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INITIATIVE/352: Die Rettung der Sumpfschildkröte (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 182 - Oktober / November 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Die Rettung der Sumpfschildkröte
Schildkröten sollen wieder Mecklenburg-Vorpommern besiedeln

Von Till Kleemann



Am 8. August war es wieder soweit. Schon zum dritten Mal setzten die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Rahmen des Artenschutzprojektes zur Rettung der Europäischen Sumpfschildkröte, 20 junge Exemplare dieses Reptils in einem Biotop im Naturpark Feldberger Seenlandschaft aus. Seit mittlerweile 14 Jahren existiert dieses Projekt zum Erhalt und besonders zum Aufbau des Artenbestandes der europäischen Sumpfschildkröte Mecklenburg-Vorpommern. Mit der Unterstützung des Staatlichen Amtes für Landwirtschaft und Umwelt Neubrandenburg (STALU) engagieren sich dafür im Kern die drei Ehrenamtler Hartmut Breu, Mathias Kliemt und Norbert Lichtner. Ihrer Arbeit ist es zu verdanken, dass hier wieder eine Schildkrötenpopulation entsteht.

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Schildkröte reichte in der Phase der Erderwärmung nach der letzten Eiszeit in Nordeuropa, nach Funden zu urteilen, bis nach Südschweden und England. Seitdem geht die Population stetig zurück. Für den starken Rückgang der Art in Ostdeutschland sind allerdings hauptsächlich menschliche Einflüsse verantwortlich. Durch Fang, Zerstörung und Verschmutzung des Lebensraumes wurden sie immer weiter zurückgedrängt. Darüber hinaus gab es vor dem Jahr 2000 keinerlei Maßnahmen zum Schutz dieser extrem seltenen Tiere in Mecklenburg-Vorpommern.

Dies änderte sich, als die in fast ganz Europa in mehreren Unterarten vorkommende Europäische Sumpfschildkröte gemäß der Flora und Fauna Habitat-Richtlinie der EU (FFH-Schutzrichtlinie) auf die Liste der schützenswerten Arten gesetzt wurde. Die FFH-Schutzrichtlinie dient dem Ziel, wildlebende Arten und deren Lebensräume zu sichern und zu schützen sowie deren Wiederherstellung und Entwicklung zu fördern.

Urpopulation fast ausgestorben

Als das Projekt ins Leben gerufen wurde, bestand die Aufgabe darin, festzustellen ob, und wenn ja, wie viele Schildkröten es in Mecklenburg-Vorpommern noch gibt. Da bis dahin keinerlei Forschungsergebnisse in dieser Richtung vorlagen, mussten diese Fragen als Erste geklärt werden. Historische Gewässer wurden untersucht und Informationen aus der Bevölkerung wurde nachgegangen. Bis auf ein weibliches Exemplar konnten jedoch nur fremdländische, vermutlich ausgesetzte Schildkröten entdeckt werden. Nach der Datierung einer unbefruchteten Eiablage dieses Weibchens, lag die Schlussfolgerung nahe, dass diese eine Schildkröte die Restpopulation ausmachte. Es sollte also neu besiedelt werden.

In Zusammenarbeit mit dem schon in den 90er Jahren gestarteten Artenschutzprojekt in Brandenburg wollten die Ehrenamtler die dort gezüchteten genetischen Nachfahren der in der Oder-Region vorkommenden Sumpfschildkröte in der Feldberger Seenlandschaft ansiedeln. Dort konnte nämlich ein geeignetes Biotop ausgemacht werden, welches im historischen Verbreitungsgebiet liegt. Es handelte sich dabei um einen ehemaligen Erlenbruch. Mit seinen über 20 Hektar Fläche ist es groß genug, um die klimatischen und geologischen Voraussetzungen zu erfüllen, zudem liegt es etwas entfernt von Elektro-Leitungen, Straßen, Wegen und Siedlungen.

