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KATASTROPHEN/077: Noch mehr tote Fische in deutschen Gewässern (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1076, vom 15. Nov. 2015 - 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Noch mehr tote Fische in deutschen Gewässern


Tote Fische in der Jagst, der Peene und der Else - an Bildern von kieloben treibenden Fischen hat es in letzter Zeit nicht gemangelt (s. RUNDBR. 1071/1-4, 1072/1-2). Nicht immer sind jedoch abgefackelte Düngemittellager, leckende Agrospritfabriken oder auslaufende Gülletanks an Fischsterben schuld. Manchmal kann sich auch die Einleitung von gereinigtem Abwasser aus kleinen Kläranlagen auf abflussschwache Gewässer als Fischkiller erweisen. In einem lesenswerten Beitrag in der aktuellen Ausgabe 3/2015 des Fachblatts RESOURCE (S. 37-44) ist unter dem Titel "Viel zu lange unterschätzt. Die organische Mikroverunreinigung DMDTC gefährdet Kläranlagen und Gewässer" nachzulesen, wie es in den Jahren 2013 im Regierungsbezirk Freiburg auf der Kläranlage Peterzell in St. Georgen und 2014 auf der Kläranlage Oberer Neckar in Deißlingen zu gravierenden Störungen des Kläranlagenbetriebs und in der Folge zu größeren Fischsterben kam. Das sechsköpfige Autorenteam um ANNETTE BAHLINGER ET AL. vom Regierungspräsidium (RP) Freiburg, der Stadt Villingen-Schwenningen, dem Ingenieurbüro Dr.-Ing. Jedele und Partner in Stuttgart-Vaihingen und der Uni Stuttgart berichtet in dem Aufsatz, wie die Behörden der Ursache für die Störungen auf den beiden Kläranlagen auf den Grund gingen und für Abhilfe sorgten. In den folgenden Abschnitten fassen wir die Informationen zusammen. -rk-

In beiden Fällen konnte letztlich die Chemikalie Dimethyldithiocarbamat (DMDTC) als Verursacher der Umweltschäden dingfest gemacht werden. Auf die Spur kam man dem Übeltäter, indem die Einsatzstofflisten der in die jeweiligen Kläranlagen einleitenden Industriebetriebe durchforstet wurden. DMDTC gehört zur Stoffgruppe der Organosulfide. Weil sich der darin enthaltene Schwefel bereitwillig mit Schwermetallen verbindet, wird das Mittel häufig zur Fällung der Metallrückstände aus dem Abwasser von Galvaniken und Leiterplattenherstellern verwendet. Gemäß dem Prinzip "viel hilft viel" wird es oft großzügig zudosiert, um die Schwermetalle restlos aus dem Abwasser herauszuholen. Gerade dieser Überschuss birgt aber Risiken für die Umwelt, wie HARALD SCHÖNBERGER, Korrespondenzautor der genannten Studie, in derselben Ausgabe von RESOURCE in einem begleitenden Gastkommentar unter dem Titel "Umweltprobleme durch DMDTC" (S. 1) erläutert hat:

"In allen Fällen [... Kürzung RUNDBR.] wurde überschüssiges Reagenz nicht abgetrennt, weswegen es in die jeweilige kommunale Kläranlage gelangte - mit verheerenden Folgen für Kläranlage und Gewässer."

-rk-

Zuviel Organosulfid für kleine Kläranlagen

Gelangt überschüssiges DMDTC in eine kleine Kläranlage, so verursacht es eine zunächst rätselhaft scheinende Betriebsstörung, wie SCHÖNBERGER erklärt:

"Einerseits ruft DMDTC eine starke Nitrifikationshemmung auf der Kläranlage hervor. Der gestörte Stickstoffabbau wiederum führt zu erhöhten Ammonium- und Nitriteinleitungen ins Gewässer. Zudem kann DMDTC selbst in Folge seiner schlechten biologischen Abbaubarkeit bis ins Gewässer gelangen. Diesem Schadstoffcocktail sind die Fische nicht gewachsen, es kommt zu Fischsterben."

Denn unglücklicherweise ist auch DMDTC giftig für Gewässerorganismen. -rk-

Fällungschemikalie DMDTC führte auch in der Schweiz zum Fischtod

Ob es außer diesen beiden bekannt gewordenen Fällen von Fischsterben durch unsachgemäßen Organosulfideinsatz im Regierungsbezirk Freiburg womöglich eine noch höhere Dunkelziffer ähnlich gelagerter Vorkommnisse gibt, kann nur vermutet werden. Denn bisher existiert kein genormtes Analysenverfahren zur Bestimmung des DMDTC-Gehaltes im Abwasser. Gesichert sind inzwischen jedoch zwei weitere Fälle. So zeigte sich im Januar 2015 am Flüsschen Frenke im Kanton Basel-Land (s. Kasten), dass auch die eidgenössischen Nachbarn nicht gegen Fischsterben gefeit sind. Und schon im Februar 2015 folgte ein Fischsterben an der Metter im Regierungsbezirk Karlsruhe. In beiden Fällen war DMDTC im Spiel. -rk-

Mangelnde Beratung und schludrige Abwasserbehandlung

An sich ist der Einsatz von Organosufid zur Abwasserbehandlung also eine gut gemeinte Umweltschutzmaßnahme, die sich jedoch leicht in ihr Gegenteil verkehren kann. Dass der Einsatz mitunter fatale Folgen zeitigt, hat weitere Gründe, so SCHÖNBERGER:

"So beraten die Lieferanten von DMDTC ihre Kunden wohl nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt. In einem Fall stellte eine Galvanik ihre Abwasserbehandlung um und setzte nunmehr DMDTC ein. Knapp drei Wochen später kam es zum Fischsterben."

