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GEFAHR/057: Ungewollter Tod - Rodentizide und ihre Wirkung auf Nicht-Zielarten (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 2/2018

Ungewollter Tod
Rodentizide und ihre Wirkung auf Nicht-Zielarten

von Werner Kratz


Rund 150 tote, auf dem Salzhaff bei Rerik gefundene Wildgänse sorgten im Herbst 2015 für mediales Aufsehen. Erste Beruhigung stellte sich ein, als der befürchtete Vogel-Grippe-Befund ausblieb. Vielmehr ergaben erste Laboruntersuchungen, dass die Vögel einem Gift erlegen waren. Dessen Quelle war auch bald gefunden: Ornithologen entdeckten einen Acker, auf dem ein Landwirt unsachgemäß ausgebrachte Giftköder mit dem Wirkstoff Zinkphosphid ausgebracht hatte. Eigentlich sollten damit Feldmäuse bekämpft werden - den hungrigen, rastenden Gänsen wurden sie jedoch zum Verhängnis.


Unbeabsichtigte Vergiftungen kommen beim Einsatz von "Schädlingsbekämpfungsmitteln" immer wieder vor. Oft werden sie in der Literatur nicht nur nach direkter Aufnahme des Gifts - wie es bei den Salzhaff-Gänsen der Fall war - beschrieben, sondern als Sekundärvergiftungen bei den Fressfeinden der "bekämpften" Arten, also sogenannte Nahrungsketteneffekte. Insbesondere kleine fleischfressende Tiere und auch Greifvögel können durch blutgerinnungshemmende (antikoagulante) Rodentizide (AR) bedroht werden, wenn sie z. B. vergiftete Nagetiere erbeuten. Das 2018 abgeschlossene Projekt des Umweltbundesamts (UBA) "Rückstände von als Rodentizid ausgebrachten Antikoagulanzien in wildlebenden Biota" konnte die Gifte in vielen Kleinsäugern, die nicht Ziel ihrer Anwendung waren, feststellen. Nachgewiesen wurden sie beispielsweise in Spitz- und Waldmäusen, aber auch in Prädatoren, die Kleinsäuger erbeuten. 61 Prozent der untersuchten Leberproben von Füchsen und 32 Prozent von Eulen- und Greifvogelproben wiesen Wirkstoff-Rückstände auf.

In Großbritannien, Dänemark, Kanada und Neuseeland sind die Reste antikoagulanter Rodentizide in Prädatoren bereits länger bekannt. In Deutschland gibt es hierzu bisher keine systematischen Untersuchungen, obwohl diese Stoffe häufig eingesetzt werden. Viele der Studien haben sich mit Rückständen in Eulen und Greifvögeln beschäftigt, weniger untersucht sind Raubsäuger wie Füchse und Marderartige. Die Erkenntnisse zu den AR-Rückständen in Schleiereulen lassen schlussfolgern, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln neben Nistplatzmangel mitverantwortlich für den Rückgang der Schleiereulenpopulationen in Westeuropa ist. Interessant ist, dass für die Belastung der Schleiereulen anscheinend nicht nur die gezielt mit Rodentiziden bekämpften Mäusearten verantwortlich sind, sondern auch vergiftete Nicht-Zielarten, die aber ebenfalls zum Beutespektrum der Schleiereule zählen. In den Lebern von acht tot gefundenen Schleiereulen, die innere Blutungen aufwiesen, konnten Newton et al. schon vor über zwanzig Jahren AR-Konzentrationen nachweisen, die in allen Fällen über 100 ng/g betrugen; vertreten waren vor allem die Stoffe Bromadiolon und Brodifacoum. Dies führte zu dem Schluss, dass Leberkonzentrationen über 100 ng/g für Schleiereulen tödlich sein könnten. In einer späteren experimentellen Untersuchung betrugen die Leberkonzentrationen von mit vergifteten Mäusen gefütterten Schleiereulen allerdings zwischen 200 und 1.720 ng/g und auch Gray et al. (1994) ermittelten im Versuch tödliche Brodifacoum-Leberkonzentrationen von 700 ng/g. Diese Zusammenhänge beruhen aber nur auf der Untersuchung von Schleiereulen. Generell ist über den Zusammenhang von Leberkonzentrationen und biologischen Effekten in Nichtzielarten sehr wenig bekannt. Es scheint artspezifische Unterschiede in der Sensibilität der Prädatoren gegenüber ARs zu geben. Zumindest geben die Leberrückstände aber einen Überblick darüber, welche Arten überhaupt mit ARS in Kontakt kommen und ob AR-Konzentrationen geographischer und saisonaler Variabilität unterliegen.

