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VIELFALT/106: Klimawandel, Schutz der Biodiversität und Ernährungssicherung (Böll Thema)


Böll THEMA - Ausgabe 2/2010
Das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung
Landwirtschaft und Klimawandel

Die Vielfalt bringt's!
Klimawandel, Schutz der Biodiversität und Ernährungssicherung - Zusammenhänge, Potenziale und nächste Schritte

Von Manfred Niekisch, Direktor des Frankfurter Zoos


Fruchtbarer Boden wird immer knapper, und das nicht trotz, sondern - so paradox es klingen mag! - wegen der Ausweitung der Landwirtschaft, denn weltweit übersteigt die durch Ackerbau und Viehzucht provozierte Erosion die Raten der Bodenbildung. Global gelten bis zu 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen bereits als degradiert.

Vielfalt, nicht Masse - ein tradiertes Prinzip der Versorgungssicherheit

Angesichts der negativen Auswirkungen, welche die Landwirtschaft bisher auf die Böden, die biologische Vielfalt und das Klima hat - und diese überwiegen in der Summe die zweifelsohne auch vorhandenen positiven, vor allem lokalen Effekte bei weitem -, bedarf es eines völligen Umdenkens, um die menschliche Ernährung nachhaltig zu sichern. Einer der zentralen Lehrsätze der Ökologie schafft hier die wesentliche Einsicht: Nährstoffarmut der Böden bedingt - relativ gesehen - eine große Zahl von Arten, die dann aber nur in wenigen Individuen vorkommen. Umgekehrt führt Nährstoffreichtum zu einer großen Zahl von Individuen, aber nur aus wenigen Arten. Die Begründung dafür ist einfach: Bei niedrigem Nährstoffangebot entwickeln Lebewesen unterschiedlich spezialisierte Strategien, um an die wenigen Nährstoffe zu kommen. Es bilden sich also viele verschiedene Arten aus, allerdings jeweils nur mit kleinen Populationen, da das Nahrungsangebot für den einzelnen Spezialisten limitiert ist. Bei Nährstoffreichtum hingegen können wenige Arten mit vielen Individuen alle anderen verdrängen. Die Spezialisten haben hier keine Chance. Schon der Vergleich der Pflanzen an einem heimischen Bahndamm mit einer völlig überdüngten Viehweide zeigt in Mitteleuropa die Richtigkeit dieser Erkenntnis. Da die Böden der Tropen von Natur aus in aller Regel vergleichsweise oder absolut nährstoffarm sind, ist die industrielle Landwirtschaft im europäischen Stil hier vom Ansatz her falsch. Diese versucht ja, große Mengen aus wenigen Arten zu erzielen, während es weitaus sinnvoller wäre, hier mit pflanzlicher (und tierischer) Vielfalt die Ernährung zu sichern.

Vielfalt, um die Ernährung zu sichern -das ist kein neues Konzept, ganz im Gegenteil. Warum bauen Bauern in den Anden seit Jahrhunderten eine große Zahl unterschiedlicher Maissorten nebeneinander an? Warum kultivieren die Matsiguenka im Manu-Nationalpark Perus Maniok, ihr wichtigstes Nahrungsmittel, in 56 Sorten und ergänzen diese Nahrung durch den Anbau weiterer 64 Pflanzenarten, wiederum jeweils in verschiedenen Sorten? Zudem sammeln sie Nüsse und Früchte von 17 Baumarten, nutzen 9 Froscharten, 28 Arten von Insektenlarven und fangen etwa 50 Fischarten für ihre Ernährung. Studien über traditionelle Landwirtschaft zeigen überall auf der Welt, besonders aber in den Tropen, dass die lokale Bevölkerung sich mit einer Vielfalt von Produkten ernährt, nicht über Masse aus wenigen Arten.

