Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


PROJEKT/061: Indien - "Grüne SIM-Karte" verhilft Bäuerinnen zu höheren Ernten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. März 2015

Indien: 'Grüne SIM-Karte' verhilft Bäuerinnen zu höheren Ernten

von Stella Paul


Bild: © Stella Paul/IPS

Mitglieder eines indischen Frauenkollektivs lesen auf dem Tablet aktuelle Wetterinformationen
Bild: © Stella Paul/IPS

Mahabubnagar, Indien, 6. März (IPS) - Jawadi Vimalamma ist mehr als zufrieden mit ihrem Mobiltelefon. Mit dem einfachen Gerät kann sie zwar nur Telefonate führen oder SMS senden und empfangen. Dennoch hat das Handy das Leben der 36-jährigen Bäuerin aus dem südindischen Bundesstaat Telangana von Grund auf verändert.

Vimalammas Gerät ist mit einer 'GreenSIM' ausgestattet, über die täglich Wetternachrichten, Gesundheitstipps und praktische landwirtschaftliche Hinweise eingehen. Vor drei Jahren wurde sie auf diese Weise mit den Vorzügen des Fruchtwechsels vertraut gemacht.

"Meine Einnahmen pro Saison haben sich seither von 5.000 auf 20.000 Rupien (von 80 auf 320 US-Dollar) erhöht", berichtet die Kleinbäuerin, die in dem 150 Kilometer von der regionalen Hauptstadt Hyderabad entfernten Dorf Janampet inzwischen Reis, Mais, Hirse und Erdnüsse anbaut, anstatt nur eine Nahrungspflanze anzubauen.


'Phablet' verändert den Alltag

In dem nahegelegenen Dorf Kommareddy Palli nutzt die Bäuerin Kongala Chandrakala die gleiche SIM-Card in einem 'phablet' genannten Gerät - eine preisgünstige Kombination aus Mobiltelefon und Tablet-Computer. Chandrakala hatte mit 15 Jahren die Schule abgebrochen und einen Mann geheiratet, der sie misshandelte. "Heute habe ich eine Farm und verdiene mein eigenes Geld", berichtet sie.

Vimalamma und Chandrakala sind Mitglieder des Frauenkollektivs 'Adarsh Mahila Samakhya' (AMS), das Kleinbäuerinnen unter die Arme greift, indem es ihnen Zugang zu modernen Technologien verschafft. Von den 8.000 Mitgliedern nutzen 2.000 die GreenSIM-Karte, die gemeinsam vom 'International Crop Research Institute for the Semi Arid Tropics' (ICRISAT) mit Sitz in Hyderabad, einer Bauernkooperative und dem großen Mobilfunkunternehmen 'Bharti Airtel' entwickelt wurde.

Das Projekt startete im Jahr 2002, als die Regierung ICRISAT darum bat, Bauern in Telangana in dürreresistentem Ackerbau fortzubilden. AMS wurde als Partner gewonnen und richtete in seinem Büro ein kleines Zentrum für experimentelle Technologien ein. Frauen konnten dort lernen, Mobiltelefone und Computer zu bedienen, um sich Informationen über den Klimawandel, den Stand des Grundwassers und effiziente Anbautechniken zu beschaffen.

Für den Wissenschaftler Dileep Kumar von ICRISAT ist die GreenSIM das weitaus beliebteste Hilfsmittel aus der Welt der Informationstechnologie. Täglich werden mehrere Bulletins mit aktuellen Marktpreisen, Wetterberichten und praktischen Tipps, unter anderem zur Verwendung von Düngemitteln, verschickt.


118,6 Millionen Bauern in Indien

Aus einem 2011 durchgeführten Zensus geht hervor, dass auf dem Subkontinent etwa 144,3 Millionen Landarbeiter leben, davon 118,6 Millionen Bauern. Sie stellen somit mehr als 30 Prozent der insgesamt rund 448 Millionen Erwerbstätigen Indiens. Ein großer Teil dieser Menschen muss mit umgerechnet einem bis zwei Dollar täglich auskommen, was dazu geführt hat, dass viele Bauern hoch verschuldet sind, da sie für den Kauf der notwendigen landwirtschaftlichen Geräte, teurer Pestizide und Düngemittel einen Kredit aufnehmen mussten.

Der Klimawandel, der zu extremen Wetterphänomenen und langen Dürren führt, macht den Bauern das Leben zusätzlich schwer. Zahlreiche Farmer bekommen die Folgen der Agrarkrise in Indien inzwischen bitter zu spüren.


Hohe Selbstmordrate unter Bauern

Hunderttausende Farmer haben keinen anderen Ausweg als den Freitod gesehen. Laut Erhebungen der nationalen Behörde für Kriminalstatistik NCRB haben sich seit 1995 270.940 Bauern das Leben genommen. Statistisch gesehen entspricht dies 45 Selbstmorden pro Tag.

Der Distrikt Mahbubnagar, wo AMS seine Basis unterhält, ist bekannt für häufige Dürren und hohe Selbstmordraten. Jährlich fallen dort nur etwa 550 Millimeter Regen, während der Mittelwert in ganz Indien bei 1.000 bis 1.250 Millimetern liegt. Seit 2013 haben sich in dem Distrikt etwa 150 Bauern das Leben genommen.

Die AMS-Vorsitzende Erkala Manamma ist überzeugt, dass die GreenSIM den Alltag ihrer Mitglieder verändert. Missernten seien dank der Informationen inzwischen besser zu bewältigen als noch vor zehn Jahren.

Der 50-jährige Gopi Balachandriya aus dem Dorf Rachala wartete im Dezember 2013 auf einen Tag, an dem die Sterne günstig standen, um seine Erdnüsse einzubringen. Nachdem ihn eine Nachricht auf seinem Mobiltelefon vor einem heranziehenden Sturm gewarnt hatte, zog er die Ernte vor. "Ich hätte sonst alles verloren", erklärt er.

Eine ähnliche Information half Mallagala Nirmala, den Nutzen nachhaltiger Düngemittel zu verstehen. Bei einem Besuch in dem AMS-Technologiezentrum lernte sie alles Wissenswerte über gesunde Böden und Nährstoffe, die die kostenlos über ICRISAT erhielt. Inzwischen arbeitet Nirmala auch für AMS.

Chandrakala, eine von 20 Bäuerinnen, die das 'phablet' benutzen, hat ihre Reisernte inzwischen von 55 auf 75 Kilo im Jahr gesteigert. Und wenn sie erfährt, dass der Grundwasserspiegel zu niedrig für eine gute Reisernte ist, pflanzt sie Gras an, das sie an einen nahegelegenen Milchbauernhof verkauft, der 2.000 Liter Milch am Tag produziert.


Niedrigere Versicherungsprämien dank neuer App

In dem nordindischen Bundesstaat Haryana, wo etwa 70 Prozent der 25 Millionen Einwohner von der Landwirtschaft leben, benutzen viele Bauern den so genannten 'GreenSeeker', ein mobiles Endgerät, das mittels Infrarotsensoren die Gesundheit bestimmter Agrarkulturen prüft.

2013 berichtete die Weltbank außerdem über ein Programm, das Versicherungsunternehmen durch eine mobile App ermöglicht, verlässliche Erntedaten zu sammeln. Dank dieser Informationen sind die Versicherungsprämien für die Farmer, die Regenfeldbau betreiben, gesunken. Bereits im ersten Jahr konnten etwa 400.000 Bauern in den Bundesstaaten Maharashtra und Rajasthan davon profitieren. (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/03/tech-savvy-women-farmers-find-success-with-sim-cards/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. März 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang