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KLIMA/164: KlimaKompakt Spezial Nr. 53 zum Start der UN-Klimaverhandlungen in Bonn (GW)


Germanwatch e. V. - KlimaKompakt Spezial Nr. 53 / 14.05.12

UN-Klimaverhandlungen in Bonn 2012: Was steht auf der Agenda?

Germanwatch-Hintergrundpapier
Stand: 10.05.12



Hintergrund
Beim 17. Klimagipfel in Durban im November/Dezember 2011 wurde eine Reihe von Beschlüssen erzielt. In ihrer Summe reichen sie bei weitem noch nicht aus, um den Anstieg der globalen Temperatur auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen und die Welt von einem Pfad des gefährlichen Klimawandels abzubringen. Der reale Entwicklungspfad deutet derzeit auf einen Temperaturanstieg von 4 bis 6 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts hin. Wenn die freiwilligen Ziele eingehalten würden, wären es immer noch 3 bis 4 Grad Celsius. Dennoch: Mit der Vereinbarung, dass alle Länder ein verbindliches neues Klimaabkommen bis 2015 verhandeln wollen, das spätestens ab 2020 in Kraft treten soll, wurde ein wegweisender Beschluss getroffen, der die Klimaverhandlungen zum Teil auf neue Füße stellt.
Die Bonner Klimaverhandlungen diesen Monat markieren nun den Startschuss für den Verhandlungsprozess zu diesem Abkommen und damit den Beginn einer neuen Phase. Der Klimagipfel Ende des Jahres in Qatar wird dabei ein erster großer Zwischenschritt sein, dem die Bonner Verhandlungen als Vorbereitung dienen.
Im direkten Vorfeld der Bonner Sitzung gab es zwei wichtige Treffen auf Ministerebene. Am 4. und 5. Mai trafen sich in Bonn Minister und hochrangige Verhandler aus 32 Ländern. Laut offizieller Pressekommentierung seitens des UN-Klimasekretariates haben dabei die anwesenden Vertreter ihren starken Willen betont, auf dem Momentum von Durban aufzubauen.[1] Des weiteren kamen am 7. und 8. Mai in Brüssel Minister einer Reihe von progressiven Ländern zusammen, u.a. um die in Durban geborene Allianz der EU, der Least Developed Countries (LDC) und der kleinen Inselstaaten zu festigen und weiterzuentwickeln. Dies zeigt, dass die Bedeutung dieses neuen Verhandlungsprozesses als sehr groß eingeschätzt wird. In diesem Kontext haben auch die LDCs noch einmal sehr deutlich gemacht, dass eine Erhöhung des derzeitigen, wenig ambitionierten Klimaschutzziels der EU (lediglich 20 Prozent Emissionsminderung von 1990 bis zum Jahr 2020) dringend notwendig ist, um dem Willen der EU zu einer solchen Allianz Glaubwürdigkeit zu geben. Im Juni könnte die EU eine Erhöhung des Ziels auf 30 Prozent beschließen.
Deutschland und die EU sollten die Verhandlungen in Bonn nutzen, die in Durban begonnene Allianz mit progressiven Entwicklungsländern ersichtlich zu festigen und auszubauen. Das Handeln der Staaten zu Hause - in Deutschland insbesondere der Erfolg der Energiewende - und die Verhandlungen der nächsten Jahre werden darüber entscheiden, ob die Welt das 2 Grad-Limit in wenigen Jahren wird einhalten können oder nicht - mit allen daran hängenden Konsequenzen insbesondere für die ärmsten Länder der Welt.

Mit diesem Papier gibt Germanwatch einen kurzen Überblick über die wichtigsten, in Bonn auf der Agenda stehenden, Themen.

