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LATEINAMERIKA/091: Argentinien - Sanierung des Flusses Riachuelo in Buenos Aires schwieriger als erhofft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. August 2014

Argentinien: Ein Tango für die Nation - Zur Sanierung des Flusses Riachuelo in Buenos Aires braucht es mehr als zwei Tänzer

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet /IPS

Ein Mann schaut auf die berühmte Brücke 'Nicolas Avellanedo' über dem Riachuelo in Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet /IPS

Buenos Aires, 13. August (IPS) - Ein Tango hat den Riachuelo unsterblich gemacht: In "Niebla del riachuelo" (Nebel des Riachuelo) besingen Tangosänger seit rund 80 Jahren den Stadtteil La Boca in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, durch den der Fluss fließt. Doch die reale Existenz des Flusses war lange stark gefährdet: Rund 5.000 Fabriken entlang des 64 Kilometer langen Flusslaufs verschmutzen den Riachuelo ununterbrochen mit Industrieabwässern.

Die Schadstoffbelastung ist noch immer so hoch, dass das Flussbecken aus einer Untersuchung der Schweizer Umweltstiftung Green Cross und des Blacksmith-Instituts aus den USA im Jahr 2013 als einer von zehn weltweit am stärksten verschmutzten Orte hervorgegangen ist. Wirtschaftliche und politische Interessen sorgen heute noch immer dafür, dass sich die geplante Sanierung des Flusses als schwieriger erweist als von vielen erhofft. Und so, wie es zwar nur zwei Menschen braucht, um einen Tango zu tanzen, aber mehr als nur ein Paar, um eine Milonga - eine Tangotanzveranstaltung - erfolgreich zu machen, braucht es auch die Anstrengung vieler Menschen, um die Sanierung des Riachuelo auf den richtigen Rhythmus einzustimmen.


Trübes Wasser, Gestank in der Luft

Der Riachuelo entspringt in der Provinz von Buenos Aires und erstreckt sich bis in den östlichen Stadtteil La Boca der argentinischen Hauptstadt, wo er schließlich im weit größeren Río de la Plata mündet. Durch einen Tango geehrt wurde er 1937 von Enrique Cadícamo und Juan Carlos Cobián. In "Niebla del riachuelo" heißt es, der Fluss sei ein trüber Hafen, der von Schiffen angesteuert werde, die den Anlegeplatz letztlich nie wieder verlassen. Und tatsächlich liegen noch heute die Wracks von Schiffen nahe der berühmten Brücke 'Nicolas Avellaneda', die aussehen, als seien sie eigentlich nur für kurze Dauer im Hafen eingelaufen, dann aber einfach vergessen worden.

Auch "trüb" ist eine Wortwahl, die noch heute gilt: Jenseits der Tango-Poesie, die in unzähligen Variationen von allen großen Orchestern aufgenommen wurde und heute noch auf den Bühnen von Buenos Aires wiedergegeben wird, wurden zwei Jahrhunderte lang nicht nur Industrieabwässer in den Riachuelo eingeleitet; auch für die Abwässer aus der Kanalisation hielt man den Riachuelo für einen guten Ort. Wer heute allerdings auf der Straße in La Boca tanzenden Tangopaaren zusehen will, kann dies bei ungünstigem Wind nur mit getrübter Freude: Der Fluss stinkt.

Bereits 2006 legte die argentinische Regierung einen umfassenden Sanierungsplan für das schwer verseuchte Flusssystem Matanza-Riachuelo vor. Damals wurde gemeinsam von Stadt und Provinz auch das Amt für das Matanza-Riachuelo-Becken (Acumar) gegründet. 2008 verpflichtete sogar der oberste Strafgerichtshof die Stadt Buenos Aires und die gleichnamige Provinz dazu, sich um eine Lösung zu bemühen. Doch viel passierte nicht. Ein wenig verbesserte sich die Situation des Riachuelo, nachdem 2011 schließlich der Plan zur umweltgerechten Sanierung des Flusses verabschiedet wurde.

