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EUROPA/290: EU-Saatgutverordnung - Neuer Entwurf für alte Sorten? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen

EU-Saatgutverordnung
Neuer Entwurf für alte Sorten?

Von Iga Niznik


Da die neue EU-Kommission im Amt ist, könnte es für die EU-Saatgutverordnung bald in die zweite Runde gehen: Die EU überarbeitet den abgeschmetterten Entwurf. Der neue EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz gibt, an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Saatgut schützen zu wollen. Zivilgesellschaftliche Organisation befürchten jedoch Vorteile für die Industrie. Während Lobbyisten bereits um die Gunst der EntscheidungsträgerInnen ringen, hängt die gesamte Reform am seidenen Faden.(1)


Wer ist eigentlich Vytenis Andriukaitis? Diese Frage stellten sich selbst viele Brüsseler Insider, als der litauische Chirurg zum neuen Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz nominiert wurde. In dieser Funktion wird der Sozialdemokrat (63), zuletzt Gesundheitsminister in Litauen, auch für die Reform des EU-Saatgutverkehrsrechts zuständig sein. Sein Auftreten ist diplomatisch, sein Englisch manchmal noch unsicher, in viele Dossiers muss sich der Neue erst einarbeiten. Dass er mit der EU-Saatgutverordnung nun ein umstrittenes Gesetzesvorhaben verantworten muss, darüber dürfte er aber bereits im Bilde sein. Bei seiner Anhörung im EU-Parlament sagte Andriukaitis: "Meine Grundposition ist: KMU stärken und Saatgutvielfalt schützen."

Weichenstellungen

Was darf sich die Sortenvielfalt von Andriukaitis Ansage erwarten? Dass Sortenraritäten geschützt würden, und KMU nicht von der Saatgutindustrie überrollt würden, hatte schließlich auch der scheidende Kommissar Tonio Borg beteuert. Doch eine Analyse der 2013 veröffentlichten EU-Saatgutverordnung ergab das Gegenteil: Eine Bürokratielawine für die Verbreiter der Vielfalt, Diskriminierung von Sortenraritäten und maßgeschneiderte Paragraphen für die Industrie. Die ARCHE NOAH und GLOBAL 2000, sowie zig andere NGOs in ganz Europa, informierten über die Schieflage. Fast eine Million Menschen protestierten, und das EU-Parlament stimmte gegen den Entwurf. Auch wenn die mediale Debatte abgeklungen ist: Hinter den Kulissen werden in Brüssel bald die Weichen für die weitere Reform gestellt. Wird ein überarbeiteter Verordnungsentwurf vorgelegt? Was wird drinnen stehen? Wird es Kommissar Andriukaitis besser machen?

Industrie rüstet sich

"Die Position des EU-Parlaments ist wichtig, aber ich kann den Rat nicht außen vor lassen", sagte Andriukaitis zu den EU-Abgeordneten. Übersetzt bedeutet das: Wir müssen auch die Interessen von Ländern wie Frankreich oder Deutschland, die eine mächtige Saatgutindustrie haben, wahren. Und diese rüstet sich bereits für die zweite Runde. Die Forderungen der Zivilgesellschaft sind der Industrie ein Dorn im Auge. Die Industrie möchte, dass grundsätzlich nur Saatgut von uniformen Sorten am EU-Markt legal verkauft werden darf - sie will sich quasi per Gesetz die Konkurrenz vom Leib halten. In ihrem Auftrag hat die ESA, das Brüssler Lobbyingbüro der Industrie, die politischen Entscheider bereits mit Informationen versorgt; zuletzt die BeamtInnen des neuen Kommissars Andriukaitis.

Klinkenputzen in Brüssel

Die ARCHE NOAH und viele andere zivilgesellschaftliche Akteure haben kein Verständnis für diese Einschränkungen: Standardisierte Pflanzen sind ihnen zu wenig. Sie fordern, dass auch Saatgut und Pflanzgut von seltenen und alten Sorten von Obst, Gemüse und Getreide ohne Diskriminierung verkauft werden dürfen. Die Vielfalt muss raus aus der bürokratischen Nische. KonsumentInnen und LandwirtInnen sollen die Wahl zwischen standardisierten Pflanzen und Vielfaltssorten haben. Dafür setzt sich die ARCHE NOAH in Brüssel ein, und hat nicht nur der EU-Kommission konkrete Vorschläge unterbreitet, sondern bereits mit zig neu gewählten EU-Abgeordneten aus verschiedenen EU-Ländern Gespräche geführt. Viele Abgeordnete äußern sich positiv zu den Vorschlägen von ARCHE NOAH, diese Informationsarbeit ist sehr wichtig aber es ist nicht immer einfach, mit der Industrie Schritt zu halten, denn die finanziellen Ressourcen der ARCHE NOAH sind beschränkt.

Ende der Reform?

Derzeit mehren sich allerdings die Hinweise, dass die Reform des EUSaatgutverkehrsrechts auch gänzlich abgeblasen werden könnte. Aus einem internen Kommissionsdokument, das der Öffentlichkeit zugespielt wurde, geht hervor, dass auf höchster Ebene darüber nachgedacht wird, die Reform entweder sein zu lassen oder den abgeschmetterten Verordnungsentwurf durch eine ganz neue Vorlage zu ersetzen. Im letzteren Fall wäre damit wohl nicht vor 2017 zu rechnen, denn ein neuer Entwurf würde die Kommission verpflichten, eine Konsultation unter den Interessensgruppen und eine Folgenabschätzung des Vorschlages durchzuführen. Der Hintergrund dieser Überlegungen: Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weiß, dass Europa auf dem Scheideweg steht und sprach von der "Kommission der letzten Chance". Man ist sehr vorsichtig geworden und möchte nicht noch eine Zurückweisung durch das Parlament riskieren. Für ARCHE NOAH ist klar: "Eine echte Reform des EU-Saatgutverkehrsrechts wäre eine historische Chance, Sortenraritäten aus Illegalität und Nischen zu holen. Wir hoffen, dass die neue EU-Kommission diesen Mut findet."


Autorin Iga Niznik ist Verantwortliche für Saatgutpolitik bei ARCHE NOAH.


Anmerkung

1. Das Datum des Redaktionsschlusses lag vor der Präsentation des Arbeitsprogramms der EU-Kommission am 16.12.2014, somit haben eventuelle Neuerung bezüglich des EU-Saatgutrechts keinen Eingang in den Artikel finden können.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 40
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2015

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