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KLIMA/181: Emissionshandelssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2012

Umwelt: Emissionshandelssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch

von Daan Bauwens



Brüssel, 19. September (IPS) - Die globale Klimapolitik steht kurz vor dem Scheitern. Wie aus einer neuen Studie der Osloer Beraterfirma 'Thomson Reuters Point Carbon' hervorgeht, wird der Emissionshandel zur Verringerung der weltweiten Klimagasemissionen in wenigen Jahren vollends zusammenbrechen,

Der am 13. September veröffentlichten Untersuchung zufolge könnten die 192 Staaten, die das Kioto-Protokoll unterzeichnet haben, bis zum Jahr 2020 zusammen zusätzliche Emissionszertifikate für 17,2 Milliarden Tonnen Kohlendioxid anhäufen. Der Preis für eine Tonne Kohlendioxid werde dann auf nahezu null fallen und den Handel damit zum Erliegen bringen. Bereits jetzt kostet eine Tonne des Treibhausgases weniger als einen Euro, während er vor zwei Jahren noch bei rund zehn Euro lag.

Die aktuelle erste Verpflichtungsperiode im Rahmen des Kioto-Protokolls endet im Dezember dieses Jahres. Bisher sind die Vertragsländer auf ihren alljährlichen Konferenzen im November oder Dezember damit gescheitert, sich auf gemeinsame Regeln für eine zweite Verpflichtungsperiode von 2013 bis 2016 zu einigen.


In Doha soll Lösung gefunden werden

Die nächste Konferenz beginnt am 26. November in Doha in Katar. Auf dem Vorbereitungstreffen Mitte September im thailändischen Bangkok waren sich die Verhandlungsführer einig, dass das Problem der überschüssigen Emissionszertifikate in Doha dringend gelöst werden müsse.

Denn auch in der ersten Periode fallen Überschüsse an - Point Carbon zufolge um die 12,6 Milliarden Tonnen bis Ende 2012. Wenn Kanada aus der Rechnung herausgenommen wird - da das Land 2011 aus dem Kioto-Protokoll ausgestiegen ist - erhöht sich der Überschuss auf 13,1 Milliarden Tonnen.

Kanada ist auch bei der zweiten Verpflichtungsperiode nicht dabei. Sollten die Wackelkandidaten Australien und Neuseeland sich an einer zweiten Phase beteiligen, dann fallen den Berechnungen zufolge insgesamt von 2008 bis 2020 16,2 Milliarden Tonnen an. Wenn nicht, dann summieren sich die Überschüsse insgesamt auf 17,2 Milliarden Tonnen.

"Das ist mehr als Europa allein im Lauf von fünf Jahren und doppelt so viel wie China in einem Jahr emittiert", sagt Tomas Wyns, Direktor des Zentrums für saubere Luftpolitik in Europa (CCAP Europe). "Diese Zahl ist einfach astronomisch hoch."

Die größten Überschüsse halten Russland, die Ukraine und Polen. Danach folgen Rumänien, Großbritannien und Deutschland.

Erklären lässt sich die Entwicklung teilweise damit, dass sich die Kioto-Länder auf 1990 als Basisjahr geeinigt haben. Das heißt, dass sich alle Verpflichtungen zur Reduzierung von Treibhausgasen am Jahr 1990 orientieren. Für das Klima ein fauler Kompromiss: Anfang der 90er Jahre brachen die Volkswirtschaften der Ostblockstaaten inklusive der DDR zusammen. Die Industrieaktivitäten wurden drastisch zurückgefahren, etliche Kohlekraftwerke lahm gelegt. Dadurch konnte bereits ein großer Teil der Kohlendioxidemissionen der entsprechenden Länder reduziert werden und die tatsächliche Einsparanstrengung wurde verringert.

"Derzeit können wir ein ähnliches Phänomen beobachten", sagt Wyns. "Wir sind mitten in einer Wirtschaftskrise. Dadurch werden weltweit weniger Emissionen ausgeschüttet."

Einem Bericht der 'European Environmental Agency' von Anfang September zufolge lagen die Emissionen Europas im Jahr 2011 um 17,5 Prozent unterhalb des Basisjahres 1990. Damit ist die EU nur 2,5 Prozent von ihrem Kioto-Ziel für 2020 entfernt - acht Jahre zu früh.


'Wirtschaftskrise ist keine politische Maßnahme'

"Natürlich sind sinkende Emissionen gute Neuigkeiten. Aber nicht in diesem Fall", sagt Wyns. Seine Schlussfolgerung: "Die aktuelle Entwicklung zeigt deutlich, dass die Kioto-Ziele viel zu niedrig angesetzt waren." Dann fügt er noch hinzu: "Eine Wirtschaftskrise ist keine politische Maßnahme."

"Das Angebot ist dreimal größer als die Nachfrage", sagt Anja Kollmuss von der Nichtregierungsorganisation 'CDM Watch' mit Sitz in Brüssel. Ihre Organisation hatte Point Carbon mit der Studie beauftragt. Überschüsse zu erwirtschaften ist dann sinnvoll, wenn sie zu guten Preisen verkauft werden können. Doch bei dem erwarteten Überangebot ist der Markt mehr als gesättigt und eine Tonne Kohlendioxid erzielt voraussichtlich nur wenige Cent. "Die Überschüsse sind nutzlos für die Länder, weil es keine Abnehmer für sie gibt."

Auf dem Treffen in Bangkok legten die Entwicklungsländer der Gruppe der 77 (G77) gemeinsam mit China einen Vorschlag vor, wie mit den Überschüssen umzugehen sei. Dem Vorschlag schloss sich die Gruppe der afrikanischen Staaten an. Die darin vorgetragenen Ideen reflektieren die Gedanken von mehr als 100 Ländern und mehr als einer Milliarde Menschen, die unter den Folgen des Klimawandels am meisten zu leiden haben.

Dem Vorschlag zufolge dürfen die Überschüsse nicht gehandelt werden. Die Staaten dürfen sie lediglich nutzen, um ihren Verpflichtungen zur Emissionsreduktion der zweiten Periode nachzukommen. Alle übrigen Zertifikate sollen gelöscht werden. Darüber hinaus werden alle Entwicklungsländer aufgefordert, ihre - nicht bindenden - Emissionsreduktionsziele für die zweite Verpflichtungsperiode so zu formulieren, dass sie auch tatsächliche Einsparungen vornehmen müssen.

Die meisten Länder unterstützten den Vorschlag der G-77. Russland lehnte ihn ab. Die EU nahm wegen interner Differenzen keine Stellung. "Insbesondere Polen ist dagegen, weil es die größten Überschüsse hält", sagt Kollmuss. Im Oktober will sich die EU auf eine gemeinsame Linie festlegen. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.cdm-watch.org/wordpress/wp-content/uploads/2012/09/AAU-banking-briefing-paper-Point-Carbon.pdf
http://www.forumue.de/news/news/neue-studie-beweist-dass-die-ueberschuesse-an-emissions-gutschriften-gemaess-kyoto-protokoll-kuenftige-klimaabkommen-bedrohen/
http://www.ipsnews.net/2012/09/carbon-trading-scheme-close-to-collapse/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2012