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WIRTSCHAFT/109: Digitale Biopiraterie - gerechte Nutzungsteilhabe genetischer Ressourcen gerät ins Hintertreffen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2019

Digitale Biopiraterie
Die gerechte Nutzteilhabe genetischer Ressourcen gerät ins Hintertreffen

von Ursula Gröhn-Wittern


Die Forderung nach einer gerechten Teilhabe an der Nutzung genetischer Ressourcen ist eine der 3 gleichrangig nebeneinanderstehenden Ziele der UN-Konvention über biologische Vielfalt (CBD), auch der Erhalt der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile gehört dazu. Für alle 3 Ziele muss in der Europäischen Union (EU) eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Während die 2 anderen Ziele relativ leicht nachvollziehbar erscheinen, gibt es beim 3. Ziel zur gerechten Nutzteilhabe genetischer Ressourcen viel mehr Widerstand, kompliziertere Zusammenhänge und Zuständigkeiten. Dabei ist die Thematik hochrelevant, wenn es darum geht, wer denn Teilhabe bekommen soll, wenn die Pharma- oder Kosmetikindustrie eine Pflanze "entdeckt", die für ein Produkt interessant erscheint und dann vielleicht auch noch das dazugehörende traditionelle Wissen nutzt oder in einer traditionellen Landsorte ein Resistenzgen gegen eine Pflanzenkrankheit gefunden wird.


Das Nagoya-Protokoll wurde geschaffen, um das 3. Ziel umzusetzen. In der EU wird die Europäische Kommission dabei von einem ExpertInnengremium beraten, dem ABS (Access and Benefit Sharing - Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechten Vorteilsausgleich) Consultation Forum. Das Nagoya-Protokoll ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile aus ihrer Nutzung regelt. In Deutschland ist das Bundesumweltministerium (BMU) bzw. das Bundesamt für Naturschutz (BfN) zuständig.

Das ABS Consultation Forum

Das ABS Consultation Forum ist eine Plattform für den Informationsaustausch zwischen RepräsentantInnen der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission zur Umsetzung der EU-ABS-Richtlinie Nr. 511/2014. Das Forum soll der Direktion Umwelt Rat und Expertise in Bezug auf die EURichtlinie und ihre Umsetzung liefern sowie eine Kooperation mit Mitgliedsstaaten und Stakeholdern schaffen. Es trifft keine bindenden Entscheidungen. Die Resultate gehen in die Entscheidungen der Kommission ein. Eingeladen sind ca. 50 Personen aus den Mitgliedsstaaten, Nichtregierungsorganisationen, Berufsverbänden, Industrie und Forschung. Viele EU-Staaten sind aber auch nicht vertreten. Bis jetzt gab es 4 Treffen. Zwischen diesen Treffen werden Arbeitsaufträge an kleine Untergruppen vergeben, die dann beim nächsten Treffen ihre Ergebnisse vorstellen. Ein zusammenfassendes Protokoll wird von der Kommission erstellt, ohne dass Positionen bestimmten VertreterInnen zugeordnet werden. Die Ausführungen sind vertraulich.

In allen EU-Staaten befindet sich die Umsetzung des Nagoya-Protokolls auch nach über 4 Jahren noch in der Frühphase. Deutschland ist im Vergleich dabei relativ weit.

Bei der Umsetzung soll die Internetplattform DECLARE[1] helfen. Ein Tool, das bei der Registrierung europäischer NutzerInnen genetischer Ressourcen und zur Erfüllung der ABS-Vorschriften eingesetzt wird. Es arbeitet seit September 2017 und wurde bis jetzt über 100 Mal genutzt, hauptsächlich von NutzerInnen in Deutschland.

Der Teufel steckt im Detail

Fragen, die geklärt und geregelt werden müssen, sind z. B.: Sind SubunternehmerInnen NutzerInnen genetischer Ressourcen? Fällt eine zweite Nutzung nach 20 Jahren unter das ABS-Regime? Fällt das menschliche Biom, d. h. die Mikroorganismen innerhalb und außerhalb des menschlichen Körpers, unter die CBD und unter ABS? Welche unterschiedlichen Interessen haben Privatsammlungen und staatliche Sammlungen von genetischen Ressourcen? Fällt die reine botanische oder zoologische Bestimmung unter das ABS-Regime? (Tut sie nicht.) Gibt es Interessenkonflikte? Auch die Frage, wann ein Derivat einer Verbindung noch der gleiche Stoff ist oder schon ein anderer, stellt die TeilnehmerInnen vor eine schwierige Aufgabe, die noch geklärt werden muss.

Großen Raum nehmen die Berichte der verschiedenen Interessenverbände (Pharma, Tierzucht, Biotechnologie, Pflanzenzucht, Nahrung und Futtermittel, Kosmetik) über die Handhabung und den Umgang mit großen Reihenuntersuchungen von Tausenden von Pflanzen oder Mikroorganismen ein. Es ist eine der zu regelnden Fragen, ab wann eine NutzerIn genetischer Ressourcen die entsprechenden Dokumente Prior Informed Consent (PIC - die Zustimmung der BereitstellerInnen zur Nutzung) und die Mutually Agreed Terms (MAT - die beiderseitigen Bedingungen für die Nutzung) vorlegen muss. Allgemein wird die Ansicht vertreten, dass dies zum Anfang solcher Reihenuntersuchungen zu früh ist und einen zu großen Aufwand bedeutet. Wann allerdings dieser Punkt erreicht wird, konnte bis jetzt nicht geklärt werden.

