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VIELFALT/113: Biologische Vielfalt - Verarmt, doch nicht verloren (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Biologische Vielfalt
Verarmt, doch nicht verloren

Von Jochen Dettmer und Heidrun Heidecke


Das Internationale Jahr der biologischen Vielfalt geht dem Ende zu. Doch sein Anliegen bleibt hochaktuell. Der BUND wird sich weiter für eine vielfältige Natur einsetzen, nicht nur innerhalb eng umgrenzter Schutzgebiete. Eine umweltverträgliche und strukturreiche Landwirtschaft ist dabei von essenzieller Bedeutung.

Es ist Herbst geworden im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, nordöstlich von Berlin. Auf den Feldern rund um Brodowin lichtet sich erst Stunden nach Sonnenaufgang der Nebel. Hier und dort werden Gruppen nordischer Bless- und Saatgänse sichtbar, auch Kraniche suchen vereinzelt noch nach Fressbarem. Erst allmählich sind Scharen von Kiebitzen, Dohlen und Saatkrähen zu erkennen. Grauammern, die im Schilf des nahen Parsteiner Sees nächtigen, haben sich zu ersten Wintertrupps zusammengeschlossen.

Dass all diese Vögel gerade hier über Wochen und Monate rasten, ist kein Zufall: Die Gegend ist von Hecken, Gehölzen sowie kleinen und größeren Wasserflächen geprägt, die den Durchzüglern und Wintergästen Nahrung und Schutz bieten. Einen großen Anteil daran hat der Agrarbetrieb »Ökodorf Brodowin«. Er sorgt nicht nur für eine schonende Bearbeitung des Bodens, sondern spart Rückzugsorte für die Natur aus und wertet diese ganz gezielt auf.


Verarmte Vielfalt

So modellhaft geht es in unseren Breiten nur selten zu - leider. Denn die Landwirte bestimmen dadurch, wie sie ihre Felder und Wiesen nutzen, ganz maßgeblich die biologische Vielfalt der Kulturlandschaft. Welche Fruchtfolge wählen sie, wie intensiv düngen sie, welche Pestizide setzen sie ein? Welche Schlaggrößen prägen die Region? Ferner: Wie oft pro Jahr werden die Wiesen und Weiden gemäht, wie dicht steht das Vieh? Wo bringen schließlich Bäume, Hecken, Acker- und Uferrandstreifen oder Brachflächen etwas Abwechslung in die Feldflur?

All dies entscheidet über die Vielfalt der Lebensräume, der Pflanzen und Tiere. In den letzten Jahrzehnten hat eine stetig intensivere, spezialisierte und auf Höchsterträge orientierte Landwirtschaft zu einer immensen Verarmung dieser Vielfalt geführt. Zoologen schätzen, dass von den etwa 1 200 Tierarten der Äcker seit 1950 ca. 90% stark dezimiert oder ganz verschwunden sind.

Allein seit 2003 wurden bundesweit über 200.000 Hektar Wiesen und Weiden umgepflügt - meist zugunsten von Mais oder Raps. Mit jedem Hektar artenreicher Wiese geht zum Beispiel eine Vielzahl von Insekten verloren: Jede Pflanzenart bietet die Lebensgrundlage für durchschnittlich 12 Insektenarten. Und wo nicht umgepflügt wird, regiert der Dünger: Rund 100 Kilo Stickstoff je Hektar und Jahr lassen nährstoffarme Biotope mit ihrer besonderen Lebenswelt nach und nach verschwinden. Selbst ehemals verbreitete Feldbewohner leiden unter der Intensivierung. Der einst als Schädling bekämpfte Feldhamster ist heute vom Aussterben bedroht. Auch Feldhasen, Rebhühnern und Feldlerchen (siehe Kasten) geht es von Jahr zu Jahr schlechter.


Bewahrte Vielfalt

Dem entgegenzuwirken versucht der BUND seit seiner Gründung vor 35 Jahren, politisch wie praktisch. So engagieren sich zahllose Gruppen für eine vielfältige Agrarlandschaft - mit Beweidungsprojekten, der Pflege von Magerrasen und Streuobstwiesen oder dem gezielten Schutz von Arten wie dem Feldhamster. Eine Fülle politischer Initiativen von der lokalen bis zur Bundesebene gilt derzeit dem Schutz von Wiesen und Weiden. Per »Wiesencheck« prüfte der BUND in diesem Sommer, wie artenreich extensiv und ökologisch genutztes Grünland ist. In Bayern und Baden-Württemberg prämieren wir seit einigen Jahren die schönsten, buntblumigsten Wiesen und Weiden.

