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MASSNAHMEN/054: Überbewertet und vernachlässigt - Wälder und ihr Einfluss auf den Klimaschutz (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2016

Überbewertet und vernachlässigt
Wälder und ihr Einfluss auf den Klimaschutz

von László Maráz


Die Europäische Kommission prüft derzeit, ob und wie Klimaschutzmaßnahmen aus Land- und Forstwirtschaft auf die Einsparziele der EU angerechnet werden sollen. Der Fachbegriff hierfür wird mit LULUCF abgekürzt, was so viel heißt wie "Land Use, Land-Use Change and Forestry" (Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft). Unter dem Kürzel werden im Kyoto-Protokoll Maßnahmen vor allem im Bereich der Agrar- und Forstwirtschaft zusammengefasst.[1] Die 41 Annex-I-Staaten (viele davon Industrieländer) sind verpflichtet, diese Maßnahmen in ihre Klimaschutzbemühungen einzubeziehen. So lassen sich durch ein gezieltes Wald- und Bodenmanagement Treibhausgasemissionen einsparen. Eine Verringerung der Entwaldungsrate senkt die Emissionen an dieser Stelle und Wiederbewaldung und Aufforstungen können einen Teil des durch Entwaldung entlassenen Kohlendioxids wieder aus der Atmosphäre zurückholen.

Es gibt aber Befürchtungen, dass die Einbeziehung solcher Einsparungen die Klimaziele der EU von 40 auf etwa 37 Prozent abschwächen könnte. Zu diesem Ergebnis kommt das Öko-Institut in einer Studie,[2] die kürzlich im Auftrag der Umweltorganisation FERN (Forests and the European Union Resource Network - Wälder und das Ressourcennetzwerk der Europäischen Union) und der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) erarbeitet wurde. Nämlich dann, wenn die Klimaschutzmaßnahmen nach den derzeit gültigen Berechnungsregeln auf die gemeinsamen Anstrengungen der Mitgliedsstaaten (ESD oder Effort Sharing Decision) angerechnet würden.

Die EU (Europäische Union) hat sich zum Ziel gesetzt, ihre jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu senken (im Vergleich zu 1990). Damit ließe sich das Langzeitziel von 80 Prozent Minderung bis 2050 vielleicht noch erreichen, um die Erderwärmung auf maximal 2 Grad zu begrenzen. Da diese Prognosen mit Unsicherheit behaftet sind, wurde dann mit dem Paris Agreement (Übereinkommen von Paris) [3] nachgelegt, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Umstritten in der internationalen Klimadiplomatie ist nach wie vor eine exakte Berechnung der Kohlendioxid-Verminderungen durch LULUCF-Maßnahmen. Verschiedene Berechnungsarten werden diskutiert. Auch für "Wald" gibt es unterschiedliche Definitionsansätze: Welche baumbestandene Fläche ist noch Baumsavanne oder Parklandschaft und ab welcher Kronenbedeckung ist das schon Wald? Bisher geht man von einer durch Baumkronen bedeckten Fläche von 15 bis 30 Prozent aus. Bei den UN-Verhandlungen in Kopenhagen gab es hier zahlreiche Kontroversen: Darf man Bereiche von über 15 Prozent auf das Mindestmaß abholzen und gleichzeitig nach wie vor von Wald sprechen? Dürfen Eukalyptusund Ölpalmen-Plantagen als "Wald" klassifiziert werden? Wie geht man mit höherer Gewalt, zum Beispiel Waldbränden, um? LULUCF eröffnet zahlreiche Schlupflöcher.

Schon diese kurze Einführung deutet darauf hin dass viele Entscheider versuchen, für kleine Taten möglichst großes Lob zu ernten. In den Hintergrund gerät bei alledem, was wirklich zählt: Wie viele Treibhausgase befinden sich in der Erdatmosphäre und welche Mengen kommen jährlich hinzu oder werden gar wieder entnommen? Ist es nicht egal, wie man Wald definiert, solange man übersieht, dass es darauf ankommt, ihn zu erhalten, seine Restaurierung zu fördern und dabei gerne auch dessen Kohlenstoffspeicher möglichst weit in Richtung des natürlichen (oft nur noch historischen) Füllstandes anzuheben?

Schwedische Forstwirtschaft als Lösung?

Da die EU noch im Juli einen Vorschlag machen will, wie die Landnutzungs-Maßnahmen bei den Klimaschutzzielen berücksichtigt werden sollen, ist die Debatte darüber intensiver geworden. So hat der Schwedische Europaabgeordnete Christofer Fjellner in einem Brief an die Kommission behauptet, nur forstlich bewirtschaftete Wälder wären für den Klimaschutz sinnvoll, während nicht bewirtschaftete Wälder keinen Beitrag leisten würden. Als Beispiel nannte er die Schwedische Forstwirtschaft. Würde man alle Wälder dieser Erde so bewirtschaften, könnten jährlich 2,3 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gespeichert werden! Darum solle die EU künftig als Grundsatz gelten lassen, dass forstlich nachhaltig bewirtschaftete Wälder immer besser für den Klimaschutz seien, als geschützte, ungenutzte Wälder.

