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PROTEST/064: Brasilien - Widerstand gegen Staudämme, Indigene fordern Demarkierung ihrer Territorien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2013

Brasilien: Indigene Mundurukú fordern Demarkierung ihrer Territorien - Widerstand gegen fünf Staudämme am Tapajós

von Fabíola Ortiz


Bild: © Luis Macedo/Acervo/Abgehordnetenhaus Brasiliens

Kaziken und Krieger der Mundurukú im Abgeordnetenhaus am 10. Dezember 2013
Bild: © Luis Macedo/Acervo/Abgehordnetenhaus Brasiliens

Rio de Janeiro, 13. Dezember (IPS) - Indigene der Amazonasgemeinschaft Mundurukú haben in der brasilianischen Hauptstadt die Demarkierung ihrer Territorien gefordert. Auch pochten sie auf ihr Verfassungsrecht, das ihnen bei Projekten in ihren Gebieten ein Mitspracherecht garantiert. Mit Hilfe dieses Rechts wollen sie den Bau von fünf Stäudämmen am Fluss Tapajós verhindern, die den Untergang mehrerer Dörfer bedeuten würden.

"Bis heute hat sich kein Regierungsvertreter die Mühe gemacht, zu uns zu kommen und mit uns zu sprechen. Unser Land ist unsere Mutter, die unsere Kinder und Kindeskinder ernährt. Sollte die Regierung an ihren Staudammplänen festhalten, wissen wir nicht, wohin wir gehen sollen", sagte Juarez Saw, der Kazike der überflutungsgefährdeten Siedlung Sawre Muybu. Wie er berichtete, war sein Dorf 2010 von der Bewegung Lebendiger Tapajós über die staatlichen Umsiedlungspläne informiert worden.

Die brasilianische Regierung, die derzeit am Fluss Xingú im Nordosten von Pará den Riesenstaudamm Belo Monte errichtet, plant im gleichen Bundesstaat ein weiteres Großprojekt am Rio Tapajós. In dem betroffenen Gebiet, in dem reiche Goldschätze vermutet werden, sollen fünf Wasserkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 10.700 Megawatt entstehen.

Das Projekt hätte Auswirkungen auf sieben Schutzgebiete zwischen den drei größten Städten am Ufer des Tapajós: In Santarém leben 300.000, in Itaituba 130.000 und in Jacareacanga 40.000 Menschen. Den Anfang soll das für São Luiz vorgesehene Kraftwerk mit einer Leistung von 6.133 Megawatt machen, gefolgt von weiteren Anlagen in Jatoba am gleichen Fluss sowie in Jamanxin, Cachoeira do Caí und Cachoeira dos Patos am Jamanxin.

Nach dem Zeitplan des Energieforschungsunternehmens sollen alle Anlagen zwischen 2017 und 2020 betriebsbereit sein. Etwa 13.000 Mundurukú, die an den Ufern des Tapajós leben, wären betroffen, ebenso wie die indigenen Kayabi und Apiaká, die die Zahl der Indigenen, die dem Mammutprojekt weichen müssten, auf 20.000 hochtreiben würden.


Anhörung im Abgeordnetenhaus

Zehn indigene Dorfvorsteher und 30 Mundurukú-Krieger fanden sich in diesem Monat in Brasilia ein, um die Regierung zu drängen, die Demarkierung der Territorien am mittleren Lauf des Tapajós zu beschleunigen. Am 10. Dezember trugen die Indigenen ihre Wünsche den Kongressabgeordneten vor. Darüber hinaus zogen sie zum Sitz der Generalstaatsanwaltschaft, um die Rücknahme von Dekret 303 zu verlangen.

Der Erlass, den die Generalsstaatsanwaltschaft am 16. Juli 2012 herausgegeben hatte, beinhaltet die Bestimmungen, an die sich Juristen im Rahmen des landesweiten Prozesses zur Demarkierung der indigenen Territorien halten müssen. Doch das Dekret erlaubt dem Staat auch, in den Reservationen Kommunikationsnetzwerke, Straßen und andere Transportwege zu bauen sowie die Arbeiten vorzunehmen, die notwendig sind, um der Bevölkerung den Zugang zu grundlegenden Diensten wie Gesundheitsversorgung und Bildung zu ermöglichen.

Gerade dieser Aspekt schränke jedoch die Rechte der Indigenen ein, ihre Territorien zu betreten und über Projekte in ihren Gebieten mit zu entscheiden, betonte der katholische Indigene Missionsrat (CIMI).

