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UMWELTSIEGEL/038: Zertifizierung biologischer Lebensmittel (Der Rabe Ralf)


DER RABE RALF
Nr. 174 - Juni/Juli 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Streng überwacht und bürokratisch
Zertifizierung biologischer Lebensmittel

von Volker Voss



Wenn trotz der Zertifizierung und mit dem Siegel "Biologisch" oder "Ökologisch" versehen, "mal wieder eine große Schweinerei passiert, meldet sich sofort die Presse," so Michael Wimmer, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg. Gemeint sind einzelne Skandale bei der Verarbeitung von biozertifizierten Lebensmitteln, wo Bio auf der Verpackung stand, es sich aber doch um konventionell oder überhaupt auf zweifelhafte Weise erzeugte Lebensmittel handelte. Verwiesen wird unter anderem auf den Skandal mit den Legehennen Anfang des Jahres, als mit dem Bio-Siegel versehene Eier aus schlimmster Massentierhaltung stammten. "Bio ist mehr als nur ein Geschäftsmodell. Damit verbunden sind beispielsweise auch Umwelt- und Tierschutz", fügt Michael Wimmer hinzu. Grundsätzlich gilt für biologische Lebensmittel, dass sie gentechnikfrei sind, kein Pflanzenschutz mit chemisch-synthetischen Mitteln zur Anwendung kommt, keine chemisch-synthetischen Wachstumsregulatoren oder Hormone verabreicht werden und die Fütterung der Tiere mit ökologischem und möglichst selbst erzeugtem Futter erfolgt.

Tatsache ist, dass die Verwendung der Bio-Siegel zu Kontrolluntersuchungen verpflichtet, betont Aniko Hielscher von der EU-Öko-Kontrollstelle Grünstempel. Diese Bezeichnungen sind gesetzlich geschützt. In Deutschland gibt es insgesamt 22 private Kontrollstellen, die staatlich zugelassen sind und nach den EU-weit geltenden Rechtsvorschriften für Bio-Zertifizierungen arbeiten. Einmal jährlich findet eine angemeldete Kontrolle mit Dokumentenüberprüfung plus Betriebsbesichtigung statt. Darüber hinaus gibt es unangemeldete Kontrollen sowie Stichproben und Analysen. Allgemein handelt es sich dabei um ein "so umfassendes und bürokratisches Prüfsystem, dass manche Landwirte daran regelrecht verzweifeln", sagt Aniko Hielscher. Dauernd gebe es neue Verordnungen und Ergänzungen. Es wird allgemein gefordert, dass die Ökoverordnung vereinfacht und besser verständlich sein sollte. Bei etwaigen Mängeln werden Hinweise und Auflagen ausgesprochen. Bei schwerwiegenden Mängeln kommt es zur Aberkennung des Bio-Siegels, aber auch Geldbußen sind möglich.


Zu viele Bio-Siegel

Verwirrend ist die Vielzahl der Bio-Siegel, die zwar allesamt geschützt, doch auf Grund ihrer Unübersichtlichkeit wenig Vertrauen beim Verbraucher erwecken. Nach einer Studie der Universität Göttingen sind dem Konsumenten lediglich das deutsche Bio-Siegel und das Fairtrade-Label bekannt. Demnach kennen das deutsche Bio-Siegel 72 Prozent, 54 Prozent vertrauen ihm. Doch kennen nur fünf Prozent das seit 2010 gültige EU-Biosiegel. Daher wird ein allgemein akzeptiertes "Dachlabel" empfohlen. Es wird darauf verwiesen, dass es heutzutage schwierig ist, Etikettenschwindel zu betreiben, da die Zertifizierung durch die EG-Öko-Verordnung einheitlich geregelt und geschützt ist, wobei auch die Erzeugung und Verarbeitung nachvollziehbar sein muss. Außer dem Bio-Siegel ist das Produkt auch mit einer Kontrollstellen-Nummer versehen, auf die der Kunde bei eventuellen Zweifeln in Bezug auf Herkunft und Verarbeitung achten sollte.

