Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


LANDWIRTSCHAFT/086: Städtische Landwirtschaft der Zukunft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

Städtische Landwirtschaft der Zukunft
Ohne Flächenverbrauch auf den Dächern der Stadt?

Von Kathrin Specht und Rosemarie Siebert


Die urbane Landwirtschaft beziehungsweise der urbane Gartenbau haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung und Sichtbarkeit gewonnen. Der Anbau von Nahrungsmitteln in und auf Gebäuden stellt eine neuere und oft noch visionäre Sonderform der urbanen Produktion dar. Im Gegensatz zu den klassischen Formen der urbanen Landwirtschaft findet der Anbau hierbei nicht auf dem Boden statt. Obst und Gemüse werden zum Beispiel in Dachgärten, in Gewächshäusern auf Dächern oder in Indoor Farmen in den Stockwerken von Gebäuden produziert.(1) Das Interessante dabei: Bei solchen städtischen Landwirtschaftsmodellen liegt der zusätzliche Flächenverbrauch bei null.


Wesentliche Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit von Städten ist die Verbesserung ihrer Energie- und Ressourceneffizienz, auch in Hinblick auf die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Bislang funktioniert die Versorgung moderner Städte, indem die benötigten Lebensmittel (neben anderen Ressourcen) in die Städte importiert werden. Viele Lebensmittel in städtischen Supermärkten haben lange Wege hinter sich, bevor sie auf den Tellern der VerbraucherInnen landen. Die Reststoffe werden oft als Müll wieder aus der Stadt heraus transportiert. Zudem werden viele Lebensmittel erst Tage und Wochen nach ihrer Herstellung zum Verkauf angeboten und daher in der Zwischenzeit energieaufwendig aufbewahrt, weiterverarbeitet und gekühlt. Die Möglichkeit, Lebensmittel dort zu produzieren, wo sie verkauft und verbraucht werden, und "Abfallstoffe" vor Ort wieder einzusetzen, könnte dazu beitragen, Städte zu entlasten.(2)

Im Rahmen des Forschungsprojekts "ZFarm" (Zero Acreage Farming, also urbane Landwirtschaft mit "null" Flächenverbrauch) untersuchten WissenschaftlerInnen des Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. mit den PartnerInnen des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin und inter3 Bedingungen für eine innerstädtische Pflanzenproduktion unter Nutzung des vorhandenen Gebäudebestands.(3)

Verschiedene Typen von ZFarming

Von allen ZFarming-Typen haben offene Dachgärten beziehungsweise Dachfarmen die längste Tradition. Beispiele hierfür sind weltweit zu finden.(4) Dennoch sind die Dachflächen in Städten bislang größtenteils ungenutzt. Die produktive Nutzung von offenen Dachgärten birgt spezielle Herausforderungen, da die Produktion an das herrschende Klima gebunden ist, wodurch sich je nach Standort unterschiedlich kurze oder lange Vegetationsperioden ergeben. Darüberhinaus stellen Dächer im Vergleich zum Erdboden aufgrund der Exposition einen extremeren Standort dar.

Dachgewächshäuser existieren bereits an verschiedenen Orten der Welt und neue Projekte befinden sich in der Planung und Entstehung. Supermärkte, Hotels, Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser oder Fabrikdächer bieten geeignete Standorte für Dachgewächshäuser. Der Anbau kann hier in Erde, Substraten oder mit hydroponischen Verfahren erfolgen. Wichtigster Vermarktungsvorteil für BetreiberInnen von Produkten aus einem städtischen Dachgewächshaus ist die Frische der Produkte.

Indoor-Farmen umfassen alle Typen von Anbau innerhalb von Gebäuden, beispielsweise in stillgelegten Fabrikgebäuden, Schächten, oder Tunneln. Da Licht und der damit zusammenhängende hohe Energiebedarf hierbei meist der limitierende Faktor ist, beschränkt sich der Anbau meist auf schattentolerante Kulturen, wie beispielsweise Pilze.