Solche Umweltschäden müssen jedoch nicht sein.

"Mit einem optimierten, zweistufigen Verfahren der Abwasserbehandlung [bei dem der DMDTC-Überschuss nach der Schwermetallfällung ordnungsgemäß abgetrennt wird, Anm. RUNDBR.] wird der Eintrag ins Gewässer unterbunden. Oft kann auf den Einsatz von DMDTC sogar ganz verzichtet werden oder es kann durch weniger toxische Produkte ersetzt werden",

erläutert der Industrieabwasserspezialist vom RP Freiburg. -rk-

Organosulfid löst Trinkwassernotstand aus

Die Frenke, die sich durch das Waldenburgertal im Kanton Basel-Land schlängelt, wird mittelbar auch zur Trinkwassergewinnung genutzt. Das Uferfiltrat des kleinen Flusses war im Januar 2015 aber zeitweise nicht mehr für die Trinkwasseraufbereitung zu nutzen. Das Umkippen einer Kläranlage hatte zu einer hohen Schadstoffbelastung nicht nur im Fluss, sondern auch im begleitenden Grundwasser geführt. Für die betroffenen Gemeinden musste der Trinkwassernotstand erklärt werden. Teilweise mussten die Gemeinden durch Notleitungen versorgt werden. Die Bevölkerung - aber auch das Gewerbe - war über Flugblätter zum sparsamsten Trinkwassergebrauch aufgefordert worden. Unter dem Wasserspargebot hatte u.a. die Gastronomie zu leiden. Das Umkippen der Kläranlage und das daraufhin erfolgte Fischsterben in der Frenke war auf das Organosulfid zurückgeführt worden, das dort von einem Gavanikbetrieb zur Schwermetallfällung genutzt worden war. Dem Betrieb war nach dem Desaster die weitere Einleitung von Abwasser in die Kanalisation vom Baselbieter Umweltinspektorat vorerst untersagt worden (sfr, 23.01.15). Obwohl die Galvanikfirma RERO nach dem dramatischen Einbruch der Reinigungsleistung der kommunalen Kläranlage beteuert hatte, das Organosulfid nicht mehr einzusetzen, ging die Kläranlage schon einen Monat später wieder in die Knie. Sieben Uferfiltratbrunnen entlang der Frenke mussten im Februar 2015 erneut vorsorglich abgeschaltet werden. Die Gewässerökologie in der Frenke war bereits im August 2014 stark geschädigt worden. Damals war es in einer anderen Kläranlage im Waldenburgertal zu einem Defekt an einem Schlammräumer gekommen.

Durch die technische Störung war stark ammoniakhaltiges Abwasser in die Frenke gelangt (sda, 08.08.14).

Verzicht auf DMDTC schützt vor weiteren Umweltschäden

Daher rät SCHÖNBERGER den zuständigen Behörden, die von den Betrieben eingesetzten Chemikalien zu bewerten und bei kritischen Produkten auf deren Substitution, zumindest aber auf die Minimierung der Einsatzmengen hinzuwirken, was angesichts vielerorts schrumpfender Umweltverwaltungen sicher keine leichte Aufgabe ist.

"Kommt es zu einem Fischsterben, so sollte stets geprüft werden, ob DMDTC im Spiel war, zumal es sich inzwischen analytisch nachweisen lässt",

erklärt der Mitarbeiter des RP Freiburg. Auch die Chemikalienlieferanten sind gefordert, damit sie mit profunden Angaben in Sicherheitsdatenblättern und mit sachgerechter Beratung der Anwender dazu beitragen, die Umweltrisiken zu vermindern.

"Nicht zuletzt sollten die mit der Abwasserbehandlung betrauten Personen über das erforderliche chemische Wissen verfügen, wofür das Management Sorge zu tragen hat. Damit Umweltprobleme durch DMDTC bald der Vergangenheit angehören, müssen alle Akteure an einem Strang ziehen - alle in eine Richtung",

mahnt SCHÖNBERGER.

Weitere Auskünfte erteilt:
Dr. Harald Schönberger - Regierungspräsidium Freiburg
Abteilung 5 - Umwelt
Referat 54.3 - Industrie/Kommunen Schwerpunkt Abwasser
79102 Freiburg
Tel.: 0761/208 21 40; Fax: 0761/208 20 11
E-Mail: harald.schoenberger[at]rpf.bwl.de


Regelmäßige Fischsterben durch Mischwasserüberläufe - Was tun?

