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PROJEKT/091: Zarte Pflänzchen - der "Wald der Kinder" (WWF magazin)


WWF magazin, Ausgabe 2/2017
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Zarte Pflänzchen

von Dirk Embert, WWF


Mit einer Art Klassenzimmer im Freien hat es begonnen. Kinder in Bolivien sollten die Natur ihrer Heimat besser kennenlernen und sie in Gärten und Wäldchen hegen und pflegen. Inzwischen ist aus dem "Wald der Kinder" so etwas wie eine landesweite Bewegung entstanden.


Bolivien will entdeckt werden: Das Land im Schatten Brasiliens und Argentiniens hat eine Menge zu bieten - vor allem eine enorm vielfältige Natur. Es gibt über 6500 Meter hohe Berge und ein weites Tiefland mit den staubtrockenen Savannen des Gran Chaco. Es gibt das Schwemmland des Pantanal und den Regenwald Amazoniens. Im Hochland befindet sich der höchstgelegene schiffbare See der Erde, der Titicacasee, und außerdem der weltweit größte Salzsee, der Salar de Uyuni.

Entsprechend groß ist auch die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten. In Bolivien gibt es noch Jaguare, Brillenbären, Flussdelfine, Riesenotter oder Hyazintharas. Und auch die kulturelle Vielfalt ist enorm: In Bolivien werden mehr als 300 verschiedene Sprachen gesprochen.

Auch wenn etwa 70 Prozent der Menschen in Bolivien Indigene sind, verlaufen doch viele gesellschaftliche Entwicklungen ähnlich. Zum Beispiel die Landflucht: Menschen ziehen in die Stadt in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben.

Der Umzug bedeutet oftmals eine Abkehr von der traditionellen Bindung zur Natur, die hier Pacha Mama, also Mutter Erde, heißt. Das geht so weit, dass Kinder in den Städten Boliviens meist weniger über die Natur wissen als ihre Altersgenossen zum Beispiel in Deutschland. Da Kinder aber in Zukunft ihre Natur schützen sollen, wollten wir mit einem Projekt diesem Trend Einhalt gebieten. So wurde der "Wald der Kinder" geboren, auf Spanisch "Bosque de los Niños" oder kurz BOSNI.

Naturschutz macht Schule

Wir begannen in drei Schulen im Osten des Landes, kleine Gärten einzurichten. Die Kinder konnten dort ihr Grundstück bepflanzen, beharken und pflegen, ganz nach ihren eigenen Vorstellungen - von Tomatenpflänzchen bis zu kleinen Mahagonibäumen. Rasch kamen die BOSNI-Kinder auf den Geschmack. Sie bauten ihr eigenes Gemüse an und verspeisten es in der Mittagspause. Andere Schulen nutzten kleinere Wälder in der Nähe und hielten dort einen naturnahen Unterricht ab. Naturmaterialien aus diesen Gärten und Wäldchen nutzten Lehrer für den Unterricht. So wurden zum Beispiel für Mathematik die gezüchteten Früchte oder Gemüsesorten vermessen und gezählt, im Biologieunterricht die Arten bestimmt und die ursprüngliche Herkunft in Geografie erkundet.

EXKURSION INS SÜSSWASSERSCHUTZGEBIET

In der Region Beni wurde mit Unterstützung des WWF der weltweit größte Süßwasserschutzgebietskomplex ausgewiesen. Mit etwa 6,9 Millionen Hektar ist das Gebiet im Osten Boliviens etwa so groß wie die Niederlande und Belgien zusammen. Nun soll seine Artenvielfalt analysiert werden, um das Gebiet noch effektiver zu schützen. Daran wird auch ein Wissenschaftler des WWF Deutschland teilnehmen. Er ist Experte für Frösche und Schlangen.

