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MEER/225: Schutz für die Hohe See - Ein Abkommen für die letzte Allmende Ozeane (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2016

Schutz für die Hohe See
Ein Abkommen für die letzte Allmende Ozeane

von Dr. Onno Groß


Zwei Drittel der Erde ist mit Meeren bedeckt. Sie liefern der Menschheit den zum Leben wichtigen Sauerstoff, sind Nahrungsquelle für Milliarden Menschen und funktionieren im Klimawandel als Wärmespeicher und Senke für CO2. Trotz ihrer Größe bedrohen wirtschaftliche Aktivitäten jedoch zunehmend die biologische Vielfalt und Funktionalität der Ozeane. Vor allem außerhalb nationaler Hoheitsgebiete sind die Lebensräume nicht geschützt. Daher feilt der internationale Meeresschutz an einem neuen Instrument, einem Schutzabkommen für die Hohe See. Nach dem ersten Treffen bleiben viele Fragen politisch offen.

Unser blauer Planet ist ein Planet des Wassers. 97 Prozent davon beherbergen die Meere mit einem Volumen von 1,3 Milliarden Kubikkilometern. Diese unvorstellbare Größe schmilzt jedoch angesichts einer mit 7 Milliarden Menschen bevölkerten Erde: Dann bleibt rechnerisch auf jeden Menschen nur ein Fünftel Kubikkilometer Weltmeer übrig. Und dieser Teil soll jeden Einzelnen mit dem überlebenswichtigen Sauerstoff, mit Nahrung, Rohstoffen und Klimaleistungen versorgen. Für das 21. Jahrhundert gilt es daher, diese letzte Allmende - die Meere als Kollektivgut der Menschheit - dringend zu bewahren.

Die Hohe See, die Region außerhalb nationaler Hoheitsgewässer, hat wie der Mond oder die Antarktis keinen Besitzer. So zumindest sieht es das Internationale Seerechtsübereinkommen, die "Verfassung der Meere", seit dem Inkrafttreten 1994 vor. Allerdings konnte dieses damals in 9 Jahren erarbeitete Völkerrecht nicht die Verantwortung für alle Ressourcen und den Schutz der Meere definieren. Einzig für die mineralischen Ressourcen wurde mit der Einrichtung der Meeresbodenbergbaubehörde ein Instrument geschaffen. Und für die Abgrenzung der Staatsgebiete soll eine umstrittene wissenschaftliche Festlandsockelgrenzkommission sorgen. Aber sogar wenn Küstenstaaten im Kolonialstil ihre Grenzen unter Wasser weit in die Meere verlagern, bleiben noch etwa 45 Prozent der Fläche Niemandsland. Dieser Teil des Weltmeers gehört allen und muss von allen Staaten gemeinsam verwaltet werden. Doch völkerrechtlich gesehen fehlt dazu eine Vorgabe.

Erst nach der Rio+10-Konferenz 2002 gründete sich eine Arbeitsgruppe, um Instrumente für den Schutz der biologischen Vielfalt auf der Hohen See voranzubringen. Nach zehnjähriger Beratung und weiterem öffentlichen Druck beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen 2015 den Startschuss für die Erarbeitung eines Durchführungsübereinkommens zur "Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Meeresvielfalt in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit". Im April 2016 trafen sich 83 Staaten in New York und diskutierten in einem Vorbereitungstreffen (PrepCom1) die ersten Schritte.

Erster Abgleich von Grundsatzfragen

Die PrepCom1 war naturgemäß geprägt von allgemeinen, nationalen Statements und bemühte sich, die vorher verhandelten Grundsätze nicht anzufechten. Allerdings zeigte sich erneut, wie viele komplexe Fragestellungen solch ein internationales Regelwerk beantworten muss. Das fängt bei der Diskussion um Begriffe an und geht über die Einbeziehung der Fischerei, die Einbindung von bisher existierenden Rechtsinstrumenten oder die gerechte Einbeziehung der Entwicklungsländer weiter. Der Zugang zu marin-genetischen Ressourcen beispielsweise bedarf grundlegender Kompromisse, damit die verschiedenen Positionen zwischen den Ländern des Globalen Nordens und Südens auch einbezogen werden. Der Markt von biotechnologischen Produkten wie Pharmazeutika, Kosmetik, Genpatenten usw. aus den Weltmeeren soll im Jahr 2018 auf bis zu 5 Milliarden Dollar wachsen und muss daher gerecht auf alle Länder aufgeteilt werden. Die Industrienationen, vor allem die USA oder Japan, betonen aber, dass die grundlegende Idee der Freiheit der Hohen See gilt und sie das Recht haben, diese Ressourcen zu "ernten". Andere Staaten, vor allem die G77 (Gruppe der 77), wollen den Gedanken des Welterbes im Vordergrund sehen. Eine Lösung wäre die Übernahme von Regeln anderer Konventionen wie aus dem Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Landwirtschaft und Ernährung oder aus dem Nagoya-Protokoll der Biodiversitätskonvention (CBD).

