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STIMMEN/018: Interview - Klimapolitik und die Macht der Worte (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 127/4.2015

Vokabular des Stillstands

Ein Interview mit Sybille Bauriedl über die aktuelle Klimapolitik und die Macht der Worte


Im neu erschienen "Wörterbuch Klimadebatte" stellen ExpertInnen des Klimadiskurses aus Sozial-, Politik- und Kulturwissenschaften über 40 Schlüsselbegriffe zur Diskussion und geben damit eine Anleitung zur kritischen Betrachtung von Potenzialen und Problemen der aktuellen Klimapolitik. ROBIN WOOD sprach mit der Herausgeberin Sybille Bauriedl.

ROBIN WOOD: Klimawandel und Klimapolitik, es gibt wenige Themen über die bereits so viel geschrieben wurde. Nun ein weiteres Buch und zwar ein lexikalisches: Warum ist es Zeit für das "Wörterbuch Klimadebatte"?

Sybille Bauriedl: Beim anstehenden Klimagipfel in Paris soll die Zukunft der Klimapolitik neu verhandelt werden. Seit bald 25 Jahren - seit dem UN-Gipfel in Rio de Janeiro im Jahr 1992 - läuft die Klimadebatte auf Hochtouren, nicht nur im unbeobachteten wissenschaftlichen oder politischen Kontext, sondern als öffentliche Debatte. Seit deren Beginn gibt es einen großen Alarmismus, der von der Klimaforschung immer wieder mit neuen Ergebnissen befeuert wird: "Wir müssen sofort handeln", "Es ist 5 vor 12". Eine Besonderheit der Klimapolitik ist, dass sie zwar von den Regierenden der UN-Staaten als zentrales Thema ihrer Politik verstanden wird. Dennoch hat sie bislang nicht den gewünschten Effekt gebracht, die globalen Emissionen zu verringern. Für viele Experten ist die internationale Klimapolitik gescheitert. Die Perspektive des Wörterbuchs Klimadebatte ist es, die zentralen Begriffe, die in dieser Politik eine Rolle spielen, zu betrachten und zu reflektieren.

Frage: Ketzerisch gefragt: Ist es in Zeiten des drohenden Klimachaos' nicht müßig, über das "richtige" Vokabular für Klimaschutz zu streiten? "Ökologische Modernisierung", "grünes Wachstum" oder "Nachhaltigkeit": Solange die dahinterstehende Politik zum Klimaschutz beiträgt: Wo ist das Problem?

Bauriedl: Um dem Klimachaos zu entgehen ist es geradezu eine Notwendigkeit das genutzte Vokabular zu reflektieren. Oft verschleiern verwendete Begriffe wie Energiewende, Klimaneutralität oder Nullemission, dass eine Politik fortgesetzt wird, die kontraproduktiv ist für den Klimaschutz. Grundsätzlich ist die Reflektion über Begriffe eine Kernaufgabe von Politik. Denn Strategien zu entwickeln, die von allen getragen werden, ist nur möglich, wenn man sich ganz klar darüber wird, welche Inhalte mit Begriffen überhaupt gemeint sind.

Frage: Im Wörterbuch werden über 40 Begriffe von ExpertInnen des Klimadiskurses vorgestellt: Grünes Wachstum, Nullemission, Geo-Engineering oder CO2-Abscheidung. Was verbindet diese Begriffe?

Bauriedl: Dass sie zum einen die Perspektive auf soziale und globale Ungerechtigkeit verschleiern. Ein Begriff wie "klimakompatible Entwicklung" etwa signalisiert, "Entwicklungshilfe ist eine gute Sache und wenn sie zusätzlich noch dem Klimaschutz hilft, ist sie doppelt wertvoll". Was die eigentlichen Ursachen für Einkommens- oder soziale Ungleichheit sind, wird nicht in den Blick genommen. Allgemein spielt in der internationalen Klimadebatte die Suche nach den Ursachen überhaupt keine Rolle. Der Ausgangspunkt ist: Mit der Industrialisierung hat die Emission von Treibhausgasen exponentiell zugenommen. Das hat zur globalen Erwärmung geführt. Was aber sind die Treiber dieser Industrialisierung? Ich kenne keine internationale Klimadebatte, wo das jemals diskutiert wurde. Kapitalistische Ausbeutungsstrukturen von Arbeiterinnen und von Natur als treibende Kräfte werden so vollkommen ausgeblendet.

Frage: Klimaschutz ist also nicht per se positiv?

Bauriedl: Ja, Klimaschutz kann sogar dazu führen, dass globale Ungerechtigkeitsverhältnisse verschärft werden. Dafür haben wir viele Beispiele. Zunächst klingt die Grundidee der internationalen Klimainstrumente - am bekanntesten ist hier der Emissionshandel - vielversprechend: Vielverschmutzer, die primär in Industriestaaten sitzen, können ihre Emissionen kompensieren, indem sie für Klimaschutz-Dienstleistungen, die im globalen Süden geleistet werden, zahlen. In der Klimapolitik wird das oft als "globale Partnerschaft" bezeichnet. Diese Partnerschaft findet jedoch nicht auf Augenhöhe statt. Die ökonomischen Beziehungen zwischen globalem Norden und globalem Süden sind geprägt von kolonialen Strukturen, die immer noch nachwirken.

Frage: Was sind Folgen dieser Politik?

