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PROJEKT/085: Wild, schön und gefährdet - Schneeleoparden in den "Himmlischen Bergen" (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Wild, schön und gefährdet
Schneeleoparden in den "Himmlischen Bergen".

von Britta Hennings


Allzu große Hoffnungen mache ich mir nicht. Ich weiß, dass Schneeleoparden selten und scheu sind und ihre besondere Musterung sie zwischen den Felsen so gut wie unsichtbar macht. Dennoch kann ich den Wunsch, einen von ihnen in freier Wildbahn zu sehen, nicht ganz unterdrücken - schließlich bereise ich gerade seine Heimat. Kirgistan, ein kleines Land zwischen Kasachstan, China, Tadschikistan und Usbekistan, gehört zu ihrem Verbreitungsgebiet in Mittelasien. Hier leben sie noch: Schneeleoparden oder "Geister der Berge", wie die Kirgisen sie nennen.


Symbol intakter Natur

In Kirgistans Hauptstadt Bischkek angekommen, treffe ich im NABU-Büro einige meiner kirgisischen Kollegen, darunter die Umweltpädagogin Nurzat Iskakova. Ihre Aufgabe sei es, erzählt sie, vor allem Kinder und Jugendliche über Schneeleoparden und die heimische Natur zu informieren. Dabei reist sie auch in abgelegene Dörfer und Jurtensiedlungen, das sind Ansiedlungen traditioneller kirgisischer Zeltbehausungen, weit oben in den Bergen. "Oft", so sagt sie, "bin ich die Erste, die den Menschen über diese Themen berichtet. In der kirgisischen Bevölkerung gibt es kaum ein Bewusstsein dafür, wie wichtig eine intakte Natur ist. Nur wenige Menschen wissen um die besondere Bedeutung des Schneeleoparden."

"Schneeleoparden sind Symboltiere ihrer Natur - geht es ihnen gut, dann ist auch ihr Lebensraum gesund."

Was sie denn sei, die besondere Bedeutung, möchte ich von ihr wissen. "Schneeleoparden sind Symboltiere ihrer Natur. Geht es ihnen gut, dann ist auch ihr Lebensraum gesund. Dieses Prinzip gilt auch andersrum", erklärt Nurzat.


"Verkaufe niemals dein Land ..."

Am nächsten Tag reise ich gemeinsam mit Tolkunbek Asykulov, Leiter der NABU-Niederlassung in Kirgistan, frühmorgens von Bischkek in das gut 300 Kilometer östlich gelegene Ananyevo. Die Fahrt dauert über fünf Stunden und führt über teils holprige, schlecht ausgebaute Straßen in das Tian-Shan-Gebirge. Nach ein paar Stunden erreichen wir die Boom-Schlucht, das "Tor" zum Biosphärenreservat Yssykköl. Der NABU hat hier eine große Schneeleoparden-Statue des Künstlers Marlen Bakatschiev aufgestellt. Sie soll zeigen: Hier beginnt das Reich das Schneeleoparden. Auf einer Tafel unterhalb der Statue ist ein Text eingraviert. Tolkunbek hat ihn selbst geschrieben und übersetzt ihn für mich: "Wenn du einen Schneeleoparden siehst, schieße nicht. Schütze deine Natur immer, auch wenn es dir schwierig vorkommen mag. Verkaufe niemals dein Land und seine Naturschätze."

Die Wilderei, erklärt er, sei die größte Bedrohung für den Schneeleoparden. "Sie werden erschossen, mit Eisenfallen gefangen und vergiftet. Ihre Felle sind bei reichen Leuten hier als Statussymbol begehrt. Ihre Knochen und andere Körperteile werden illegal vor allem nach China verkauft, wo sie in der Traditionellen Chinesischen Medizin genutzt werden. Heute gibt es nur noch etwa 300 Schneeleoparden in Kirgistan", sagt Tolkunbek. "Dabei hatten wir vor 30 Jahren mit 1.400 Schneeleoparden die drittgrößte Population der Welt. Unser Land verfügt über ein riesiges potenzielles Schneeleoparden-Habitat."


