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RESSOURCEN/055: Argentinien - Unkonventionelle Öl- und Gasförderung befeuert Konflikt mit Indigenen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. November 2014

Argentinien: Unkonventionelle Öl- und Gasförderung befeuert Konflikt mit Indigenen

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Jorge Nahuel, Sprecher der Vereinigung der Mapuche von Neuquén im argentinischen Patagonien
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Campo Maripe, Argentinien, 19. November (IPS) - Im Südwesten Argentiniens schürt die Ausbeutung unkonventioneller fossiler Brennstoffe neuerliche Konflikte mit den dort lebenden indigenen Gemeinschaften. 22 Mapuche-Dörfer, die im Einzugsbereich der geologischen Formation Vaca Muerta liegen, werfen den Behörden vor, sie um ihr Mitspracherecht gebracht zu haben.

Albino Campo, der Chief ('logko') der Mapuche-Ortschaft Campo Maripe, wehrt sich gegen den in den Verträgen mit den Ölfirmen verwendeten Begriff 'superficiarios', der Indigene und andere Personen meint, die oberhalb von Lagerstätten leben. "Uns gehört das, was sich oberhalb und unterhalb unserer Territorien befindet", erklärte er im IPS-Gespräch.

Doch die Ölkonzerne berufen sich auf Verträge, die sie mit den Behörden geschlossen haben und die ihnen die Bergung der unterirdischen Schätze erlauben. In 3.000 Meter Tiefe unterhalb von Campo Maripe befindet sich eine der weltgrößten Schieferöl- und Schiefergaslagerstätten.


Weideflächen gefährdet

Doch das Areal, das die Mapuche einst als Weideland für ihre Tiere nutzten, ist nun Teil des Loma-Campana-Ölfeldes, das das argentinische Staatsunternehmen YPF gemeinsam mit dem US-Giganten Chevron ausbeutet. "Hier wurden bereits um die 160 Brunnen gebohrt", berichtete Campo. "Sind es erst 500, wird für unsere Tiere kein Weideland mehr übrig sein. Sie haben uns bestohlen."

Angesichts der Dringlichkeit, die Öl- und Gasproduktion zu erhöhen, hat YPF bereits vor einem Jahr damit begonnen, in Campo Campana in der Südpatagonien-Provinz Neuquén Straßen zu bauen und Brunnen zu bohren. Mit der Ruhe ist es hier vorbei, seitdem Lkws Maschinen, Leitungsrohre und andere Komponenten anliefern, die für das hydraulische Fracking erforderlich sind. Das Verfahren ist umstritten, weil Wasser, Sand und Chemikalien unter Hochdruck in das Gestein gepresst werden, um das darin eingeschlossene Öl und Gas freizusetzen.

"Sie sagen, dass all das, was sie unterirdisch tun, keinen Schaden verursacht. Das gilt vielleicht für den Augenblick, doch später kann es gut sein, dass wir aufgrund der Verseuchung an Hautkrebs und anderen Krebsarten erkranken. Oder aber wir verdursten, weil es kein Wasser mehr geben wird", meinte Mabel Campo, die Schwester des Mapuche-Chiefs.

YPF zufolge gehört das strittige Land dem Staat. "Außerdem haben wir unser Bestes getan, um in Beziehung zu allen Anrainern, ob nun Mapuche oder nicht, zu treten, die in den Gebieten leben, in denen wir arbeiten", versicherte der Firmenmanager Federico Calífano.

Obwohl es den Familien von Campo Maripe bisher nicht gelungen ist, sich Titel für ihr Land zu beschaffen, können sie doch einen größeren Sieg für sich verbuchen. Nach Protesten, in deren Verlauf sie sich auch an die Öltürme festgekettet hatten, brachten sie die Provinzregierung im Oktober dazu, Campo Maripe offiziell als indigenes Dorf anzuerkennen.

"Als rechtliches Gebilde anerkannt zu werden, heißt, dass man uns unsere Identität als Mapuche nicht mehr absprechen kann. Nun müssen die Behörden, was auch immer sie mit unserem Land vorhaben, mit uns verhandeln", erläuterte Micaela Gomiz von der Beobachterstelle für Menschenrechte der indigenen Völker Patagoniens (ODHPI) in einer Mitteilung.