Bauriedl: In vielen Entwicklungsländern führen solche Kompensationsprojekte dazu, dass es Flächennutzungskonkurrenzen gibt. In der Regel werden großflächige Projekte des Klimaschutzes gefördert, zum Beispiel der großflächige Schutz von Wald. Wald ist als die beste Möglichkeit identifiziert worden Kohlenstoff zu binden und so aus der Atmosphäre zurückzuholen. Doch wenn heute großflächige Waldgebiete geschützt werden, wurden diese oft frei gemacht von kleinbäuerlicher Nutzung. Das sind ganz klassische Nutzungskonflikte, die wir aus der Strukturanpassung der Entwicklungszusammenarbeit kennen. Im Namen des Klimaschutzes werden diese Konflikte noch weiter verschärft.

"Im Namen des Klimaschutzes werden aktuell Nutzungskonflikte noch weiter verschärft."

Frage: Können wir vom Gipfel in Paris neue und vor allem gerechte Klimaschutzstrategien erwarten?

Bauriedl: Im Moment sieht es so aus, dass weiter auf die bekannten Instrumente gesetzt wird, die bis jetzt nicht den gewünschten Klimaschutzeffekt erzielt haben. Wichtig ist: Auch wenn die Instrumente für Kleinbauern in Entwicklungsländern ein Drama sind, für die am Emissionshandel Beteiligten - größtenteils Unternehmen aus dem Norden - schaffen sie einen neuen profitablen Markt.

Hinsichtlich der Instrumente wird seit zwei, drei Jahren vor allem diskutiert, wie sie menschengerechter gemacht werden können. Eines der wichtigsten Instrumente neben dem Emissionshandel ist der "Clean Development Mechanism", CDM genannt. Er ermöglicht Unternehmen des Nordens ihre Emissionen durch Zahlungen an den Süden zu kompensieren. Nach den Verhandlungen in Paris wird dieses CDM-Instrument wahrscheinlich CDM+ heißen. Das "+" steht dann für ein bisschen mehr Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Was anderes ist nicht absehbar.

Frage: Gibt es Pläne für ein Weiteres Handbuch? Wie steht es um die Schlüsselbegriffe einer emanzipatorischen Klimapolitik?

Bauriedl: Ja, während der Produktion des Handbuchs war immer wieder klar, dass über die gesammelten Begriffe hinaus auch weitere gehandelt werden müssen. Wir haben uns deshalb entschieden, die Idee des Buchs über einen Webblog fortzusetzen. Im Buch wurden nun zunächst über 40 Begriffe zusammengetragen. Begriffe wie "Entkopplung" - die Idee also, dass man Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch entkoppeln kann - oder "Klimaflüchtlinge" und "KIimakriege". Im Buch wird diskutiert, was das bedeutet bzw. was für ein Menschenbild oder was für ein Bild des globalen Südens damit transportiert wird. Auch positiven Begriffen widmet sich das Wörterbuch. "Klimabewegung" klingt erst einmal nach einem solchen Begriff. Das ist die Debatte, die von unten geführt wird, auf lokaler Ebene. Doch es lohnt sich auch hier genauer anzuschauen, wie sich soziale Bewegungen und Verbände an den Institutionen der internationalen Klimapolitik beteiligen, in ihnen aufgegangen sind oder eben widerständige Politik ihnen gegenüber leisten.

Frage: Wie kann Deiner Einschätzung nach eine Veränderung des etablierten Klimadiskurses erfolgen?

Bauriedl: Wenn ich ein Buch schreibe, will ich erst einmal intellektuelles Futter reichen. Ich gehe als Wissenschaftlerin davon aus, dass Wissen und die Reflektion dessen, was man wahrnimmt, wichtige Ausgangspunkte sind, aber parallel dazu immer auch Praktiken eingeführt werden müssen. Ein zentrales Drama der internationalen Klimapolitik und der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Klimawandel ist, dass ein Alarmismus immer wieder dazu geführt hat, dass wir scheinbar keine Zeit für Experimente haben. Wenn es heißt "Wir müssen ganz schnell was tun" gibt es keine Zeit Neues auszuprobieren. Schnell handeln heißt immer mit den Ideologien und mit den Strukturen, die wir kennen, Lösungen zu finden - meist einfache Lösungen, die nichts Revolutionäres haben. Tiefschürfendere gesellschaftliche Veränderungen oder wie wir mit Natur umgehen und über sie nachdenken, wie wir über Wachstum und über unsere gesellschaftliche Zukunft denken - all das braucht viel Zeit. Es lohnt sich, die Diskussion um zwei, zweieinhalb oder drei Grad Erwärmung einige Zeit zurückzustellen und stattdessen Experimente auszuprobieren. Auf individueller und gesellschaftlicher Ebene müssen wir neue Praktiken erfinden, wie wir unsere Arbeit und unser Konsumieren organisieren können.


Das Gespräch führte Philip Bedall, Energiereferent von ROBIN WOOD. Zum Wörterbuch Klimadebatte steuerte er den Eintrag zu "Klimabewegung" bei. energie@robinwood.de

Wörterbuch Klimadebatte
herausgegeben von Sybille Bauriedl
transcript Verlag, 2015


Dr. Sybille Bauriedl forscht und lehrt am Geographischen Institut der Universität Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Umwelt- und Klimapolitik in Europa und Afrika, nachhaltige Stadtentwicklung sowie Geschlechterforschung.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Ein indigener Mann protestiert bei der UN-Klimakonferenz auf Bali: Das Klimaschutzabkommen UNFCCC, das 7992 in Rio beschlossen wurde, symbolisiert für ihn den systematischen Ausschluss der Indigenen von den Klimagesprächen, obwohl sie die Hauptlast des Klimawandels tragen müssen.

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 127/4.2015, Seite 24 - 25
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2015

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