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AUEN/077: Bellenkopf-Rappenwört - Hochwasserrückhaltepolder vs. Deichrückverlegung (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 996, vom 11. Juni 2012, 31. Jahrgang

"Der ökologischste Hochwasserrückhaltepolder Europas" ...



... wird nach Ansicht des Karlsruher Regierungspräsidiums südlich von Karlsruhe am Rhein realisiert. Der Clou des dort geplanten Hochwasserrückhalteraumes Bellenkopf-Rappenwört bestehe darin, dass der Rhein bei Hochwasser an durchschnittlich 50 Tagen im Jahr das Polderareal frei fluten könne. Erst wenn ein Extremhochwasser droht, sollen die Einlaufbauwerke geschlossen und der Polder entleert werden - um dann dem Monsterhochwasser den Scheitel abzuschneiden. Im Gegensatz zur freien Flutbarkeit des Polders Bellenkopf-Rappenwört leiden die "Ökologischen Flutungen" in allen anderen zehn technisch gesteuerten Hochwasser-Rückhaltepoldern am staugeregelten Oberrhein daran, dass aufgrund der Rheinwasserkraftverstromung durch die Electricité des France (EdF) nur äußerst bescheidene Wassermengen zur Verfügung stehen. Die Naturschutzverbände im Großraum Karlsruhe sowie wir sind gleichwohl mit den Planungen für den Polder Bellenkopf-Rappenwört nicht zufrieden. Der Anspruch des "Integrierten Rheinprogramms" (IRP) in Baden-Württemberg - nämlich Hochwasserrückhalt und Naturschutz (Auenrevitalisierung) gleichwertig zu verwirklichen - würde mit dem Polder Bellenkopf-Rappenwört mitnichten eingelöst. Da kleinere und mittlere Rheinhochwässer nur über technische Einlaufbauwerke - sozusagen schaumgebremst - in das Polderareal schwappen könnten, käme es nicht zu den wünschenswerten morphodynamischen Umwälzungen in der zu revitalisierenden Rheinaue. Dass bei großen Hochwässern das Unterste zu Oberst gekehrt werde, sei aber geradezu essenziell für eine Rheinaue. Mit dem Verzicht auf eine ungezügelte Morphodynamik im Hochwasserrückhaltepolder Bellenkopf-Rappenwört würde die letzte Chance für einen tatsächlich naturnahen Hochwasserrückhalt - und damit für eine echte Auenrevitalisierung - am baden-württembergischen Oberrheinabschnitt verschenkt. Die Naturschutzverbände fordern deshalb an Stelle der behördlichen Antragsvariante II (gesteuerter Polder) weiterhin eine Deichrückverlegung (Variante I). (Mehr Details in der nächsten Notiz.)

