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LANDWIRTSCHAFT/149: Warum der Ausstieg aus der Agrochemie in Sri Lanka nicht gelungen ist (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2022
Vergiftete Profite: (K)ein Ende der Pestizidnutzung in Sicht?

Warum der Ausstieg aus der Agrochemie in Sri Lanka nicht gelungen ist

Aktuelle Perspektiven

von Anuradhi D. Jayasinghe und Sandun Thudugala


Mit Wirkung vom 27. April 2021 hat Sri Lanka die Einfuhr von Düngemitteln und Pestiziden (im Folgenden: Agrochemikalien) verboten. "Die Einfuhr von chemischen Düngemitteln wird vollständig gestoppt. Menschenleben sind für mich wertvoller als ein hoher Ertrag", sagte der ehemalige sri-lankische Präsident Gotabaya Rajapaksha. Nach Angaben seines Medienreferats gab es drei Gründe für diesen abrupten Politikwechsel.

Erstens hätten die negativen Folgen für die Menschen aufgrund der Verschmutzung der natürlichen Ressourcen (z. B. Seen, Grundwasser usw.) durch Agrochemikalien die Gewinne überwogen. Zweitens ging der Präsident auf der Grundlage zahlreicher Beiträge von Expert:innen des Gesundheitssektors (z. B. der Government Medical Officers' Association, GMOA) davon aus, dass nicht übertragbare Krankheiten, einschließlich chronischer Nierenerkrankungen, durch den Einsatz von Agrochemikalien zunehmen - ebenso wie die Behandlungskosten für diese Patient:innen. Die tatsächliche Ursache chronischer Nierenkrankheiten in Sri Lanka ist jedoch weiterhin unbekannt. Drittens rechnete die Regierung für die Zukunft mit einem erheblichen Anstieg der Ausgaben für Agrochemikalien auf 300-400 Millionen US-Dollar jährlich im Vergleich zu 221 Millionen im Jahr 2019. Hinzukam laut dem Center for Poverty Analysis (Zentrum für Armutsanalyse, CPA), dass Sri Lanka Anfang 2020 ohne Devisenreserven am Rande des Bankrotts stand. Ein erheblicher Teil der Devisenreserven musste für die Einfuhr von Agrochemikalien aufgewendet werden, und gleichzeitig stiegen die Auslandsschulden des Landes an. Um diese einzudämmen, traf der Präsident dem CPA zufolge Anfang 2021 die Entscheidung, die Einfuhr von Agrochemikalien zu verbieten.[1] Nach Angaben des Präsidenten war das Hauptmotiv, die Gesundheit und Produktivität der Bevölkerung sicherzustellen, indem man das Recht der Menschen auf eine ungiftige und ausgewogene Ernährung garantierte.[2]

Als Ersatz für die chemischen Düngemittel wurden drei verschiedene organische Düngersorten - flüssig, fest und Biogas - versprochen, die ab der Maha-Saison 2021/2022 (Zeit des Nordost-Monsuns von September bis März des Folgejahres) eingeführt werden sollten. Die Hersteller von organischem Dünger teilten allerdings mit, dass es mehrere Saisons dauern wird, um den gesamten Bedarf an organischem Dünger in Sri Lanka zu decken und dass mit der bestehenden Produktion nur 224.000 Hektar gedüngt werden können. Daher verkündete die Regierung, nun organischen Dünger zu importieren. Sri Lanka importierte Kaliumchlorid (KCl) und nano-flüssigen Stickstoff aus Indien. Bei beidem handelt es sich allerdings um chemische Dünger. KCI wurde dennoch unter dem Etikett 'organisch' eingeführt, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Nachdem die erste Lieferung der 'organischen' Dünger von der chinesischen Firma Qingdao Seawin Biotech Group Co Ltd. importiert worden war, stellte sich heraus, dass sie mit lebenden Organismen kontaminiert und daher für den sri-lankischen Boden ungeeignet war. Ein beträchtlicher Betrag an ausländischen Währungsreserven wurde für eine unbrauchbare Lieferung ausgegeben. Und nun?