Arbeitsgruppe zur "Durban Platform for Enhanced Action"
Zum ersten Mal wird die neu gegründete Arbeitsgruppe der "Durban Platform for Enhanced Action" (ADP) tagen, die die Verhandlungen bis 2015‍ ‍zu dem neuen Klimaabkommen koordinieren soll. Der fundamentale Durchbruch von Durban besteht darin, dass unter der ADP alle Länder um verbindliche Emissionsbeschränkungen verhandeln, die sich auch betreffen. Beim Kyoto-Protokoll betrifft dies ja lediglich die Industrieländer. Die ADP wird sich in Bonn zunächst mit der Einsetzung der Vorsitzenden und der Ausarbeitung eines ersten Arbeitsplans beschäftigen. Zentrale Fragen sind hierbei: Soll der Vorsitz jährlich rotieren, oder vertraut man einem beziehungsweise zwei Vorsitzenden den Prozess für drei Jahre an? Was soll in einem neuen Abkommen einen Platz finden, was könnte auch auf anderer Ebene gelöst werden? Viele Länder haben im Vorfeld ihre Vorschläge zu der Herangehensweise an die ADP in schriftlichen Stellungnahmen eingebracht, so dass umfangreiche Diskussionen zu erwarten sind.[2]
Zudem wird es zentral sein, bei dem Arbeitsprogramm von Durban noch weit vor 2020 deutliche Fortschritte bei einer Erhöhung der Klimaschutzambition zu machen. Auch hierzu gab es viele Stellungnahmen. Einige davon zeigen sehr deutlich, dass in vielen Ländern, insbesondere in den Industrieländern, ehrgeizigere Ziele auch kurzfristig möglich sind. Um unterhalb einer Erwärmung von 2 Grad Celsius bleiben zu können, muss es vor 2020 gelingen, die globalen Emissionen von einem Wachstumspfad zu einem Schrumpfungspfad zu führen.

Kyoto-Protokoll
In Durban wurde beschlossen, dass es eine zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls geben soll und dass die Länder bis zum 1. Mai ihre anvisierten Verpflichtungsziele kommunizieren sollen. Die EU, Norwegen, Australien, Neuseeland und die Schweiz haben hierzu Stellungnahmen eingereicht. Leider hat keines der Länder ambitioniertere Ziele als die bisher benannten angedeutet. Es ist daher zu erwarten, dass die Klimaschutz-Ambition auch hier ein kontroverses Thema sein wird. Zudem müssen, bevor die 2. Verpflichtungsperiode in Kraft treten kann, noch einige zum Teil technische Fragen geklärt werden, die aber für die Effektivität des Kyoto-Protokolls eine große Bedeutung haben werden. Dazu gehören vor allem die Länge der Verpflichtungsperiode (bis 2017 oder 2020) und die Übertragung von nicht verbrauchten Emissionserlaubnissen aus der ersten Verpflichtungsperiode.[3]

Klimaschutz und Gerechtigkeit
Neben der ADP wird es auch unter dem Verhandlungsstrang AWG-LCA intensive Diskussionen über die Klimaschutz-Vorhaben der Industrie- und Entwicklungsländer geben. Zwei Workshops werden sich damit befassen, was die angekündigten Reduktions-beziehungsweise Begrenzungsziele aus den Cancún-Abkommen bis 2020 konkret bedeuten, denn häufig ist die Vergleichbarkeit wegen unterschiedlicher Ausgangsannahmen nicht gegeben. Diese Vergleichbarkeit herzustellen und über die Umsetzung der Maßnahmen transparent zu berichten, wird eine zentrale Vorbedingung sein, um in Zukunft ambitioniertere Ziele umzusetzen beziehungsweise beurteilen zu können, wie groß denn tatsächlich die Ambitionslücke hinsichtlich des 2 Grad-Limits ist. Wenn man nicht wirklich weiß, zu was sich die Länder verpflichtet haben, kann man auch keinen Druck auf die Einhaltung der Ziele entwickeln.
Die Frage von internationaler Gerechtigkeit ist in Durban vehement von Indien auf die Tagesordnung gesetzt worden, so dass es jetzt einen speziellen Workshop zu dem Aspekt "gerechter Zugang zu nachhaltiger Entwicklung" geben wird. Er soll zur Auseinandersetzung mit verschiedenen Konzepten zum Thema Klimagerechtigkeit dienen, der Klimaschutz steht dabei im Mittelpunkt der politischen Debatten. Dieses Thema hat daher auch für die Verhandlungen zu einem zukünftigen Abkommen eine zentrale Bedeutung. Dabei gilt es zum einen, den zentralen Aspekten der Gerechtigkeit Rechnung zu tragen, andererseits zu berücksichtigen, wie sehr sich die Welt seit 1992 gewandelt hat.

Unter dem Aspekt "Shared Vision" werden die Staaten über ein globales Klimaschutzziel bis 2050 sowie das "peak year", also das Jahr, an dem der Scheitelpunkt der globalen Emissionen erreicht werden und diese danach sinken sollen, die bisher nicht erfolgreichen Verhandlungen fortführen. Diese sind eng mit der Gerechtigkeitsfrage verknüpft: Wer soll welchen Anteil leisten und wer ist in welchem Ausmaß von den Konsequenzen eines späten Scheitelpunktes der Emissionen betroffen?

