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WASSER/200: Mexiko - In 15 Jahren wird für alle das Wasser knapp, Nachhaltige Strategien gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. April 2015

Mexiko: In 15 Jahren wird für alle das Wasser knapp - Nachhaltige Strategien gefordert

von Emilio Godoy


Bild: © Greenpeace

Greenpeace-Aktivisten auf dem Fluss Santiago im Westen Mexikos
Bild: © Greenpeace

Mexiko-Stadt, 23. April (IPS) - Bei Laura Romero fließt höchstens ein paar Stunden pro Tag Wasser aus der Leitung. Und mindestens einmal die Woche sitzt sie zu Hause völlig auf dem Trockenen. Wie ihre Nachbarn in dem Viertel im Norden von Mexiko-Stadt muss sie Wasser auf Vorrat in Kanistern bunkern.

"Wenn es bei uns nichts mehr aus dem Kran kommt, schicken sie Wassertransporter", erklärt sie. "Wir wollen, dass sie endlich die Löcher in der Leitungsinfrastruktur stopfen. Doch sie wimmeln uns mit der Erklärung ab, dass sie erst die Kosten berechnen müssten", sagt Romero, die sich in einem Bündnis von Bürgerorganisationen engagiert.

Das Bündnis verwaltet öffentliche Gelder zum Bau von Sozialwohnungen im Stadtteil Azcapotzalco, in dem Familien aus der Mittelschicht leben. Als im Dezember eine Häuserreihe fertiggestellt wurde, weigerten sich die Behörden der Hauptstadt, die Wohnungen an die Wasserversorgung anzuschließen.

"Die Regierung erklärte damals, dass jeder Bewohner 8.000 Pesos (etwa 350 US-Dollar) zahlen müsse, damit bei ihm Wasser aus der Leitung fließt", empört sich Romero. Nicht weit entfernt liegen jedoch mindestens sechs Einkaufszentren und ein Vergnügungspark, die ständig mit Wasser versorgt werden.


Wasserbezugsquellen zunehmend unter Druck

Die begrenzte Verfügbarkeit und Qualität der Ressource, die Umweltverschmutzung, die Monopolstellung der Versorgungsbetriebe und Überbeanspruchung setzen die Wasserreserven in dem lateinamerikanischen Land mit rund 118 Millionen Einwohnern zunehmend unter Druck.

In Mexiko werden die Wasserreserven als Teil der nationalen staatlichen Ressourcen betrachtet, die von der Wasserkommission 'Conagua' kontrolliert und von der Zentralregierung, staatlichen Behörden und den Kommunen verwaltet werden. Diese sind befugt, Konzessionen für die Bereitstellung von Wasser, unter anderem auch für Industrie und Landwirtschaft, zu erteilen.

Nach einer Verfassungsänderung von 2012 gilt der Zugang zu Wasser in Mexiko als Menschenrecht. Bewirkt hat diese Neuerung allerdings wenig. "Viele Gewässer sind verschmutzt, und viele Gemeinden haben Probleme mit der Wasserversorgung", sagt Omar Arellano, Koordinator des Sozial- und Umweltprogramms von UCCS, einer Vereinigung sozial engagierter Wissenschaftler. "In den vergangenen Jahren haben mehrere Flussumleitungskonzepte lokale Siedlungen gefährdet und Wasserzyklen verändert."


Fluss Santiago durch Industrieabwässer verseucht

Arellano ist einer der Autoren einer 2012 erschienenen Studie über die Verschmutzung des Santiago-Flussbeckens und die öffentliche Gesundheit in der Region. Daraus geht hervor, dass 280 Firmen toxische Abwässer in den Fluss im westmexikanischen Bundesstaat Jalisco leiten. Das Wasser ist mit mehr als 1.000 verschiedenen Giftstoffen verseucht und stellt für etwa 700.000 in der Umgebung lebende Menschen eine Gesundheits- und Umweltgefahr dar. Das Beispiel des Flusses Santiago ist in dem Land nur eines von vielen.

Der Nationale Wasserressourcenplan für den Zeitraum 2014 bis 2018 weist darauf hin, dass die durchschnittliche Verfügbarkeit von Wasser pro Einwohner von 18.035 Kubikmetern im Jahr 1950 auf nur noch 3.982 Kubikmeter in 2013 gesunken ist. Dennoch ist die Verfügbarkeit nicht das eigentliche Problem. Laut den Leitlinien der Vereinten Nationen besteht in Staaten, für deren Einwohner weniger als 1.000 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr bereitstehen, Wassermangel. In Ländern mit 1.000 bis 1.700 Kubikmetern pro Person gilt die Lage als angespannt.


