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PROJEKT/058: Indien - Katastrophenschutzstudium am "Zyklon-College" (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2014

Indien:
Katastrophenschutzstudium am 'Zyklon-College' - Kinder von Fischern profitieren

von Stella Paul


Bild: © Stella Paul/IPS

Zwei Fischerinnen am Strand des südindischen Küstendorfes Nemmeli
Bild: © Stella Paul/IPS

Nemmeli, Indien, 23. Dezember (IPS) - Auch nach einem Jahrzehnt erinnert sich der Fischer Raghu Raja aus dem südindischen Küstendorf Nemmeli noch haargenau an den Tag, als er dem verheerenden Tsunami entkam. An dem ruhigen Morgen des 26. Dezember sah er eine Wand aus Wasser wie in Zeitlupe auf sich zukommen. In Panik rannte Raja, damals noch ein Teenager, zu dem nahegelegenen zweistöckigen Gebäude, das bei Wirbelstürmen Schutz bieten soll. Von dort aus beobachtete er fassungslos, wie die Wogen sein Dorf unter sich begruben.

"Ich wusste damals nicht, was mit dem Meer los war", sagt der 27-Jährige heute. Später erfuhr er, dass die Katastrophe durch ein Seebeben ausgelöst worden war. Dieses Wort hatten die rund 4.300 Einwohner der Ortschaft Nemmeli bis dahin noch nie gehört. Alle Häuser in Küstennähe wurden durch die Riesenwelle zerstört. Allein in Rajas Nachbarschaft waren es 141.

Seit 2011 ist in dem Schutzgebäude, das Raja das Leben rettete, ein staatliches Bildungszentrum untergebracht, an dem das notwendige Wissen über Naturkatastrophen und Schutzmaßnahmen vermittelt wird. Eines der vordringlichsten Ziele der Einrichtung besteht darin, den jungen Leuten Wege aufzuzeigen, wie sie die Küstenregionen resilient gegen Naturkatastrophen machen können. In Zusammenarbeit mit der Universität von Madras bietet das Zentrum Collegeabschlüsse in Wirtschaft, Naturwissenschaften und Katastrophenschutz an.

Raja, der inzwischen verheiratet und Vater zweier Kinder ist, brach die Schule nach der zehnten Klasse ab. Nun wünscht er sich, dass sein Nachwuchs einmal dieses College besuchen kann, wie dies zwei Kinder seines Fischerkollegen Varadaraj Madhavan tun. Dessen 22-jährige Tochter Vijaya Lakshmi hat an dem 'Zyklon-College' bereits ihren Abschluss gemacht und der 18-jährige Sohn Dilli Ganesh wird im nächsten Jahr seine Prüfungen ablegen.


Auf Katastrophen gefasst sein

Während der drei Studienjahre beschäftigte sich Lakshmi mit Englisch, Computeranwendungen und Katastrophenmanagement. Zu ihren wichtigsten Arbeiten gehörte die Erstellung einer Risikokarte. Die Landkarte, die die Studentin nach einer intensiven Untersuchung des Dorfes, der Küstengebiete und Bodenstruktur angefertigt hatte, zeigt, wo die Schwachstellen liegen.

"Das ist der Status in Echtzeit", sagt Ignatius Prabhakar von der Hilfsorganisation 'SEEDS India', die Dorfgemeinschaften auf den Umgang mit Naturkatastrophen vorbereitet. "Mit verschiedenen Farben werden unterschiedliche Typen von Stürmen und Gefahrenstufen markiert", erklärt er. Die Karte, die alle drei Monate auf den neuesten Stand gebracht wird, soll die Bevölkerung mit den Risiken vertraut machen.

Nemmeli besteht aus sieben Ortsteilen. An jedem einzelnen Eingang ist eine Risikokarte angebracht. Für Lakshmi war das Projekt, das sie zusammen mit angehenden Ingenieuren entwickelt und durchgeführt hat, eine wertvolle Erfahrung. "Ich habe viel über unser Dorf und die Umgebung gelernt. Unter anderem habe ich erfahren, wie der Verlust von Sanddünen und wilde Müllhalden die Überschwemmungsgefahr erhöhen. Und ich weiß nun, wie man sich im Katastrophenfall verhalten muss und Evakuierungen durchführt", sagt die junge Frau, die auch Mitglied einer Bürgerallianz für Katastrophenschutz ist.

Wie der College-Gründer Ramaswamy Krishnamurty, Professor an der Universität von Madras, berichtet, war die Einrichtung des Zentrums ein hartes Stück Arbeit. Ab 2011 sollte das College den Betrieb aufnehmen, so hatte es die Regierung des Bundesstaates beschlossen. Doch im Sommer des gleichen Jahres waren weder das Gebäude noch das dafür erforderliche Baugrundstück vorhanden. Nach intensiver Lobbyarbeit wurde Krishnamurty schließlich das Katastrophenschutzgebäude zugewiesen.

Der nächste große Schritt bestand darin, die Bewohner der Dörfer davon zu überzeugen, ihre Kinder dorthin zu schicken. "Um Studenten anzuwerben, mieteten wir eine motorisierte Rikscha und befestigten einen Lautsprecher auf dem Dach", erinnert sich Krishnamurty, bis vor kurzem der College-Direktor. Im ersten Jahr schrieben sich 60 junge Leute ein. Inzwischen studieren hier 411 Frauen und Männer.

Die 23-jährige Sukanya Manikyam gehörte zu den Studierenden der ersten Stunde. Sie hat kürzlich ihren Abschluss gemacht und will sich nun weiter spezialisieren. "Später möchte ich an der Hochschule unterrichten", sagt sie.


Gefahr durch Bodenerosion

Laut Krishnamurty schreitet die Bodenerosion seit dem Tsunami 2004 erheblich voran. Die Topografie des Meeresgrundes verändert sich, die Sanddünen verschwinden und die Häuser sinken in den Boden ein. Immer mehr Dorfbewohner verlieren ihr Dach über dem Kopf und müssen sich anderswo eine neue Bleibe suchen. "So ist es, wenn man zum Klimaflüchtling wird" erklärt er.

Die Fischerfamilien suchen nicht nur sichere Unterkünfte, sondern auch neue Möglichkeiten der Existenzsicherung. Das College hilft den Jüngeren dabei, sich eine Zukunft aufzubauen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:
http://www.ipsnews.net/2014/12/cyclone-college-raises-hopes-dreams-of-indias-vulnerable-fisherfolk/

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IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2014