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RESSOURCEN/001: Teersand-Lobby setzt EU unter Druck (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 163 - August/September 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Teersand-Lobby setzt EU unter Druck
Die kanadische Regierung hofft auf Fortführung der extrem destruktiven Teersandausbeutung

von Derek Leahy


Deutschland und andere europäische Staaten legten im Juli [1] den Entwurf der Europäischen Kommission für die EU-Richtlinie für Kraftstoffqualität vor. Artikel 7a der Richtlinie ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel. Demnach müssen Öllieferanten die Erzeugung von Treibhausgas durch ihre Produkte bis 2020 um 6 Prozent mindern (verglichen mit einer Richtlinie aus dem Jahr 2010). Die kanadische Regierung versucht dies zu verhindern. Die zweitgrößten Ölreserven der Welt liegen unterhalb der natürlichen Nadelwälder der westkanadischen Provinz Alberta. Aber dies ist kein herkömmliches Öl, sondern eine besondere Form von fossilem Öl, das als Teersand bekannt ist. Der Teersand (auch Ölsand genannt) ist eine Mischung aus Lehm, Sand, Schwermetallen und einer teerähnlichen Form von Petroleum, das Bitumen genannt wird. Um dieses Öl zu gewinnen, braucht es riesige Mengen an Wasser und Energie, und die Gewinnung hinterlässt vergiftete Seen und zerstörte Landschaften. Laut James Hansen, Direktor des Nasa Goddard Instituts für Weltraumforschung, sind "die kanadischen Teersande eine der größten Bedrohungen für unseren Planeten" und tragen "zwei- bis dreimal mehr zur globalen Erwärmung bei wie die konventionelle Ölgewinnung".


Streit um den Standardwert für Teersande

Der Entwurf der Richtlinie für Kraftstoffqualität erwähnt explizit den hohen CO2-Ausstoß bei der Gewinnung von Öl aus den Teersanden. Artikel 7a legt verschiedene Standardwerte für die unterschiedlichen Ölquellen fest, um den Öllieferanten zu helfen, den CO2-Ausstoss ihrer Produkte zu verringern. So hat zum Beispiel herkömmliches Öl den Standardwert 86g CO2 eq/MJ [2] während Öl, das aus Kohle gewonnen wird, einen Wert von 172 g CO2 eq/MJ zugewiesen bekommen hat. Öl aus Teersand hat den Standardwert 107g CO2 eq/MJ. Die kanadische Regierung streitet dies ab.

Der kanadische Botschafter bei der EU, Ross Hornby, schrieb am 25. Januar 2010 einen Brief an den leitenden Direktor der Umweltbehörde der europäischen Kommission, Karl Falkenberg, in dem er dagegen protestierte, dass in der Richtlinie "eine eigene Kategorie für die Teersande" kreiert werde. In seinem Brief behauptete Hornby, dass der Standardwert 107 für Öl der Teersande nicht "wissenschaftlich fundiert [sei] und nur zu der Diskriminierung der Teersande beitragen würde" Mit anderen Worten, dies wäre eine Handelsbarriere. Überraschend hat sich die Europäische Kommission den Einwänden Kanadas gefügt, und der Standardwert für die Ölproduktion aus Teersanden ist aus der Richtlinie verschwunden. Damit wird der Teersand auf der gleichen Ebene bewertet wie die herkömmliche Ölgewinnung.

In den darauf folgenden Monaten verlangten Greenpeace, Transport & Environment, der World Wildlife Fund, die Co-Operative und Friends of the Earth Europe, den speziell für Teersand festgelegten Standardwert wieder aufzunehmen, damit "die Nutzung von Öl mit niedrigeren Treibhausgaswerten" in der EU durch Artikel 7a attraktiv gemacht werde. Diese Organisationen wiesen auch darauf hin, dass Hornbys Bezug auf die "Wissenschaft" nicht auf "unabhängigen oder repräsentativen die Co-Operative und Friends of the Earth Europe, den speziell für Teersand festgelegten Standardwert wieder aufzunehmen, damit "die Nutzung von Öl mit niedrigeren Treibhausgaswerten" in der EU durch Artikel 7a attraktiv gemacht werde. Diese Organisationen wiesen auch darauf hin, dass Hornbys Bezug auf die "Wissenschaft" nicht auf "unabhängigen oder repräsentativen Studien" basiere. Eine solche Studie, die im Namen der Europäischen Komission ausgeführt und im Mai 2010 vollendet wurde, stellte fest, dass 107g CO2 eq/MJ der korrekte Standardwert für Öl ist, das aus Teersand gewonnen wird.