14 Millionen Mexikaner ohne fließendes Wasser

Absolut gesehen verfügt Mexiko über 471 Milliarden Kubikmeter Wasser, wie aus dem 2013 von Conagua zusammengestellten Wasseratlas hervorgeht. Oberflächen- und Grundwasser werden ebenso eingerechnet wie das im Rahmen bilateraler Verträge aus den USA importierte Nass. Trotzdem haben fast 14 Millionen Mexikaner kein fließendes Wasser. Am drängendsten ist dieses Problem in den Bundesstaaten Veracruz im Südosten, in Guerrero im Südwesten und im Staat Mexiko im Zentrum des Landes.


Bild: © Organismo Agua y Saneamiento de Toluca

Wartungsarbeiten an einem Klärwerk in der Stadt Toluca
Bild: © Organismo Agua y Saneamiento de Toluca

Überdies sind etwa 34 Millionen Menschen abhängig vom Wasser aus Aquiferen, die allmählich austrocknen. Der nationale Wasserplan erkennt an, dass ethnische Minderheiten und Frauen, vor allem in ländlichen Gebieten und in den Vorstädten, den Mangel an Wasser und sanitären Anlagen zu spüren bekommen.

Mexiko sollte ursprünglich das 1992 erlassene Wassergesetz bis Februar 2013 mit der Verfassungsreform in Einklang bringen. Bisher ist aber noch nichts in dieser Richtung geschehen. Konsumenten, Gemeinden und Organisationen streiten derweil mit der Regierung und privaten Interessensgruppen über die Vorlage von zwei widersprüchlichen Gesetzentwürfen.

Am 9. Februar hatte ein Bündnis aus Sozialorganisationen und Wissenschaftlern einen Bürgervorschlag für ein neues Gesetz eingereicht, das genügend Wasser für den menschlichen Bedarf, für die Wirtschaft und Wiederauffüllung der Wasserreservoire sicherstellen sollte sowie die Einrichtung eines Sonderfonds vorsah.

Zuvor, Anfang März 2014, hatte die Conagua einen Gesetzentwurf eingebracht. Die Vorlage stieß aber auf massive Ablehnung und wurde am 9. März 2015 nach massiver Kritik von Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern, der Entwurf ziele auf die weitere Wasserprivatisierung, abgelehnt.


Allmähliche Privatisierung

Die Privatisierung der Wasserversorgung setzt sich in Mexiko schleichend fort. In der Stadt Saltillo nördlich der Hauptstadt ist die Wasserverwaltung bereits in privater Hand. In Mexiko-Stadt haben vier Privatunternehmen die Messung des Wasserverbrauchs und die Eintreibung von Wassergebühren übernommen. Brauereien, Molkereien, Abfüllanlagen, Getränkehersteller, Bergwerke und sogar Investmentfonds haben Wasserkonzessionen erhalten, wie Studien mehrerer Wissenschaftler belegen.

Das Netzwerk 'Wasser für alle, Wasser für das Leben', dem etwa 400 Forscher und 30 unabhängige Organisationen angehören, hat eine Landkarte der Wasserkonflikte erstellt, die durch Entwaldung, Übernutzung, Verschmutzung und andere Faktoren ausgelöst werden. 2013 belief sich die Menge an Wasser, das Landwirtschafts- und Industriebetrieben zugebilligt wurde, auf mehr als 82 Milliarden Kubikmeter, von denen 51 Milliarden aus oberflächlich verlaufenden Quellen und 31 Milliarden aus unterirdischen Aquiferen stammten.

Noch dazu ist Mexiko höchst anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels, der Temperaturschwankungen, Dürren und anomale Regenfälle verursacht. Spätestens im Jahr 2030 werden den Vorhersagen zufolge Oberflächen- und Grundwasser in dem Land knapp werden. Die Nachfrage wird bis dahin auf mehr als 91 Milliarden Kubikmeter gestiegen sein, während nur noch 68 Millionen Kubikmeter zur Verfügung stehen werden. Eine Lösung für dieses Problem ist bisher nicht in Sicht. (Ende/IPS/ck/2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/04/water-politics-polarised-in-mexico/
http://www.ipsnoticias.net/2015/03/disputa-por-el-agua-adquiere-multiples-formas-en-mexico/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2015

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