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RESSOURCEN/008: Serbien - Riesige Schieferölvorkommen entdeckt, Umweltschützer warnen vor Abbau (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2012

Serbien: Riesige Schieferölvorkommen entdeckt - Umweltschützer warnen vor Abbau

von Vesna Peric Zimonjic


Belgrad, 25. Januar (IPS) - Die reichen Vorkommen an Erdölschiefer könnten sich für Serbien als schwere Hypothek erweisen. Fachleute haben nachgewiesen, dass im Südosten des Balkanstaates etwa zwei Milliarden Tonnen des ölhaltigen Sedimentgesteins lagern. Daraus könnte in den nächsten zehn Jahren Erdöl im Wert von etwa 60 Milliarden US-Dollar gewonnen werden. Der neue wirtschaftliche Aufschwung Serbiens droht aber zu Lasten der Umwelt zu gehen.

Die Einführung von Technologien zur Verarbeitung von Öl zu Derivaten könnte 120 bis 180 Milliarden Dollar einbringen, wie mehrere Studien von Bergbauinstituten im In- und Ausland sowie eine Anfang Januar veröffentlichte Untersuchung des serbischen Umwelt- und Bergbauministeriums belegen.

"Unser Ziel ist es, hochmoderne internationale Technologien einzuführen, um Schieferöl in eine Ressource zu verwandeln, die das Energiegleichgewicht Serbiens wesentlich verbessern kann", sagte Oliver Dulic, der Minister für Umwelt und Bergbau. Sein Staatssekretär Zdravko Dragosavljevic kündigte an, dass die Firmen, die sich an dem Bieterverfahren beteiligen wollten, Mitte des Jahres bekannt gegeben würden. Die Produktion soll demnach 2016 oder 2017 beginnen.


Hoffnung für Aleksinac

Dulic besuchte kürzlich die kleine Stadt Aleksinac, etwa 200 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Belgrad. Unter der Stadt und der nach einem schweren Grubenunglück mit 90 Toten in den achtziger Jahren geschlossenen Kohlemine liegt der größte Teil der Schieferölreserven.

"Nach unseren Schätzungen kann das Schieferöl mehrere Jahrzehnte lang abgebaut werden. Jährlich würden somit zwischen 500.000 und 600.000 Tonnen Öl, 100 Megawatt Strom und ausreichend Wärmenergie produziert, um Aleksinac und die umliegenden Dörfer zu beheizen", erklärte der Minister.

Während der jüngsten Finanzkrisen hat sich Serbien nur mit Müh und Not über Wasser gehalten. Für die bescheidene Wirtschaftsentwicklung des Landes zahlt die Bevölkerung einen hohen Preis. Nach Angaben des nationalen Statistikamts ist die Arbeitslosigkeit von knapp 19 Prozent 2010 auf 23,7 Prozent im vergangenen November angestiegen. Das ist der höchste Stand seit dem Sturz von Diktator Slobodan Milosevic vor mehr als zehn Jahren. Diejenigen, die noch eine Stelle haben, sind unterbezahlt.

Vor allem junge Menschen sind von der prekären Lage auf dem Arbeitsmarkt betroffen. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen hat die Erwerbslosenrate 51,9 Prozent erreicht. Von den 25- bis 34-Jährigen sind 32 Prozent ohne Job.

Die Regierung hofft, dass die Entdeckung der riesigen Ölschiefer-Vorkommen der angeschlagenen Wirtschaft nun aber wieder auf die Sprünge hilft. "Tausende Menschen werden eine Stelle finden", verkündete Dulic. Voraussetzung dafür sind Investitionen zwischen 700 und 800 Millionen Dollar, um den Abbau der Bodenschätze in Gang zu bringen.

Aleksinac ist für viele nun zum Symbol für ein reicheres Serbien geworden. Manche Experten warnen allerdings vor beträchtlichen Umweltschäden durch die Schieferölgewinnung. Die dazu notwendige Technologie gilt als die schmutzigste auf der ganzen Welt. Dulic verschwieg, dass sich die Europäische Union, die saubere Technologien fördert, nicht an der Finanzierung des Schieferölabbaus beteiligt.


Umweltbelange zweitrangig

Die harte Zeit der Balkan-Kriege in den neunziger Jahren hat allerdings bewirkt, dass für die Serben Umweltbelange eher zweitrangig sind. Nach Kriegsende hatte die Bevölkerung zehn Jahre unter internationalen Sanktionen zu leiden, die nach dem schweren NATO-Bombardement 1999 die Wirtschaft weiter in die Knie zwangen. Daher wundert es kaum, dass die serbischen Medien bisher kaum auf die ökologischen Konsequenzen des Schieferölabbaus eingegangen sind.

Die Sedimentgesteine, die Bitumen und schwerflüchtige Öle enthalten, verwandeln sich nach dem Erhitzen unter- oder oberirdisch in eine ölähnliche Flüssigkeit. Dieser chemische Prozess nennt sich Pyrolyse. Dabei wird Dampf freigesetzt, der sich nach dem Abkühlen in unkonventionelles Schieferöl verwandelt, das dann zu herkömmlichem Öl weiterverarbeitet wird.

Nach Angaben von Dejan Skala von der technischen Fakultät der Universität Belgrad sind die Umweltschäden durch die Schieferölgewinnung "enorm", insbesondere im Fall eines unterirdischen Abbaus. Das Grundwasser werde dadurch schwer belastet.

Auch der Tagebau wird als hochproblematisch eingestuft. Das Gestein muss bei derart hohen Temperaturen erhitzt werden, dass das umliegende Gebiet dadurch zu einer Art Mondlandschaft wird. Die Schadstoffbelastung des Bodens ist oft so groß, dass dort keine Pflanzen mehr wachsen können. Ganze Ökosysteme werden auf diese Weise zerstört.

Die Verarbeitungsanlagen verbrauchen so viel Wasser, dass geschützte Auffangbecken angelegt werden müssen. Bei dem Prozess wird außerdem Kohlendioxyd frei, das erheblich zur Erderwärmung beiträgt. Wie Skala betonte, sollten solche Anlagen nicht in der Nähe dicht besiedelter Gebiete in Betrieb genommen werden.

Die Einwohner von Aleksinac blicken bisher jedoch zuversichtlich nach vorn. "Es war höchste Zeit, dass etwas für diesen Teil Serbiens unternommen wurde", erklärte Vladan Milosavljevic, der früher im Kohlebergbau arbeitete. Bis zu dem Unglück 1989 war das Bergwerk der größte Arbeitgeber der etwa 17.000 Bewohner der Stadt gewesen. "Seit die Mine geschlossen wurde, können wir kaum überleben. Der Ölschiefer gibt uns aber neue Hoffnung." (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2012