Die Nutzung einer Bandbreite von Sorten, Rassen, Variationen entspringt den Notwendigkeiten der Ernährungssicherung vor allem bei denen, die in Subsistenzwirtschaft leben, also nicht durch Kauf beschaffen können, was gerade an Nahrung fehlt. Unterschiedliche Reifezeiten, Eignung für ertragreiche oder marginale Böden, Lagerfähigkeit, Verwendungsmöglichkeit, Anfälligkeit für oder Resistenz gegen bestimmte Krankheiten und Schädlinge, Toleranz für Trockenheit oder andere Wettereinflüsse sind nur einige der genetisch festgelegten Merkmale von Saatgut und Erträgen. Je größer die genetische Variationsbreite unter den angebauten Pflanzen ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass nicht die gesamte Ernte durch Dürre, Nässe, Pilzbefall oder andere Plagen ausfällt - umso größer also die Versorgungssicherheit. Dass dies im Vergleich zu Hochertragssorten unter Umständen zu Lasten der Erntemenge geht, kann hingenommen werden und ist weitaus weniger problematisch als der mögliche Verlust der gesamten (weil einförmigen) Ernte. Bewahrung und Kultivierung von Vielfalt und Verschiedenartigkeit offenbaren sich deutlich als überlebenssichernde Strategien und echte Risikovorsorge. Nur am Rande sei angemerkt, dass das Konzept der «biologischen Diversität» im Deutschen mit «Vielfalt» nicht ganz korrekt übersetzt ist. Es geht hier mehr um die Unterschiedlichkeit als um die Menge («Vielfalt») der biologischen Merkmale.

Bedeutsam ist also nicht nur die Vielfalt der Arten, sondern auch der genetische Reichtum der einzelnen Art. Dieser manifestiert sich nicht immer in klar erkennbaren « Sorten », zumindest aber in einer breiten Variation von Merkmalen. Schon ein Blick in das mit Oca, den Wurzelknollen des Sauerklees, gefüllte Tragetuch eines Aymara-Indianers zeigt in Farbe, Form und Größe sehr unterschiedliche Knollen. Ohne diese im Welthandel so gut wie unbekannte Pflanze ist die Ernährung der Menschen in den Hochanden kaum vorstellbar, und die züchterische Selektion führte hier wie bei manch anderer alten Kulturpflanze mit gutem Grund zu großer Verschiedenheit und Vielfalt statt zu der « Standardisierung » und Einförmigkeit der industriellen Landwirtschaft.

Die genetische Variationsbreite ist die Grundlage für die evolutive Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen. Je stärker beziehungsweise schneller sich die Verhältnisse der Umwelt ändern, umso beträchtlicher ist bei großer genetischer Bandbreite der Individuen die Chance, dass einige sich anpassen und aufgrund selektiver Vorteile vermehren können. Umgekehrt ist bei hochgezüchteten, genetisch uniformen Pflanzenpopulationen, wie es Monokulturen sind, die Möglichkeit der Anpassung an ungünstige Bedingungen eingeschränkt oder lässt sich nur mittels Pflanzen-«Schutz»mitteln, Dünger, massiver Bodenbearbeitung und anderen Hilfsmitteln überbrücken.

Die daraus resultierenden Umweltschäden bedürfen hier keiner näheren Erläuterung, und die aus solchen Anfälligkeiten oder dem Drang nach Ertragssteigerung abgeleiteten « Notwendigkeiten » der genetischen Manipulation bei Hochleistungspflanzen sollen hier als Problem nur erwähnt werden.

Land oder Wasser - die Prinzipien sind gleich!

