Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019
Neue Gentechnik: Zwischen Labor, Konzernmacht und bäuerlicher Zukunft
Systemwandel statt Hype einzelner Technologien
Die Ökozüchtung als eine Alternative zu industriell-konventioneller
Züchtung und neuer Gentechnik
von Stefanie Hundsdorfer und Eva Gelinsky
Die neuen Gentechnik-Pflanzen führen das industrielle Agrarsystem fort und bauen es weiter aus. Alternative Ansätze wie die gemeingüterorientierte Ökozüchtung bergen dagegen großes Potenzial, unsere Ernährungssysteme auf eine nachhaltige Grundlage zu stellen. Dabei stoßen sie jedoch an die Grenzen des bestehenden Systems. Statt auf einzelne (Gen-)Technologien zu setzen, benötigen wir einen radikalen Systemwandel, um der Vielzahl unterschiedlicher Ansätze für alternative Landwirtschafts- und Ernährungssysteme weltweit Rückenwind zu verleihen.
Die enorme Kulturpflanzenvielfalt verdanken wir der Arbeit von
BäuerInnen und GärtnerInnen. Sie wurde durch Selektion und Züchtung
über Jahrhunderte hinweg aus Wildpflanzen entwickelt, angepasst an
Boden und Klima vor Ort. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt sich in
Europa ein eigenständiges Züchtungsgewerbe zu entwickeln, in dem fast
100 Jahre lang kleinteilige Unternehmensstrukturen erhalten bleiben.
Erst in jüngster Zeit sind Züchtung und Saatgutproduktion zu einem
Industriezweig geworden, in dem, wie in anderen Geschäftsfeldern
Kapitalgröße, Konkurrenz, Marktmacht und der Unternehmenswert
dominieren. In der Pflanzenzüchtung geht es v. a. um die Schaffung
neuer genetischer Vielfalt. Dazu werden z. B. Pflanzen miteinander
gekreuzt. Im Anschluss können Nachkommen mit gewünschten Eigenschaften
selektiert werden, um neue Pflanzensorten mit spezifischen
Eigenschaften zu entwickeln.
Konventionelle Pflanzenzüchtung für die industrielle Landwirtschaft
Die konventionelle, auf eine industrielle Landwirtschaft abgestimmte
Pflanzenzüchtung entwickelt Sorten, die unter Einsatz von
chemisch-synthetischen Düngemitteln und Pestiziden vor allem hohe
Erträge sowie einheitliche Pflanzen- und Lebensmittel liefern sollen.
Denn innerhalb eines industriellen Agrarsystems gilt es, durch
Steigerung der Produktivität, Rationalisierung und Einsparung von
Arbeitskosten die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Ausgeblendet werden
die hohen sozialen und ökologischen Kosten dieses Systems, wie z. B.
die Freisetzung großer Mengen an Treibhausgasen, der Verlust
pflanzengenetischer, biologischer und züchterischer Vielfalt sowie von
Saatgut- und Ernährungssouveränität. Züchtungsunternehmen, die Sorten
für dieses System entwickeln, nutzen verschiedene biotechnologische
Methoden, vor allem um den Züchtungsprozess zu beschleunigen. Für die
Re-Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben nutzen sie
Patente.
Eine weitere signifikante Verkürzung der Züchtungszeit versprechen nun einige der neuen gentechnischen Verfahren, allen voran CRISPR/Cas. Daher wollen die Unternehmen sie unbedingt nutzen, und zwar ohne die derzeitigen EU-Regulierungsauflagen. Im Unterschied zur herkömmlichen Züchtung greifen gentechnische Verfahren direkt in pflanzliche Zellen ein. So sollen gezielt gewünschte Eigenschaften in Pflanzen eingebracht und jahrelange Kreuzungs- und Selektionsarbeit vermieden werden. Allerdings müssen die im Labor veränderten Pflanzenzellen nach einem gentechnischen Eingriff in einem langwierigen Prozess erst zu ganzen Pflanzen regeneriert und danach noch züchterisch bearbeitet und im Freiland getestet werden, bevor marktfähige Sorten vorliegen.