Klimafinanzierung
Im Bereich der Klimafinanzierung wird es vor allem um die Ausgestaltung des in Durban beschlossenen Arbeitsprogramms zu Langfristfinanzierung gehen (innerhalb der AWG-LCA; siehe oben). Vor kurzem wurden die beiden Vorsitzenden aus Südafrika und Norwegen bestimmt, während der Verhandlungen wird es offene Konsultationen zum Arbeitsprogramm geben. Dieses könnte insbesondere auch bei der Identifizierung und Umsetzung innovativer Finanzierungsinstrumente helfen (z.B. Erlöse aus dem internationalen Flug- und Schiffsverkehr), um sicherzustellen, dass eine ausreichende Finanzierung für Klimaschutz und Anpassung an die Klimafolgen in Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt wird. Die Industrieländer haben versprochen, im Jahr 2020 jährlich 100 Mrd. US-Dollar an öffentlichen und privaten Geldern für Klimafinanzierung zu mobilisieren. Da das Kopenhagen-Versprechen für Schnellstartfinanzierung im Jahr 2012 endet, ist auch zu erwarten, dass Klimafinanzierungszusagen für die Zeit nach 2012 zum Gegenstand der Diskussionen werden. Ohne diese besteht die Gefahr, dass die in vielen Entwicklungsländern eingetretene Dynamik und Kehrtwende für mehr Klimaschutz und Anpassung ganz oder teilweise abbricht.
Der Green Climate Fund (GCF) wird nicht selbst Verhandlungsgegenstand sein, da zukünftig das neue Steuerungsgremium des GCF dafür verantwortlich sein wird, das zum ersten Mal Ende Mai tagen wird. Allerdings ist zu erwarten, dass er am Rande eine Rolle spielen wird, da sich zum Beispiel einige Ländergruppen noch auf Nominierungen von Vertretern für den GCF einigen müssen.

Anpassung an den Klimawandel
Bei den Verhandlungen zur Anpassung an den Klimawandel stehen in Bonn vor allem sich an die Beschlüsse von Durban anschließende Themen auf der Agenda. In Durban war ein Prozess zur Unterstützung insbesondere der ärmsten Entwicklungsländer (LDCs) bei der Entwicklung längerfristiger Nationaler Anpassungspläne (NAPs) vereinbart und entsprechende Leitlinien vereinbart worden. In Bonn stehen nun die Finanzierungsmodalitäten auf der Agenda. Die partizipative Erarbeitung dieser Pläne sollte schnell begonnen werden, da sie wichtige Informationen für die Verhandlungen zu einem zukünftigen Klimaabkommen bieten können, und dafür ist auch eine entsprechende Finanzierung notwendig. Zudem werden die Länder über institutionelle Reformen beim UN-Anpassungsfonds, der regelmäßig in Bonn tagt, sowie wissenschaftliche Fragen zur Anpassung beraten.[4]

"Loss and Damage"
In Durban waren zudem konkrete Aktivitäten für das Arbeitsprogramm zu den Schäden und Verlusten ("Loss and damage") aus dem Klimawandel beschlossen worden. Das neue Arbeitsprogramm entstand daraus, dass inzwischen absehbar ist, dass auch bei dem jetzt noch möglichen Klimaschutz und ernsthafter Anpassung in verschiedenen Regionen erhebliche Schäden - durch Meeresspiegelanstieg, Wüstenbildung, Gletscherschmelze, usw. - zu erwarten sind. Wie können die vielen Fragen, die hier auf die Staatengemeinschaft zukommen, angepackt werden? Ein erstes Expertentreffen fand im März in Tokio statt. In Bonn soll es, aufbauend auf einer Bewertung der bisherigen Aktivitäten zum Arbeitsprogramm erste Diskussionen zur Vorbereitung einer weiter reichenden Entscheidung bei der COP18 in Qatar geben. Dieses Thema ist angesichts der absehbaren Konsequenzen des Klimawandels, insbesondere für die LDCs und die Inselstaaten, von großer Bedeutung.