Der Grundsatz, dass die nachhaltige und ausreichende Produktion von Lebensmitteln ohne Vielfalt nicht zu erreichen ist, gilt bei weitem nicht nur in der Landwirtschaft, sie gilt auch in der Fischerei. Die als Monokulturen angelegten Zuchtbetriebe etwa für Lachs und Shrimps an den Meeresküsten, aber auch die Fischzuchtfabriken im Landesinneren produzieren die Eiweißquelle Fisch nur für Menschen, die sich solche Produkte leisten können. Weltweit und besonders in armen Regionen hängt die Bevölkerung der Küsten aber zu einem erheblichen Teil vom eigenen Fischfang ab. Eine aktuelle Fallstudie aus dem Mekongdelta Vietnams belegt, dass es der ungeheure Artenreichtum an Fischen, Muscheln, Schnecken, Krabben ist, welcher das Jahr über die Ernährung der Bevölkerung und das Funktionieren der dem Fang nachgeschalteten Wirtschaftskreise (Verarbeitung, Aufzucht, Handel, Gastronomie) sichert. Die Zusammensetzung der Fauna an den Küsten variiert abhängig von Strömungen, Wasserständen, Temperatur, Salz- und Süßwassereinfluss erheblich. Auch hier liegt die Voraussetzung für ganzjährige Fangerfolge in der Vielfalt und Verschiedenheit der Arten. Über weite Strecken sind die Küstenzonen, in denen sich viele Meerestiere vermehren, jedoch durch Aquakulturen massiv geschädigt. Das gilt auch für die Mangrovenwälder und die Korallenriffe.

Monokulturen für lebende Tiere erfordern analog der Intensivlandwirtschaft einen hohen Einsatz von Stoffen und Praktiken, welche die natürlichen Systeme, ihre Funktionsfähigkeit und biologische Produktivität beeinträchtigen. Hinzu kommt die Übernutzung der Bestände durch den industriellen Fischfang. Die sozialen Folgen der Ressourcenverknappung gipfeln darin, dass einstige Küstenfischer in Somalia aus Mangel an Fisch dazu übergehen, Schiffe zu kapern.

Drei zentrale Probleme und Wege zu ihrer Lösung

Die drei wichtigsten globalen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte sind die Bekämpfung des Hungers, die Erhaltung der Biodiversität und der Schutz des Klimas. Die räumliche Ausweitung industrieller Großprojekte zur Nahrungsmittelproduktion erfolgt meist zu Lasten von Wäldern und ist keine Lösung, da sie den beiden letztgenannten Zielen diametral entgegensteht. Großflächige Intensivkulturen können das Hungerproblem nicht lösen, weil sie das Armutsproblem nicht lösen. Im Gegenteil verknappen sie den Raum für Kleinbauern und lokale Fischer und produzieren vor allem für Bevölkerungskreise, die sich den Kauf von Lebensmitteln leisten können, oft sogar ausschließlich für den Export.

Die gemeinsame Lösung für die Erhaltung der Biodiversität, den Schutz des Klimas und die Sicherung der menschlichen Ernährung gibt es. Ihre Durchsetzung ist angesichts der gegenwärtigen Verteilung von Wirtschaftsinteressen, politischen Machtverhältnissen und Landbesitz nicht einfach, aber letztlich ohne Alternative, wenn wir die Umwelt, in welche die Evolution den Menschen gestellt hat, nicht aufs Spiel setzen wollen. Unverzüglich müssen die noch vorhandenen natürlichen Wälder, Moorgebiete und Grasländer vor Umwandlung geschützt werden. Des Weiteren müssen alle noch vorhandenen Potenziale der nachhaltigen Ertragssteigerung ausgeschöpft werden, welche nicht Klima und Biodiversität beeinträchtigen und die keine neuen, natürlichen Flächen beanspruchen. Vor allem aber bedarf es einer grundlegenden Ökologisierung der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft und einer Verbesserung und Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Im Namen der Bekämpfung des Hungers mit neuen agro-industriellen Großprojekten die klimatischen und biologischen Grundlagen menschlichen Wirkens weiter in das Risiko hineinzutreiben, wäre der völlig falsche Weg.

Gemüse: 150g CO2 pro kg
Tiefkühlgemüse: 400 g CO2 pro kg


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Quelle:
Böll THEMA - Ausgabe 2/2010, Seite 14-15
Das Magazin der Heinrich-Böll-Stiftung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2010