Neue Gentechnik: Motor der industriellen Landwirtschaft
Die neue Gentechnik wird die weitere Effizienzsteigerung und
Industrialisierung der Landwirtschaft vorantreiben. Dies liegt vor
allem an der Marktstruktur und den Geschäftsmodellen der großen
Agrarchemie-Konzerne. Sie werden mit den neuen Gentechnikverfahren
Pflanzen entwickeln, die vor allem auf großen Märkten und auf ebenso
großen Flächen "funktionieren". Damit werden sie alternativen
Züchtungs- und Landwirtschaftsmodellen neue Hürden in den Weg legen:
neue Kontaminationsrisiken, steigende Kosten, um die eigenen Pflanzen
gentechnikfrei zu halten, eine weiter abnehmende Verfügbarkeit
genetischer Vielfalt für die eigene Züchtung bis hin zu zunehmenden
Sorgen vor Patentverletzungsklagen.
Gemeingüterorientierte Alternative: ökologische Pflanzenzüchtung
Als eine Alternative zum industriell-konventionellen Agrarsystem und
der entsprechenden Pflanzenzüchtung haben sich im deutschsprachigen
Raum Initiativen der ökologischen Pflanzenzüchtung (Öko-Züchtung)
entwickelt.(1) Die Öko-Züchtung ist auf die Bedürfnisse des
Ökolandbaus abgestimmt und findet in allen Phasen unter dessen
Bedingungen statt, also ohne Einsatz von chemisch-synthetischen
Pestiziden und Mineraldüngern Öko-ZüchterInnen richten ihre Arbeit
nicht auf Profitmaximierung, sondern auf Gemeingüter aus, wie die
Herstellung qualitativ hochwertiger Lebensmittel, die Erhaltung
genetischer Diversität und eine nachhaltige Nutzung natürlicher
Ressourcen. Da alle alten wie neuen gentechnischen Verfahren den
Prinzipien des Ökolandbaus widersprechen,(2) ist deren Einsatz in der
Öko-Züchtung ausgeschlossen. Im Ökolandbau ist es verboten, mit
gentechnischen Verfahren die Integrität der Zelle als kleinste Einheit
des sich selbst organisierenden Lebens zu verletzen. Zudem lehnt die
Öko-Züchtung die mit den Gentechnik-Verfahren verbundenen Patente ab.
Sorten und pflanzengenetische Vielfalt werden als gemeinsames
Kulturgut angesehen, das es zu schützen und weiterzuentwickeln gilt.
Anderen ZüchterInnen soll die Weiterentwicklung der gezüchteten Sorten
immer offenstehen.
Bessere Finanzierung dringend benötigt!
Die Öko-Züchtung kann einen wichtigen Beitrag zu zukunftsfähigen
Ernährungssystemen leisten, z. B. indem sie eine breite
pflanzengenetische Vielfalt fördert und Pflanzen gezielt auf
Robustheit gegenüber Schaderregern, unterschiedlichen
Nährstoffverfügbarkeiten und auf Anpassungsfähigkeit gegenüber stark
divergierenden Umwelteinflüssen züchtet. Öko-Sorten sind zudem immer
nachbaufähig und können von LandwirtInnen zu lokal angepassten Sorten
weiterentwickelt werden.
Doch der Blick auf die Zahlen ernüchtert: Trotz ihres Potenzials führt die Ökozüchtung bisher nicht mehr als ein Nischendasein. Dies liegt vor allem an ihrer chronischen Unterfinanzierung. Die Forschung zur Anwendung von Gentechnik an Tieren und Pflanzen mit dem Ziel der Freisetzung und/oder Nahrungsmittelerzeugung wurde im Zeitraum von 2012 bis 2025 in Deutschland mit öffentlichen Mitteln von über 100 Millionen Euro bedacht.(3) Die Öko-Züchtung finanziert sich dagegen momentan vornehmlich durch Stiftungs- und Spendengelder. Damit sie wirklich zu einer tragfähigen Alternative werden kann, benötigt sie dringend mehr staatliche und private Mittel, die langfristig stabil fließen.
Zwänge im industriellen Agrarsystem
Ökologisch gezüchtete Sorten haben es auch deshalb schwer, sich auf
dem Markt durchzusetzen, da auch ihre AbnehmerInnen,
Öko-ErwerbsgärtnerInnen und Öko-LandwirtInnen, den ökonomischen
Zwängen des bestehenden industriellen Agrar-Systems unterliegen. Auch
sie, die eigentlich anders wirtschaften wollen, sehen sich gezwungen,
die Arbeitskosten im Anbau möglichst niedrig zu halten (z. B. über
eine gleichmäßige Abreife der Ernte), hohe Erträge zu erzielen, und
dem Handel "makellose" und einheitliche, über lange Zeit lager- und
transportfähige Ware zu liefern. Dies gelingt momentan noch am
verlässlichsten mit den für eine "Hochleistungslandwirtschaft"
gezüchteten konventionellen Sorten. Auch sollen
VerbraucherInnenwünsche wie "wir brauchen Kopfsalat das ganze Jahr
über" bedient werden, was gerade im Gemüseanbau, auch im Öko-Bereich,
zu intensiven Anbausystemen mit engen Fruchtfolgen führt, die den
Schädlingsdruck und die Krankheitsanfälligkeit der Pflanzen erhöhen.
Solchermaßen hausgemachte Probleme des industriellen Systems können
nicht alleine mit neuen Öko-Sorten gelöst werden. Stattdessen wird
auch ein Wandel der Ansprüche von Handel und VerbraucherInnen
benötigt: GärtnerInnen und LandwirtInnen benötigen wieder mehr
Spielraum, robuste, vitale und ökologisch nachhaltige Anbausysteme zu
gestalten.
Systemwandel statt Technologie-Hype
Klar ist: Züchtung, ganz egal, ob konventionell oder ökologisch, kann
immer nur ein Teil der Lösung sein. Es geht um die viel umfassendere
Frage: Welche Ernährungssysteme - und dazu zählen
Landwirtschaftsformen, vielfältige Züchtungsansätze und das
Miteinander von ErzeugerInnen, Handel und VerbraucherInnen - benötigen
wir, um den Herausforderungen zu begegnen? Einzelne Technologien sind
ganz sicher keine Lösung. Im Gegenteil: Technologien wie die
Gentechnik behindern alternative Ansätze und helfen dabei, das
herrschende industrielle Agrarsystem weiter auszubauen. Stattdessen
sollten wir unsere Kraft in einen radikalen Systemwandel stecken und
rechtliche sowie wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, die der
Vielzahl unterschiedlicher Ansätze für alternative Landwirtschafts-
und Ernährungssysteme weltweit Rückenwind geben.
Die Autorinnen Stefanie Hundsdorfer und Dr. Eva Gelinsky
leiten die politische Arbeit der Interessengemeinschaft für
gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut).
Mehr Informationen: www.ig-saatgut.de
Anmerkungen
1) Eva Gelinsky (2018): Saatgut im globalisierten Weltmarkt. Großfusionen versus gemeingüterorientierte Initiativen. Der Kritische Agrarbericht 2018, S. 74-78.
2) IFOAM Organics International (2017): Compatibility of Breeding Techniques in Organic Systems, Position Paper.
3) Angaben der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen,
https://www.testbiotech.org/pressemitteilung/bundesregierung-foerdert-den-einsatz-von-gentechnik.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
*
Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 12 - 13
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2019
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang