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WASSER/152: Brasilien - Staudamm-Bau am Amazonas, WWF sieht Verhandlungsspielraum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2013

Brasilien: Staudamm-Bau am Amazonas - WWF sieht Verhandlungsspielraum

von Mario Osava


Bild: © Denise Oliveira/WWF Living Amazon Initiative

Pedro Bara spricht zu Indigenen und Aktivisten
Bild: © Denise Oliveira/WWF Living Amazon Initiative

São Paulo, 10. September (IPS) - In der Kontroverse um den Bau von Wasserkraftwerken in der brasilianischen Amazonasregion wirbt die Umweltorganisation WWF dafür, einen großen zentralen 'Block' aus Urwald sowie kleinere Zonen am Tapajós-Fluss zu erhalten. Auf diese Weise könnten Artenreichtum und Ökosysteme des Dschungels geschützt werden, erläutert Pedro Bara, Leiter der WWF-'Living Amazonas Initiative', im Exklusiv-Interview mit IPS. Es gebe durchaus Spielraum für Verhandlungen mit der Regierung.

Am Tapajós, einem der größten Nebenflüsse des Amazonas im Norden Brasiliens, sollen in Zukunft fast 30.000 MW Strom erzeugt werden. In dem Gebiet will die Regierung acht von 42 möglichen Staudämmen schaffen, die im Rahmen des Ausbaus der Energieproduktion bis zum Jahr 2021 in dem südamerikanischen Land entstehen sollen. Es scheint so, als würde diese Region nun zum Schauplatz der entscheidenden Schlacht zwischen Naturschützern und staatlichen Stromproduzenten.

Das Tapajós-Flussbecken ist dünner besiedelt als andere Gebiete wie etwa Belo Monte am Rio Xingú, wo ebenfalls Strom produziert werden soll. In der Umgebung des Tapajós leben auf einer Fläche von rund 50 Millionen Hektar nur etwa eine Million Menschen. Obwohl die Regierung zugesichert hat, Arbeiter und Baumaterialien nur per Flugzeug und nicht auf dem Landweg in die Region zu bringen, sind die Mundurukú-Indigenen misstrauisch und wehren sich weiter gegen den Dammbau.

Der WWF will mit seiner Initiative zum Schutz besonders wertvoller Naturregionen beitragen. Es folgen Auszüge aus dem Interview mit Pedro Bara.

IPS: Sie fordern den Erhalt von 30 Prozent jedes der 423 Land- und 299 Wasser-Ökosysteme, die im Amazonas-Regenwald existieren. Ihr Vorschlag soll die Grundlage für Gespräche über eine mögliche Ausweitung des Dammbaus zur Stromgewinnung aus Wasserkraft ohne unumkehrbare Umweltzerstörung bilden. Wie müsste man sich diesen Ansatz im Tapajós-Flussbecken vorstellen?

Pedro Bara: Angesichts der geringen Kenntnisse über die gesamte Spannbreite der Biodiversität können wir nur Schätzungen anstellen. Im Fall von Tapajós sind wir in der Lage, die 'Arche Noah' mit 93 Land- und 28 Wasser-Ökosystemen zu füllen. Hinzu kommen 46 Vogelarten, 17 Säugetierspezies und 37 Fischarten, außerdem 20 Wasser-Habitate. Dies alles wurde von weltweit renommierten Experten festgelegt.

Auch die Bodennutzung und die Ausweitung von Landwirtschaft und illegalem Goldschürfen wurden untersucht. Daraus ergab sich die Erkenntnis, dass 22 Prozent des Gebietes geschädigt sind. 22 Prozent dieser Fläche befinden sich in Naturschutzgebieten und 20 Prozent in Inidigenen-Reservationen. Die Evaluierung berücksichtigte die jeweilige Größe des Staudamms, den Erhalt des Waldes, die nachhaltige Nutzung und die indigenen Territorien.

IPS: Welche Schlussfolgerungen haben das von Ihnen entwickelte Instrument und die Sammlung von Daten ermöglicht?

Bara: Wir wollen im Tapajós-Becken mindestens einen großen zentralen Block erhalten. Einige Dämme wie der Chacorão auf dem Gebiet der Mundurukú sind inakzeptabel.

IPS: Die Regierung sagt, sie werde keine Ureinwohnergebiete fluten.

Bara: Die Frage wurde nicht thematisiert und auch nicht im Zehn-Jahres-Plan für die Energie-Expansion berücksichtigt, weil die Regierung Rückschläge befürchtet. Die Mundurukú sind sich dessen bewusst und reagieren.

IPS: Welche anderen Wasserkraftwerke sind nach den vom WWF entworfenen Kriterien abzulehnen?

Bara: Der Escondido-Damm, weil eine Fläche von etwa 1.000 Quadratkilometern geflutet würde, um 1.248 MW Strom zu generieren. Dieses Gebiet ist doppelt so groß wie die Zone, die durch den Belo Monte-Damm überschwemmt wird, der jedoch zehn Mal so viel Energie erzeugen wird.

Zwischen diesen beiden Kraftwerken liegen die Dämme von Salto Augusto und São Simão, die deshalb problematisch sind, weil sie sich im Naturpark Juruena befinden. Alle vier Dämme befinden sich innerhalb des großen zentralen Blocks, der erhalten werden muss.

IPS: Wäre die Regierung denn überhaupt bereit, über den strategisch wichtigen Damm São Luiz do Tapajós zu diskutieren?

Bara: Nein, das staatliche Energieunternehmen EPE hat klargestellt, dass es unser Instrument zwar ausgezeichnet findet, jedoch zu keinen Verhandlungen über die Dämme São Luiz oder Jatobá bereit ist. Doch wir sehen durchaus Spielraum für Verhandlungen.

IPS: EPE-Präsident Mauricio Tolmasquin hat erklärt, er unterstütze Ihre Methode, um von dem Wasserkraft-Programm "so viel zu erhalten wie möglich". Gibt es Anzeichen dafür, dass die Regierung verhandlungsbereit ist?

Bara: Betrachtet man die Tapajós-Wasserscheide als Ganzes, so fehlen EPE wichtige Elemente, um so viel wie möglich zu erhalten. Nicht alle Umweltgenehmigungen fallen in die Zuständigkeit der föderalen Justiz. Ohne eine eindeutige Koordination zwischen den Bundesstaaten und der zentralen Regierung wird es aber zu widersprüchlichen Entscheidungen kommen.

IPS: Die indigenen Mundurukú wollen ihr Veto gegen den Tapajós-Damm einlegen. Kann die Ethnie zu Verhandlungen überredet werden?

Bara: Wir sind dabei, uns den indigenen Führern zu nähern. Es gibt viele Dörfer, die teils weit auseinander liegen. Die Mundurukú stehen vor der großen Herausforderung, sich auf große Entfernungen hinweg gegen ein so großes Bauprojekt zu organisieren, hinter dem die Interessen mächtiger Kreise stehen.

Gespräche werden von der Bereitschaft der Regierung abhängen, einem Dialog zuzustimmen. Zunächst müsste dabei über die Anwendung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO beraten werden, die eine vorherige Einwilligung indigener Gemeinden vorschreibt. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://wwf.panda.org/what_we_do/where_we_work/amazon/vision_amazon/living_amazon_initiative222/
http://www.ipsnews.net/2013/09/qa-room-for-negotiation-in-decisive-battle-over-the-amazon/
http://www.ipsnoticias.net/2013/08/tapajos-la-batalla-decisiva-por-la-amazonia-se-puede-negociar-parte-ii/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2013