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UNO/094: Norbert Röttgen zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen, 3.12.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2009 in Berlin


Herr Präsident!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Heute sind es nur noch wenige Tage bis zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen, auf der die Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt werden. Es geht bei den Beratungen auf der Konferenz um unsere Art, zu leben. Es geht um Überleben. Es geht um unsere Art, zu wirtschaften. Es geht um Technologie und Wohlstandssicherung. Es geht auch um Sicherheit. Weil es um all diese Güter, um all diese Lebensziele geht, bin ich davon überzeugt - ich möchte dieses auch hier wiederholen -, dass es zum Erfolg dieser Konferenz aus der Sache heraus keine Alternative gibt. Wir alle sind verpflichtet, dieser Konferenz zum Erfolg zu verhelfen.

Für Meldungen oder Meinungsbekundungen, in denen von einem Scheitern der Konferenz die Rede ist und in denen die Überlegung "Es muss ja nicht klappen; wir können es auch vertagen oder später fortsetzen" geäußert wird, hatte und habe ich kein Verständnis. Ich freue mich darüber, dass inzwischen die Verhandlungen eine gewisse Dynamik entwickelt haben und der Erfolgswille aller Verhandlungspartner sichtbar ist. Diese Entwicklung kann man im Zeitraum zwischen der Debatte zur Regierungserklärung, die wir hier geführt haben, und der Diskussion, die wir heute, wenige Tage vor Konferenzbeginn, führen, feststellen. Wir Deutsche, wir Europäer ließen uns von Diskussionen über das Scheitern der Konferenz sowieso nicht anstecken, sondern Deutschland und Europa sind im Hinblick auf diese internationale Entwicklung und Politikgestaltung Vorreiter.

Da wir gestern auch im Europaausschuss eine Debatte dazu geführt haben, was mich sehr gefreut hat, möchte ich diese Gelegenheit zu folgender Randbemerkung nutzen: Im Bereich des Klimaschutzes zeigen wir Europäer, was wir leisten können, wenn wir eine gemeinsame Gestaltungsidee haben und nach außen geschlossen dafür eintreten. Europa kann sehr viel. Es ist sehr schön, dass Europa auch zeigt, was es kann, gerade beim Klimaschutz.

Inzwischen haben alle Weltregionen und großen Länder ihre Zahlen auf den Tisch gelegt. Brasilien, Korea, Japan und Südafrika haben durchaus ambitionierte Klimaziele formuliert. Daran wird deutlich, dass Europa nicht mehr die einzige Region der Welt ist, die ambitioniert ist und etwas erreichen will, sondern dass die Treiber dieser Entwicklung aus allen Weltregionen kommen und dass sich diese Entwicklung zunehmend zu einem globalen Prozess und Trend verdichtet.

Auch China und die USA haben ihre Zahlen auf den Tisch gelegt. Die USA haben angekündigt, ihren CO2-Ausstoß im Vergleich zum Jahr 2005 um 17 Prozent zu reduzieren. Das internationale Referenzjahr ist 1990. Wenn man die Ankündigung der USA, eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Höhe von 17 Prozent im Vergleich zu 2005 vorzunehmen, mit der entsprechenden Zahl im Referenzjahr 1990 ins Verhältnis setzt, dann schmelzen die genannten 17 Prozent auf vier Prozent zusammen. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Bewertung.

Man muss allerdings auch die andere Seite der Medaille betrachten:

Erstens muss man, so glaube ich, akzeptieren, dass die amerikanische Regierung nicht acht Jahre einer Administration, in der der Klimaschutz keine Rolle gespielt hat, rückgängig machen kann. Die USA starten später. Wir sind schon länger dabei; nebenbei bemerkt: auch zu unserem Vorteil.

Zweitens muss man zur Kenntnis nehmen, dass die USA in den letzten Jahren unser Tempo der Reduzierung des CO2-Ausstoßes schon erreicht haben und sich vorgenommen haben, in den Jahren nach 2020 sogar schneller zu werden als wir, um am Ende auch die gleichen Ziele wie wir zu erreichen.

