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PROJEKT/071: Sri Lanka - Menschen zu Mangrovenschützern, lokale Gemeinde übernimmt Vorbildfunktion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2015

Sri Lanka: Menschen zu Mangrovenschützern - Lokale Gemeinde übernimmt Vorbildfunktion

von Amantha Perera


Foto: © Amantha Perera/IPS

Junge Mangrovenbäume, die der Puttalam-Lagune wieder zu ihrer einstigen Pracht verhelfen sollen
Foto: © Amantha Perera/IPS

KALPITIYA, SRI LANKA (IPS) - Für die Mangrovenwälder Sri Lankas sind Feiertage und Ferien eine tödliche Gefahr. Immer dann, wenn Regierungsbeamte und Waldhüter abwesend sind, mehren sich die Übergriffe auf die für Mensch und Natur gleichermaßen wichtigen Ökosysteme.

Den Bewohnern der Halbinsel Kalpitiya im nordwestlichen Bezirk Puttalam ist das Problem hinreichend bekannt. Hier, im Einzugsgebiet der Puttalam-Lagune, steht der größte zusammenhängende Mangrovenwald Sri Lankas. Weitere, kleinere Mangrovenhaine umsäumen die Chilaw-Lagune 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Colombo. Landesweit nehmen diese Feuchtgebiete eine Gesamtfläche von 8.815 Hektar ein.

Seit Jahrhunderten schützen sie die Fischergemeinde vor Stürmen und hohen Wellen, während sich in ihrem unterirdischen Wurzelwerk die marinen Spezies reproduzieren. Die Menschen haben zudem nicht vergessen, dass sich die Mangroven bei dem verheerenden Asiatischen Tsunami im Jahr 2004 als die besten Schutzwälle herausgestellt hatten.

Für viele arme Familien im Westen Sri Lankas sind die Wasserriesen auch noch aus anderen Gründen wichtig. Sie liefern ihnen seit Generationen den Fisch und damit die Proteine, die sie brauchen und zahlreiche Nebenprodukte.


Hohe Einschlagraten

Doch wie überall auf der Welt sehen sich auch die Mangroven im heutigen Sri Lanka einer Vielzahl von Gefahren ausgesetzt. Dem UN-Entwicklungsprogramm (UNEP) zufolge werden die Bäume in einer atemberaubenden Geschwindigkeit gefällt. Die Entwaldungsrate ist drei bis fünf Mal höher als in anderen Wäldern. Eine schlechte Nachricht angesichts der Tatsache, dass die Mangrovenwälder wichtige Klimasenken sind, die pro Hektar 1.000 CO2 speichern können.

Mehr als ein Viertel der weltweiten Mangrovenwälder sind unwiederbringlich zerstört. Sie fielen der Aquakultur, Landwirtschaft, einer ungeplanten und wenig nachhaltigen Küstenentwicklung und einer Übernutzung der natürlichen Ressourcen zum Opfer. Auch an der Westküste Sri Lankas werden Mangroven gerodet - allerdings weniger schnell als in der Vergangenheit.


Foto: © Amantha Perera/IPS

Douglas Thisera, besser bekannt als 'Herr der Mangroven', widmet sich seit 25 Jahren der Wiederaufforstung und dem Schutz der Mangroven im Bezirk Puttalam im Nordwesten Sri Lankas
Foto: © Amantha Perera/IPS

Eine kleine Armee aus hochmotivierten Mangrovenschützern hat sich nämlich zum Ziel gesetzt, die Reißleine zu ziehen. Sie wird von Douglas Thisera angeführt, der in der Region vor allem als 'Meister der Mangroven' bekannt ist. Er leitet die Kleinfischereistiftung von Sri Lanka (Sudeesa) und bringt seine Tage meist damit zu, dass er jeden Winkel der Chilaw-Lagune nach möglichen Spuren der Zerstörung absucht. Er pflanzt und schützt seit 1992 die lokalen Mangroven, die er ebenso wie deren Feinde wie seine Westentasche kennt.

"Urplötzlich bewegte sich die Erde, als schwere Maschinen die Bäume fällten", erinnert er sich an einen Vorfall der Vergangenheit. "Als die Regierungsvertreter aufmerksam wurden, war es schon zu spät."

Derartige Aktivitäten waren das Ergebnis einer Jahrzehnte langen Politik, die seit den 1990er Jahren Privatunternehmen und Firmen mit besten Beziehungen zur Regierung die Rodung der Mangrovenwälder erlaubte - um Garnelenzucht zu betreiben, Tourismus- oder andere Unternehmungen zu starten.

Jahrelang versuchte Thisera vergeblich, die lokale Gemeinschaft zu Maßnahmen zum Schutz der Mangroven zu bewegen, doch fühlte sie sich dem Unternehmen nicht gewachsen. Thisera selbst kann sich noch gut daran erinnern, als im Jahr 1994 ein einflussreicher Politiker einen 150 Meter breiten Mangrovenstreifen über Nacht dem Erdboden gleichmachte. "Wir fühlten uns so hilflos, weil wir nicht über die organisatorischen Kapazitäten verfügten, um eine solche Schneise der Verwüstung zu verhindern."

