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KLIMA/117: Minister Röttgen zur Weltklimakonferenz in Durban vor dem Deutschen Bundestag, 1.12.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, in der Aktuellen Stunde zur Weltklimakonferenz in Durban vor dem Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Erlauben Sie mir, dass ich zu Beginn meiner Rede darauf eingehe, worum es bei dieser Konferenz geht; denn einige Redner hatten das nicht im Zentrum ihrer Rede. Es geht darum, dass der Klimawandel voranschreitet, dynamischer als gedacht, mit all seinen Folgen, und dass demgegenüber die Handlungsfähigkeit der internationalen Politik stagniert oder vielleicht sogar abnimmt. Das heißt, die Schere geht auseinander. Das kann man konkret aufzeigen.

Wenn die Schere auseinandergeht, dann hat das für viele Menschen existenzielle Folgen. Frau Kollegin, Sie haben das bereits ausgeführt und von einer Frage von Leben oder Tod gesprochen - und das völlig zu Recht. Das hat dramatische wirtschaftliche Konsequenzen bis hin zur Zerstörung der Lebensgrundlage von vielen Millionen Menschen. Es hat Auswirkungen auf Flüchtlingsströme, es begünstigt die Entstehung von Konflikten, vielleicht sogar Kriegen, um Wasser und Weideland. Diese drohen immer öfter.

Letztendlich geht es um eine elementare Frage der Menschheit, nämlich um Gerechtigkeit. Wenn wir diese Entwicklung nicht stoppen und sie weitergeht, dann kommt es zu einer großen Menschheitsungerechtigkeit; denn durch unsere Wirtschaftsweise - das liegt in unserer Verantwortung - tragen wir dazu bei, dass ganze Generationen und Hunderte von Millionen, vielleicht Milliarden Menschen niemals eine Chance in ihrem Leben erhalten. Das ist die globale Menschheitsdimension des Themas.

Darum erlauben Sie mir, dass ich einmal zugebe, worüber ich mich ärgere. Ich ärgere mich darüber, dass bei diesem Thema - ich habe keinen Zweifel daran, dass es nicht einen gibt, der das nicht so sieht - sehr viele, wenn auch nicht alle, aus den Oppositionsfraktionen kleinkariert, relativ provinziell, nicht über den Tellerrand hinausschauend debattieren, indem sie zum Beispiel über energetische Gebäudesanierung sprechen. Bei aller Liebe: Die energetische Gebäudesanierung ist wichtig. Ich kann auch gleich etwas dazu sagen. Man muss sich aber auch einmal Herausforderungen einer anderen Dimension stellen. Wir dürfen nicht immer nur die kleinkarierten Debatten von gestern und vorgestern führen, nicht nur weil es intellektuell wirklich langweilig ist, sondern weil wir alle Verantwortung haben, und zwar nicht nur die Regierung und die Koalitionsfraktionen, die diese Regierung tragen. Sie sollten sich an Ihrer eigenen Verantwortung messen lassen.

Die Aufgabe, um die es geht, ist klar zu beschreiben. Was ist unser Ziel? Das Ziel bleibt ein globales Rechtsabkommen. Wir wollen, dass es zu einem Klimaschutzregime kommt - rechtlich verbindlich und angemessen in der Ambition -, das es ermöglicht, mindestens das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Bei diesem Ziel, ein globales Rechtsabkommen zu erwirken, bleibt es. Das ist das Ziel deutscher Klimaschutzpolitik, und es ist genau das richtige Ziel.

Wie aber kommen wir dahin? Die außenpolitische Lage ist kompliziert. Sie können ja einmal außerhalb dieses Saales, außerhalb Ihrer eigenen Fraktionen, fragen, ob irgendeiner glaubt, dass Deutschland oder Europa das Problem seien. Nein, Deutschland oder Europa sind nicht das Problem, weil wir dieses Abkommen wollen, und zwar problemadäquat. Was aber ist das Problem? Das Problem ist, dass die großen Emittenten - im Wesentlichen China, USA und Indien - noch nicht bereit sind, sich auf den Weg hin zu einem solchen international verbindlichen Regime zu machen. Das ist das Problem; denn ohne den Beitrag der Verursacher können wir das Problem nicht lösen. Wir müssen einen Weg finden, diese Großemittenten und -verursacher in das gemeinsame Boot zu holen. Das ist die außenpolitische und klimaschutzpolitische Aufgabe, der wir uns zu stellen haben.

Daraus leite ich die Strategie ab. Um es klar zu sagen: Was ist das Ziel für Durban? Wir können niemanden zu etwas zwingen; das haben wir in Kopenhagen erleiden und erlernen müssen. Deshalb muss das Ziel für Durban sein, auch die anderen Großemittenten - insbesondere die USA und China - auf einen Fahrplan beziehungsweise ein Mandat zu verpflichten, sodass es zu einem Rechtsabkommen kommt, das im Ziel von rechtlicher Verbindlichkeit und von einem hinreichenden Ambitionsniveau geprägt ist. Das Zwei-Grad-Ziel muss mindestens erreicht werden. Unser Ziel ist es, die großen Emittenten - die Schwellenländer und die USA - auf diesen Fahrplan zu verpflichten. Dieses Ziel wollen wir erreichen, und daran arbeiten wir mit allen Kräften.