Wohlfeile Killerargumente gegen eine Deichrückverlegung

Über Jahre hinweg hatten die Behörden für den Hochwasserrückhalteraum Bellenkopf-Rappenwört die ursprünglich im Integrierten Rheinprogramm (IRP) intendierte Deichrückverlegung mit einer "hydraulischen Argumentation" ausgeschlossen: Eine Deichrückverlegung auf der badischen Seite würde zu hydraulisch negativen Rückwirkungen mit dem auf rheinland-pfälzischer Seite gelegenen Rückhaltepolder Daxlander Aue führen. Der Hochwasserschutz für Mannheim-Ludwigshafen und Worms würde dadurch gemindert. Die Naturschutzverbände standen diesem behördlichen Killerargument gegen eine Deichrückverlegung von Anfang an misstrauisch gegenüber. Und plötzlich ließen die Behörden nach neuen Rechengängen in der baden-württembergischen Hochwasservorhersagezentrale die jahrelang gepredigte "negative Rückkopplung" zwischen Bellenkopf-Rappenwört und Daxlander Aue im Jahr 2010 fallen. Als neues KO-Kriterium gegen eine Deichrückverlegung wurde im letzten Jahr dann die Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Richtlinie der EU aus dem Hut gezaubert (siehe Kasten). Der Untergang der wertgebenden FFH-Arten im Polderareal könne nur vermieden werden, wenn der Hochwasserrückhalteraum ganz sachte und dosiert geflutet werden könnte. Dazu brauche es unabdingbar einen steuerbaren Hochwasserrückhaltepolder mit reglierbaren Einlaufbauwerken. Dessen ungeachtet wird in den vorläufigen Unterlagen zur Planfeststellung eine "Probeflutung" für erforderlich angesehen, um die Bauwerke und die neuen Deiche zu testen. Bei einer "Probeflutung" würde das Polderareal aber bis zu 80 Prozent seines gesamten Rückhaltevolumens eingestaut. Die wertgebenden FFH-Arten wären dann geliefert. Solche und noch viel mehr Widersprüche haben die Naturschutzverbände jetzt in den hunderten Seiten der vorläufigen Planfeststellungsunterlagen entdeckt. In einem 32-seitigen Einspruch haben die Karlsruher Naturschutzverbände dargelegt, warum die amtliche Antragsvariante II (gesteuerter Polder) somit Käse ist - und warum sie im Sinne einer echten Auenrevitalisierung weiterhin auf der Variante I - also einer Deichrückverlegung - bestehen.

Den Einspruch sowie unsere Kurzstellungnahme und weitere Unterlagen zur komplexen Gemengelage bei der Hochwasserrückhaltung Bellenkopf-Rappenwört können unsere LeserInnen via nik@akwasser.de anfordern.

Vom Reichsarbeitsdienst bis zur FFH-Richtlinie

Mit dem Bau eines neuen Hochwasserdeichs direkt am Rhein durch den Reichsarbeitsdienst wurde in den 30er Jahren die Rheinaue südlich von Karlsruhe hochwasserfrei gelegt. Seither haben sich in diesem ehemaligen Auenareal auch Pflanzen und Tiere angesiedelt, die nicht hochwasserresistent sind. Einige dieser Arten stehen inzwischen unter dem strengen Schutz der FFH-Richtlinie - beispielsweise der

  • Wiesenknopf-Ameisenbläuling (eine seltene Schmetterlingsart, deren Larven in der Brut von Ameisen parasitieren, die wiederum auf den Großen Wiesenknopf spezialisiert sind),
  • die Bauchige Windelschnecke (s. RUNDBR. 988/2)
  • oder das Grüne Besenmoos.

Bevor man den Hochwasserrückhalteraum in Betrieb nimmt, muss nachgewiesen werden, dass die wertgebenden FFH-Arten erfolgreich auf Ersatzbiotope "umgesiedelt" worden sind - ansonsten gibt es Ärger mit Brüssel (s. 988/2). Um allen Komplikationen mit der EU-Kommission aus dem Weg zu gehen, denkt man im Karlsruher Regierungspräsidium und im Stuttgarter Umweltministerium erst gar nicht mehr über eine Deichrückverlegung nach. Die naturschutzrechtlichen Folgen des Reichsarbeitsdienstes seien bedauerlicherweise nur noch mit einem steuerbaren Polder in den Griff zu bekommen, so der Tenor des baden-württembergischen Umweltministers FRANZ UNTERSTELLER (GRÜNE) uns gegenüber.

An der Elbe sieht man dies offenbar etwas lockerer. Für die großen Deichrückverlegungen in Lenzen und im Lödderitzer Forst haben die dortigen Naturschutzbehörden eine Gesamtbilanz aufgemacht: In Folge der Deichrückverlegung wird es Gewinner- und Verliererarten geben. Unter dem Strich sei der Gewinn für den Naturschutz aber eindeutig positiv. Gleichwohl ist man aber auch an der Elbe bemüht, mit einem "Landschaftspflegerischen Begleitplan" für die FFH-geschützten "Verliererarten" Ersatzbiotope außerhalb der - bei Hochwasser überfluteten - Deichrückverlegungsflächen bereitzustellen.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 996
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761 / 27 56 93, 456 871 53
E-Mail: nik[at]akwasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2012