Zusätzlich erstellte der WWF Bildungsmaterialien, bildete die Lehrer in der neuen BOSNI-Umweltbildungsmethodik aus und führte neue Lehrinhalte ein, beispielsweise die schonende Nutzung von Ressourcen wie Wasser. Zugleich übernahmen Kinder als Waldwächter (Guardabosnis) Verantwortung: Sie wurden ausgebildet, für den Erhalt ihrer Gärten an ihren Schulen auch nach dem Unterricht zu sorgen und außerdem die Schulen allgemein zu begrünen und sauber zu halten.

Das Projekt macht Furore

Der Erfolg in den drei Schulen 2013 sprach sich rasch herum und so wuchs landesweit das Interesse. In einer zweiten Phase bis 2016 wurden in den ländlichen Gebieten im Südosten des Landes 22 Schulen in das Projekt eingebunden. Und kurze Zeit später dann die Sensation: Das Umwelt- und das Bildungsministerium, begeistert von der WWF-Aktion, ließen die Umweltbildungsmaterialien digitalisieren und landesweit an 60.000 Lehrer als Pflichtunterlagen ausgeben. Mehr noch: Die WWF BOSNI-Pädagogik wurde vom Bildungsministerium zum Pflichtprogramm im landesweiten Lehrplan erhoben.

Spielend lernen

Und das Projekt zog weitere Kreise: Für fünf Umweltbildungsvideos wurden eigens zwei Zeichentrickfiguren entwickelt. Darin erklärt das Mädchen Suri mit ihrem kleinen Hund Chapu anderen Kindern die Umweltprobleme ihres Landes - von der Luftverschmutzung bis zur Belastung durch zu viele Plastiktüten. Inzwischen gibt es die Figuren auch in einem Android-Spiel "Suri Al Futuro", herausgegeben vom Umweltministerium Boliviens.

Der Regierung gefielen die Videos so gut, dass sie landesweit auf mehreren Fernsehkanälen monatelang ausgestrahlt und die Figuren zum Symbol der Umweltbildung im Land erklärt wurden. So fanden sie in drei Kampagnen der Regierung zu Umweltthemen Verwendung. Eine davon - in Kooperation mit dem BOSNI-Projekt - führte zu einem neuen Gesetz, das Supermärkte verpflichtet, den Verbrauch von Plastiktüten zu reduzieren.

Zudem wurde erstmals auch traditionelles Wissen in den Lehrplan integriert und teilweise direkt durch Indigene an Pilotschulen gelehrt. Die zwei zwischen 2013 und 2016 erbauten Umweltbildungszentren in den Städten Puerto Quijarro und Trinidad sind heute auf Monate ausgebucht.

Fortsetzung folgt

Nun soll in einer dritten Phase die Arbeit in den zwei größten Städten Boliviens, Santa Cruz und La Paz, weitergeführt werden, um bis zu 30 Prozent der Bevölkerung - verstärkt auch die Erwachsenen - direkt zu erreichen. Dazu sollen auch hier Umweltbildungszentren errichtet werden. Darüber hinaus sind Bürgeraktionen geplant, bei denen Kinder mit ihren Familien Bäume in den Parks pflanzen - außerdem zusammen mit der Regierung Kampagnen zu wichtigen Themen wie Stromverbrauch oder Mülltrennung. Was in Dörfern als Wald der Kinder begann, ist nun eine landesweite Umweltbewegung für Menschen aller Altersgruppen geworden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Bildungsoffensive in Grün
Die Umweltbildungsaktion des WWF in Bolivien hat den Nerv der Zeit getroffen. Die Bewegung nahm an drei Schulen ihren Anfang und ist inzwischen in den beiden größten Städten des Landes angekommen. Foto: das Umweltbildungszentrum in Puerto Quijarro.

- Umweltschützer von morgen
Viele Kinder und Erwachsene in Bolivien wissen nur wenig von den Naturschätzen ihres Landes. Das ändert sich langsam. Dirk Embert (Mitte) sagt: "Wissen über die Natur kann den Kindern helfen, ihre Lebenssituation zu verbessern."

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Quelle:
WWF Magazin 2/2017, Seite 26 - 28
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Die Zeitschrift für Fördermitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2017

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