ODHIP zufolge waren bis zum Jahr 2013 347 Mapuche wegen widerrechtlicher Aneignung und unerlaubtem Betreten von Land verklagt worden. Allein in Neuquén wurden 80 Gerichtsverfahren angestrengt, in der Nachbarprovinz Río Negro waren es 60.


Verstoß gegen ILO-Konvention 169

Im Fall von Vaca Muerta erklärte Jorge Nahuel, Sprecher der Mapuche-Vereinigung von Neuquén, dass die Behörden gegen die Ureinwohnerkonvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verstoßen hätten. Argentinien hat das Abkommen, das vor jeder Projektbewilligung auf indigenen Territorien eine Rücksprache mit den betroffenen indigenen Gemeinschaften vorschreibt, vor 25 Jahren ratifiziert. "Demnach gilt es grundsätzlich die Frage zu klären, ob wir bereit sind, einem Eingriff zuzustimmen, der unsere Lebensweise völlig verändert", meinte er.

"Außerdem sollte das Unternehmen unser Verfassungsrecht respektieren, die natürlichen Ressourcen mitzuverwalten. Die Ankunft des Ölunternehmens bedeutet einen vollständigen Verstoß gegen diese Rechte", kritisierte Nahuel. In der Soja- und Bergbauindustrie seien ähnliche Verstöße zu beobachten. "Die Indigenen werden lediglich als Teil der Natur betrachtet, auf der man herumtrampeln darf."

In dem 42 Millionen Einwohner zählenden Land haben sich im Rahmen einer Volksbefragung im Jahr 2010 fast eine Million Teilnehmer als Indigene bezeichnet. Die meisten gehören den Völkern der Mapuche und Colla an. Sie konzentrieren sich auf Neuquén und zwei weitere Provinzen.

Nahuel wies ferner darauf hin, dass nur zehn Prozent der fast 70 indigenen Gemeinschaften in Neuquén über Landbesitzrechte verfügen. Der Staat lasse sich von der "perversen" Logik leiten, dass Unternehmen rechtlich besser gestellt seien, wenn den Indigenen Landbesitzrechte vorenthalten würden. Aus diesem Grund sei man seit Jahrzehnten bestrebt, den Mapuche möglichst keine Landtitel auszustellen.

Luis Sapag, Abgeordneter der Volksbewegung von Neuquén, hatte die Kontroverse im letzten Jahr durch die Bemerkung verschärft, "dass einige Indigene gute Geschäften machen. [...] YPF hat sich nicht auf Mapuche-Land niedergelassen [...] Vielmehr haben sich einige Mapuche dort niedergelassen, wo YPF mit den Förderarbeiten begonnen hat."

"Bevor Loma Campana entwickelt wurde, gab es von Seiten der Mapuche keine Forderungen oder Beschwerden", ließ auch der für die YPF-Aktivitäten in Neuquén zuständige Manager für unkonventionelle Ressourcen, Pablo Bizzotto, vor Journalisten verlauten, die das Ölfeld in der südwestlichen Provinz Neuquén unlängst besucht hatten.

Nahuel zufolge bedient sich der Staat der immer gleichen Argumentationsweise wie schon bei der Invasion der Mapuche-Territorien. "Erst dringt man in indigenes Land ein, dann erklärt man uns, dass unsere Forderungen jeder Grundlage entbehrten, weil man uns vorher nicht gesehen habe."

Nahuel zufolge werden sich die Konflikte mit zunehmenden Fracking- Aktivitäten verschärfen. Das neue Gesetz für fossile Brennstoffe, seit 31. Oktober in Kraft, berge genügend Konfliktpotenzial, da es "die Interessen der Konzerne vertritt, indem es diesen Förderrechte über einen Zeitraum von 50 Jahren zubilligt".

Dazu meinte Logko Campo: "Wenn YPF dann von hier weggeht, wird es für die Mapuche keine Zukunft mehr geben. Dann werden wir nur noch Schadstoffe und Tod vorfinden." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/11/petroleo-de-esquisto-reactiva-conflicto-indigena-en-argentina/
http://www.ipsnews.net/2014/11/shale-oil-fuels-indigenous-conflict-in-argentina/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2014