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WASSER/177: Chile - Das Wasser aus dem Süden gegen den Durst der Bergbauindustrie im Norden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2014

Chile: Das Wasser aus dem Süden gegen den Durst der Bergbauindustrie im Norden

von Marianela Jarroud und Orlando Milesi


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Der Fuy ist einer von vielen Flüssen im Süden Chiles, aus denen das Wasser für den trockenen Norden kommen soll
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Santiago, 6. Mai (IPS) - In Chile sind drei privatwirtschaftliche Initiativen geplant, die den trockenen Norden des Landes mit Flusswasser aus dem Süden versorgen sollen. Vor allem sollen die Vorhaben den Durst der Bergbauindustrie im Lande stillen, dem größten Kupferproduzenten der Welt.

Technische Machbarkeitsstudien für die Projekte 'Aquatacama', 'Vía Hídrica del Norte' und 'Sirius' liegen bereits vor. Umweltverträglichkeitsuntersuchungen stehen noch aus. Die Lobbyisten der Bergbauunternehmen versuchen die Regierung derzeit davon zu überzeugen, dass ihre Projekte von sozialem Interesse sind.

Die Argumentation ist schlüssig. Der zunehmende Wassermangel im Norden, der wichtigsten Bergbauregion, behindert die Entwicklung, was wiederum sozialen Unruhen Auftrieb geben könnte. Hinzu kommt, dass der Bergbau kein Industriezweig ist, der sich einfach ignorieren lässt. Er erwirtschaftet 13 Prozent des chilenischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und beschäftigt 36 Prozent der Erwerbsfähigen im Lande.

Das schmale aber langgezogene südamerikanische Land ist zwar reich an Wasser, das aber ungleich verteilt ist. Während den Menschen im Süden pro Kopf und Jahr rund 10.000 Kubikmeter zur Verfügung stehen, sind es im Norden keine 800 Kubikmeter, wie aus einer Untersuchung der Weltbank hervorgeht. Allein schon der Kupferbergbau verschlingt nach Angaben des Bergbaurats 12.615 Liter Frischwasser pro Sekunde.


Mega-Pipelines geplant

Die drei vorgestellten Projekte werden als Lösung der stetig wachsenden Kluft zwischen Angebot und Nachfrage beworben. Aquatacama, unter anderem ein Projekt der französischen Firmen 'Vía Marina' und 'Vinci', hat für eine Studie über eine unterseeische Pazifik-Pipeline vom zentralsüdlichen Mündungsgebiet der Flüsse Rapel, Maule und Bío bis ins 2.500 Kilometer entfernte Arica im äußersten Norden 1,4 Millionen US-Dollar ausgegeben. Die Route war von Technikern der Marine und Hafenbehörde analysiert worden.

Aquatacama schätzt, dass es auf diese Weise möglich wäre, 30 bis 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde von der zentralen Stadt Valparaíso ins 2.000 Kilometer entfernte Arica zu transportieren. Alle 100 Kilometer könnten Verteilerpunkte eingerichtet werden, hieß es.

Ursprünglich war vorgesehen, das Wasser aus Rapel ins 400 Kilometer entfernte Coquimbo zu schaffen, um Wasserverteilungsstellen, den Andenbergbau des staatlichen Kupferbetriebs 'Corporación del Cobre de Chile' und die Städte der Region mit Wasser versorgen zu können.

Der Energieverbrauch läge bei unter 0,9 Kilowattstunden pro Kubikmeter. Dies entspräche nur einem Viertel des Stroms, wie er für die Entsalzung von Meerwasser benötigt würde, haben die an dem Projekt beteiligten Unternehmen vorgerechnet.

Vía Hídrica del Norte ist ein Projekt des chilenisch-spanischen Konsortiums 'Euro Engineering Group' und soll 25 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch eine unterirdische Stahlröhre von drei bis vier Metern Durchmesser über eine Länge von 2.400 Kilometern leiten. Um die Bergbauindustrie mit Wasser versorgen zu können, müsste es von einem Gebiet auf Meeresspiegelniveau in 4.300 Meter Höhe gepumpt werden.

Die größten Kupferlager des Landes liegen im Norden nahe der Wüste Atacama, dem trockensten Ort der Welt. Der regionale Wassermangel ist auch für die Landwirtschaft und den menschlichen Konsum ein ernstes Problem. Tanklaster bringen das kostbare Nass in die Region. Diejenigen Familien, die es sich leisten können, kaufen es in Flaschen.