Heute, im Rahmen eines ehrgeizigen regionalen Mangrovenschutzprogramms, erfährt Thisera nicht nur finanzielle Hilfe für sein Vorhaben. Auch hat er ein Netzwerk aus Mitgliedern der Lokalbevölkerung aufgebaut, das ihn in seiner Arbeit unterstützt. Das Projekt wird von Sudeesa geleitet, deren Vorsitzende Anuradha Wickramasinghe fest davon überzeugt ist, dass sich die schwindenden Wälder nur mit Hilfe der Gemeinde retten lassen.

Doch das war zunächst leichter gesagt als getan. Denn die Armut setzt der Bevölkerung an der Nordwestküste heftig zu. Jüngste Zahlen der Regierung zeigen, dass das durchschnittliche Einkommen einer lokalen Fischerfamilie bei nur 16 US-Dollar im Monat liegt. 53 Prozent der hier wohnenden Menschen leben unterhalb der nationalen Armutslinie, die Arbeitslosigkeit liegt um durchschnittlich 20 Prozent über dem nationalen Durchschnittswert von 4,1 Prozent. Die meisten Familien haben schwer zu kämpfen, um genug Nahrung auf den Tisch zu bekommen.


Foto: © Amantha Perera/IPS

Der Schutz der Mangrovenwälder hat tausenden Frauen geholfen, ihre Lebenssituation und die ihrer Familien zu verbessern
Foto: © Amantha Perera/IPS


Familien und Mangroven gleichermaßen eine Zukunft geben

Aus diesem Grund hat Sudeesa ein Mikrokreditsystem gestartet, dass Frauen finanzielle Anreize für Schutzmaßnahmen bietet, die allein in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde fallen. Die Kreditnehmerinnen profitieren von extrem zinsgünstigen Darlehen, mit denen sie sich eigene Existenzen aufbauen. Als Gegenleistung übernehmen sie die Verantwortung für ausgebrachte Mangroven, helfen bei deren Wiederaufforstung und verpflichten sich dazu, illegale Einschlagsaktivitäten für kommerzielle Zwecke zu melden. Zusammen haben sie bereits 170.000 Setzlinge auf einem 860 Hektar großen Gebiet ausgebracht. Und der Prozess ist längst nicht abgeschlossen.

Das gesamte Waldschutzschema beruht auf Gemeindeaktivitäten. Frauen sind für den Schutz bestimmter Gebiete in ihrer nächsten Nachbarschaft verantwortlich. Sobald sie feststellen, dass Mangroven geschlagen werden, informieren sie das lokale Netzwerk mit Hilfe von Mobiltelefonen. Auch hier kommt Thisera eine wichtige Rolle zu. Er fungiert als Mittelsmann zwischen lokalen Schutzverbänden und einem Netzwerk von Regierungsbeamten, die er aktivieren kann, sobald die Frauen die Gefahrenflagge hissen,

Im letzten Jahr hatte dieses einfache Schutzsystem dafür gesorgt, dass ein Privatunternehmen, das an einem Garnelenzuchtprojekt beteiligt war, einen Zaun um Mangroven entfernen und sich an die offizielle Grenzlinie halten musste.

Thisera zufolge geht gerade von den Interessen einflussreicher Geschäftsleute die größte Gefahr für die Mangrovenwälder aus. Obwohl eine Epidemie Ende der 1990er Jahre die meisten Garnelenfarmen vernichtet hat, weigern sich viele Unternehmen, die Region zu verlassen. "Sie zahlen sogar noch Steuern, weil sie einen Fuß in der Tür behalten wollen, sobald sich eine alternative Nutzung der Gebiete, etwa für den Tourismus, abzeichnet", erläutert der 'Herr der Mangroven'. Bereits zwei Inseln wurden an private Unternehmen verpachtet. Doch bisher wurden noch keine größeren Baumaßnahmen durchgeführt.

Sobald es dazu kommt, werden die Betreiber es mit Thisera und seinen inoffiziellen Waldschützern zu tun bekommen. "Die Mangroven sind Teil unseres Lebens und unserer Kultur", so Thisera. "Wenn wir sie vernichten, vernichten wir uns."


Selbstbewusstsein und Eigenverantwortlichkeit

Abgeschnitten von den kommerziellen Zentren und Märkten bedarf es des Einfallsreichtums der lokalen Frauen, um zu überleben. Anne Priyanthi, eine 52-jährige Witwe mit zwei Kindern, hatte bis vor drei Jahren schwer zu kämpfen, um die Familie durchzubringen. Sie bemühte sich vergeblich um einen Kredit. Ihr Antrag wurde abgelehnt, weil sie "die Kriterien nicht erfüllte".