Fast ein ganzes Jahr der Lobbyarbeit folgte, mit der kanadischen Regierung und großen europäischen Ölkonzernen mit Interesse an Teersanden (Shell, BP, Total Oil, Statoil) auf der einen und zivilen Einrichtungen auf der anderen Seite. Am 25. März schließlich verkündete die EU-Klimakomissarin Connie Hedegaard: "Es ist die Absicht der Kommission zu diesem Zeitpunkt, einen Entwurf der Richtlinie für Kraftstoffqualität vorzulegen (...) der die Standardwerte sowohl für Teersand als auch für Ölschiefer enthalten soll".

Die EU-Mitgliedstaaten werden in den nächsten Monaten über den Entwurf beraten. Ohne die Unterstützung einer Mehrheit von Mitgliedstaaten könnte der derzeitige Entwurf mit einem separaten Wert für Teersande am Ende sein. Großbritannien und die Niederlande haben bereits ihre Absicht geäußert, den Entwurf abzulehnen. Von Deutschland wird Zustimmung erwartet, doch auch hier könnte das "Teersand-Team" der kanadischen Regierung noch Einfluss nehmen.

Im Dezember 2009 startete die kanadische Regierung ihre "europäische Teersand-Strategie", um "die Teersand-Interessen Kanadas zu fördern und zu beschützen." Unter der Leitung der kanadischen Behörde für äußere Angelegenheiten war diese Einsatztruppe bereits in Oslo, London, Brüssel und Den Haag aktiv.


Gezerre um die Richtlinie für Kraftstoffqualität

Das Gezerre um die Richtlinie für Kraftstoffqualität sollte in diesem Herbst zu Ende gehen. Das eigentlich Bizarre an der Sache ist aber immer noch die relativ geringe Menge von Öl aus Teersanden, die in der EU verkauft wird. Warum ist die kanadische Regierung so vehement für eine Änderung der Richtlinie? Rob Renner, der Umweltminister von Alberta, erklärt: "Es hat nichts mit dem Beschützen unseres Kundenstammes [in Europa] zu tun, sondern mit der Tatsache, dass Entscheidungen in Europa Einfluss auf die politischen Entwicklungen in der ganzen Welt nehmen".

Die kanadische Regierung will, dass die EU einen Präzedenzfall für die Teersande schafft. Wenn die EU festlegt, dass Teersande den gleichen CO2-Ausstoss wie die herkömmliche Ölproduktion haben, könnten andere Länder diesem Beispiel folgen. Alle Zweifel der USA (größter Abnehmer von Teersandöl) über größere Importmengen würden beiseite gefegt.

Die EU hat die einzigartige Chance, mit dieser Richtlinie Geschichte zu schreiben. Den Standardwert für Öl, das aus Teersand gewonnen wird, festzulegen, wird Öl aus dieser Art unkonventioneller Quellen aus der EU fernhalten und wäre ein großer Schritt auf dem Weg, das größte und destruktivste Energieprojekt der Erde endgültig zu beenden: den Teersandabbau in Kanada.

Die Bürger Deutschlands und anderer EU-Mitgliedstaaten sollten ihr Umweltministerium kontaktieren und verlangen, dass ihre Regierung den derzeitigen Entwurf der Richtlinie unterstützt und damit hilft, den Weg in eine sichere, saubere und umweltfreundliche Zukunft auf unserem Planeten zu ebnen.

Übersetzung aus dem Englischen: Arja Jacobs


[1] 86 g CO2 eq/MJ = 86 Gramm Kohlendioxid-Äquivalente pro Megajoule

[2] Anmerkung des Autors vom 03.09.2011: Leider wurde die Zustellung des Entwurfs an die Mitgliedstaaten von den für Handel, Industrie und Energie zuständigen Kabinetten der EU-Kommission vor der Sommerpause (Ende Juli) verhindert. Das heißt, daß die Mitgliedstaaten den Entwurf der EU-Kraftstoffqualität-Richtlinie im September/Oktober erhalten werden, wenn in der EK über den Konflikt entschieden wurde. (Übersetzung: Schattenblick)

Weitere Infos:
Derek.ourdecade[at]gmail.com
www.stoptarsands.eu


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Protest vor der kanadischen Botschaft in Berlin gegen den Teersand-Abbau
London am 18. Juni - Internationaler Protesttag gegen Teersand-Abbau


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 163 - August/September 2011, S. 15
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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mit freundlicher Genehmigung von Autor und DER RABE RALF-Redaktion


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2011