Im Hinblick auf die Notizen zu den großen Fischsterben in den RUNDBR. 1071/1-4, 1072/1-2, hat uns eine Zuschrift erreicht, in der es u.a. heißt, dass im RUNDBR. Nr. 1071 nicht ganz richtig ausgeführt worden sei, dass

"alle großen Fischsterben in den letzten Monaten darauf zurückzuführen sind, dass die Vorgaben der Verordnung über Anlagen wassergefährdende Stoffe innerbetrieblich nur unzureichend oder gar nicht beachtet worden"

seien. Diese Aussage wird wie folgt kommentiert:

"Versäumnisse in Bezug auf Industrieabwassereinleitungen möchte ich gar nicht widersprechen, allerdings ist dies mitnichten die einzige Ursache für Fischsterben in Deutschland.

In Berlin hatten wir in diesem Sommer mehrere gravierende Fischsterben: [1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/erstickt-im-regen-tote-fische-werden-aus-berlins-seen-gefischt/11931884.html

Auch in den vergangenen Jahren gab es im Sommer nach Starkregen mit 'schöner' Regelmäßigkeit ähnliche Vorfälle, hier nur eine kleine Auswahl:

[2] 2013: http://www.euwid-wasser.de/news/wirtschaft/einzelansicht/archive/2013/september/Artikel/berlin-fischsterben-in-gewaesser-durch-starkregen-ausgeloest.html

[3] 2011: http://www.tagesspiegel.de/berlin/sauerstoffmangel-fischsterben-im-teltowkanal-bei-steglitz-und-tempelhof/4324344.html

Alle diese Ereignisse haben gemeinsam, dass sie durch Überläufe der Mischwasserkanalisation (im offiziellen Jargon verharmlosend 'Regenentlastung' genannt) ausgelöst wurden. Anders als bei dem Ereignis an der Jagst, das durch einen Unfall und ggf. Fahrlässigkeit ausgelöst wurde, werden Fischsterben durch Mischwassereinleitungen in Berlin billigend in Kauf genommen. Zwar unternehmen Berliner Senat und Berliner Wasserbetriebe durchaus Anstrengungen, die Anzahl der Mischwasserüberläufe zu reduzieren, setzen dabei allerdings nur auf konventionelle und teure End-of-Pipe-Lösungen [s. Kasten]. Ergänzende oder alternative Lösungen, die in anderen Regionen zum Standard gehören (Emscherregion, Hamburg, ...) werden seit Jahren bewusst nicht verfolgt. Ziel der aktuellen Planungen ist es, die Anzahl der Mischwasserüberläufe auf ca. 10 Mal pro Jahr zu reduzieren - was bedeutet, dass etliche Male pro Jahr potenziell Fischsterben auftreten können. Ich würde mich freuen, wenn Sie in einem späteren RUNDBRIEF dieses Thema einmal aufgreifen."

Das machen wir gerne - und weisen auf den RUNDBR. 830/1-2 hin. Schon im Juli 2006 hatte der RUNDBR. unter der Überschrift "Berliner Seen und Kanälen geht die Puste aus: Fischsterben" darüber berichtet, dass die sauerstoffzehrenden Mischwasserüberläufe routinemäßig zu Fischsterben führen. Das "wiederkehrende Desaster" trete "jeweils nach extrem heißen Tagen mit anschließenden Starkniederschlägen auf".

Wie man in Berlin mit end-of-the-pipe die Mischwasserüberläufe reduziert

Die gigantischen Bauwerke, die die Berliner Wasserbetriebe (BWB) im Untergrund errichten, sind beeindruckend. In groß dimensionierten Staukanälen und Rückhaltebecken werden die Regenfluten bei Wolkenbrüchen gespeichert, um sie anschließend dosiert zu den Berliner Kläranlagen weiterzuleiten.

Mehr dazu findet sich auf der BWB-Homepage unter
http://www.bwb.de/content/language1/html/299_16515.php
http://www.bwb.de/content/language1/html/13539_15131.php

Für Extremniederschlagsereignisse reicht die Kapazität der unterirdischen Katakomben aber nicht aus - Folge: Der Mischwasserüberlauf springt an und den Fischen geht es ganz schlecht. Die Begrünung von Dächern und Fassaden, der Bau von Regenwasserversickerungsanlagen (s. RUNDBR. 934/4, 401/1-4) sowie generell mehr Grün in der Stadt könnten einen Beitrag leisten, um das "Anspringen" der Mischwasserüberläufe zu reduzieren. Wenn mehr Wasser in der Stadt gehalten werden kann, würde dies auch in heißen Sommern auch zu einem gewissen Abkühlungseffekt beitragen.


[1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/erstickt-im-regen-tote-fische-werden-aus-berlins-seen-gefischt/11931884.html

[2] 2013: http://www.euwid-wasser.de/news/wirtschaft/einzelansicht/archive/2013/september/Artikel/berlin-fischsterben-in-gewaesser-durch-starkregen-ausgeloest.html

[3] 2011: http://www.tagesspiegel.de/berlin/sauerstoffmangel-fischsterben-im-teltowkanal-bei-steglitz-und-tempelhof/4324344.html

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1076
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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E-Mail: nik[at]akwasser.de
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2015

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