Kommerzielle Pflanzensorten fallen bei der 1. Nutzung unter das ABS-Regime. Die VertreterInnen der Saatzuchtunternehmen argumentieren, dass um die genetische Basis von Früchten zu verbreitern, von vielleicht 10.000 gescreenten Accessionen letztlich 15 genutzt werden, um sie in Elitematerial einzukreuzen. Sie vertreten die Ansicht, dass die gefundene Information der Gemeinschaft zugutekommt. Die Kosten für eine umfassende Dokumentation von PIC und MAT wären sehr hoch und die Aktivitäten mit Unsicherheiten verbunden. Bei Forschung, die öffentlich gefördert wird, muss eine Dokumentation schon geschehen, nicht wenn das Unternehmen die Saatzucht selbst finanziert.

Entwicklung von Leitlinien

Das ABS-Forum hat ein Gutachten beauftragt, Leitlinien für NutzerInnen zu entwickeln und die Interessen von SammlungsinhaberInnen genetischer Ressourcen (nationale und private) und dem Privatsektor zu beleuchten. Beide haben unterschiedliches Wissen und Einstellungen zu ABS. Sammlungen müssen die NutzerInnen über die ABS-Regeln unterrichten und spielen sehr unterschiedliche Rollen in Forschung und Bildung. Im Privatsektor ist die Grundlagenforschung von ABS ausgenommen.

Digitalisierung und Biopiraterie

Das größte Thema sind zweifelsfrei die Möglichkeiten, die die Digitalisierung genetischer Informationen bieten. Ein Fortschritt, den man bei der Schaffung der CBD und des Nagoya-Protokolls noch nicht voll erkennen konnte und nicht im Blick hatte. Es ist möglich, die genetische Information nur in digitaler Form zu erfassen und zu speichern. Man braucht nicht mehr unbedingt die physische Pflanze oder das Tier. Nutzt jemand diese Information, ist es dann ein Vorgang, der unter das Nagoya-Protokoll fällt? Man braucht den Organismus dafür ja nicht einmal mehr außer Landes zu schmuggeln, es reicht eine E-Mail. Hat hier die technische Entwicklung ein Abkommen überholt?

Den Entwicklungsländern bleibt die Möglichkeit, so wie es Brasilien und Malaysia getan haben, in ihrer nationalen Gesetzgebung die digitale Nutzung mit zu berücksichtigen. Ihrem Beispiel werden andere folgen, wenn es keine Lösung zu dem Problem gibt.

Logischerweise wollen die industriellen NutzerInnen den administrativen und finanziellen Aufwand bei jeder Regelung so klein wie möglich halten. Die Interessen der Ursprungsländer angemessen zu vertreten und hochzuhalten ist nicht leicht. Sie sind ja auch im EU Consultation Forum nicht dabei.

Die Aufgabe der Gruppe zeigt, dass es erhebliche Lücken gibt, die geschlossen werden müssen, um die Umsetzung des ABS praktikabel zu machen. Es geht nur langsam voran und für viele NutzerInnen sind die fehlenden Regelungen nicht ungünstig.

Das Sammeln genetischer Ressourcen ohne Information und Einverständnis der Staaten und indigenen Bevölkerung geht weiter. Dabei stehen besonders Organismen, die dürreresistent sind, z. B. in heißen Quellen leben, oder Schnecken und Amphibien, die auf ihrer Haut antibiotische Stoffe tragen, aber auch Bodenorganismen, Fische und Tiefseeorganismen, im Fokus.

Das Thema Biopiraterie ist noch lange nicht vorbei. Es ist nur leider sehr kompliziert. Das ist wohl auch ein Grund, warum so wenige Menschen dazu noch arbeiten. Schade eigentlich, denn Expertise wäre dringend nötig, um den Entwicklungsländern Wege aufzuzeigen und Kompetenzen bei den Verhandlungen zu stärken und aufzubauen.

Nachteile für Vertragsstaaten?

Die Modalitäten bei der Nutzung genetischer Ressourcen müssen international ähnlich und abgestimmt sein. Sonst haben die Staaten, die nichts regeln, einen Wettbewerbsvorteil.

Die EU, Japan und die Schweiz haben deutlich gemacht, dass sie in kommenden Verhandlungen nicht bereit sind, wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, nur weil sie Vertragsstaaten sind. Sie sehen, dass die USA, die die CBD nicht unterzeichnet haben, nun eventuell Vorteile haben. In Zeiten, in denen Verträge aufgekündigt werden, je nachdem, ob man sich Vor- oder Nachteile ausrechnet, steht es schlecht für Abkommen, die wirtschaftliche Aktivitäten um der Gerechtigkeit willen eingrenzen. Die CBD und das Nagoya-Protokoll brauchen daher die Unterstützung der Zivilgesellschaft.


Im Auftrag des Forum Umwelt und Entwicklung/DNR ist die Autorin eine der NichtregierungsorganisationsvertreterInnen im ABS Consultation Forum. Sie arbeitet bei der Agrar Koordination.


[1] DECLARE ist eine EU-weite Internetplattform, über die NutzerInnen die Sorgfaltserklärung nach Art. 7 Absatz 1 der Verordnung EU 511/2014 den zuständigen Behörden melden können. Diejenigen, die Forschungsmittel für die Nutzung von genetischen Ressourcen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, und/oder von traditionellem Wissen, das sich auf solche genetischen Ressourcen bezieht, erhalten, sind verpflichtet, gegenüber dem BfN eine Sorgfaltserklärung abzugeben.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2019, Seite 30 - 31
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2019

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