Unser Ziel ist es selbstverständlich auch, Europa dazu zu bewegen, sich noch stärker einzubringen. Die Europäer machen weiter; sie sind zur Verbindlichkeit bereit, und zwar im eigenen Interesse und aus Verantwortung heraus. Es gilt aber einen ernsten Punkt außenpolitischer Abwägung und Analyse zu bedenken: Ein Kioto-Protokoll mit einer zweiten Verpflichtungsperiode, bei dem man sich damit abfindet, dass es noch weniger Teilnehmerstaaten hat als das jetzige Kioto-Protokoll - Kanada, Russland und Japan haben glasklar erklärt, dass sie aussteigen -, das nur noch 15 Prozent der globalen Emissionen erfasst und das die USA und die Schwellenländer mit zunehmenden Emissionen außen vor ließe, würde die Unzulänglichkeit der internationalen Bemühungen geradezu zementieren; davon sind wir in der Bundesregierung überzeugt. Wenn man sich damit abfindet, dass Kioto II nur noch ein EU-Abkommen ist, das im Ergebnis weniger bringt als der heutige EU-Rechtszustand, leistet man eben keinen Beitrag zum Klimaschutz. Damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben. Wir brauchen mehr als Kioto II. Das ist die unverzichtbare Position, für die wir eintreten und zu der wir uns verpflichten. Kioto II darf nicht zementieren, dass 85 Prozent der Emissionen keinem Regime unterworfen werden. Vielmehr müssen wir die anderen ins Boot holen und selber selbstverständlich bereit sein - das sind wir -, eigene Verpflichtungen zu erfüllen. Das ist das Ziel.

Darüber hinaus dürfen wir die anderen Themen nicht vergessen. Über die ist heute, glaube ich, kaum gesprochen worden. Dabei geht es unter anderem um Klimafinanzierung. Die Struktur des diesbezüglichen Fonds muss dort beschlossen werden. Das Ziel von Cancún bleibt: 100 Milliarden Dollar ab 2020. Wir erfüllen unsere Verpflichtungen. Wir sind dabei, an der Struktur zu arbeiten. Über die große Frage dürfen wir aber die kleinen Schritte nicht aus dem Auge verlieren, die elementar wichtig sind. Das reicht von der Technologiekooperation und der verlässlichen Finanzierung - da sind die Industrieländer in der Verantwortung - bis hin zum Waldschutz. Auch da werden wir Leistungen erbringen.

Ich komme zur Frage: Was ist eigentlich unser Beitrag? Er besteht darin, dass wir in unserem Land und in Europa so handeln, wie wir international reden. Das ist die Basis der Glaubwürdigkeit. Ich frage mich manchmal, in welchem Land Sie eigentlich leben. Es macht keinen Sinn, wenn die Opposition immer so tut, als wären Entscheidungen gar nicht getroffen worden. Fällt es Ihnen so schwer - nur weil diese Entscheidungen von einer anderen Koalition, aber nicht von Ihnen getragen werden -, die Fortschritte im Land anzuerkennen? Die Politik dieser Bundesregierung besteht darin, ein unkonditioniertes Reduzierungsziel von 40 Prozent zu erreichen. Freuen Sie sich darüber, weil es für das Land gut ist und weil es für den Klimaschutz gut ist.

Es müsste Ihnen doch möglich sein, zur Kenntnis zu nehmen, dass außerhalb der kleinen Gruppe der Opposition hier in Deutschland - das hat, glaube ich, Josef Göppel so gesagt, und das ist keine Übertreibung - die ganze Welt auf die deutsche Energiewende schaut. Sie fragt sich: Bekommen die das hin? Schaffen die das? Genau das ist der Maßstab, an dem wir gemessen werden. Es wird gefragt: Schaffen die das, was sie beschlossen haben? - Wir haben es jedenfalls beschlossen. Sie haben damit ein parteipolitisches Problem, dass wir die richtige Politik machen. Das kann aber nicht der Maßstab für uns sein. Wir machen trotzdem die richtige Politik weiter, auch wenn Sie keine Themen mehr haben und Ihre Einfallslosigkeit in allen umwelt- und klimapolitischen Debatten hier sehr deutlich zum Ausdruck kommt.

Ich bleibe bei dem, was als Maßstab eigentlich von allen Koalitionsrednern formuliert worden ist: Der wichtigste Beitrag, den wir als Bundesrepublik Deutschland leisten können und werden, besteht darin, dass wir beweisen, dass ein großes Industrieland - das größte in Europa - erfolgreich in der Lage ist, sowohl wirtschaftliches Wachstum, industrielle Modernisierung und Innovationen zu schaffen als auch gleichzeitig ökologische beziehungsweise klimaschutzpolitische Ziele zu erreichen. Dieser Beitrag besteht auch darin, dass wir gerade dadurch, dass wir uns zum Erreichen dieser Ziele verpflichten, Technologien entwickeln, Innovationen schaffen und so Wachstum erzeugen. Den Beweis, dass beides zusammen geht, ja dass es nur zusammen geht, will Deutschland in Europa erbringen. Das ist der wichtigste Beitrag, den wir international leisten können. Es wird auch eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte sein, wenn wir das Klima schützen und die Natur bewahren. Das ist unser Ansatz. Mit dem sollten Sie sich - wenn Ihnen noch irgendetwas zu dem Thema einfällt - vielleicht irgendwann auch einmal inhaltlich auseinandersetzen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 130-4 vom 01.12.2011
Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit,
Dr. Norbert Röttgen, in der Aktuellen Stunde zur Weltklimakonferenz
in Durban vor dem Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2011