"Wieder einmal müssen wir gegen Wasserkraftwerke zu Felde ziehen. Die Lage ist ernst, zumal wir den Eindruck haben, dass die Regierung gar nicht gewillt ist, auch nur ein indigenes Territorium zu demarkieren", sagte der CIMI-Leiter Cleber César Buzatto.

Seiner Meinung nach hat das Unvermögen der Exekutive, die in der Verfassung festgeschriebenen Rechte wie die Demarkierung der indigenen Territorien und die Mitsprache der indigenen Völker umzusetzen, die ohnehin schon schwierige Situation weiter verschärft. "Wir vertrauen aber auf die Kraft der indigenen Völker, ihre Rechte durchzusetzen. Im Mittelpunkt steht jedoch die Frage, ob die Regierung die Rechte der Mundurukú anerkennt, die in dem Abschnitt leben, der von dem Kraftwerk in São Luiz in Mitleidenschaft gezogen würde."

Die Indigenen, die nach Brasilia gekommen waren, stammten aus den Dörfern Sai Cinza, Missão Cururu, Trairão, Boca do Rio das Tropas, Buritituba, Aldeia Nova und Restinga am Oberlauf des Tapajós, wo es bereits ein demarkiertes Gebiet gibt, sowie aus Praia do Mangue und Sawre Muybu am mittleren Lauf des Flusses, wo bisher noch keine Landtitel vergeben worden sind.

Ohne eine endgültige Demarkierung laufen die Dorfbewohner am mittleren Lauf des Tapajós Gefahr, umgesiedelt zu werden, da ihre Dörfer geflutet werden sollen. "Unser Kampf zielt in erster Linie auf die Demarkierung. Wir sind hierhergekommen, weil wir wissen, dass sie uns sonst kein Gehör schenken würden", sagte Saw im IPS-Gespräch. "Es ist sehr niederschmetternd, hier zu erscheinen, um dann mit leeren Händen zurückzukehren."

Sawre Muybu existiert seit 2008. Die Siedlung besteht aus 20 Familien beziehungsweise 150 Personen. Sie liegt 50 Kilometer Autostraße von Itaituba entfernt. Mehr als eine Stunde dauert es, die Stadt mit dem Boot zu erreichen. Saw zufolge hatten die Mundurukú vor der Gründung ihrer Siedlung in Flussdörfern gelebt. Dort hätten sie jedoch ihre Gebräuche nach und nach verloren und von staatlicher Seite keine Hilfe wie eine medizinische Versorgung erhalten.


Anthropologischer Bericht zurückgehalten

"Wir sind nach Brasilia gekommen, um die Vorsitzende der staatlichen Indigenenstiftung Funai zu fragen, warum sie den anthropologischen Bericht aus dem Jahr 2007 über das Leben unseres Volkes am mittleren Lauf des Tapajos nie unterzeichnet hat." Inzwischen wurde eine neue Studie erstellt, die seit Mitte August vorliegt und ebenfalls von der Funai-Vorsitzenden Maria Augusta Assirati unterzeichnet werden muss, damit der Demarkationsprozess weitergehen kann.

Im Mai hatten die Mundurukú zusammen mit den betroffenen Anrainern des Flusses Xingú 830 Kilometer von ihren Territorien entfernt zwei Wochen lang eine Etage der Staudammbaufirma besetzt und die Einstellung des Wasserkraftwerks gefordert. Im Juni kamen sie erstmals zu Verhandlungen nach Brasilia. Da die Regierung nicht bereit gewesen war, Vertreter in den Amazonas-Bundesstaat zu schicken, mussten die Behörden ein Flugzeug chartern, das die 144 Indigenen abholte.

Kurz danach, im gleichen Monat, nahmen die Mundurukú drei Biologen gefangen, die die lokale Flora und Fauna mit Blick auf die möglichen Auswirkungen der Wasserkraftwerke erkundeten. Auf diese Weise legten die Indigenen das Zulassungsverfahren bis August auf Eis. Um mit dem Prozess fortfahren zu können, sahen sich die Regierung und die Funai genötigt, den Indigenen eine entsprechende Mitteilung zu machen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://movimentotapajosvivo.blogspot.de/
http://www.ipsnoticias.net/2013/12/indigenas-munduruku-protestan-contra-hidroelectricas-en-el-tapajos/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2013