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MASSNAHMEN/102: International aktiv gegen Quarantäneschädlinge und invasive Arten (FR)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Pflanzen grenzüberschreitend gesund erhalten
International aktiv gegen Quarantäneschädlinge und invasive Arten

Von Jens-Georg Unger (Braunschweig)


Weltweit gibt es zahlreiche Schadorganismen, die noch nicht in Europa bzw. Deutschland vorkommen, im Falle einer Einschleppung aber Pflanzen im Acker- und Gartenbau und besonders auch im Wald erheblich und oft dauerhaft schädigen würden. Angesichts des zunehmenden internationalen Waren- und Personenverkehrs sind genzüberschreitende Strategien gefragt, um die Einschleppung solcher schädlicher Organismen zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern.


In der Vergangenheit gibt es viele, teils dramatische Beispiele für Einschleppungen schädlicher Organismen: Im 19. Jahrhundert führte die aus Amerika stammende Kraut- und Knollenfäule in Irland zu verheerenden Missernten bei Kartoffeln und in Folge zu einer Hungersnot mit mehreren Millionen Toten. 1990 wurde ein Käfer - der wegen seiner großen Schadwirkung in den USA als "Billion Dollar bug" bezeichnete Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgifera) - nach Serbien eingeschleppt und breitete sich rapide aus; in diesem Jahr wurde aus Oberitalien von bis zu einem Drittel Ertragseinbußen und insgesamt über 1 Mio. Tonnen Ertragsverlusten berichtet. Diese Beispiele zeigen, dass gerade Kulturpflanzen wie Mais und Kartoffeln, die aus biologischer Sicht relativ neu in unsere Bereiten eingeführt wurden, besonders stark durch Schadorganismen aus den Ursprungsregionen der Pflanzen bedroht sind.

Dramatische Auswirkungen können eingeschleppte Pathogene auf Baumbestände haben. So sind die europäischen Ulmenarten mittlerweile fast vollständig durch die Ulmenkrankheit, hervorgerufen von einem aus Nordamerika stammenden Pilz, ausgerottet worden. Weniger dramatisch, aber in der Öffentlichkeit sehr sichtbar, ist die Einschleppung der Kastanien-Miniermotte gewesen, die zu einer vorzeitigen Verbräunung der Kastanienblätter führt (Abb. 1) und so manchem Biergartenbesucher schon im August den Herbst vorgaukelt.


Die Risiken nehmen weltweit zu

Die Risiken der Ein- und Verschleppung nehmen innerhalb Europas und weltweit zu. Mit der Schaffung des EU-Binnenmarktes fielen auch weitgehend die Grenzkontrollen und die amtlichen Kontrollen von Einzelsendungen im Warenverkehr weg. Das Volumen des Warenaustauschs ist in Europa und weltweit seit Anfang der 90er Jahre enorm gestiegen. Der Personen-, LKW- und Flugverkehr hat stark zugenommen. Der Maiswurzelbohrer wurde mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als 20-mal mit dem Flugverkehr und mehr als 50-mal mit LKW- oder Bahn-Transporten innerhalb Europas verschleppt.

Problematisch ist auch die weltweit immer breitere Palette von gehandelten Pflanzen und Pflanzenprodukten aus immer neuen Anbaugebieten, wie zum Beispiel die Einfuhren von Ahorn- oder Rosenpflanzen aus China. Mit den Ahornpflanzen wurde nachweislich der Citrusbockkäfer (Anoplophora chinensis, Abb. 2), eingeschleppt, und die seit Jahren in großen Stückzahlen eingeführten Rosenpflanzen waren mit einer für Europa neuen Nematodenart (Meloidogyne enterolobii) befallen. Gravierende Schäden durch den Citrusbockkäfer in Norditalien veranschaulichen, welche Folgen eine Ansiedlung dieser Art in Deutschland haben könnte. Auf unbekanntem Wege wurde erst 2008 der "Rundköpfige Apfelbaumbohrer" (Saperda candida), ein sehr problematischer Obstbaumschädling aus Nordamerika, nach Deutschland auf die Ostseeinsel Fehmarn verschleppt (Abb. 3).


Warum die Staaten aktiv werden

Die Auswirkungen von Einschleppungen können ganze Produktionsrichtungen dauerhaft beeinträchtigen und bestimmte Pflanzen in der Landschaft auf Dauer schädigen. Für eine sichere und nachhaltige Schutzwirkung sind meist Maßnahmen erforderlich, die sich auf größere Gebiete bzw. Staaten beziehen. Importeure/Exporteure von Pflanzenmaterial oder Einzelbetriebe können das nicht leisten. Deshalb haben fast alle Länder staatliche Schutzvorkehrungen getroffen und nationale Pflanzenschutzorganisationen mit entsprechendem Auftrag geschaffen.

