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SOZIALES/021: Bolivien - Lebensraum von Indigenen zerstört, immer weniger Fische im Fluss Pilcomayo (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Juli 2012

Bolivien: Lebensraum von Indigenen zerstört - Immer weniger Fische im Fluss Pilcomayo

von Pascuala Mena Trigo


Weenhayek-Frauen fangen Fisch - Bild: © Pascuala Mena Trigo/IPS

Weenhayek-Frauen fangen Fisch
Bild: © Pascuala Mena Trigo/IPS

Villa Montes, Bolivien, 6. Juli (IPS) - "Ich will vom Pilcomayo nicht nur als Erinnerung erzählen", heißt es in einem bekannten Lied aus der Provinz Gran Chaco in Bolivien. Die Sorge um den Fluss ist begründet: Die Weenhayek-Indigenen, die sich von den Fischen des Flusses ernähren und auf sein Wasser angewiesen sind, fürchten um ihre Existenz.

"Vergiss nicht, dass dieser Fluss unserem Volk sein Leben einhaucht", sang Yalo Cuellar bereits vor zehn Jahren in dem Lied 'Tränen des Pilcomayo'. Doch niemand hat seine Warnungen ernst genug genommen.

Der Strom, der in den bolivianischen Anden entspringt und 836 Kilometer zurücklegt, bis er Paraguay und Argentinien erreicht, leidet zunehmend unter einer Fischarmut, und auch die übrige Tier- und Pflanzenwelt schrumpft immer mehr zusammen.

Dem Sänger Cuellar zufolge ist daran "das Gift, das von weither kommt" verantwortlich. Gemeint ist die Ausbeutung der Böden durch intensive Land- und Viehwirtschaft. Hinzu kommen außerdem gigantische Wasserkraftwerke, Umweltverschmutzung und eine schlecht konzipierte Infrastruktur - und letztlich die Nachlässigkeit der Behörden, die all dies zulassen.

Das Volk der Weenhayek wohnt hier bereits seit über 7.000 Jahren. 15.000 Menschen leben in 62 Gemeinschaften in der Unabhängigen Region Gran Chaco, die an Argentinien und Paraguay grenzt. Die Indigenen, die in ihrer Sprache 'Das andere Volk' heißen, sind hauptsächlich Fischer. Wenn die Schwärme kommen, campen ganze Familien am Ufer des Pilcomayo und fangen Maifische, Doraden, Surubi-Welse, Pacus und Tigerspatelwelse. Teilweise verkaufen sie den Fang weiter an fahrende Händler, die die Fische auf den Märkten in den umliegenden Städten verkaufen. Den Rest behalten die Weenhayek für den Eigenbedarf.


"Nehmen, was man bekommt"

"Seit drei Jahren ist unsere Haupteinnahmequelle in Gefahr, weil es immer weniger Fische im Fluss gibt", sagt Moisés Sapiranda, der 'niyaat qoo-taj' (großer Kapitän) der Weenhayek, der in einer demokratischen Wahl von seinen Mitbürgern gewählt worden ist. "Früher war der Fluss voller Fische, man konnte wählen, welche man fängt - heute muss man nehmen, was man bekommt."

Jedes Jahr im April haben sich die Indigenen auf den Fischfang vorbereitet. "Mit den Geldern, die wir durch den Verkauf erzielten, konnten wir unseren Lebensunterhalt bestreiten, Kleider kaufen und unsere Kinder zur Schule schicken", erzählt Jacinto Ugarte, der zweite Große Kapitän. Bereichern konnten sie sich durch den Fischfang nie. "Bis heute leben wir in baufälligen Hütten, der Rauheit der Zeit ausgesetzt."

Ein Meilenstein in der Degenerierung des Flusses war das Jahr 2010. Während der Pilcomayo zuvor noch 2.500 Kubikmeter Wasser mit sich führte, waren es plötzlich nur noch 90 - er lag fast trocken da. "Das hat das Ökosystem nachhaltig und irreversibel angegriffen", sagt Jorge Cappato, Leiter der Nichtregierungsorganisation 'Fundación Proteger'.


Natürliche Kreisläufe verschieben sich

Neben dem Fischfang gehen die Weenhayek dem Sammeln von Waldfrüchten und Wurzeln nach und machen Honig. Außerdem stellen sie kunsthandwerkliche Gegenstände her, wozu sie vor allem die Caraguata-Pflanze nutzen, die in ihrer Gegend zuhauf vorkommt.

Das Problem endet nicht bei einem Rückgang der Fischpopulation. Es gibt auch weniger Wildtiere und Pflanzen, die die Indigenen traditionell genutzt haben - beispielsweise als Nahrungs- oder Heilmittel. Verantwortlich machen sie dafür die Umweltverschmutzung und die unkontrollierte Ausbreitung von Wasserkraftwerken, Viehzucht und Landwirtschaft. Sie kritisieren, dass sich die natürlichen Kreisläufe ändern, die die Weenhayek über Jahrhunderte hinweg geschützt hatten.

Ein weiteres Problem, das dem Fluss zusetzt, ist das Projekt 'Pantalón', mit dem Argentinien und Paraguay dafür sorgen wollen, dass die beiden Länder einen gleichen Anteil an Wasser aus dem Fluss erhalten. Planungsfehler beim Bauen der entsprechenden Kanalisation haben allerdings dafür gesorgt, dass ein Teil des Wassers einfach im Boden versickerte.

Die Indigenen fordern nun von den Regierungen in Asunción und Buenos Aires, dass diese Maßnahmen ergreifen, um den Fluss nicht weiter zu verkleinern. Immerhin wurde in Bolivien selbst bereits die Nationale Pilcomayo-Kommission eingesetzt, in der alle beteiligten Akteure vertreten sind. (Ende/IPS/jt/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2012