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LATEINAMERIKA/207: Feuer in Amazonien - Eine Ursachenforschung (ARA Magazin)


ARA Magazin 25, 2019/20 - Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.

Feuer in Amazonien

Eine Ursachenforschung


Seit Brasiliens rechtsgerichteter Präsident Jair Balsonaro Amazonien zur "Entwicklung" freigegeben hat, ist die Zahl der Brände wieder deutlich angestiegen. Als der Leiter des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (INNE) im August dieses Jahres die neuesten Zahlen zur Entwaldung vorstellte, wurde er vom Präsidenten der Lüge bezichtigt und entlassen.

Was derzeit in Brasilien geschieht, hat der langjährige Leiter des Brasilienbüros der Heinrich Böll Stiftung, Thomas Fatheuer, in einer aktuellen Studie beschrieben.


Die Dynamik der Entwaldung wird seit langem erforscht, und die wichtigsten Tendenzen sind gut dokumentiert. Weltweit sind es vier große Faktoren: Vieh, Soja, Palmöl und Holz. Im brasilianischen Teil Amazoniens sind es vor allem die ersten beiden.

Durch Satellitenbilder ist gut nachvollziehbar, was auf den entwaldeten Flächen geschieht: Auf mehr als 60 Prozent entstehen Viehweiden. Die mit Entwaldung verbundene Ausdehnung der Viehwirtschaft in Amazonien hat in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren stattgefunden. Zwischen 1985 und 2005 wuchs die Zahl der Rinder von 15 auf 74 Millionen. Seitdem lässt sich eine Konsolidierung auf relativ hohem Niveau feststellen. 2016 waren es etwa 80 Millionen Rinder in Amazonien und um die 210 Millionen in ganz Brasilien.

Soja spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Dynamik der Entwaldung. Oft ist es nicht die direkte Ursache der Entwaldung, denn ein großer Teil der Ausweitung der Sojaflächen vollzieht sich auf bereits abgeholzten Rinderweiden. Doch da die Zahl der Rinder nicht sinkt, verlagert sich die Viehzucht in die neuen Rodungsgebiete.

Die Expansion des Sojaanbaus konzentriert sich stark auf den Bundesstaat Mato Grosso. Hier wuchs die Anbaufläche von 1,2 Mio. Hektar im Jahre 1991 auf 9,5 Mio. Hektar im Jahre 2018.

Wer steckt hinter der Entwaldung?

Eine Antwort bei der Suche nach den Ursachen ist so banal wie folgenreich: weil sich die Umwandlung ökonomisch lohnt. Diese Aussage ist nicht so trivial, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Landwirtschaft in Amazonien wurde lange als unmöglich oder zumindest unrentabel eingestuft. Offensichtlich wurden vorhandene Potentiale dabei unterschätzt oder missachtet. Der Sojaanbau hat sich insbesondere in Mato Grosso mit staatlicher Unterstützung zu einer hochtechnisierten und modernen Landwirtschaft entwickelt, die ähnliche Hektarerträge erzielt wie die US-Landwirtschaft.

Damit hat sich auch eine neue Machtelite innerhalb des Agrobusiness etabliert. Der ehemalige Gouverneur von Mato Grosso und größte Sojaproduzent des Landes, Blairo Maggi, wurde zu einem wichtigen Unterstützer der Regierung Lula, Landwirtschaftsminister unter Präsident Temer und zu einem der exponiertesten und international vernetzten Vertreter des brasilianischen Agrobusiness.

Auch die brasilianischen Fleischerzeuger haben in den letzten Jahrzehnten eine atemberaubende Modernisierung vollzogen. Der Schlachthauskonzern JBS Friboi stieg zum größten Fleischverarbeiter der Welt auf, wurde zum wichtigsten Finanzier der Wahlkämpfe in Brasilien und steht seit 2017 im Mittelpunkt der Korruptionsskandale, die das Land erschüttern.

Erst Rinder, dann Soja

Allerdings war die Modernisierung im Agrarsektor nur partiell. Viehzucht ist weiterhin eingebunden in die Logik der Ausweitung der Agrargrenze. Um Entwaldung lohnend zu machen, muss Viehzucht offensichtlich nicht sehr produktiv sein. Denn nach wie vor bedeutet die Anlage von Viehweiden auf ehemals bewaldeten Flächen eine Wertsteigerung des Landbesitzes.

Die Aneignung von Land ist zu einem großen Teil illegal - entweder, weil der Erwerb von Land nicht auf legalen Landtiteln beruht, oder weil Landbesitzer nicht die strengen Umweltauflagen beachten: Im Biom Amazonas dürfen Landbesitzer nur 20 Prozent des Waldes abholzen. Die fehlende Durchsetzung rechtsstaatlicher Normen und umweltpolitischer Auflagen im Hinblick auf die Nutzung der Landflächen ist damit auch eine bedeutende Ursache für das Voranschreiten der Entwaldung. Kurz gesagt: Fehlende Kontrolle, mangelndes Funktionieren des Rechtsstaates und (falsche) ökonomische Anreize gelten gemeinhin als entscheidende Ursachen der Entwaldung und sind daher Ansatzpunkte für politische Strategien zur Verminderung der Entwaldung.


Nach Zahlen des brasilianischen Weltrauminstituts INPE sind von August 2018 bis Ende Juli 2019 insgesamt 9762 m² Wald zerstört worden. Ein Anstieg von 30% gegenüber Vorjahr. - Grafikquelle: © ARA Magazin 25, 2019/20

Grafikquelle: © ARA Magazin 25, 2019/20


Brasilien reduziert Entwaldung - eine Erfolgsgeschichte

Im Jahr 2009 betrug die Entwaldung nur 7.500 km² um sich dann in den folgenden Jahren bei einer Größe zwischen 5.000 und 8.000 km² einzupendeln. Zwischen 2004 und 2011 betrug der Rückgang der Entwaldung in Amazonien 77,5 Prozent. Wie konnte es zu diesen eindrucksvollen Zahlen kommen?