Darüber hinaus kämpft der BUND im Rahmen der Reform der EU-Agrarpolitik dafür, den Artenschutz verbindlich auf die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche auszuweiten. Bisher gibt es hier kaum rechtliche Vorgaben ohne Hintertüre, die auch kontrolliert würden. Der Vertragsnaturschutz ist für Landwirte vielfach unattraktiv geworden, weil geringen Prämien ein gewaltiger bürokratischer Aufwand gegenübersteht; und in einigen Bundesländern wird er gar nicht mehr angeboten. Die wichtigste BUND-Forderung lautet daher: Jeder Betrieb muss, um weiter Subventionen zu empfangen, mindestens ein Zehntel seiner Fläche für biologische Vielfalt reservieren. Das würde Lebensräume bewahren und neue schaffen. Zudem wäre der Biotopvernetzung so am besten gedient. Die EU hat die Idee aufgegriffen, konkrete Vorschläge aus Brüssel liegen derzeit noch nicht vor.


Gezüchtete Vielfalt

Zur spezifischen Vielfalt in der Landwirtschaft zählen nicht nur Tiere und Pflanzen, die mit dem Ackerbau von selbst einwanderten, wo von Natur aus Wald herrschte. Über die Jahrhunderte haben Bauern eine große Vielfalt regionaltypischer, kleinräumig perfekt angepasster Nutztierrassen hervorgebracht. Robustheit und einfache Haltung zeichnen sie genauso aus wie ein oftmals geschmackvolles Fleisch. Doch wachsen sie langsam und geben nicht allzu viel Milch, so dass eine Handvoll profitablerer Rassen die gewachsene Vielfalt verdrängte. Rund 90 Nutztierrassen gelten in Deutschland heute als gefährdet, weltweit ist jede dritte Rasse vom Aussterben bedroht, Woche für Woche verschwindet eine für immer. Auch hier muss die Agrarpolitik umsteuern. Denn unsere Nutztiere - und ebenso die Sortenvielfalt unserer Nutzpflanzen - stellen einen wertvollen Genpool für die Zukunft bereit.

Der BUND unterstützt Höfe und Beweidungsprojekte mit traditionellen Haustieren. So pflegen BUNDGruppen ihre Flächen oft mit bedrohten Schaf- oder Rinderrassen. Zum Einsatz kommen Rhönschafe ebenso wie Skudden oder Moorschnucken. In Niedersachsen betreibt der BUND einen Naturbauernhof mit alten Rassen wie dem Bunten Bentheimer Schwein und Diepholzer Gänsen. In der Sude-Niederung grasen mit Unterstützung des BUND wieder Deutsch-Schwarzbunte Niederungsrinder und Deutsche Shorthorns. Daneben haben sich viele Neuland- und Ökohöfe sowie speziell die Archehöfe der Rettung traditioneller Rassen verschrieben, getreu dem Motto: erhalten durch nutzen.

Doch das allein wird die Vielfalt der Wiesen, Weiden und Äcker, der Rinder, Schweine und Gänse auf Dauer nicht retten. Dafür muss es uns gelingen, die Brüsseler Agrarpolitik ab 2013 neu auszurichten.

Jochen Dettmer, BUND-Agrarsprecher, und Heidrun Heidecke, Naturschutzexpertin des BUND


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Bedrohte Feldvögel

Die Situation vieler Vögel unserer Agrarlandschaft ist kritisch. Einst allgegenwärtige Arten wie Rebhuhn und Kiebitz, Feldlerche und Feldsperling sind heute bedroht, ihre Bestände vielerorts regelrecht zusammengebrochen. In der ausgeräumten Feldflur finden sie immer weniger Nahrung und geeignete Nistplätze. Besonders Wiesenbrüter wie Bekassine, Uferschnepfe, Großer Brachvogel und Kampfläufer verzeichnen in den letzten zwei Jahrzehnten drastische Verluste: Die vier genannten Arten sind heute bundesweit vom Aussterben bedroht. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben aber eine gemeinsame Ursache: die weiter zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft. Dagegen zeigen Untersuchungen, dass Feld- und Wiesenvögel wie Wachtel, Braunkehlchen oder Grauammer von einer ökologischen Landnutzung deutlich profitieren. Mehr dazu zum Beispiel im Statusbericht »Vögel in Deutschland 2009« unter www.bfn.de.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

BUND-Projekt Landschaftspflege mit alter Ziegenrasse bei Halle.

Eines der vielen Opfer der intensiven Landwirtschaft: Wann haben Sie zuletzt ein Rebhuhn gesehen?


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Quelle:
BUNDmagazin 4/2010, S. 18-19
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2011