Die Verschleppung von Schadorganismen von Pflanzen betrifft fast alle Staaten weltweit. Organismen, die hier in Europa unproblematisch sind, können auf anderen Kontinenten erhebliche Schäden an Pflanzen verursachen und umgekehrt. Der Kiefernholznematode Bursaphelenchus xylophilus beispielsweise kommt ursprünglich in Nordamerika an den dort heimischen Kiefernarten vor, ohne dass dort Schäden auftreten, da sich die Wirtsbäume und der Schadorganismus im Laufe der Evolution aneinander angepasst haben. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er nach Japan verschleppt, wo er dramatische Schäden an den japanischen Kieferarten verursachte (Abb. 4). In den 1970er Jahren erfolgte eine weitere Verschleppung nach China. 1999 berichtete dann Portugal über neuartige Schäden an Kiefern und konnte den Kiefernholznematoden als Verursacher nachweisen (Abb. 5)

Da die Verschleppung von Schadorganismen ein grenzüberschreitendes Problem darstellt, gab es bereits früh Versuche, die Abwehrmaßnahmen zwischenstaatlich zu koordinieren und Informationen zur Bekämpfung etc. auszutauschen. Bereits 1952 wurde das Internationale Pflanzenschutzübereinkommen (IPPC) geschlossen und die Europäische und Mediterrane Pflanzenschutzorganisation (EPPO) gegründet (s. Beitrag in der Rubrik "Portrait"). Im Rahmen des IPPC verpflichten sich mittlerweile mehr als 170 Vertragsstaaten, nationale amtliche Pflanzenschutzorganisationen für die Überwachung von Pflanzenbeständen, die Inspektion von Einfuhren auf Schadorganismen sowie die Ausstellung standardisierter Pflanzengesundheitszeugnisse im internationalen Handel einzurichten. In Deutschland ist dies Aufgabe der Pflanzenschutzdienste der Länder. Die ebenfalls im IPPC verankerte Pflicht zur Durchführung von Risikoanalysen für Schadorganismen ist eine zentrale Aufgabe des Instituts für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit des Julius Kühn-Instituts (JKI), ebenso wie die Weitergabe von Informationen über geregelte Schadorganismen und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Das IPPC sieht sogar eine Selbstverpflichtung der Staaten vor, Forschung und Untersuchungen auf diesem Gebiet durchzuführen, was in Deutschland maßgeblich durch Forschungsarbeiten am JKI realisiert wird.

Vor diesem Hintergrund hat sich in Europa ein vielfältig vernetztes System des Informationsaustausches, der Forschungskooperation und der Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Quarantänemaßnahmen entwickelt.


Zusammenarbeit in der Forschung und Risikoanalyse

Von der Einschleppung neuer Schadorganismen sind in der EU häufig mehrere Staaten gleichzeitig betroffen. So wurden zum Beispiel in den letzten 10 Jahren das Pepino mosaicvirus, das Potatospindle tuber viroid, der asiatische Laubholzbockkäfer und der Citrusbockkäfer fast gleichzeitig in den Niederlanden, Spanien, Großbritannien und Deutschland nachgewiesen bzw. in Einfuhrsendungen festgestellt. Die Notwendigkeit, geeignete Diagnose- und Inspektionsmethoden zu entwickeln, Risiken fachgerecht einzuschätzen und wirksame, praktikable Gegenmaßnahmen zu entwickeln, ergibt sich dadurch unmittelbar in mehreren Ländern und ist ein gewichtiges Argument für die europaweite Forschungskooperation im Bereich Pflanzengesundheit.

Das JKI-Institut für Pflanzengesundheit ist deshalb regelmäßig an größeren EU-Projekten in diesem Themenkreis beteiligt, beispielsweise zum Kiefernholznematoden (RISKBURS, PHRAME), zu Phytophthora ramorum (RAPRA) und zu Diabrotica (DIBR-ACT), bei denen vor allem die Risikobewertung und mögliche Gegenmaßnahmen im Vordergrund standen. Eine solche Zusammenarbeit ist teilweise sogar unerlässlich, um Forschungsarbeiten im Freiland in den Befallsländern durchführen zu können.

Ergänzend zu den direkten Forschungsprojekten zielt das derzeit laufende ERA-NET-Projekt EUPHRESCO (www.euphresco.org) auf eine bessere Koordination der nationalen Projekte mit den Projekten anderer EU-Staaten ab. Zurzeit sind Partner aus 17 Ländern hieran beteiligt, unter anderem das JKI.

Von zentraler Bedeutung für die gesamte Thematik ist das aktuell laufende EU-Projekt PRATIQUE, das sich mit der Verbesserung der Risikoanalysen und den fachlich/wissenschaftlichen Grundlagen hierfür befasst. In diesem Projekt werden einheitlich strukturierte Datensätze zusammengestellt, ökonomische, ökologische und soziale Folgen von Einschleppungen abgeschätzt, gefährdete Gebiete kartiert sowie Grundlagen für Aktionspläne für Notfälle erstellt. Das JKI-Institut für Pflanzengesundheit ist hier mit elf Partnern aus EU-Staaten, zwei internationalen Organisationen und jeweils einem Institut aus Neuseeland und Australien engagiert.


Zusammenarbeit bei der Entwicklung europäischer Normen

Stellungnahmen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sowie die Risikoanalysen der EPPO sind von entscheidender Bedeutung für die Arbeiten des Ständigen Ausschusses Pflanzenschutz. Dessen Aufgabe ist es, Rechtsvorschriften auf der technischen Ebene in Form von EG-Richtlinien, Entscheidungen und Verordnungen zu erlassen. Deutschland ist in diesem Ausschuss durch einen Mitarbeiter des Instituts für Pflanzengesundheit des JKI vertreten. Dieser bringt neben den mit den Bundesländern und dem BMELV abgestimmten "deutschen Positionen" vor allem auch die fachlichen Grundlagen, die durch eine Abstimmung im JKI insgesamt erarbeitet werden, in die Diskussionen ein.


Zusammenarbeit beim europäischen Frühwarnsystem

Der zeitnahe Informationsaustausch über neue Risiken durch Schadorganismen und befallene Einfuhren ist von großer Bedeutung, um auf EU-Ebene rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Daher wurde von der EG-Kommission ein Frühwarnsystem mit der zentralen Datenbank EUROPHYT eingerichtet. Alle zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten haben hierauf immer aktuell Zugriff. EU-weit wurden im Jahr 2008 mehr als 1300 Einfuhrsendungen wegen Befalls mit Schadorganismen beanstandet und nach diesem Verfahren allen Betroffenen gemeldet.


Koordination und Informationsaustausch in Deutschland

Werden neue oder Quarantäneschadorganismen nach Deutschland eingeschleppt, liegen die ersten Gegenmaßnahmen in der Verantwortung der Bundesländer. Das JKI erhält entsprechende Meldungen und empfiehlt gegebenenfalls konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung, besonders wenn die Gefahr einer weiteren Ausbreitung besteht. In dieser Situation werden oft auch bundesweite systematische Überwachungsmaßnahmen notwendig. Hierfür erstellt das JKI in enger Konsultation mit den zuständigen Länderstellen teils recht umfangreiche Leitlinien für die Überwachungs- und Gegenmaßnahmen (u.a. zu Diabrotica, Anoplophora-Arten, Kartoffelringfäule (Abb. 6), Potato spindle tuber viroid.).

Daneben wurde in den letzten Jahren in einem Kooperationsprojekt mit den Bundesländern ein umfassendes, vierbändiges Inspektionshandbuch (Kompendium) erstellt, welches neben konkreten Anleitungen zur Inspektion auch viele Datenblätter für die Identifizierung von Schadorganismen enthält (Abb. 7).


Vertikaler Informationsaustausch und Vernetzungen

Der Verschleppung von Schadorganismen kann nur durch einen effizienten Informationsaustausch begegnet werden. Von großer Bedeutung für die Wirksamkeit der Kontrollsysteme ist die Abstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen. Regelmäßig werden daher mit Experten aus den Pflanzenschutzdiensten der Länder Fachberatungen durchgeführt, deren Ergebnisse nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch in die Beratungen der EU-Gremien einfließen. Auf EU-Ebene abgestimmte Postionen werden wiederum auf Expertenebene oder in formellen Verfahren in die globale Standardsetzung im IPPC eingebracht. Bei Brennpunktthemen, wie in den letzten Jahren die Annahme und Revision des IPPC-Standards zu Holzverpackungen, hat das Institut für Pflanzengesundheit erheblich dazu beigetragen, wissenschaftliches Fachwissen in die Beratungen auf EU- und IPPC-Ebene einzubringen, und darüber hinaus auch die auf globaler Ebene getroffenen Festlegungen in deutsche Leitlinien n und den entsprechenden Rechtsrahmen einfließen zu lassen.


JKI
Dir. u. Prof. Dr. Jens-Georg Unger,
Julius Kühn-Institut, Institut für nationale und
internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit,
Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig.
E-Mail: jens-georg.unger@jki.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Starker Befall mit der Kastanien-Miniermotte führt zu einer vorzeitigen Verbräunung der Blätter. Das ist unschön, schädigt die Kastanien aber nicht so stark, wie anfangs angenommen.

Abb. 2: Der Citrusbockkäfer sieht schön aus, seine Larven können aber gesunde Bäume zum Absterben bringen und dringen tief in den Stamm ein.

Abb. 3: Befallsbild des Rundköpfigen Apfelbaumbohrers

Abb. 4: Verschleppung des Kiefernholznematoden Bursaphelenchus xylophilus über weite Teile der Welt.

Abb. 5: Schadbild von B. xylophilus an portugiesischen Kiefern

Abb. 6: Zerstörte Kartoffelknollen, verursacht durch den Erreger der Bakteriellen Ringfäule

Abb. 7: Ein vom JKI in Zusammenarbeit mit den Bundesländern erarbeitetes vierbändiges Kompendium gibt Anleitungen zur Inspektion und enthält Datenblätter zur Identifizierung von Schadorganismen.


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2009, Seite 36 - 39
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2010