Neue Möglichkeiten durch die Verbindung von Landwirtschaft mit Gebäuden

Dachgärten, Dachgewächshäuser oder andere ZFarming-Typen sind nicht per se ressourcenschonend. Allerdings bieten sich durch die räumliche Einheit von landwirtschaftlicher Produktion und Gebäuden Möglichkeiten zur Etablierung und Verbesserung lokaler Stoffkreisläufe. Vorhandene lokale Ressourcen, wie Regenwasser oder Sonnenenergie sowie Abwasser, Abwärme und Abfälle, die im Gebäude oder in der Nachbarschaft anfallen, können für die Produktion genutzt werden, direkt dort, wo sie anfallen. Einmal eingesetzte Ressourcen können wiederverwendet und geschont werden.

ZFarming-Typen zeichnen sich insbesondere durch ihre Energie-, Wasser- und Stoffkreisläufe aus. Besonders vielversprechend ist die Nutzung von anfallender Wärmeenergie für die Beheizung von angeschlossenen Gewächshäusern. Während Gebäudewärme bislang oft ungenutzt bleibt, bietet sich die Nutzung der Abwärme städtischer Gebäude, der Abwasserwärme oder anderer lokaler Quellen wie beispielsweise eines Schwimmbads oder Bäckerei, für die Beheizung eines Gewächshauses an. Des Weiteren fällt im Umfeld von Wohngebäuden für gewöhnlich sowohl Regenwasser als auch Schmutzwasser an, das gesammelt, aufbereitet und für die Bewässerung von Pflanzen genutzt werden kann. Die kreislaufbasierte Mehrfachnutzung von eingesetztem Wasser ist möglich, und wird in anderen Ländern bereits angewendet. Die Nutzung von Grauwasser für Bewässerungszwecke ist allerdings in Deutschland bislang rechtlich nur eingeschränkt zulässig. Und schließlich bietet die Wiederverwendung der organischen Abfälle, die innerhalb des Gebäudes oder in der näheren Umgebung anfallen, Möglichkeiten der Weiterverwendung als Pflanzennährstoffe. Ein Vorteil organischer Stoffkreisläufe ist die Möglichkeit, Nährstoffausträge und -verluste zu reduzieren und Kunstdüngereinsatz zu vermeiden.

ZFarming-Projekte weltweit

Global betrachtet gewinnt ZFarming zunehmend an Beachtung und weltweit entstehen neue kommerzielle oder gemeinnützige Projekte.(4) Besonders in den stark verdichteten Megastädten Asiens, die oftmals kein produktives Umland umgibt, sind die Ansätze, Lebensmittel in der Stadt zu produzieren, stark im Kommen. Produkte, die sich durch Nähe und kurze Wertschöpfungsketten auszeichnen, werden von den VerbraucherInnen verstärkt nachgefragt. Aber auch in schrumpfenden Städten oder in Stadtteilen mit limitiertem Zugang zu frischen Lebensmitteln (sogenannten "food deserts") wird urbane Landwirtschaft als Strategie angesehen, die Versorgungssicherheit zu verbessern. Typische Besipiele hierfür sind die post- industriellen Städte in den USA ("rustbelt"), wie Detroit oder Pittsburgh, in denen nach Jahrzehnten des wirtschaftlichen Abschwungs die Versorgung nur noch schwer aufrechterhalten werden kann.