2012 gewährte ihr Sudeesa ein Darlehen in Höhe von 10.000 Rupien (rund 74 US-Dollar). Die Gelder investierte sie in eine Schweinefarm. Heute verdient sie monatlich 25.000 Rupien oder 182 Dollar. Das erscheint wenig, doch kann sie damit für ihre Kinder den Schulunterricht bezahlen, was gerade in den ärmsten Teilen des Landes eine ungehörte Leistung darstellt.

Eine weitere Nutznießerin des Sudeesa-Schutz- und Unterhaltsprojekts ist die 58-jährige Primrose Fernando, die es inzwischen zur Koordinatorin der Organisation gebracht hat. Die Witwe hat drei Töchter, von denen eine behindert ist. Mit ihrem Darlehen konnte sie einen kleinen Lebensmittelladen für ihr gehandicaptes Kind einrichten und mit der Zucht von Zierfischen beginnen. "Ohne Hilfe wäre ich bettelarm geblieben", sagt sie heute.

Seit 1994 hat Sudeesa an 3.900 Frauen im Bezirk Puttalam Kredite im Wert von 54 Millionen Rupien (mehr als 400.000 Dollar) vergeben. Den Mitarbeitern zufolge liegt die Rückzahlungsquote bei 75 Prozent. Inzwischen ist das Kreditsystem Teil einer registrierten öffentlichen Organisation, die sich 'Sudeesa Social Enterprises Corporation' nennt und an der die 683 aktivsten Frauen Anteile halten. "Es sind diese Anteilseignerinnen, die die Organisation betreiben. Sie entscheiden über die Kreditvergabe und die Rückzahlungsmodalitäten, erläutert die Sudeesa-Buchhalterin Malan Appuhami.

Die Sudeesa-Kredite lassen sich nicht mit herkömmlichen Mikrokrediten vergleichen. Die Rückzahlungsraten sind mit drei Prozent deutlich niedriger. Da die Frauen alle aus der gleichen Gemeinde stammen, sind sie besonders interessiert daran, sich gegenseitig zu unterstützen und die Fehlerquoten niedrig zu halten. In Zeiten, in denen das Meer besonders aufgewühlt ist, was den Fischfang der Familien erschwert, flexibilisieren sie die Kreditbedingungen.

In einem Land, in dem die Arbeitslosigkeit von Frauen zweieinhalb Mal so hoch ist wie die der Männer und beinahe doppelt so hoch ist wie der nationale Durchschnitt von 4,2 Prozent, ist das Naturschutz- Lebensunterhalt-Programm eine Art Oase für die Frauen in einer Region, in der sich besonders die älteren Frauen, die über keine formelle Bildung verfügen, genötigt sehen, sich nach bezahlten Arbeiten umzusehen.

Suvineetha de Silva, Kreditexpertin bei Sudeesa, berichtet, dass die Chance, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen, das Selbstbewusstsein der Frauen enorm gestärkt habe. Einige Frauen hätten ihre Kinder sogar zur Universität geschickt. Das sei vor einem Jahrzehnt noch undenkbar gewesen, als der Abschluss der Grundschule schon ein Luxus war.

Viele Frauen müssen also nicht außerhalb der Gemeinde Arbeit suchen, sondern können zu Hause verschiedenen Aktivitäten nachgehen. Mit Backen, Nähen und Haareschneiden verschaffen sie sich und ihren Angehörigen ein Zusatzeinkommen. Und die Mangroven von Puttalam haben, solange die Frauen über sie wachen, eine reelle Chance zu überleben.


Vorbildfunktion

Im letzten Monat wurde Sudeesa von der in den USA ansässigen Umweltgruppe 'Seacology' als Projektpartner für ein 3,4 Millionen Dollar teures und landesweites Mangrovenschutzprogramm ausgewählt. Auch die srilankische Regierung wird sich an dem Projekt beteiligen. Sie hatte am 11. Mai die Mangrovenwälder des Landes zu Schutzgebieten erklärt und somit jede kommerzielle Nutzung der Ökosysteme verboten. Außerdem hat sie zugesagt, Beamte für Patrouillen abzustellen und die Streitkräfte an den Wiederaufforstungsprogrammen zu beteiligen.

Im Rahmen des fünfjährigen Vorhabens, für das die Sudeesa-Aktivitäten Pate stehen, sollen mehr als 15.000 Menschen - zur Hälfte Witwen und zur anderen Hälfte Schulabbrecher - profitieren, die in der Nähe der landesweit 48 Lagunen leben. "Wir können nun von Größerem träumen", meint der 'Herr der Mangroven'.

Schätzungen zufolge leben weltweit 100 Millionen Menschen in der Nähe von Mangrovenwäldern. Sie könnten Großes bewirken, würden sie sich von dem sriklankischen Modell inspirieren lassen. (Ende/IPS/kb/30.06.2015)


Link:

www.ipsnews.net/2015/06/from-residents-to-rangers-local-communities-take-lead-on-mangrove-conservation-in-sri-lanka/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2015

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