Ansonsten finden sich auf Lebensmittelverpackungen, für viele Verbraucher/-innen eher irreführend, Aufschriften wie "integrierter Landbau", "kontrollierter Vertragsanbau", "umweltverträgliche Erzeugung". Diese haben nichts mit biologischem oder ökologischem Anbau zu tun, sondern handelt es sich hierbei schlicht um konventionell hergestellte Produkte.

"Bio-Landbau ist in der breiten Bevölkerung angekommen, hat sich von der Nische in die Fläche entwickelt", sagt Florian Schöne, Agrarreferent beim NABU-Bundesverband. Die Verbraucher/-innen haben bei biologischen Erzeugnissen bestimmte Assoziationen, die immer noch oft mit der ursprünglichen Pionierrolle der frühen Jahre der Ökolandwirtschaft in Verbindung gebracht würden, nämlich nachhaltig und förderungswürdig zu sein. Dabei besteht durchaus die Gefahr der Konventionalisierung, betont Schöne, der den Bio-Landbau seit seiner Entstehung beobachtet und auch Schwierigkeiten sieht, sich vom konventionellen Landbau abzusetzen und sich voll an die Naturschutzauflagen zu halten. "Ist ein Betrieb zu groß, ist er in Sachen Tierhaltung schwieriger kontrollierbar. (...) Bei Überproduktion steht der Naturschutz in Frage", so Schöne.

Er verweist damit auf den bereits erwähnten Legehennen-Skandal. Es wurden schon mit Hilfe doppelter Buchführung Unregelmäßigkeiten verschleiert. Beispielsweise gab es mehr Legehennen, als in den Dokumenten angegeben waren. Diese kriminellen Strukturen seien auch nicht leicht zu durchschauen, so Schöne weiter, weil vom Lieferanten bis zur Abrechnung gefälscht wurde. Deshalb müssten Obergrenzen auch in der Tierhaltung gesetzt und klare Umweltstandards definiert werden.


Skandale eher selten

Doch seien Skandale in der Ökobewirtschaftung eher selten. Zehn "schwarze Schafe" habe Aniko Hielscher in zehn Jahren ausgemacht, erläutert sie auf Nachfrage. Ein hohes Risikopotenzial stellen Betriebe mit einer nur teilweisen Biobewirtschaftung dar, weil diese oft unübersichtlich sind. Besonders in der Gastronomie und der Hotellerie komme es des Öfteren zu Ungereimtheiten. Dort würden Produkte leichtfertig als biologisch angeboten, deren Zertifikate sich als gefälscht erwiesen. Je einmal wurden bei einer Stichprobe Nitrogen, ein anderes Mal Pestizide gefunden. Grundsätzlich ist es den Erzeugern von Lebensmitteln, die ihre Produkte fälschlicherweise als Bio deklariert haben, durchaus noch möglich, diese als herkömmliche Lebensmittel zu verkaufen, soweit sie nicht noch gegen weitere Bestimmungen des Lebensmittelrechts verstoßen, bestätigt Aniko Hielscher.

Tierschützer hingegen beklagen, dass Biotiere nicht besser behandelt würden als konventionell Aufgezogene. Jürgen Foß, Diplomphysiker und Autor auf www.biowahrheit.de führt dazu aus: "Viele glauben, dass ihr Biofleisch von einem idyllischen Bauernhof stammt. Doch dieses Bild stimmt leider nicht. Die allermeisten Biotiere durchleiden die gleichen Qualen wie Tiere aus der industriellen Massentierhaltung."

Zudem wird auf eine Studie der Fachhochschule Münster für die ARD verwiesen, bei der Biogemüse und -fleisch auf Krankheitserreger getestet wurden. Ergebnis: "14 von 30 Gemüseproben, 50 Prozent des Hühnerfleischs und 20 Prozent des Schweinefleischs waren mit Darmbakterien belastet." Ähnlich hoch sei die Belastung für konventionelle Lebensmittel, wird der BUND nach einer Untersuchung vom Januar 2012 zitiert.

Fazit: Kritische Verbraucher/-innen sollten wachsam bleiben.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Tierzucht nach ökologischen Kriterien
- Das deutsche Bio-Siegel
- Neues EU-Bio-Siegel seit 2010

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 174 - Juni/Juli 2013, Seite 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2013