Füchse aus Landkreisen mit hoher Großviehdichte - ein Indikator für hohen Rodentizideinsatz - waren den Untersuchungen zufolge beispielsweise häufiger belastet, als Füchse aus Landkreisen mit niedrigen Großviehdichten. In 32 Prozent der Eulen- und Greifvogelproben wurden Antikoagulanz-Rückstände nachgewiesen. Mit steigender Entfernung zum Anwendungsort sank der Anteil mit Brodifacoum belasteter Kleinsäuger. Rückstände konnten in allen untersuchten Kleinsäugerarten nachgewiesen werden. Waldmaus-Arten wiesen dabei sowohl häufige als auch hohe Rückstände auf. Sie bilden den zweitgrößten Anteil der saisonal schwankenden Schleiereulennahrung. Die Feldmaus-Arten hingegen - sie sind die häufigste Beute der Schleiereulen - wiesen nur in Einzelfällen Rückstände von Rodentiziden auf. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass im Hofbereich jagende Schleiereulen vor allem über Waldmaus-Arten mit Antikoagulanz-Rodentiziden belastet werden.

Wirkung und Zulassung

Die meisten Rodentizide, die als Köder auf dem Markt erhältlich sind, wirken blutgerinnungshemmend (antikoagulierend), sie werden deshalb als Antikoagulanzien bezeichnet. Die Aufnahme der Wirkstoffe führt dazu, dass die Tiere die Fähigkeit zur Blutgerinnung verlieren und dadurch meist innerlich verbluten. Diese Wirkung tritt erst drei bis sieben Tage nach der Aufnahme ein, sodass die Nagetiere die einsetzende Wirkung nicht mit dem Gift in Verbindung bringen können. Bei Antikoagulanzien unterscheidet man zwischen Wirkstoffen der ersten und der zweiten Generation. Antikoagulanzien der ersten Generation (first-generation anticoagulant rodenticides, FGAR) sind Warfarin, Chlorphacinon und Coumatetralyl. In der Regel muss der Schadnager den Köder mit diesen Wirkstoffen mehrmals aufnehmen, bevor eine tödliche Dosis erreicht wird.

In Deutschland wurde die Zulassung für den Wirkstoff Chlorphacinon vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zum 30. Juni 2010 wegen hoher Nebeneffekte widerrufen. Dennoch gibt es, wie auch bei anderen Pestiziden, immer wieder sogenannte Notfallzulassungen von nicht mehr zugelassenen Wirkstoffen, so auch für die offene Anwendung der Ratron Feldmausköder mit dem Wirkstoff Chlorphacinon. Begründet wurde diese vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) am 12.08.2015 nach Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 mit dem sehr hohen Auftreten von Feld- und Erdmäusen. Die vorerst zeitlich begrenzt genehmigte Anwendung des Mittels darf allerdings nur zur Abwendung erheblicher Schäden erfolgen und ist genehmigungspflichtig. Ein Starkbefall muss vorliegen, dann kann beim Pflanzenschutzdienst der Länder ein Antrag auf Genehmigung gestellt werden. Die Entscheidung über den Antrag erfolgt unter Berücksichtigung des Vorschlags des Pflanzenschutzdienstes des jeweiligen Bundeslandes, in Brandenburg ist dies das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF). In Naturschutzgebieten, Natura-2000-Gebieten sowie in den Hamstervorkommensgebieten war der Einsatz der Ratron Feldmausköder grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. Im Einzelfall kann allerdings mit ausdrücklicher Zustimmung der zuständigen Unteren Landschaftsbehörde davon abgewichen werden.

Doch was ist eigentlich ein "Starkbefall"? Um eine Fläche als solche klassifizieren zu können, muss dort zunächst eine Befallskontrolle durchgeführt werden. Diese erfolgt mit Hilfe der Lochtretmethode: Auf einer Fläche von 16 x 16 Metern (ca. 250 Quadratmeter) werden zunächst alle Mauselöcher zugetreten. Sind nach 24 Stunden mindestens 20 Löcher wieder geöffnet, gilt die Fläche als stark befallen und kann - nach erteilter Genehmigung - in offener Anwendung mit 10 kg/ha des Rodentizids im Streuverfahren behandelt werden. Auch nach erteilter Genehmigung sind allerdings einige Auflagen einzuhalten, so ist etwa eine Anwendung auf vegetationsfreien Flächen untersagt, um eine Aufnahme durch Wild oder Vögel zu erschweren. Auch ist es nicht gestattet, das Mittel in Häufchen auszulegen. Nach der Anwendung von Chlorphacinon muss der Genehmigungsinhaber zudem sowohl die behandelte als auch deren benachbarte Flächen kontrollieren, ob dort auch Wirbeltierarten, die eigentlich nicht bekämpft werden sollten, vergiftet wurden. Sollten derartige Fälle erkannt werden, sind diese zu dokumentieren und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit unverzüglich über den Pflanzenschutzdienst zu melden.

