurden. Dadurch erwärmen sich die Ozeane. Aus diesem Grund ist die Klimaerwärmung schon weiter fortgeschritten, als an der Oberfläche für uns sichtbar ist. Die Erwärmung selbst belastet natürlich auch die Ökosysteme. Allen voran die tropischen Korallen, die keine große Temperaturtoleranz besitzen. Bei zwei Grad Erwärmung würden vermutlich fast alle tropischen Korallen sterben.

Der zweite Aspekt: Ozeane nehmen auch Kohlendioxid auf - derzeit etwa ein Viertel dessen, was wir in die Luft blasen. Dies führt unweigerlich zu deren Versauerung. Auch das Karbonat-Angebot in den Meeren sinkt ab, wenn sich Kohlendioxid im Wasser löst. Dadurch sind alle kalkbildenden Organismen extrem bedroht. Denn die können bei immer saurer werdendem Wasser und bei weniger Angebot von Karbonat immer weniger ihre Kalkstrukturen aufbauen. Dies trifft wieder die Korallen. Und es betrifft auch Muscheln, kleine Krebse wie Krill, der am Anfang der Nahrungskette steht.

Diese beiden Prozesse sind messbar. Es ist offensichtlich, dass sich die Temperatur bis in etwa einen Kilometer Tiefe und der Säuregrad der Meere erhöhen.

In der ZEIT erschien im Juni 2015 ein Artikel mit dem Titel "Morgen vielleicht." Er handelt von einem Problem, das jeder kennt: Forscher warnen, Politiker konferieren, Zeitschriften drucken Titelseiten. Ihre Botschaften werden gehört, seit Jahrzehnten wollen alle das Klima retten. Warum ist es so schwierig, den Worten Taten folgen zu lassen?

Das liegt daran, dass kurzfristige, zumeist wirtschaftliche Motive, die langfristigen Interessen der Umwelt dominieren. Und wir einzelnen Menschen sind auch nicht ganz schuldlos. Wir denken auch nicht langfristig, denn wir versuchen immer, unseren Wohlstand jetzt und hier zu vermehren. Man muss ehrlicherweise sagen, dass regierende Politiker nicht alles durchsetzen können, was sie vielleicht gern würden. Denn die Abstrafung folgt bei der nächsten Wahl.

Sie sagen, noch hätten es die Menschen in der Hand, die günstigen Lebensbedingungen auf der Erde für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Woran machen Sie diese optimistische Einstellung fest?

Ich bin ein grenzenloser Optimist. Zwar habe ich auch beim Weltklimagipfel in Paris nicht mit einem Durchbruch gerechnet. Aber ich glaube einfach, dass sich die Art der Energiegewinnung ändern wird. Wir sind ja auf Steinzeit-Niveau stehengeblieben. Genauso wie unsere Vorfahren verbrennen wir etwas, um Energie zu erzeugen. Heute sind es Kohle, Öl und Erdgas. Und dadurch kommt eben Kohlendioxid in die Luft, das die Hauptursache des Klimaproblems darstellt. Ich sehe verschiedene positive Anzeichen. Zum Beispiel investieren viele große Unternehmen nicht mehr in konventionelle Energien.

Ich sehe auch, dass die Dynamik bei den erneuerbaren Energien zumindest in einigen Ländern wie auch in Deutschland immer weiter zunimmt. Ich denke, dass es innerhalb der nächsten 20 Jahre eine Revolution bei den Energiesystemen geben wird. Damit löst sich dann das Klimaproblem von allein.

Was umfasst in Ihren Augen eine verantwortungsvolle Rolle von Wissenschaft in der Klimapolitik?

Wissenschaft kann erst mal nur informieren. Papst Franziskus hat ja erklärt, Politik und Wirtschaft müssen nach den heute verfügbaren besten wissenschaftlichen Ergebnissen entscheiden. Diese zu erbringen ist unsere Aufgabe. Und dann muss die Politik auf dieser Basis die hoffentlich richtigen Entscheidungen treffen.

Seit Jahren versuchen Klimaskeptiker, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Am Ende des Tages wissen wir nicht mehr, was wir glauben sollen. Wie kann die Spreu vom Weizen getrennt werden?