Die Einfuhr von Agrochemikalien nach Sri Lanka war weiterhin verboten, es gab keine adäquaten ökologischen Alternativen und für die Bauern und Bäuerinnen keine soliden Motive - weder wissenschaftlich noch anderweitig - den Übergang zum ökologischen Landbau fortzusetzen. All dies führte zu Ertragseinbußen und Nahrungsmittelknappheit und vor allem entstanden Schwarzmärkte sowohl für Agrochemikalien als auch für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Nachdem die Produktion der Exportkulturen stark zurückgegangen war, hob die Regierung das Verbot von Agrochemikalien für die wichtigsten Exportkulturen wie Tee, Kautschuk und Kokosnuss wieder auf. Angesichts der zunehmenden Proteste der Bevölkerung, die angesichts der kollabierenden Wirtschaft sofortige Lösungen für den Mangel an Agrochemikalien forderte, wurde das Einfuhrverbot für Agrochemikalien in Sri Lanka am 30. November 2021 vollständig aufgehoben. Die schrecklichen Folgen dieses gescheiterten Ansatzes, Agrochemikalien aus dem Verkehr zu ziehen, haben die aktuelle Nahrungsmittelkrise in Sri Lanka ausgelöst.

Ist die aktuelle Nahrungsmittelkrise tatsächlich Folge des Verbots von Agrochemikalien?

Expert:innen des Landwirtschaftssektors zeigen empirisch den Zusammenhang zwischen der aktuellen Nahrungsmittelkrise und dem Verbot der Einfuhr von Agrochemikalien auf. So ist der Reisertrag in der Maha-Saison 2021/2022 im Vergleich zu 2020/2021 um 37% zurückgegangen. Landwirt:innen rechneten aufgrund des Rückgangs der Erträge in der Maha-Saison 2021/22 mit einem Rückgang der Erträge in der dann bevorstehenden Yala-Saison (Mai bis August 22) und kürzten daher vorsorglich ihre Ausgaben und änderten ihr Konsumverhalten.

Die Ernährungsunsicherheit wurde durch die steigende Inflation weiter befeuert und das Verbot von Agrochemikalien hat die Kosten für Arbeit, Treibstoff und anorganische Düngemittel in der Landwirtschaft weiter erhöht. Dies führte dazu, dass viele Landwirt:innen ihre landwirtschaftliche Existenz aufgegeben und sich auf die Suche nach anderen Einkommensmöglichkeiten gemacht haben, um ihre Familien zu ernähren.

Diese plötzliche, kurzsichtige, uninformierte politische Entscheidung des ehemaligen Präsidenten hat zweifelsohne einen Fußabdruck in der sri-lankischen Landwirtschaft hinterlassen.

Einige zivilgesellschaftliche Organisationen (sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene) sind jedoch geteilter Meinung, was die Auswirkungen des Pestizidverbots auf die bestehende Nahrungsmittelkrise betrifft. Das Lanka Organic Agriculture Movement of Sri Lanka (LOAM of SL) ist beispielsweise der Ansicht, dass das Verbot chemischer Hilfsmittel nicht lange genug in Kraft war, um größere Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit zu haben.[3] Indischen Agrarexpert:innen zufolge ging Sri Lankas Versuch auf ökologischen Landbau umzustellen, nach hinten los, weil die Wirtschaft des Landes auf den Export von Tee, Kautschuk und Kokosnuss angewiesen ist und diesen damit gefährdete.[4]

Was hätte anders laufen müssen?