Renaturierung des Biotops

Die erforderlichen Maßnahmen wurden zunächst beim STALU Neubrandenburg und beim Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie beantragt, von den Ämtern genehmigt und schließlich mit Landesmitteln gefördert. Dann konnte es losgehen: Wassergräben mussten zugeschüttet, Rohre entnommen und die allgemeine Wiederbewässerung des Gebietes eingeleitet werden. Mehrere in der Umgebung befindliche Sölle und Wasserflächen wurden renaturiert und anliegende Flächen vom Land gepachtet, um die Ruhe der künftigen neuen Bewohner zu garantieren. Mit den Landwirten wurden wiederum Verträge geschlossen. Die Zusammenarbeit läuft auf allen Ebenen gut.

2008 konnten dann die ersten 20 Jungtiere im Alter von zwei bis drei Jahren in Anwesenheit der damaligen Umweltminister Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns feierlich in dem vorbereitetem Gebiet ausgewildert werden. 13 weitere folgten 2010. Auch in den nächsten Jahren sind weitere Auswilderungen geplant, sodass eine gewisse Altersstruktur entsteht und sich die Art eines Tages selbstständig reproduzieren kann. Nun besteht die Verantwortung darin, die Jungtiere schützend zu begleiten.

Problematik Waschbär

Durch Beobachtungen und das Aufstellen von selbstauslösenden Wildkameras, versuchen die Tierschützer den Bestand der Schildkröten zu kontrollieren und herauszufinden, welche Standorte die Tiere bevorzugen. Gleichzeitig musste festgestellt werden, dass sich an denselben Orten vermehrt Waschbären aufhalten. In Brandenburg wurde nachgewiesen, dass der Waschbär der gefährlichste Feind der Schildkröten ist. Immer wieder fand man dort tote und verletzte Tiere, ausgefressen oder mit abgebissenen Gliedmaßen, begleitet von den für Waschbären typischen Kratzspuren auf den Panzern. Andere natürliche Fressfeinde sind Wildschwein, Fuchs, Reiher und Rabe. Der Waschbär hingegen ist mit seinen handähnlichen Klauen viel besser für den Fang einer Schildkröte geeignet. Mittlerweile gibt es in Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls einen fotografisch festgehaltenen Beweis dafür, dass der Allesfresser die hier ausgesetzten Panzertiere jagt.

Waschbären sind Familientiere, sie führen ihre Jungen recht lang und zeigen ihnen die vorhandenen Nahrungsressourcen und wie man an sie herankommt. Da man den Bestand nicht mehr wirksam zurückdrängen kann, wird in sensiblen Gebieten mit schützenswertem Artenvorkommen versucht, den Lernprozess zu unterbrechen. Seit 2012 stellen die ortsansässigen Jäger und Landwirte daher Fallen auf. In den Jahren 2012 bis 2014 konnten auf diese Weise mit zwei Fallen 200 Waschbären gefangen werden. Auf einen andauernden Erfolg kann man sich allerdings nicht einstellen.

Hinzu kommt die vom Waschbären ausgehende Gefahr für den recht großen Brutvogelbestand in diesem Gebiet. Es ist sehr genau dokumentiert, dass dort unter anderem Rohrweihen, Kraniche, Höckerschwäne, Graugänse und Wasserrallen regelmäßig ihre Nistplätze beziehen. Mit dem Einzug der Waschbären ist der gesamte Brutvogelbestand vor Ort komplett eingebrochen. Zurzeit erholt sich dieser Bestand wieder langsam wohl infolge der Tatsache, dass dem Eindringling so konsequent nachgestellt wird.

Zu hoffen bleibt, dass die Waschbärproblematik nicht überhandnimmt und das Projekt erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann, sodass irgendwann wieder eine natürliche und selbstständige Schildkrötenpopulation in Mecklenburg-Vorpommern existiert.

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 182 - Oktober/November 2014, S. 8
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2014