Regenwaldschutz (REDDplus)
In Cancún und Durban wurden die ersten Entscheidungspakete für den neuen, vor allem auf die Regenwälder bezogenen, Minderungsmechanismus REDDplus getroffen. Nun müssen in Vorbereitung auf den Klimagipfel in Qatar Ende des Jahres die noch offenen Baustellen adressiert werden. In Bonn muss sich die AWG-LCA daher mit der dringendsten aller Fragen beschäftigen: der Finanzierung von REDDplus ab 2013. Die Arbeitsgruppe muss sich mit möglichen Finanzierungsquellen für internationalen Regenwaldschutz auseinandersetzen und dabei besonders die Vor- und Nachteile von den verschiedenen Optionen abwägen. Zur Diskussion steht ein breiter Mix an öffentlichen, privaten, innovativen, bilateralen und multilateralen Finanzierungsmöglichkeiten. Es wird Zeit, dabei konkreter zu werden. Außerdem muss die AWG-LCA sich damit beschäftigen was die Kriterien für eine erfolgsbasierte Zahlung für Regenwaldschutz sein sollen, um die bestmöglichen Resultate für Klimaschutz, Waldschutz und ländliche Entwicklung zu erzielen.
Wichtig wird es auch sein, in der SBSTA das Thema der nationalen und internationalen Entwaldungstreiber zu adressieren und Empfehlungen zu deren Minderung abzuleiten.

"Review" der bisherigen Klimaziele und Rolle des IPCC
Der in Cancún beschlossene und in Durban bestätigte erste periodische "Review" soll nächstes Jahr beginnen und Ende 2015 gegenüber der COP darüber urteilen, ob die derzeitigen in Cancún (2010) vereinbarten Klimaschutzziele und die Umsetzungsstrategien der jeweiligen Länder der aktuellen Klimawissenschaft angemessen sind. Empfehlungen des "Review"-Prozesses an die COP bezüglich einer Verschärfung der Ziele werden als Resultat erwartet, da offensichtlich ist, dass die Verpflichtungen nicht ausreichen, den Klimawandel auf weniger als 2 Grad Temperaturerhöhung zu begrenzen. Progressive Kräfte hoffen sogar, dass direkt aus dem "Review"-Prozess schnell wirksame Entscheidungen zur Ambitionssteigerung resultieren.
Die hauptsächliche wissenschaftliche Grundlage für diese Einschätzung wird der Fünfte Sachstandbericht des Weltklimarats IPCC sein, dessen drei Berichtsteile 2013/14 erscheinen werden und von denen erwartet wird, den Verhandlungen einen starken neuen wissenschaftlichen Impuls bezüglich der Dringlichkeit weltweiten Klimaschutzes zu geben. Damit der "Review"-Prozess seine Arbeit nächstes Jahr zeitgemäß aufnehmen kann, müssen in Bonn die notwendigen Beschlüsse zur Zielsetzung und Reichweite des "Reviews" sowie zu dessen Durchführung vorbereitet werden. Dann kann der UN-Klimagipfel in Qatar Ende 2012 darüber entscheiden.

Sven Harmeling, Manfred Treber, Rixa Schwarz, Kristin Gerber, Linde Grießhaber, Christoph Bals (Germanwatch)

Kontakt: Sven Harmeling,
Teamleiter Internationale Klimapolitik,
harmeling[at]germanwatch.org

Weitere Infos unter: www.germanwatch.org

Diese Veröffentlichung wurde mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstellt. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung ist allein Germanwatch verantwortlich.

[1]‍ ‍http://unfccc.int/files/press/news_room/press_releases_and_advisories/application/pdf/5may_ministerial_press_release_v2.pdf [2]‍ ‍http://unfccc.int/bodies/awg/items/6656.php [3]‍ ‍http://unfccc.int/resource/docs/2012/awg17/eng/01.pdf [4]‍ ‍siehe auch die Website des von Germanwatch mitgegründeten Adaptation Fund NGO Network: www.af-network.org


Dieses KlimaKompakt Spezial finden Sie auch auf der Germanwatch-Website unter:
http://www.germanwatch.org/4407

Pressemitteilung vom 11.5.12 - UN-Klimakonferenz in Bonn: Startschuss für Verhandlungen zu einem verbindlichen Klimaabkommen. Germanwatch drängt auf ambitionierte EU-Strategie gegenüber den Entwicklungsländern
http://www.germanwatch.org/de/4337

Impressum
Autoren: Sven Harmeling, Manfred Treber, Rixa Schwarz, Kristin Gerber, Linde Grießhaber, Christoph Bals
Redaktion: Katrin Fillies, Daniela Baum, Gerold Kier
Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus
Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel. 0228/60492-0, Fax -19
E-Mail:klimakompakt@germanwatch.org
http://www.germanwatch.org

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Quelle:
KlimaKompakt Spezial Nr. 53, 14.05.12
Herausgeber:
Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus
Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel.: 0228/60492-0, Fax: 0228/60492-19
E-mail: klimakompakt@germanwatch.org
Internet: http://www.germanwatch.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012