Sirius ist ein chilenisches Vorhaben, das andere Initiativen ergänzen soll und eine Anschubfinanzierung von bis zu 60 Millionen Dollar erfordert. Sein Interesse gilt dem Copiapó-Gebiet rund 800 Kilometer nördlich von Santiago. Dort sollen monatlich zwei Schiffe bis zu 3,5 Millionen Kubikmeter Wasser für den menschlichen Bedarf liefern.

Dafür müssten 1.500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde aus einem Fluss in der südlichen Region Patagonien entnommen werden. Das Unternehmen beruft sich auf Zahlen der nationalen Wasserbehörde, der zufolge der Wasserverlust für den Fluss in Patagonien mit weniger als einem Zehntel überschaubar wäre.

"Die Wasserknappheit schränkt die Entwicklungsmöglichkeiten der nördlichen Regionen beträchtlich ein, die mit Erzeugnissen und Dienstleistungen aus anderen Teilen des Landes beliefert werden müssen", erläuterte Nicolás Jadue, Leiter des Geschäftsentwicklungszentrums der privaten 'Universidad Mayor'. "Zweifellos wird sich eine Erhöhung des Angebots positiv auswirken", erklärte er.


Konkurrenz zwischen Bergbau und Landwirtschaft

"Diese Projekte müssen aber auch auf ihren sozialen Nutzen hin überprüft werden", forderte der Experte. Seiner Meinung nach wird die Einführung von Wasser im wasserarmen Norden zu Konflikten zwischen den Hauptkonkurrenten Bergbau und Landwirtschaft führen.

Während sich in Chile alle einig darin sind, dass es dem Norden an Wasser fehlt, gehen die Ansichten, wie dem Problem beizukommen ist, weit auseinander. So erklärte Cristian Silva, ein Befürworter des Sirius-Vorhabens, dass der Mangel im Norden vor allem ein Regulierungsproblem ist. "Es ist erforderlich, die Wasserpreise anzuheben. Die Frage ist nur, wer die Kosten zahlt."

Einige Abgeordnete haben indes vorgeschlagen, die während der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 vorgenommene Privatisierung des Wassersektors rückgängig zu machen. Soziale Verbände rufen derzeit zu Demonstrationen für eine nationale Wasserstrategie auf.

"Eine gute Wasserverwendung ist besser als Dutzende Lokalprojekte", betonte Axel Dourojeanni, ein Berater der Vereinten Nationen und ehemaliger Regionaldirektor der peruanischen Wasser- und Bodenbehörde, auf der Weltkupferkonferenz vom 7. bis 9. April in Santiago. Er gab zu bedenken, dass die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen der Wasserumleitungsprojekte nicht hinreichend untersucht worden seien. "Der Wassertransfer ist notwendig. Allerdings ist er sehr teuer. Und was noch viel wichtiger ist: Die Auswirkungen für die Gebiete, in denen das Wasser abgezapft werden soll, müssen genau untersucht werden."


Gefahr für die Ökosysteme

Wie Lucio Cuenca, Leiter der Lateinamerikanischen Beobachterstelle für Umweltkonflikte (OLCA) betonte, liegt den Projekten der rein wirtschaftliche Gedanke zugrunde, dass sich das Wasser der Flüsse sinnlos ins Meer ergießt. Diese Theorie sei aber mit der Logik der Ökosysteme unvereinbar. "Das sind falsche Lösungen, die sich mit den Realitäten im Norden nicht vertragen. Dort wurde der Bergbauindustrie erlaubt, alle für die Ökosysteme erträglichen Grenzen zu durchbrechen."

Laut Rodrigo Villablanca, Leiter der Gemeinschaft der indigenen Diaguita im zentralen Huasco-Tal, die sich gegen die Genehmigung des Goldbergbauprojekts Pascua Lama wehrt, verbraucht der Bergbau nicht nur Unmengen an Wasser, sondern zerstört die Gletscher in den Oberlagen des Tals bereits vor Beginn der Rohstoffproduktion.

"Jetzt will man das Wasser aus einem anderen ökologischen System verwenden, das dann ebenfalls geschädigt sein wird." Seiner Ansicht nach besteht die Lösung der Wasserkrise darin, die Intensität des Bergbaus zu verringern und den Umgang mit den natürlichen Reichtümern zu überdenken. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/05/las-aguas-del-sur-de-chile-para-calmar-la-sed-del-nort/
http://www.ipsnews.net/2014/05/piping-waters-southern-chile-thirsty-north/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2014