"Heute gibt es hier keinen Nebel mehr", sagt Antolín Magallanes, stellvertretender Leiter von Acumar. "Der Gestank ist das eine - der Nebel war seinerseits ein sichtbares Zeichen der Wasserverschmutzung des Riachuelo. Heute müsste Cadícamo seinen Tango also anders betiteln."

Mehr als fünf Millionen Menschen leben im Matanza-Riachuelo-Becken, zehn Prozent von ihnen in prekären Stadtteilen. 35 Prozent der gesamten Flussbevölkerung haben kein fließendes Wasser im Haus und 55 Prozent sind an kein Abwassersystem angeschlossen.

Bild: © Fabiana Frayssinet /IPS

Das Matanza-Riachuelo-Becken ist wichtiger Industriestandort. Der Stadtteil La Boca, wo der Riachuelo in den Río de la Plata mündet, war einst wichtigster Hafen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet /IPS

Durch den Sanierungsplan sind bis heute rund 1.500 Tonnen Klärschlamm und anderer Schmutz aus dem Wasser geborgen worden. Auch das Ufer soll gesäubert werden. 1,5 Millionen Menschen wurden nach Verabschiedung des Plans ans Trinkwassersystem angeschlossen. Sanitäreinrichtungen sollen folgen. Entlang des Flusslaufs hat Acumar außerdem für die Einrichtung von 14 Gesundheitszentren gesorgt.


Sanierung soll bis 2025 abgeschlossen sein

"Was bisher getan wurde, war dringend notwendig", heißt es seitens der Stiftung für Umwelt und natürliche Ressourcen (FARN). "Aber es ist ziemlich wenig im Vergleich zu dem, was noch alles getan werden muss." Geld dafür gibt es auch von internationalen Gebern: Die Weltbank hat Argentinien im Jahr 2009 einen Kredit über 840 Millionen US-Dollar für die Rettung des Riachuelo eingeräumt. Damit ging die Forderung einher, den Fluss bis 2025 komplett saniert zu haben.

Die Regierung gab für das Vorhaben 644 Millionen Dollar dazu. Aus dem Gesamtpaket sollen 694 Millionen Dollar für die Wasserinfrastruktur, die Kanalisation, Kläranlagen und Pumpstationen ausgegeben werden und weitere 148 Millionen Dollar unter anderen für eine Modernisierung der an den Flussufern ansässigen Fabriken.

Einige Fabriken haben das bereits getan, andere wurden komplett abgewickelt. Das schafft natürlich neue Spannungen: "Das Matanza-Riachuelo-Becken ist der Inbegriff der Industriellen Revolution in Argentinien", sagt Magallanes. Auch während der Wirtschaftskrise 2001 mussten Fabriken schließen. Das hat ein Trauma in der Wirtschaft hinterlassen. "Es dauert, bis die Fabrikbesitzer auch ein ökologisch sensibles Gewissen erlangen."

Nach Untersuchungen von Greenpeace, die die Umweltorganisation im Juni dieses Jahres veröffentlichte, hat sich trotz aller Maßnahmen die Wasserqualität nicht verbessert. 0,5 Milligramm Sauerstoff sei pro Liter Wasser vorzufinden; 5 Milligramm sind notwendig, damit sich Leben im Wasser entwickeln kann. (Ende/IPS/jt/2014)


Link:

http://www.acumar.gov.ar/Informes/Control/CalAmb/Abril2011/Abril2011_link.pdf
http://farn.org.ar/
http://www.ipsnews.de/news/news.php?key1=2009-06-26%2011:27:35&key2=1
http://www.ipsnews.de/news/news.php?key1=2006-09-01%2010:09:24&key2=1
http://www.ipsnoticias.net/2014/08/sanear-el-riachuelo-argentino-un-tango-para-bailar-mas-de-dos/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2014