Nicht-kommerziell genutzte offene Dachgärten finden sich auf der ganzen Welt. Im Fall von kommerziellen Dachfarmen sind die bekanntesten Projekte in Nordamerika, wie beispielsweise das New Yorker Start-Up Brooklyn Grange, das auf Dächern stillgelegter Industriegebäude großflächigen Anbau betreibt. Das Dachgewächshaus der Firma Lufa Farms (Kanada) war 2011 das erste kommerziell ausgerichtete Dachgewächshaus. Gotham Greens (USA) errichtete auf dem Dach eines teilweise leerstehenden Gewerbegebäuses ein 1.400 km² großes Gewächshaus, in dem ganzjähriger Anbau unter Verwendung von hydroponischen Anbausystemen stattfindet. Sky Greens arbeitet in Singapur an der Errichtung eines vertikalen Gewächshauses mit mehreren Etagen als Beispielprojekt für asiatische Megastädte. Bei The Plant in Chicago wird in einer ehemaligen Fleischfabrik mit verschiedenen Möglichkeiten des Indoor-Farming experimentiert. In Europa haben die Urban Farmers in Basel den ersten Dachgewächshaus-Prototyp errichtet, in Berlin geht das Unternehmen Efficient City Farming (ECF) erste Schritte in diese Richtung.(5)

ZFarming in Deutschland

Vergleicht man die Entwicklung von ZFarming in Deutschland mit anderen Ländern, liegen der Fokus und die größten Potentiale in Deutschland momentan eher im Bereich der Ressourcenoptimierung sowie im sozialen Bereich. Die Produktion zur Sicherung der Versorgung spielt hierzulande eine eher untergeordnete Rolle. In anderen Ländern, deren Großstädte entweder keine regionale Lebensmittelversorgung haben, die komplett importabhängig sind oder beispielsweise in Wüsten liegen, sind sowohl der Handlungsdruck als auch die positiven Potenziale verhältnisweise höher.

Da unsere deutschen Städte meist von einem produktiven Umland umgeben sind, ist der Druck auf die Flächen und somit die Notwendigkeit für städtische Produktion verhältnisweise geringer. Hier stehen vor allem Aspekte der Gemeinschaftsbildung (wie beispielsweise bei gemeinschaftlichen Dachgärtenprojekten), Transparenz der Produktion, die Nähe zu den KonsumentInnen oder Bildungsaspekte im Vordergrund.

Offene Fragen reichen von der Weiterentwicklung von Verfahren über Fragen der Nachhaltigkeit, Qualitätssicherung, zu städtebaulichen Potenzialen und Hürden, über Marktstrategien bis hin zu sozialwissenschaftlichen Fragen wie der Akzeptanz. Eine gezielte Evaluation bereits bestehender Projekte kann in dieser frühen Phase hilfreiche Erfahrungswerte für die Zukunft liefern.


Kathrin Specht promoviert am Institut für Sozioökonomie am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. zum Thema "Akzeptanz gebäudegebundener Landwirtschaft".

Dr. Rosemarie Siebert ist Sozialwissenschaftlerin und leitete das Forschungsprojekt "ZFarm - Städtische Landwirtschaft der Zukunft".


Anmerkungen

(1) Darstellungen der Potenziale und Risiken der einzelnen Typen: Specht et al. (2014): Urban agriculture of the future: an overview of sustainability aspects of food production in and on buildings. Agriculture and Human Values 31, 1, 33-51.

(2) Der Abschnitt basiert auf folgendem Buch, welches das Thema detailliert behandelt: Freisinger et al. (2013): Es wächst etwas auf dem Dach. Dachgewächshäuser. Idee, Planung, Umsetzung. Leibniz- Zentrum für Agrarlandschaftsforschung. Download via www.zfarm.de.

(3) Genauere Ausführungen zum Forschungsvorhaben finden sich bei: Freisinger et al. (2013) Lebensmittel auf der Stadt: Anbau von Nahrungsmitteln in und auf Gebäuden. Forschungsreport Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz, 1, 4-7.

(4) Eine weltweite Erhebung zum Stand von ZFarming Projekten: Thomaier et al. (2014): Farming in and on urban buildings: Present practice and specific novelties of Zero-Acreage Farming (ZFarming). Renewable Agriculture and Food Systems, 1-12.

(5) Mehr Informationen zu weltweiten Projekten unter: Specht et al. (2014) Ackern ohne Boden: frisches Gemüse vom Dach oder Kräuter von der Fassade sind beliebt. In: Trendbuch: Innovative Agrarwirtschaft 2014. Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main, 46-48

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 15-16
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang