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LANDWIRTSCHAFT/147: In 80 Nutzpflanzen um die Welt - Genussmittel (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 231 - Dezember 2022 / Januar 2023
Die Berliner Umweltzeitung

Ganz schön raffiniert

In 80 Nutzpflanzen um die Welt - Teil 8: Genussmittel

von Anke Küttner und Deborah Roye


Zum Ende unserer Reise um die Welt in 80 Nutzpflanzen wird es genussvoll. Passend zur Weihnachtszeit dreht sich diesmal alles um süße, geistreiche, aber auch bittere Leckereien. Machen Sie es sich gemütlich mit einer leckeren Tasse frisch gebrühtem Tee und kommen Sie mit auf die Reise.

Tee - sonst nichts

Ob Indien, Bangladesch oder auch Kenia, in vielen warmen und feuchten Regionen der Erde sprießt heute die Teepflanze (Camellia sinensis), die eigentlich aus Südostasien kommt. Wichtiger als der Ort ist hierbei, was da wächst und wer da arbeitet. Bilder zeigen oft Teeplantagen an einem idyllischen Berghang, hier und da sieht man Pflückerinnen in traditioneller Kleidung vorsichtig Blätter von einem der unzähligen Teesträucher zupfen. Man fühlt beim Anblick förmlich, wie die Sonne angenehm scheint, Vögel fröhlich singen und Insekten herumschwirren. Leider ist das nur ein schöner Traum. Die Realität sieht ganz anders aus, mit Monokulturen, Pestiziden und teilweise moderner 'Sklaverei'. So gibt es in Bangladesch Teeplantagen, über die die Arbeiter*innen sagen: Wer hier geboren wird, wird auch hier sterben. Es steht ihnen zwar theoretisch frei, sich eine andere Arbeit zu suchen, aber die Realität sieht anders aus. Oft gibt es keinen Ausweg aus der lebenslangen Teeernte, und manchmal reicht nicht mal das aus - einige müssen auch die Häuser der Besitzer*innen putzen, ohne Bezahlung, weil sie oft 'Schulden' bei ihnen haben für Arztrechnungen und Lebensmittelgeldvorschuss. So schuften in glühender Hitze ganze Familien bei der Teeernte. Statt singenden Vögeln zu lauschen, besteht eher die Gefahr, von einer Schlange gebissen zu werden. Auch Pestizide kommen großzügig zum Einsatz auf den riesigen Plantagen, auf denen nichts als Tee wächst. Schließlich möchte die Kundschaft keine angeknabberten Teeblätter in der Tasse schwimmen sehen.

Bezahlt werden die Arbeiter*innen in der Regel nach der Menge und Unversehrtheit der geernteten Blätter. Ein zerknicktes oder gedrücktes Teeblatt, und der Lohn kann heruntergesetzt werden.

Zuckerrohr und Peitsche

Was wäre eine schöne Tasse Tee ohne Zucker? Diese Verbindung, die heute alltäglich erscheint, hatte weitreichende historische Konsequenzen. So hat sich die Nachfrage nach Tee und nach Zucker in der Vergangenheit gegenseitig befeuert - und damit auch das ausbeuterische Sklavensystem, dessen Folgen rund um die Welt noch immer spürbar sind. Beispielsweise in Haiti, einem der ärmsten Länder der Welt, das nach wie vor von Zuckerrohranbau und Ausbeutung gezeichnet ist. Das Zuckerrohr (Saccharum officinarum), das hier in großem Stil angebaut wurde, um die Nachfrage in Europa und Nordamerika zu decken, führte zu vielerlei Abhängigkeiten. Auch nach dem offiziellen Ende der Sklaverei blieben die Verhältnisse fast unverändert. Die Arbeiter*innen verdienen zu wenig und bleiben, wie bei vielen anderen Nahrungsmitteln auch, an die Plantagen gebunden. Ein Leben in ständiger Abhängigkeit.

Aus Zuckerrohr wird aber nicht nur schnöder Zucker gewonnen, sondern auch Rum. Vor allem im Winter genießt die eine oder der andere den heißen Tee auch gerne mal mit einem kleinen Schuss Rum. Das Wort und eine Beschreibung des Getränks tauchen in überlieferten Texten erstmals um 1647 auf, geschrieben von einem Reisenden, der Barbados besuchte. Doch fermentierte und destillierte Zuckerrohrgetränke wurden schon früher im asiatischen und pazifischen Raum hergestellt, wo das Zuckerrohr herkommt. In der Karibik wurde Rum vor allem von Tagelöhnerinnen, Piraten und Sklavinnen getrunken und hatte einen entsprechend schlechten Ruf. Dem zum Trotz wurde er ein wichtiges Zahlungsmittel im Sklavenhandel. Rum ist heute ein typisches Getränk, das wir mit Zentralamerika verbinden - ähnlich wie Tequila, der aus den trockeneren Regionen kommt.

Agave - zu langsam für Trends und Hypes

Seit etwa 6500 Jahren ist die Agave als Nutzpflanze in Mexiko und darüber hinaus bekannt. Sie wird auch Pflanze der tausend Anwendungen genannt - als Nadel, Faser, Lebensmittel, Seife und vieles mehr. Die Azteken stellten aus Agaven schon vor rund 2300 Jahren ein fermentiertes alkoholisches Getränk her: Pulque, so etwas wie den ersten Tequila. Mit der Kolonisierung kamen 'moderne' Destillationsmethoden und die ersten Rum- und Tequila-Sorten wurden gebrannt. Viele denken bei der Agave heute zuerst an Tequila. Manche vielleicht auch an den Agavendicksaft, mit dem sie ihren Tee süßen.


Foto: U. Hispanoamerikano, CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0), via Wikimedia Commons

Blätter und Früchte der blauen Agave
Foto: U. Hispanoamerikano, CC BY-SA 4.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0
via Wikimedia Commons

Tequila, eines der ökonomisch wichtigsten Agavenprodukte, wird aus der Blauen Agave (Agave tequilana) gewonnen. Vor allem mit dem anregenden Getränk lässt sich gut verdienen. Leider erhöht der wachsende Tequila-Konsum den Druck auf die mexikanischen Bäuer*innen und ihre Agaven. Das langsame Wachstum der Pflanze führt dazu, dass sie auf eine veränderte Nachfrage nicht schnell genug reagieren können und es immer wieder zu massiven Preissteigerungen und -einbrüchen kommt. Vor allem dann, wenn nur wenige oder besonders viele Agaven gleichzeitig erntereif sind. In ihrer Not beginnen einige Bäuer*innen die Ernte schon bei jüngeren Pflanzen mit geringerem Zuckergehalt. Doch das vermindert die Qualität - und auch die Erntemenge in zukünftigen Jahren.


Foto: Stan Shebs, CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons

Tequila-Brennofen in der Provinz Jalisco im Westen Mexikos
Foto: Stan Shebs, CC BY-SA 3.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0
via Wikimedia Commons

Zeit ist bei Agaven wahrlich ein begrenzender Faktor. Sie brauchen Jahrzehnte bis zur Blüte, werden jedoch vorher geerntet, weil sie dann besonders viel Zucker enthalten. Dadurch kommt es nicht mehr zur Bestäubung durch die mexikanische Langnasenfledermaus, eine geschlechtliche Vermehrung der Pflanzen kann somit nicht stattfinden. Inzwischen wachsen auf den meisten Feldern nur noch genetisch identische 'Klone' von besonders ertragreichen Pflanzen. Das hat die genetische Vielfalt der Agave massiv verringert, was sie deutlich anfälliger für Krankheiten, aber auch für Klimaänderungen macht. Früher oder später gibt es dann keinen Tequila mehr. Ein kleiner Lichtblick: Die Langnasenfledermaus ist zum Glück nicht auf den Nektar der Agavenblüte angewiesen. Bis jetzt findet sie noch genug andere Nahrung.

Das Projekt "In 80 Nutzpflanzen um die Welt" wird durch Engagement Global mit Mitteln des Bundesentwicklungsministeriums gefördert.

Weitere Informationen:
80nutzpflanzen.grueneliga-berlin.de

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Quelle:
DER RABE RALF
33. Jahrgang, Nr. 231, Seite 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 25 Euro

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 28. März 2023

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