Die Notfallzulassung der Ratron Feldmausköder war auf den Zeitraum 01. September bis 29. Dezember 2015 und auf eine bundesweit geltende Menge von insgesamt maximal 700 Tonnen beschränkt. Aktuell ist das Mittel nicht zugelassen.

Die zweite Generation

Aktuell werden ausschließlich Antikoagulantien der zweiten Generation verwendet. Doch aus welchen Gründen wurde diese Regelung beschlossen? Wirkstoffe der zweiten Generation (second-generation anticoagulant rodenticides, SGAR) sind giftiger als ihre Vorgänger. Oft reicht bei ihnen bereits eine einmalige Köderaufnahme aus, um eine tödliche Wirkung zu erzielen. Zudem sind diese Wirkstoffe schlechter abbaubar und reichern sich in Lebewesen an. Zu den SGAR zählen nach Angaben des Umweltbundesamts die Mittel Brodifacoum, Bromadiolon, Difenacoum, Difethialon und Flocoumafen.

Trotz ihrer höheren Giftigkeit und schlechteren Abbaubarkeit sowie den damit verbundenen Risiken für die Umwelt, besonders für andere Tiere (Nichtziel-Organismen), wurden diese Stoffe in den Anhang 1 oder 1a der Biozid-Richtlinie aufgenommen und von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) zugelassen. Die Gründe hierfür liegen vor allem im Mangel an wirksamen Alternativen, um eine effektive Bekämpfung von Nagetieren im Rahmen des Infektions- und Vorratsschutzes zu ermöglichen. Für die Anwendung dieser Rodentizide sind allerdings "Allgemeine Kriterien einer guten fachlichen Anwendung von Fraßködern bei der Nagetierbekämpfung mit Antikoagulanzien durch sachkundige Verwender und berufsmäßige Verwender mit Sachkunde" vorgeschrieben.

Die chemische Bekämpfung von Feldmäusen oder anderer Nagetiere ist in landwirtschaftlichen Kulturen derzeit auf Mittel mit dem Wirkstoff Zinkphosphid sowie andere Phosphide (beispielsweise Aluminiumphosphid) beschränkt. Momentan sind 20 Zn3P2-haltige Produkte zugelassen (Delicia Wühlmaus-Riegel, Detia Mäuse Giftkörner, Detia Wühlmausköder Neu, Etisso Mäuse-frei Power-Sticks, Etisso Wühlmaus-frei Power-Riegel, Etisso Wühlmaus-Riegel, Feldmausköder Kwizda, Giftweizen GB, Mäuse-Giftweizen, Mäuse-Giftweizen Segetan, Quiritox WühlmausBlock, Raiffeisen gartenkraft Wühlmaus-Frei, Ratten Giftlinsen, Ratron Schermaus-Sticks, Ratron-Giftweizen, Wühlmaus-Köder, Wühlmausköder Arrex, Wühlmaus-Köder Ratzia, Wühlmausköder Wuelfel, Wühlmaus-Riegel Cumatan).

Alle Rodentizide dieser Gruppe sind Fraßgifte. Im Kontakt mit Magensäure entsteht aus ihnen giftiges Phosphin. Sie wirken als Stoffwechsel- und Nervengift. Ihre Ausbringung erfolgt in Köderstationen (z. B. Giftweisen) oder durch direktes Streuen in Mäuselöcher (Linsen, Granulat usw.). Die großflächige Ausbringung dieser neuen Mittel ist unzulässig. Zulässig ist ihr Einsatz nur auf landwirtschaftlichen Kulturen, für Randflächen bedarf es einer Sondergenehmigung.

Fazit

Vorliegende Untersuchungen, insbesondere die jüngste Studie des UBA, durchgeführt vom Julius-Kühn-Institut in Münster als auch der Frauenhofer Gesellschaft, belegen die verbreitete Umweltbelastung durch die weitläufige Anwendung der antikoagulanten Rodentizide sowie eine erhebliche ökotoxikologische Gefährdung von Nichtzielorganismen.


Dr. Werner Kratz ist Priv. Doz. an der FU Berlin, Institut für Biologie, 2. Landesvorsitzender NABU Brandenburg und NABU Bundesfachausschuss Umweltchemie und Ökotoxikologie


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • In den Körpern der mit Rodentiziden bekämpften Tiere sind oft noch Reste der verwendeten Giftstoffe enthalten.
  • Mäuse sind die Hauptnahrungsquelle von Schleiereulen.
  • In Vorratsbereichen können Mäuse durch Verunreinungen erhebliche Schäden verursachen. Am besten ist es, wenn sie dorthin keinen Zugang haben.

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Quelle:
naturmagazin, 33. Jahrgang - Nr. 2, Mai bis Juli 2018, S. 24 - 27
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzfonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2018

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