Damit will ich nicht beschönigen, dass in den USA nach der bisherigen Ankündigung immer noch weniger geleistet wird, als bis zum Jahre 2020 notwendig wäre. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass auch in den USA eine Trendumkehr stattgefunden hat. Es wird dort nicht mehr über eine Ausweitung oder Beibehaltung des Status quo, sondern es wird erstmalig über eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes gesprochen. Dass es dazu kommen wird, dass die USA, wenn sie ein paar Jahre Zeit gewonnen haben, massiv Energietechnologie und sonstige Technologie für den Klimaschutz einsetzen werden, darüber sollten wir uns im Klaren sein. Diesen Trend sollten wir zur Kenntnis nehmen, sowohl als Herausforderung für uns als auch als Zeichen der Entschlossenheit der USA.

Ähnliches gilt für China, das Klimaziele vorgelegt hat, bei denen sie ganz sicher noch etwas drauflegen können, auch drauflegen müssen. Die chinesische Innenpolitik sieht allerdings Klimaschutz, CO2-Reduzierung, ja sogar eine gewisse Entkopplung von Wachstum - zu diesem Ziel bekennt sich China weiterhin nachdrücklich - und Energie- und Ressourcenverbrauch ausdrücklich vor. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass dies ein Teil der wirtschaftspolitischen Strategie im nächsten Fünfjahresplan der Chinesen sein wird, dass sie also klarmachen werden, wohin die Reise in China geht, und dass sie dies mit den Mitteln einer autoritären Regierungsform per Kommando durchsetzen werden.

Ich betone das, um zu zeigen, wie der globale Entwicklungstrend läuft, dass er noch nicht am Ziel ist, dass es Dynamik gibt, aber auch, dass der Prozess kein Selbstläufer ist. Ich schildere diesen Prozess, um eine kritische Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder eine Rolle spielt und die ich in meinen ersten Wochen als Umweltminister immer wieder gehört habe, hier ausdrücklich zu benennen. Sie lautet: Können wir es uns als Industrieland Deutschland leisten, konsequenten ambitionierten Klimaschutz zu betreiben? Mit dieser Frage bin ich immer wieder konfrontiert worden, und darum möchte ich sie hier beantworten, und zwar, indem ich sage, dass ich schon die Fragestellung für falsch halte. Ich möchte an die Stelle dieser Frage die aus meiner Sicht richtige Frage stellen. Sie lautet: Könnten wir es uns überhaupt leisten, auf konsequenten ambitionierten Klimaschutz zu verzichten? Die Antwort auf diese Frage ist: Nein, wir können es uns nicht leisten, auf Klimaschutz zu verzichten.

Dafür gibt es mehrere Begründungen. Ich möchte mich auf einen Begründungspfeiler, von dem ich glaube, dass wir ihn auch in der Vermittlung und Kommunikation neben anderen Begründungspfeilern noch ausbauen müssen, stützen. Der Begründungspfeiler für meine These, dass wir es uns nicht leisten können, auf Klimaschutz zu verzichten, besteht darin, dass es sich beim Klimaschutz um ein ökonomisches und technologisches Wettrennen handelt. Warum ist der Klimaschutz ökonomisch wie technologisch ein Wettrennen, ein Wettbewerb? Das ist deshalb so, weil bis 2050 - das ist der Zeithorizont, über den wir reden - auf der Welt über zwei Milliarden Menschen mehr leben werden. All diese Menschen erstreben und ersehnen, so zu leben, wie Nordamerikaner und Westeuropäer heute leben. Mit diesem Bevölkerungswachstum und der Entwicklungsrichtung, die diese Menschen für sich persönlich haben, ist zwingend ein enormer Anstieg der Nachfrage nach Energie und knappen Ressourcen verbunden. Mit einer solchen enormen Nachfragesteigerung nach den endlichen, knapp en Gütern Energie und Ressourcen würde zwingend verbunden sein, dass die Preise ebenso wie unsere Abhängigkeit bei der Ressourcenbeschaffung immer weiter steigen würden.

Auf den Zusammenhang von immer weiter steigender Nachfrage nach Energie und Ressourcen und der Knappheit und Endlichkeit von Energie und Ressourcen gibt es zwei falsche Antworten und eine richtige.

Die einen sagen: Augen zu! Wir können es uns nicht leisten, diesen Langfristhorizont zugrunde zu legen. - Ich halte das für verantwortungslos.

Die anderen sagen: Wenn das die Entwicklung ist, dann müssen wir uns zurückentwickeln, dann müssen wir Verzicht üben, dann müssen wir sozusagen vorindustriell leben, wenn wir vorindustrielle Temperaturen wieder erreichen wollen.

Ich glaube, dass beide Antworten falsch sind. Ich glaube, der Schlüssel zur richtigen Antwort liegt in der Technologie. Energietechnologie ist das, was wir brauchen. Der Schlüssel zur richtigen Antwort lautet: Ökonomische Modernisierung und technologische Innovation sind der Weg, wie wir Wohlstand erreichen, wie wir Wachstum erreichen und gleichzeitig ressourcenschonend wirtschaften und leben. Das ist der Zusammenhang, den wir wollen.

Damit ist ausdrücklich verbunden, zu sagen: Wir wollen Wachstum. Beim Klimaschutz geht es um die Sicherung des Wohlstands. Wir wollen Industrieland bleiben, wir wollen nicht deindustrialisieren. Das sind unsere Ziele. Weil das unsere Ziele sind, müssen wir die Wege beschreiben, wie wir unsere Vorstellung von Wachstum unter den Bedingungen des Klimaschutzes erreichen wollen und können.

Ich glaube, dass die Vorstellung von Wachstum, die wir im 21. Jahrhundert haben müssen, nicht mehr die Vorstellung von Wachstum der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts sein kann. Es geht nicht um das Wachstum von Zahlen, um quantitatives Wachstum, sondern die Aufgabe liegt darin, dass wir das von uns gewollte Wachstum von steigendem Energie- und Ressourcenverbrauch entkoppeln, sodass wir auf der einen Seite zählbares Wachstum und auf der anderen Seite einen sinkenden Energie- und Ressourcenverbrauch haben. Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energie- und Ressourcenverbrauch ist die Bedingung dafür, dass wir in einer Zeit von neun Milliarden Menschen, die auf uns zukommt, unser eigenes Wachstum überhaupt erleben, ja, sogar überleben. Also Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch!

Der Weg, ein solches Wachstum zu erreichen, ist der Einsatz von Energietechnologie. Durch die ökonomische Modernisierung, die mit Klimaschutz einhergeht und die wir mit Klimaschutz offensiv angehen, und durch den Einsatz von Technologien erzeugen wir neue Märkte. Diejenigen, die dies anbieten, werden die Exportweltmeister der Zukunft sein. Diejenigen, die darin investieren, werden die Technologieführer der Zukunft sein. Dort entstehen Märkte - schon heute. Dort entsteht Beschäftigung - schon heute. Dort gibt es Wachstumsraten wie in kaum einem anderen Bereich - schon heute. Und all dies erst recht in der Zukunft! Weil das so ist, ist das Projekt Klimaschutz kein gegen die Wirtschaft gerichtetes Projekt, sondern es ist mit einem Strukturwandel und einem wirtschaftlichen Modernisierungsprozess verbunden, im Zuge dessen darüber entschieden wird, ob wir unser Leben auch in Zukunft noch mit Lebensqualität und in Wohlstand bestreiten können. Es ist kein Gegensatz, sondern die ökologische und die ökonomische Herausforderung fallen zusammen. Die Klimakonferenz in Kopenhagen ist in diesem Sinne zugleich auch die wichtigste Wirtschaftskonferenz unserer Zeit, weil es genau darum geht. Es geht um Rettung, es geht um Abwehr katastr ophaler Folgen, wie wir sie in der Kapital- und Finanzmarktkrise erlebt haben.

Ich möchte für mich hier bekunden, dass ich im Bewusstsein nach Kopenhagen reise, dass es um diese Rettung geht, und dass uns allen klar ist, dass wir viel zu verlieren haben. Ich bin aber noch mehr überzeugt davon, dass wir, wenn wir diesen Prozess erfolgreich offensiv angehen, viel zu gewinnen haben, nämlich eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder. Darum geht es. Ich glaube, das verbindet uns, und darum sollten wir uns alle wechselseitig Erfolg in Kopenhagen wünschen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 121-1 vom 03.12.2009
Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit,
Dr. Norbert Röttgen, zur Weltklimakonferenz in Kopenhagen
vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2009