Tiere zu besitzen, ist wie Geld auf der Bank

Wir setzen unsere Reise fort. Unser Ziel ist das NABU-Rehazentrum, eine Auffangstation für verletzte und beschlagnahmte Tiere, in der auch Schneeleoparden leben. Der Weg dorthin führt uns durch karge, aber wunderschöne Weiten. An den Hängen sehen wir einige Hirten, die mit ihren Viehherden unterwegs sind. Ob Schneeleoparden sich auch an Nutztieren vergreifen? "Wenn sie die Gelegenheit dazu haben", sagt Tolkunbek. Und das sei, erklärt er, das zweite große Problem. "Die Menschen hier sagen: 'Tiere zu besitzen, ist wie Geld auf der Bank zu haben'. Die Viehherden werden immer größer, die Menschen breiten sich weiter aus. Schneeleoparden verlieren ihren Lebensraum und finden immer weniger Beutetiere. Reißen Schneeleoparden Vieh, ist der Lebensunterhalt der Bauern und Viehhirten nicht selten in echter Gefahr. Eine staatliche Entschädigung gibt es in der Regel nicht. Daher greifen die Geschädigten zum Gewehr und üben Vergeltung für ihren Verlust."

Es scheint klar, hier müssen Lösungen her. Der erste Schritt dafür ist, die Situation der betroffenen Menschen zu verstehen. Ohne ihre Unterstützung und Akzeptanz der Raubtiere ist ein friedliches Zusammenleben kaum möglich.


Wilderei bekämpfen

Wir erreichen den Yssykköl, den zweitgrößten Bergsee der Welt und das Herz des Tian-Shan. An seinem Ufer entlang fahren wir Richtung Osten und erreichen am frühen Abend Ananyevo. Im NABU-Rehazentrum leben drei Schneeleoparden in großen, offenen Gehegen. Zwei von ihnen, Kunak und Alcu, gerieten bereits als Jungtiere in Eisenfallen, wurden beschlagnahmt und können aufgrund ihrer Verletzungen nicht mehr ausgewildert werden.

Hier treffe ich Kurmanbek Duischeev, den Leiter der Anti-Wilderer-Einheit "Gruppa Bars". Er kommt gerade mit seinem Team von einem 20-tägigen Einsatz zurück und erzählt, dass sie acht Schlagfallen, ein Gewehr und Fischernetze konfisziert haben. "Unser Ziel ist es vor allem, die Wilderei, übrigens auch auf andere Tierarten wie Wildschafe und -ziegen und sogar Fische, einzudämmen", sagt Kurmanbek. Daher haben die vier Männer von der kirgisischen Regierung die Befugnis erhalten, Verdächtige zu verhaften sowie Felle, Waffen und lebende Tiere zu beschlagnahmen. Über 250 Wilderer und Händler sind der Gruppa Bars bisher insgesamt ins Netz gegangen.


Es gibt Hoffnung

"Wir sind sehr bekannt in dieser Gegend und haben einen Ruf, der uns vorauseilt, das hilft schon", so Kurmanbek. Er erzählt, dass es in der riesigen, unwirtlichen Bergwelt oft nicht einfach sei, Wilderer aufzuspüren, daher sei die Einheit auf die Unterstützung der ansässigen Hirten und Bauern angewiesen. Auch Kamerafallen kommen zum Einsatz. Sie helfen herauszufinden, wo sich Schneeleoparden und ihre Beutetiere überhaupt aufhalten und welche Wege sie nehmen. Manchmal sind sogar Wilderer auf den Aufnahmen zu sehen.