Es ist eine Frage, auf welchem Weg man wissenschaftliche Erkenntnisse in die Bevölkerung bringt. Wir haben im Deutschen Klimakonsortium (DKK) zum Beispiel eine Online-Vorlesung entwickelt, in der hochkarätige deutsche Wissenschaftler den Klimawandel erklären. Da kann sich jeder anmelden, dies ist kostenlos. So versuchen wir, seriöse Information zu vermitteln, damit sich auch jeder über den Stand der Wissenschaft informieren kann.

Am 8. November 2015 hat Ihnen Bundespräsident Joachim Gauck den wichtigsten Umweltpreis Europas überreicht. In der Laudatio der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) wird vermerkt, dass Ihre jahrzehntelange Arbeit getrieben sei "von der persönlichen Sorge um den Zustand des Planeten." Warum werden Sie nicht müde, die Öffentlichkeit auf den Klimawandel und seine Folgen aufmerksam zu machen?

Das hat natürlich damit zu tun, dass ein ungebremster Klimawandel nicht nur das Klima selbst betrifft. Auch die Weltwirtschaft würde in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Folge wäre vermutlich eine weltweite Rezession. Damit würde sich automatisch auch die Sicherheitslage auf unserem Planeten ändern. Das kann sich niemand wünschen. Diese Entwicklung könnte bis zu Klimakriegen führen. Deswegen befasst sich ja beispielsweise auch das Militär mit den Folgen des Klimawandels. Ich denke, es wäre doch so einfach, die Dinge in die richtige Bahn zu lenken. Man muss das Problem an der Wurzel packen. Wenn wir ein Problem mit Kohlendioxid haben, sollten wir keines ausstoßen. Die Lösungen sind da. Deswegen werde ich auch nicht aufhören, mich einzumischen!


Am 1. Dezember 2015 war Deutschlands wohl bekanntester Klimaforscher zu Gast im UFZ. Als Referent der 12. Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ging er der Frage nach: "Ozean und Klimawandel - Warum wir ohne die Meere nicht überleben werden".

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Mojib Latif

Prof. Dr. Mojib Latif, als Sohn pakistanischer Einwanderer 1954 in Hamburg geboren, leitet den Forschungsbereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik sowie die Forschungseinheit Maritime Meteorologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Er studierte Betriebswirtschaftslehre sowie Meteorologie und promovierte und habilitierte sich in Ozeanografie. Mojib Latif leistete und leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Ozeanforschung, in deren Zentrum zunehmend der Klimawandel gerückt ist. Als Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften gehört Mojib Latif heute zu den bekanntesten deutschen Wissenschaftlern, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auseinandersetzen und damit das Thema in Politik und Gesellschaft verankern.

Der Kieler Forscher ist der Öffentlichkeit durch eine Vielzahl von TV-Auftritten und Publikationen bekannt - etwa durch Bücher wie "Hitzerekorde und Jahrhundertflut - Herausforderung Klimawandel: Was wir jetzt tun müssen" (Heyne, 2003), "Klimawandel und Klimadynamik" (Ulmer, 2009), "Warum der Eisbär einen Kühlschrank braucht: ... und andere Geheimnisse der Klima- und Wetterforschung" (Herder, 2010) oder "Das Ende der Ozeane: Warum wir ohne die Meere nicht überleben werden" (Herder, 2014).

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Die Helmholtz Environmental Lecture (HEL) ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe des UFZ, in der herausragende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu wichtigen ökologischen, sozio-ökonomischen und sozialen Fragen Stellung beziehen und sie dann mit dem Plenum - durchaus auch kontrovers - diskutieren. Dafür stehen auch die bisherigen Gastredner: Klaus Töpfer (2009), Hans Joachim Schellnhuber (2010), Achim Steiner (2010), Jochen Flasbarth (2011), Angelika Zahrnt (2012), Frank Schirrmacher (2012), Ernst Ulrich von Weizsäcker (2013), Ottmar Edenhofer (2013), Stephan Kohler (2014), Thilo Bode (2014), Matthias Horx (2015), Mojib Latif (2015).

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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2016, Seite 10 - 11
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2016

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