Erhalt durch Schutzgebiete

Derzeit sind noch weniger als 2 Prozent der Weltmeere geschützt und weniger als 1 Prozent der Ozeane für den Fischfang geschlossen. Andererseits findet überall die Industrialisierung des Meeresraums statt. Und ob der Meeresbergbau nach Phosphat, Diamanten oder Sand und Kies, die Öl- und Gasförderung oder die Schifffahrt, bei allen gilt: Alle Nutzungen dringen weiter in die internationalen Gewässer vor und hinterlassen kumulative Schadeffekte für die Meeresbewohner. Ein neues internationales Abkommen muss daher Verfahren zur Identifizierung, Verwaltung und Überwachung der empfindlichen Ökosysteme in der Tiefsee schaffen. Sogenannte gebietsbezogene Managementmaßnahmen"Area Based Management Tools" für den Erhalt wichtiger Schutzziele, Meeresschutzgebiete und eine Meeresraumplanung, so das Mandat der Tagung, müssen die Lösung gegen die Zerstörung heißen.

Doch auch hier ergeben sich wieder zahlreiche Detailfragen: Was ist, wenn ein Schutzgebiet in einem erst später durch die Festlandsockelkommission zugewiesenem Staatsgebiet liegen wird? Was sind die notwendigen Instrumente für die Überwachung der Meeresparks und wer soll zuständig sein? Ganz zu schweigen von den Fischereistaaten wie Russland oder Korea, die eine Nullnutzung der Fischressourcen gar nicht erst enthalten haben möchten. Auch hier hält das Umweltrecht in den letzten Jahrzehnten Instrumente bereit, die auf die Meere übertragen werden können, z. B. die Diskussionen über die ökologisch oder biologisch bedeutsamen Meeresgebiete (Ecological or Biological Significant Areas - EBSAs), der Konvention zur biologischen Vielfalt (Convention on Biological Diversity - CBD), die VMEs (Vulnerable Marine Ecosystems - empfindliche marine Ökosysteme), der Richtlinie zur Tiefseefischerei der Welternährungsorganisation (FAO) oder die "Nullnutzungszonen" beim Meeresbergbau.

Schutzgebiete sind wirksam. Daneben gilt es, die maritimen Aktivitäten im Vorfeld durch Umweltverträglichkeitsprüfungen auf ihre Auswirkungen hin abzuklopfen. Jeder menschliche Eingriff muss vorher kalkuliert werden, ein wissenschaftliches Monitoring erfolgen und hohe Standards gesetzt werden. Eine strategische Folgeabschätzung ist generell wichtig, da in Zukunft noch weitere unbekannte Nutzungen wie das Geo-Engineering, also technische Maßnahmen beim Klimaschutz, oder die Aquakultur auf die offenen Ozeane zukommen könnten. Auch hier gilt es, die Querverbindungen zur CBD und die Menge an Vorarbeiten weiter zu sortieren. Abgesehen von einigen Saaten, die vor zu viel Bürokratie warnen, folgen die meisten Staaten diesem Vorgehen. Hier hat die Wissenschaft einen großen Einfluss und für die G77-Gruppe könnte eine eigene Behörde zur Bündelung der Daten in Frage kommen.

Partizipation und Ausgleich

Der Meeresboden und die mineralischen Ressourcen sind das gemeinsame Erbe der Menschheit. Im Annex XI des Seerechtsübereinkommens SRÜ wurde mit der Meeresbergbaubehörde ein Instrument zur fairen Verteilung der Vorteile für die mineralischen Güter geschaffen. Im Falle der Exploration und eines Abbaus soll es zum Austausch an Wissen kommen und die Saaten sind verpflichtet, Daten zu teilen und WissenschaftlerInnen bei ihren Explorationsfahrten zu den Rohstoffgebieten mitzunehmen. Dies könnte ein Modell sein für das Kapitel der Beteiligung der Entwicklungsländer und wurde in New York dementsprechend gewürdigt. Auch hier gilt es den Anteil der Mitbeteiligung zukünftig zu sichern und den Technologietransfer ausgewogen zu vertreten. Gerade der letzte Punkt war für die Entwicklungsländer wichtig, um auf die Dringlichkeit gerechter Verteilung hinzuweisen. Denn solange das ökonomische Ungleichgewicht vorhanden bleibt, so die Befürchtung, spiegelt sich das auch in der zukünftigen Ausformulierung des Abkommens wieder.

Die Prepcom1 wurde im Fazit für seine Sachlichkeit hochgelobt. Der Stein sei endlich ins Rollen gekommen. Der Vorsitzende des Vorbereitungskomitees und UN-Gesandte (UN - United Nations - Vereinte Nationen) des karibischen Inselstaates Trinidad und Tobago, Eden Charles, versicherte, das neue Abkommen werde die existierenden Regelwerke zu Fischerei und Bergbau nicht unterminieren, sondern erweitern. Auch die hart erkämpfte Beteiligung der Nichtregierungsorganisationen wurde positiv erlebt. Nun bleibt es abzuwarten, wie viel Mut sich im Fortschrittsbericht bis zum Ende 2017 und welche Ideen in der Ministerkonferenz wiederfinden lassen. Deutschland ist seit Langem eng an der Ausgestaltung interessiert und hat auch durch die G7-Erklärungen (G7 - Gruppe der 7) die Meeresschutzpolitik gestärkt. Mit der winzig kleinen Meeresbodenbehörde existiert zwar bereits eine Art Institution, aber nur für alle "festen, flüssigen oder gasförmigen mineralische Ressourcen in situ". Die Rechtslücken zum Schutz hinsichtlich der Millionen biologischer Arten und Ökosysteme gilt es besser zu schließen. Angesichts der Bedeutung der Meere für das Überleben der Menschheit kann nur eine große UN-Ozeanbehörde die angemessene Antwort sein.

Der Autor ist Vorsitzender der Meeresschutzorganisation Deepwave.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Das Ökosystem Meer ist höchst empfindlich


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2016, Seite 33-34
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2016

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