"Seit der Gründung der Gruppa Bars vor 17 Jahren ist die Wilderei spürbar zurückgegangen", sagt Tolkunbek. "Es werden deutlich weniger verletzte und getötete Schneeleoparden in Kirgistan gefunden, und auf den Märkten liegen Schneeleopardenfelle nicht mehr offen aus. Auch wenn die Situation weiter kritisch ist - die IUCN stuft Schneeleoparden als 'stark gefährdet' ein -, glauben wir, dass sich die Bestände in Kirgistan in den letzten zehn Jahren weitestgehend stabilisiert haben. In manchen Gebieten steigen sie sogar wieder an." Und so spüre ich auf dem Rest meiner Reise immer noch Hoffnung - nicht auf eine Sichtung, sondern viel wichtiger: dass es eine Zukunft gibt für den "Geist der Berge".

*

Artensteckbrief
Sprunggewaltiger Einzelgänger

Der Schneeleopard ist der Bergsteiger unter den Großkatzen. Er lebt in den Bergen Zentralasiens und kommt dort, zum Beispiel im Himalaya, auf bis zu 5.800 Metern Höhe vor. Sein Verbreitungsgebiet reicht vom russischen Altai im Norden über den Tian-Shan, das Pamir und den Hindukusch im Westen, den Himalaya im Süden bis ins Tibetanische Hochland und in die Steppenwüste Gobi im Osten. Die Art ist bislang in zwölf Ländern nachgewiesen worden, in Myanmar ist ihr Vorkommen wahrscheinlich. Weil nur noch rund 4.000 bis 6.400 Schneeleoparden in freier Wildbahn leben, stuft die Weltnaturschutzorganisation IUCN sie als "stark gefährdet" ein.

Körperlänge:
100 bis 130 Zentimeter plus von Schwanz von 80 bis 100 Zentimetern

Schulterhöhe:
60 Zentimeter bei Männchen, Weibchen sind etwas kleiner

Gewicht:
Männchen 37 bis 55 Kilogramm, Weibchen bis 42 Kilogramm

Lebenserwartung:
12 bis 13 Jahre, in Gefangenschaft bis 21 Jahre

Tragezeit:
93 bis 110 Tage

Anzahl Junge:
normalerweise zwei bis drei Junge

Sozialstruktur:
Einzelgänger

Nahrung:
kleine bis mittelgroße Huftiere, kleine Säugetiere und gelegentlich Vögel

Lebensraum: Hochsteppen und felsiges Gelände oberhalb der Waldgrenze

Population:
Weltbestand 4.000 bis 6.400 Tiere

Minus 40 Grad Celsius, eisiger Wind und raue Klippen machen dem Schneeleoparden nichts aus, denn er ist mit seinen Körpereigenschaften bestens angepasst an die Umgebung: Sein Fell ist mit 4.000 Haaren pro Quadratzentimeter besonders dicht und besitzt zusätzlich ein Unterfell, das am Bauch bis zu zwölf Zentimeter lang wird. Wie eine Stola rollen Schneeleoparden beim Schlafen ihren fast einen Meter langen, buschigen Schwanz um den Körper und legen ihn als Kälteschutz vor die Nase. Bei weiten Sprüngen hilft er, das Gleichgewicht zu halten. Große Nasenflügel wärmen die kalte Luft vor, bevor sie in die Lungen gelangt. Die extrem großen Pfoten erleichtern das Laufen im Schnee - ähnlich wie Schneeschuhe. Die kurzen Vorder- und langen Hinterbeine ermöglichen extrem weite Sprünge. So können Schneeleoparden Gletscherspalten überwinden und in unwegsamem Gelände jagen.