Das Agrochemikalienverbot wurde verhängt, doch es gab keinen konkreten Umsetzungsplan. Keine der Veröffentlichungen und Pressemitteilungen der Regierung zur Begründung des Verbots enthielt ein Konzept, das den Übergang von der industriellen zur ökologischen Landwirtschaft erleichtern würde. Es wurden lediglich Pilotprojekte zur Verwendung von organischem Dünger in ausgewählten Gebieten eingeleitet, aber noch bevor die Ergebnisse der Pilotprojekte untersucht wurden, wurde die politische Entscheidung in die Tat umgesetzt. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums war im Rahmen der neuen Politik ursprünglich geplant, 70% chemische und 30% organische Düngemittel auszubringen und die Verwendung organischer Düngemittel schrittweise zu fördern. Diese Pläne blieben jedoch auf dem Papier stehen, bis die Proteste der Landwirt:innen gegen den Mangel an Düngemitteln zur Aufhebung des Verbots von Agrochemikalien führten.

Die Autoren dieses Artikels haben kein Interesse daran, die Vorteile und die Bedeutung des Einsatzes von organischem Dünger zu negieren und/oder zu entkräften. Es ist unbestritten, dass dem Menschen die Zeit davonläuft, wenn es darum geht, sich an die globale Erwärmung und den daraus resultierenden Klimawandel anzupassen und sie abzumildern. Außerdem spielt die Landwirtschaft in diesem Kampf gegen die globale Erwärmung und den Klimawandel eine entscheidende Rolle. Die Menschen müssen zu einer regenerativen Landwirtschaft übergehen, die unsere natürlichen Systeme so wenig wie möglich schädigt, wenn wir für zukünftige Generationen sorgen wollen. Ein System, das über Hunderte von Jahren zerstört wurde, kann jedoch nicht von heute auf morgen geändert werden, es sei denn, es geschieht ein Wunder. Hätte der ehemalige Präsident wirklich die Absicht gehabt, eine gesunde Bevölkerung und eine gesunde Umwelt aufzubauen, hätte er den ersten Meilenstein für einen reibungslosen Übergang zu einer ökologischen Landwirtschaft setzen können - die damalige Regierung hätte eine langfristige "nationale Politik für den ökologischen Landbau" zusammen mit Landwirtschaftsexpert:innen und den Bauerngemeinschaften des Landes entwickeln können, nicht nur mit Ministerialbeamt:innen, Expert:innen des Gesundheitssektors und der GMOA, die weder theoretische noch praktische Kenntnisse in der Landwirtschaft haben.

Eine technische Untersuchung ist zwangsläufig notwendig, um die tatsächlichen qualitativen und quantitativen Folgen des plötzlichen Ausstiegs aus dem Einsatz von Pestiziden für die Ernährungssicherheit in Sri Lanka zu ermitteln. Ebenso notwendig ist es, die Auswirkungen der Verwendung importierter organischer Düngemittel auf die Böden Sri Lankas zu messen. Diese plötzliche, kurzsichtige, uninformierte und nicht integrative politische Entscheidung des ehemaligen Präsidenten hat jedoch offensichtlich einen zweifelhaften Fußabdruck in der sri-lankischen Landwirtschaft hinterlassen. Da die Umstellung auf eine rein ökologische Landwirtschaft gescheitert ist und die Folgen des ökologischen Landbaus mit vielen Wenns und Abers behaftet sind, stehen die Menschen der Umstellung von der industriellen auf die ökologische Landwirtschaft weiterhin skeptisch gegenüber. So hat sich das Paradigma des ökologischen Landbaus weiter von seiner Realität entfernt.

Anuradhi D. Jayasinghe ist beratender Forscher beim Law and Society Trust, Colombo, Sri Lanka. Sandun Thudugala ist dort Direktor für Programme und Operationen.

Aus dem Englischen von Eileen Roth

Anmerkungen:
[1] Perera, M., Amarasinghe, S. (2022): Creating a New Poor: the fertiliser ban that marked the beginning of the end.
[2] Presidential Secretariat (2021): Importation of chemical fertilizers will be stopped completely.
[3] Kariyawasam, T. (2022): Why We Cannot Blame the Sri Lankan Crisis on Organic Farming.
[4] De Guzman, C. (2022): The Crisis in Sri Lanka Rekindles Debate Over Organic Farming.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2022, Seite 27-29
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 12. Mai 2023

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