Alle Studien- und Untersuchungen gehen davon aus, dass es eine Kombination verschiedener Maßnahmen war. Entscheidende Elemente waren die Ausweisung neuer Schutzgebiete, die verstärkte Kontrolle gegen illegale Abholzungen, die Verhängung hoher Strafen und die Mobilisierung der Zivilgesellschaft.

So ermittelten Umweltbehörden und Justiz im Bundesstaat Para gegen 20 Großgrundbesitzer und 11 Schlachthöfe, die von diesen Fazendas beliefert wurden. Dies führte zu Strafen in Höhe von etwa 700 Millionen Euro für illegale Abholzung. Lebensmittelkonzerne und Supermarktketten kappten daraufhin ihre Geschäftsbeziehungen zu den betroffenen Betrieben.

Die Schutzgebiete wurden zwischen 2002 und 2010 um 695.363 km² erweitert, die meisten davon liegen in Amazonien und respektieren die wirtschaftlichen Aktivitäten der traditionellen Bevölkerung. Auch die Konzentration auf Kommunen mit besonders hohen Entwaldungsraten erwies sich als erfolgreich.

Keine Entwarnung: Entwaldung steigt wieder

2012 lag die Entwaldung bei unter 5.000 km². Seither schwankten die Werte zwischen 5.000 und 8.000 km² mit aktuell deutlicher Tendenz nach oben. Ein entscheidender Faktor ist offensichtlich die Verabschiedung des Waldgesetzes im Jahre 2012, dem ein langes Ringen zwischen Umweltgruppen und dem Agrobusiness vorangegangen war.

Ein wichtiger Erfolg der Umweltlobby war die Beibehaltung der 80-Prozent-Klausel für Amazonien: Landbesitzer dürfen hier nur 20 Prozent ihrer Fläche abholzen. Der Erfolg der Agarlobby lag in der Flexibilisierung vieler Regeln und vor allem in der Amnestie für alle Entwaldungen bis 2008. Sie schuf ein neues Schlupfloch für die Legalisierung illegaler Rodungen, indem diese als "bis 2008" registriert werden.

Außerdem sind durch verschiedene Gesetzesinitiativen Flächen von Schutzgebieten vermindert und das Budget der brasilianischen Umweltschutzbehörde IBAMA drastisch reduziert werden. So schrumpften die Mittel für die Kontrolle der Entwaldung in Amazonien zwischen 2013 und 2016 von 121 Millionen auf 65 Millionen Reais. Die Zahl der Kontrolleure verminderte sich im selben Zeitraum um 30 Prozent. Damit wurden die beiden zentralen Elemente wirkungslos, die die Reduzierung der Entwaldung möglich gemacht haben: die Einrichtung und Konsolidierung von Schutzgebieten sowie eine effektive Kontrolle illegaler Entwaldung.

Der Sojaboom geht weiter

2018 lag die brasilianische Sojaproduktion mit 117 Millionen Tonnen nur knapp hinter der des Weltmarktführers USA. Mehr als 80 Millionen Tonnen wurden exportiert, der größte Teil davon nach China; In die EU gelangten etwa 15 Prozent der Exporte.

Ein weiterer Ausbau des Sektors ist geplant, stößt derzeit aber auf logistische Probleme. Nach wie vor wird der größte Teil des Sojas mit LKWs von Mato Grosso zu den über 2.000 Kilometer entfernten Häfen von Santos und Paranaguá transportiert. Um die Häfen im Norden zu erreichen, ist nun eine 933 km lange Eisenbahnstrecke geplant," die die Sojaanbaugebiete in Mato Grosso mit Häfen am Rio Tapajós verbinden soll.

Alles deutet darauf hin, dass das unter dem Namen Ferrogrão bekannte Projekt auch für die Regierung Bolsonaro Priorität hat. Der Minister für Infrastruktur, Tarcisio Freitas, hat den Bau der Eisenbahnlinie als Bedingung für die Steigerung des Sojaanbaus um 71 Prozent (!) in der Region benannt und eine "Revolution für das Agrobusiness" mittels der Eisenbahnlinie versprochen.

Das rohstoffbasierte und exportorientierte Entwicklungsmodell Amazoniens erscheint aus der Sicht des Mainstreams der brasilianischen Politik durchaus als Erfolgsmodell. Die Profite aus der Entwicklung von großflächiger Landwirtschaft, von Viehzucht und Bergbau sind die treibenden Faktoren, verbunden mit der Möglichkeit, große Flächen von Land anzueignen und zu entwalden.

Der Widerstand wächst

Die Menschen der Region, indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften und Kleinproduzenten, aber auch die Bevölkerung der kleineren Städte sind nicht Ziel und kaum Nutznießer der Entwicklung. Vielfach werden sie als "Entwicklungshindernis" wahrgenommen.

Darin liegt aber auch eine Chance: Indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften sowie Kleinbauern und andere soziale Gruppen sind nicht mehr nur das Opfer von Entwicklung - sie leisten Widerstand und sind Teil des Kampfes um das Entwicklungsmodell in Amazonien geworden. Sie brauchen unsere Unterstützung.


Die lesenswerte Studie "Amazonien heute - Eine Region zwischen Entwicklung, Zerstörung und Klimaschutz" (64 Seiten) ist hier erhältlich:
https://www.boell.de/de/2019/09/02/amazonien-heute

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Quelle:
ARA Magazin 25, 2019/20, Seite 8 - 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2020

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