Leider verschweigt Fjellner dabei einige wichtige Tatsachen. So wird in Schweden seit langem das Kahlschlagprinzip angewandt. Wirklich alte, vorratsreiche Wälder gibt es kaum noch und die Wirtschaftsforste weisen nur noch einen Bruchteil der einstigen Kohlenstoffvorräte auf. Zudem wird der Boden bearbeitet, um auf den Kahlflächen Monokulturen anzulegen, Dabei wird viel Humus freigelegt, mehr Licht und Wärme sorgen zusätzlich dafür, dass Bodenkohlenstoff abgebaut wird. Auch die bei der Holznutzung benötigte Energie wird nicht berücksichtigt. Und was "forstlich nachhaltig" bedeutet, wird auch offen gelassen, da es keine einheitliche und überprüfbare Definition des Begriffes gibt.

Vieles, was man in der Klima- und Walddebatte wahrnimmt, erinnert eher an ein Feilschen und Schachern, und in vielen Fällen gerät es zu einem Ablenkmanöver. Denn sowohl in der Landwirtschaft, als auch bei der Holznutzung entscheiden die angebauten und geernteten Produkte und deren Absatz über die Art der Bewirtschaftung, und nicht die Tonnen Kohlenstoff, die von hier nach da bewegt werden. Futtermittel werden eingesetzt, um Fleisch zu erzeugen, Bäume werden gefällt, um das Holz zu verkaufen. Wenn die Beachtung der Klimawirkungen dazu dient, diese Nutzungen verträglicher zu gestalten, gerne! Wer aber Wälder auf deren Kohlenstoffgehalt reduziert, der lenkt vom Problem ab. Und wer vorrechnet, wie viele Auto-Emissionen von Wäldern und Holzprodukten quasi "kompensiert" werden, der hilft mutwillig dabei den Handlungsdruck in anderen, wichtigeren Sektoren zu senken.

Historische Hypothek

So können wir in Wäldern und auf ehemaligen Waldflächen maximal die Mengen an Kohlenstoff zurückholen, die früher dort gespeichert waren. In Deutschland könnte man auf einem knappen Drittel der ursprünglichen Waldfläche den mehr als um die Hälfte geleerten Speicher wieder etwas weiter auffüllen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Standen in natürlichen Wäldern Mitteleuropas einst 6-800 oder gar mehr Kubikmeter Holz auf dem Hektar, wachsen die Holzvorräte heute zwar allmählich, sie liegen aber derzeit nur bei etwa 340 Kubikmetern pro Hektar. Logisch, denn da stets geerntet wird, bestehen unsere Forsten zu gleichen Teilen aus jungen, mittelalten und etwas älteren Baumbeständen, was den Durchschnittsvorrat niedrig hält.

Einige Akteure aber fordern gerade, die Holznutzung zu verstärken, denn diese sei Garant für eine klimaschützende Waldnutzung. Ungenutzte Wälder seien für den Klimaschutz wertlos, da das alte Holz quasi sinnlos verrotten würde, anstatt Holzprodukte daraus herzustellen oder Öfen damit zu befeuern und damit möglicherweise einiges an fossilen Energieträgern zu ersetzen. Dass ein hohes Angebot an Energieholz aber dazu beiträgt, die Preise für fossile Energieträger zu senken, dürfte dem Klimaschutzeffekt schaden, denn billigeres Öl führt zu höherem Verbrauch.

Auch in der Agrarindustrie werden Klimaeffekte einiger Maßnahmen auf fragwürdige Weise kalkuliert. Dürfen angepasste Anbaumethoden, die Treibhausgasemissionen verringern, auf die Klimaziele angerechnet werden, obwohl der Anbau ja immer noch hohe Emissionen verursacht?

Es ist das "Besser als-schlechter als-Spiel", das den Klimaschutz so beliebig macht. So hilft eine Prognose, ein Waldgebiet würde bald komplett abgeholzt, manchen Holzfirmen dabei, einen weniger schlimmen Holzeinschlag als Klimaschutzaktion zu deklarieren: Wer nur die Hälfte der Bäume absägt, hat angeblich Treibhausgase "eingespart", obwohl die Degradierung des Waldes eindeutig zu Emissionen führt. Auch die Agrarindustrie, die weniger pflügt und dadurch Schlimmeres vermeidet, versucht, sich ein Image als Klimaschützer zu verschaffen. Mit derartigen Maßnahmen wird der Erdatmosphäre aber nichts erspart, denn sie wird weiterhin mit Treibhausgasen vollgepumpt. Warum die Umwelt- und Entwicklungsverbände von dieser sogenannten "Klima-smarten Landwirtschaft" wenig halten, ist in einem Positionspapier nachzulesen.[4]

Der Autor ist Koordinator für das Verbändeprojekt 'Zivilgesellschaftlicher Dialogprozess zur internationalen Waldpolitik für Biodiversität und Klimaschutz' beim Forum Umwelt und Entwicklung.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
In der schwedischen Forstwirtschaft wird seit Langem das Kahlschlagprinzip angewandt


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.


1 http://www.fern.org/LULUCFPrinciples.
2 http://www.oeko.de/oekodoc/2320/2015-491-en.pdf.
3 http://ec.europa.eu/clima/policies/international/negotiations/paris/index_en.htm.
4 http://www.dnr.de/publikationen/umweltaktuellarchiv-2011/122011-012012/klima-smarte-landwirtschaft.html.

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Quelle:
Rundbrief 2/2016, Seite 22-23
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2016

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