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SOZIALES/099: Illegaler Bernsteinabbau in der Ukraine - eine unbekannte Umweltkatastrophe (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 199 - August/September 2017
Die Berliner Umweltzeitung

Raubbau an der Natur für einen Stein
Illegaler Bernsteinabbau in der Ukraine - eine unbekannte Umweltkatastrophe

von Marina Körner


Die vergangenen Jahre waren nicht leicht für die ukrainische Bevölkerung. Bürgerkriege durchdringen den Staat, die nicht nur im Osten zu spüren sind. Im wirtschaftsarmen Nordwesten des Landes kommen seit Jahren wachsende ökologische Probleme hinzu.

Als Teil der historischen Landschaft Polesien besitzt der ukrainische Verwaltungsbezirk Wolhynien ausgedehnte Wald- und Moorgebiete mit hohen Vorkommen an Bernstein im Boden. Der Bernstein ist so begehrt, dass große Teile der Bevölkerung heute im illegalen Bernsteinabbau tätig sind. Lediglich 10 Prozent der ukrainischen Bernsteingewinnung finden legal statt.

Mondlandschaften

Der Bernstein in der Ukraine befindet sich tief im Boden. Um an die wertvollen Steine zu gelangen, werden die großen Wälder abgeholzt. Anschließend wird Wasser durch den lehmigen Boden unter den Bäumen gepumpt, das den Boden aufweicht und den darin enthaltenen Bernstein herauslöst. Übrig bleiben Mondlandschaften. Ob sie jemals renaturiert werden, ist ungewiss.

"Eine der Pumpmethoden zerstört praktisch die Flüsse und Gewässer. Das Wasser wird schmutzig und salzig, wodurch alle lebenden Organismen absterben und verschwinden. Die Flüsse verwandeln sich in matschige Löcher", erläuterte der Ökologe Petro Testow von der ukrainischen Umweltorganisation "Environment People Law" (EPL) gegenüber dem Auslandsdienst der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian. Wie der Mediziner Dr. Wolodymyr Antonjuk-Kisel derselben Agentur berichtete, sind die Auswirkungen des "Bernsteinfiebers" auf die Umwelt fatal: Es entstehen sandige Wüsten, Wurzelsysteme werden zerstört, fruchtbarer Boden fortgeschwemmt.

Radioaktives Cäsium und Strontium

Und es gibt ein noch schlimmeres Problem: In dem Gebiet befinden sich noch immer radioaktive Substanzen im Boden, eine Hinterlassenschaft der Atomkatastrophe von Tschernobyl vor über 30 Jahren, die nun von den Bernsteinsuchern wieder an die Oberfläche befördert wird. Nach Angaben von Dr. Antonjuk-Kisel haben sich im nordukrainischen Polesien in den letzten drei Jahrzehnten nach und nach Radionuklide der Elemente Cäsium und Strontium 10 bis 15 Meter unterhalb der Wurzelsysteme der Bäume abgelagert. Anfangs hatte man die Elemente nur an der Oberfläche gefunden.

Die Befunde treffen auf alle Kreise des Bezirks Rivne zu, die die reichsten Bernsteinvorkommen haben. Ausgerechnet diese Gebiete sind am stärksten von den Tschernobyl-Folgen betroffen.

Eine abgehängte Region

Im Sommer 2015 forderte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ein härteres Durchgreifen der Behörden gegen den illegalen Bernsteinabbau. Er gab den Beamten zwei Wochen, um alle illegalen Abbaumaßnahmen in der Region zu stoppen. Getan hat sich aber nicht viel. Im März dieses Jahres besetzten sogar Hunderte bewaffnete Menschen die Kreisverwaltung in der Stadt Olewsk, als der Rat Maßnahmen gegen den Bernsteinabbau beschließen wollte. Zusätzlich blockierten sie die Fernstraße von Kiew nach Polen und überfielen einen Posten an der ukrainisch-polnischen Grenze.

Wie kann so etwas passieren? Ganz einfach: Die meisten Einwohner in der Region haben keine Zukunftsperspektive. Der Verkauf von illegalem Bernstein ist dort eine der wenigen Möglichkeiten, um genügend Geld für ein Leben über der Armutsgrenze zu verdienen. Das durchschnittliche Gehalt einer Kassiererin im Supermarkt beträgt 83 Hrywnja am Tag, das sind umgerechnet 2,86 Euro, während ein Fahrer eines großen illegalen Unternehmens der Bernsteinmafia ungefähr 700 Hrywnja (24 Euro) am Tag verdienen kann.

Für viele wiegen das Geld und die damit verbundene Möglichkeit, die Familie über Wasser zu halten, schwerer als die Naturzerstörung durch den Bernsteinabbau.

Gegen jegliche Versuche, das Treiben zu beenden, wehren sich die Bernsteinkumpel mit aller Macht. Zusammen mit bestochenen Polizisten und ukrainischen Nationalisten haben sie ein funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Durch den Krieg im ostukrainischen Donezbecken haben auch viele Westukrainer militärische Erfahrungen gesammelt. Sie können mit einer Pistole und nicht selten auch mit einem Maschinengewehr umgehen, ja sogar mit einem Granatwerfer. Das zeigt, wie ernst es den Menschen mit der Verteidigung ihres Geschäfts ist.

Wirkliche Nutznießer des mafiösen Systems sind aber nur wenige, vor allem die Bernsteinbarone, die örtliche Polizei und bewaffnete Nationalisten. Auch einige Beamte werden für die Verschleierung der illegalen Aktivitäten bezahlt.

Käufer im nahen Westen und Fernen Osten

Wohin geht aber der Bernstein? Offensichtlich ist ja eine Nachfrage für die Schmucksteine da. Andrij Mantschuk vom linken Internetportal Liva.com meint, dass der Großteil des Bernsteins nach Polen geht. Geschäftsleute aus Polen und Litauen hätten den Ukrainern in Wolhynien in den 1990er Jahren klargemacht, dass das Mineral sehr begehrt sei und man damit viel Geld machen könne. Allerdings wurde der Bernsteinrausch im Nordwesten erst durch die Maidan-Revolution von 2013 angefacht. Die Polizei verlor die Kontrolle und die Erhöhung der Strom- und Heizkosten in den folgenden Jahren trieb die Menschen dazu, sich massenhaft der Bernsteinsuche zuzuwenden.

Auch Geschäftsleute aus China sollen von dem Abbau profitieren. Wie es heißt, kauft zwar der größte Teil von ihnen den Bernstein in Polen, manche Deals werden aber bereits in Kiew abgeschlossen. Gerade in China ist die Nachfrage nach Bernstein für Schmuck in den letzten Jahren gestiegen.

Der Schmuggel nach Polen ist ebenfalls professionell organisiert, sogar mit Doppeldeckern und Deltaseglern wird gearbeitet. Ein solches Fluggerät wurde sogar schon abgeschossen. In Ungarn und der Slowakei fanden Grenzbeamte außerdem gut ausgestattete Tunnel, einige sogar mit Gleisen. Es scheint, dass die gesamte westliche Grenzregion der Ukraine für den Bernsteinschmuggel genutzt wird, zusammen mit dem Schmuggel von Zigaretten - und von Holz aus den Karpaten. Das ist dann wieder ein anderes ökologisches Problem.

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Quelle:
DER RABE RALF
27. Jahrgang, Nr. 199, Seite 3
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2017

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