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MEER/024: Indien - Schlechte Karten für Meeresbewohner, Militärs verwüsten ihre Lebensräume (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. April 2011

Umwelt: Schlechte Karten für Meeresbewohner - Militärs verwüsten ihre Lebensräume

Von Malini Shankar


Bangalore, 18. April (IPS) - In Indien nehmen Ökologen Strategen der Kriegsmarine ins Visier. Sie werfen ihnen vor, regelmäßig Schießübungen und Raketentests ohne Rücksicht auf sensible, artenreiche Küstengebiete und Brutplätze von Meeresschildkröten durchzuführen und einzigartige Lebensräume der einheimischen Fauna und Flora zu zerstören.

So etwa finden auf Weisung der staatlichen Organisation für Rüstungsforschung und -entwicklung (DRDO) im östlichen Bundesstaat Orissa im Golf von Bengalen mitten in dem unter Naturschutz stehenden Brutgebiet der vom Aussterben bedrohten Oliv-Bastardschildkröte (Lepidocheleys olivacea) Raketentests statt.

"Während der Brutzeit, wenn die Schildkröten zur Eiablage an Land gehen, sind Raketentests verboten", stellte der Aktivist Biswajit Mohanty von der 'Wildlife Society von Orissa' fest. "Doch DRDO kümmert sich nicht darum, obgleich das Forstministerium regelmäßig dagegen protestiert."

Erst kürzlich schlugen verirrte Raketen in der maritimen Schutzzone von Gahirmatha auf Nasi Island ein und zerstörten ein Brutgebiet von Oliv-Bastardschildkröten. "Die DRDO-Tests sorgen verstärkt dafür, dass die Meeresschildkröten dieses einzigartige Naturerbe verlassen, zumal ihr frisch geschlüpfter Nachwuchs durch Lärm und Flammen der Raketen irritiert wird und den Rückweg zurück ins Meer nicht findet", sagte Mohanty IPS.

Das sieht man bei DRDO anders. Dort versicherte man IPS: "Mit Rücksicht auf die Ökosysteme werden die Tests so geplant, dass sie bei Fauna und Flora keinen Schaden anrichten." Der Raketenflug über die Gelege der Meeresschildkröten dauere nicht einmal eine Minute und schade ihnen nicht.


Taucherparadies Netrani unter Beschuss

Auch an Indiens Westküste, im Arabischen Meer, beklagen Umweltschützer den rücksichtslosen Umgang der Militärs mit einem besonders artenreichen maritimen Biotop. Ein Felsen in der Nähe der unbewohnten Koralleninsel Netrani ('Pidgeon Island'), einem Paradies für Sporttaucher und Schnorchler, dient der indischen Kriegsmarine als Zielgebiet für Schießübungen.

"Viele der hier heimischen Meeresbewohner stehen auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) und rangieren im Indischen Naturschutzgesetz ganz vorn", berichtete der Meeresbiologe V. N. Nayak von der Karnatak-Universität in Karwar. "Netrani liegt innerhalb der Fischereizone und unterliegt dem Küstenschutz in Zone 4. Doch die hier massenhaft abgefeuerten Geschosse, Bomben, Raketen und Torpedos töten Fische und Korallen und gefährden den Fortbestand des gesamten Ökosystems."

Hier leben verschiedene Hai- und Walarten, Delphine, Stachelrochen und Korallenfische, Meeresschildkröten, Riesenmuscheln, Seeschlangen, Krustentiere und, einzig außerhalb der Nikobaren, Mauersegler, deren Nester in der asiatischen Küche als Leckerbissen geschätzt werden.

Ein nackter Fels in der Nähe von Netrani-Island diene seit sechs Jahrzehnten als Zielgebiet für Schießmanöver, teilte Indiens Kriegsmarine IPS mit. "Dies ist unumgänglich, damit die indischen Streitkräfte nach den terroristischen Angriffen auf Mumbai (2008) schlagkräftig bleiben." Die für den Erhalt der Biodiversität zuständige Behörde von Karnataka habe dies eingesehen und auf Pläne verzichtet, Netrani Island zu einem Park der Artenvielfalt zu erklären.


Brisante Hinterlassenschaften

Doch nicht nur in indischen Gewässern droht der Fauna und Flora Gefahr durch militärische Manöver und den Schrott, den sie hinterlassen. Kriege mit ihren Luft- und Seeschlachten haben weltweit Teile des Meeresbodens zu einem ökologischen Mienenfeld gemacht. Angesichts der jüngsten Naturkatastrophen in Japan warnen Experten, dass Tsunamis oder schwere Erd- und Seebeben diese brisanten Hinterlassenschaften wieder in Bewegung setzen und bis an die Küsten schwemmen könnten.

"Vor der Küste der japanischen Präfektur von Chiba in Choshi Bay liegen in nur 200 Meter Tiefe tonnenweise konventionelle und chemische Waffen", berichtete Ryo Sato, Meeresbiologe bei 'Global Green', einer zur Nichtregierungsorganisation 'Green Cross International' gehörenden zivilen US-Gruppe.

Auf der 5. internationalen Konferenz über die Beseitigung von Abfällen im Meer (IMDC), die im März in Honolulu auf Hawaii stattfand, berichtete Paul Walker, der Direktor von 'Global Green': "Die US-Armee hat vor Hawaii mehr als 8.800 Tonnen chemischer Waffen versenkt."

Zwischen 1946 und 1965 wurden die Weltmeere mit rund 300.000 Tonnen chemischer Munition verseucht. In US-Gewässern dümpeln bis zu 400.000 mit Gas gefüllte Bomben und Raketen. Die Ostsee ist mit 40.000 Tonnen konventioneller Waffen belastet, in australischen Gewässern treiben 21.000 Tonnen konventionelle Munition und weitere 6.600 Tonnen vor Japans Küsten. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.drdo.nic.in/
http://www.5imdc.org/
http://www.globalgreen.org/
http://www.greencrossinternational.net/
http://www.wwf.org
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55259

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. April 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2011