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LATEINAMERIKA/090: Costa Rica - "Grüne Gerechtigkeit", Umwelttribunal zum Schutz der Artenvielfalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juli 2014

Costa Rica: 'Grüne Gerechtigkeit' - Umwelttribunal zum Schutz der Artenvielfalt

von Diego Arguedas Ortiz


Bild: © Diego Arguedas Ortiz/IPS

Vertreter des costaricanischen Umwelttribunals
Bild: © Diego Arguedas Ortiz/IPS

Puntarenas, Costa Rica, 4. Juli (IPS) - Der Biologe Juan Sánchez lenkt einen Geländewagen über eine staubige Straße im Südosten Costa Ricas. Mit Juristen und Umweltexperten ist er zu einem Gehöft unterwegs, dessen Besitzer einen Mangrovenwald zerstört haben soll. Sánchez arbeitet für das Umwelttribunal TAA, das in dem zentralamerikanischen Land über die Einhaltung der Naturschutzgesetze wacht.

Während der Kontrollen in dem Feuchtgebiet etwa 280 Kilometer südöstlich der Hauptstadt San José erzählt Sánchez, dass er Umweltsündern - Firmen und Einzelpersonen - seit sieben Jahren auf den Fersen ist. Das 1995 gegründete Gericht ist eine der wichtigsten Institutionen in dem 4,5 Millionen Einwohner zählenden Land, die der Zerstörung der Ökosysteme Einhalt gebieten sollen. TAA ist dem Umwelt- und Energieministerium (MINAE) unterstellt und verfügt über 20 Mitarbeiter, die für 'grüne' Gerechtigkeit sorgen sollen.

"Wir sind relativ erfolgreich im Bereich des Umweltverwaltungsrechts", sagt TAA-Präsident José Lino Chaves. Mit den seit 2008 durchgeführten Aktionen habe man den Costaricanern deutlich machen können, dass der Umweltschutz für das Land Priorität hat. Ein Viertel des Staatsgebietes steht unter Naturschutz. 53 Prozent des Territoriums sind bewaldet und beherbergen fast vier Prozent aller globalen Tier- und Pflanzenarten.

Das TAA unterstützt die Arbeit des Agrar- und Umweltbüros der Staatsanwaltschaft, das ebenfalls personell unterbesetzt ist. "Anfang der 1990er Jahre wurde eine Studie durchgeführt, aus der hervorging, dass 98 Prozent aller angezeigten Umweltstraftaten nicht weiter verfolgt wurden", erinnert sich der ehemalige Umweltminister Carlos Manuel Rodríguez, der von 2002 bis 2006 im Amt war. Damals sei das Justizsystem ineffizient gewesen.

Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Beschuldigten deshalb ungestraft davonkamen, weil ihnen keine Verantwortung für die ihnen angelasteten Taten nachgewiesen werden konnte, so Rodríguez, der zurzeit Vizepräsident von 'Conservation International' (CI) mit Sitz in Washington ist.


Wirksamkeit unterschiedlich bewertet

Das TAA wird von Umweltexperten unterschiedlich beurteilt. "Ich ziehe die guten Absichten der Mitarbeiter keineswegs in Zweifel", sagt der Abgeordnete und Jurist Edgardo Araya, der vor einem nationalen Gericht einen Rechtsstreit gegen das Bergbauprojekt 'Crucitas' gewann. "In seinem jetzigen Zustand ist der Gerichtshof jedoch nicht lebensfähig. Ihm fehlen Ressourcen und Richter."

Arayas Kollege Alvaro Sagot, der einen Prozess gegen den Molkereigiganten 'Dos Pino' gewann, in dem es ebenfalls um Umweltverschmutzung ging, bestreitet zwar nicht, dass es die Engpässe gibt, hebt jedoch zugleich hervor, dass der Gerichtshof jedem Bürger ermögliche, Umweltverbrechen anzuzeigen.

Zwar können auch andere Gerichte angerufen werden, doch sind sie, was den Naturschutz angeht, inkompetent, wie Sagot betont. Er erinnert sich noch gut an Gespräche mit Richtern, die im Nationalpark festgenommene Wilddiebe wieder laufen ließen, weil sie deren Handeln nicht als Straftat betrachteten.

Das TAA hingegen verhängte im September 2009 ein Bußgeld in Höhe von 668.000 US-Dollar gegen das in Panama registrierte Schiff 'Tiuna', weil es im Kokosinsel-Nationalpark vor der Pazifikküste Costa Ricas 280 Tonnen Thunfisch gefangen hatte.


Gerichtshof überlastet

Costa Rica hat sich stets um den Ruf, ein 'grünes Land' zu sein, bemüht. Jahrelang warb das Land mit dem Label 'frei von künstlichen Inhaltsstoffen'. 2007 begann die Regierung mit der Initiative 'Frieden mit der Natur', die das Umweltengagement des Staates bekräftigte.

Im TAA stapeln sich jedoch die Akten mit Streitfällen. Derzeit sind 3.600 Verfahren anhängig, mehr als drei Mal so viele wie vor zehn Jahren. An dem Gerichtshof sind allerdings nur sechs Rechtsanwälte und drei Umweltrichter tätig, von denen zwei Juristen und einer Ingenieur ist. Diese drei Richter müssen alle betroffenen Gebiete selbst in Augenschein nehmen, um den Umweltschaden einzuschätzen.

Der Gerichtshof habe seit 2008 200 Immobilienprojekte an der Pazifikküste und 40 an der Atlantikseite gestoppt, berichtet der TAA-Präsident. Doch die Umweltsünder gäben nicht so rasch auf. Nur wenige Tage nach seiner Fahrt in den Südosten des Landes ging eine Gruppe von Juristen und Umweltexperten im Mangrovengebiet Puntarenas in der zentralen Pazifikregion, 80 Kilometer von der Provinzhauptstadt entfernt, einer weiteren Anzeige nach.

Dem Team bot sich ein Anblick der Zerstörung: Eindringlinge hatten 25 Hektar Mangrovenwald niedergebrannt und dort bereits Mais und Zuckerrohr angepflanzt. "Sie machen immer weiter. Wenn wir ihnen keinen Riegel vorschieben würden, hätten sie bald das gesamte Gebiet in Agrarland umgewandelt", sagt der Biologe Alexis Madrigal, der die technische Abteilung von TAA koordiniert.

Während Mitglieder des Teams die Plastiksäcke entfernen, mit denen die Bauern ihre neuen Parzellen markiert hatten, überlegen Chaves und die beiden Juristen die weitere Vorgehensweise, um neue Landbesetzungen und noch mehr Zerstörung zu verhindern. Neben einem Verbot der landwirtschaftlichen Nutzung sollen die Verantwortlichen für die Schäden aufkommen.

Das TAA in Costa Rica ist zum Vorbild für drei neue Umweltgerichtshöfe in Chile geworden. Chaves traf sich mit den Befürwortern der Initiative zu einem Erfahrungsaustausch. In beiden Ländern arbeiten die Tribunale mit je drei Richtern, von denen einer ein Naturwissenschaftler sein muss. Sie sind weitgehend unabhängig und tragen die Verantwortung für die Ahnung von Umweltstraftaten. Peru bereitet derzeit eine ähnliche Initiative vor. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/07/costa-rica-enforces-green-justice/
http://www.ipsnoticias.net/2014/06/la-justicia-se-viste-de-verde-en-costa-rica/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2014