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Info - Verbreitung

Russland
ca. 60.000 km²
ca. 70 - 90 Ex. im Jahr 2012

Kasachstan
ca. 50.000 km²
ca. 100 - 110 Ex. im Jahr 2001

Mongolei
ca. 101.000 km²
ca. 500 - 1.000 Ex. im Jahr 2000

Usbekistan
ca. 10.000 km²
ca. 20 - 50 Ex. im Jahr 2003

Kirgisistan
ca. 105.000 km²
ca. 150 - 500 Ex. im Jahr 2001

China
ca. 1.100.000 km²
ca. 2.000 - 2.500 Ex. im Jahr 2003

Afghanistan
ca. 50.000 km²
ca. 100 - 200 Ex. im Jahr 2003

Tadschikistan
ca. 100.000 km²
ca. 180 - 220 Ex. im Jahr 2003

Pakistan
ca. 80.000 km²
ca. 200 - 420 Ex. im Jahr 2003

Indien
ca. 75.000 km²
ca. 200 - 600 Ex. im Jahr 1994

Nepal
ca. 30.000 km²
ca. 300 - 500 Ex. im Jahr 2009

Bhutan
ca. 15.000 km²
ca. 100 - 200 Ex. im Jahr 1994


Schon gewusst?

Schneeleoparden sind wahre Sprungweltmeister: Sie können bis zu 16 Meter weit springen! Und das müssen sie häufig auch, denn sie halten sich bevorzugt an abschüssigem, zerklüftetem Terrain auf. Hier haben sie den besten Überblick, um Beute ausfindig zu machen.

Der Paarungsruf der Schneeleoparden nährt Legenden: Ihr Heulen in der Paarungszeit hört sich mitunter sehr menschlich an und ist vermutlich einer der Gründe für die Legende des Yetis, den legendären Schneemenschen.

Schneeleoparden sind nicht gesellig: Sie leben normalerweise als Einzelgänger. Sie bleiben in der Paarungszeit nur wenige Tage zusammen und gehen danach wieder getrennte Wege. Ausnahmen bilden nur die Aufzucht der Jungen durch die Weibchen und die Zeit nach der Trennung von der Mutter, in der die jungen Geschwister oft noch einige Zeit zusammenbleiben.

Schneeleoparden sind die einzigen Großkatzen, die nicht brüllen können. Das liegt daran, dass ihr Kehlkopf im Vergleich zu dem von Tigern oder Löwen anders geformt ist. Stattdessen schnurren sie ähnlich wie Hauskatzen.

Schockierend und ein Grund für den NABU, weiter mit seinen Wildhütern vor Ort Wilderern nachzuspüren: Noch immer sind die Körperteile des Schneeleoparden sehr beliebt. Auf dem Schwarzmarkt kann das schöne Fell bis zu 14.000 Euro bringen.

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Schneeleo-Forschung

Die verborgene Lebensweise der Schneeleoparden macht es schwer, sie zu erforschen: Wie soll man ein Tier studieren, das man nie zu Gesicht bekommt? Dazu kommt das riesige, unwegsame Gelände, in dem sich die Großkatzen aufhalten. Das Wissen über ihre Lebens- und Verhaltensweisen ist jedoch die Grundlage für alle Schutzmaßnahmen: Je besser wir die Art verstehen, desto gezielter können wir auch entsprechende Aktionen planen und umsetzen.

Der NABU trägt seit 2013 dazu bei, Wissen über die scheuen Tiere zu sammeln. Unter anderem erforscht er Schneeleoparden in Kirgistan im nördlichen Tian Shan-Gebirge und prüft, wie wirksam die dortigen Schutzbemühungen sind. Mithilfe von 16 Fotofallen konnten bislang mindestens acht unterschiedliche Schneeleoparden dokumentiert werden, davon vier Jungtiere.

Immer wieder geraten neben Schneeleoparden auch andere Tiere und sogar Wilderer in die Fotofalle. Im Nationalpark Salkyn-Tor wurde ein mit einem Gewehr ausgerüsteter Wilderer von einer NABU-Kamera aufgenommen und konnte so wenig später verhaftet werden. Die Kameras wurden auf Wunsch der Nationalparkleitung installiert, um Wilderei zu bekämpfen und die Tierwelt zu erforschen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

In den Gebirgen Kirgistans sind Pferde das beste Fortbewegungsmittel. Die "Gruppa Bars" des NABU ist seit 1999 erfolgreich im Einsatz gegen Wilderer.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/16, Seite 8 - 11
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2016

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