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SCHUTZGEBIET/536: Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer - Wasser und Watt (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2008
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATIONALPARK
Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
Wasser und Watt

Von Dr. Ina Walenda


Zu den bekanntesten Stätten des Weltnaturerbes der Unesco zählen das Great Barrier Reef, die Galapagos-Inseln und der Grand Canyon. Nächstes Jahr könnte auch der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer diesen Ritterschlag der Weltgemeinschaft erhalten. Für die Landesregierung sollte das Anlass genug sein, um drohendes Unheil von Deutschlands größtem Nationalpark fernzuhalten.

Ich höre des gärenden Schlammes geheimnisvollen Ton, einsames Vogelrufen - so war es immer schon« - so schildert Theodor Storm 1856 seine Eindrücke von einem Spaziergang durchs Watt. Bis heute hat das Watt nichts von seiner magischen Anziehungskraft verloren. »Urlauber sind immer wieder fasziniert, dass sie auf dem Meeresboden einfach so spazieren gehen können und der Wattboden so vielfältiges und eigentümliches Leben birgt«, erzählt die Wattführerin Annemarie Lübcke vom BUND Föhr-Amrum. Jedes Jahr genießen etwa 500 000 Urlauber das Wattenmeer an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein - etwa bei den Ringelganstagen oder einem Besuch der Seehundstation Friedrichskoog. Zum Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer zählen neben weitläufigen Wattflächen und Prielen, oft einsamen Stränden, Dünen und Sandbänken auch Halligen sowie mehrere kleine Inseln. Der Park erstreckt sich von der dänischen Grenze bis zur Elbmündung und umfasst beachtliche 441 500 Hektar, davon nur 10 155 Hektar Festland. Im Nationalpark lebt eine perfekt an den Rhythmus von Ebbe und Flut angepasste Tier- und Pflanzenwelt. Die Vielzahl von Übergangszonen zwischen Land, Meer- und Süßwasser bringt eine enorme Biodiversität und hoch spezialisierte Arten hervor. Schnecken, Muscheln, Krebse, Garnelen und Wattwürmer sind allesamt Ausdruck der unvergleichlich hohen Produktivität des Wattenmeeres. Und sie sind die Nahrungsgrundlage für Europas reichhaltigste Vogelwelt.


Erst abgewehrt, dann akzeptiert

Ein ganz besonderer Lebensraum sind die Salzwiesen entlang der Küste. Dort leben etwa 250 (endemische) Tierarten und Ökotypen, die nirgendwo sonst auf der Erde vorkommen. Leider gehören die Salzwiesen nicht in Gänze zum Nationalpark - ebenso wenig wie die größeren Halligen und Inseln im nördlichen Teil.

Die Millionärs- und Partyinsel Sylt eingeschränkt durch womöglich strenge Auflagen eines Nationalparks? Nein, das war 1985 bei der Parkgründung undenkbar. Kaum eine Gemeinde an der Westküste war damals für den Nationalpark. Wobei sich die Kritik weniger am Naturschutz und seiner rechtlichen Auskleidung entzündete. Vielmehr scheiterte ein die Gesamtregion umfassender Nationalpark offenbar am unglücklichen Vorgehen der Landesregierung. Von Fremdbestimmung war damals die Rede, und dass den Anliegern ein Konzept »aus Kiel« übergestülpt werden solle, ohne sie vorab einzubeziehen. Das führte zu vehementer Abwehr und harten Auseinandersetzungen. Inzwischen ist die Akzeptanz gewaltig gewachsen, man hat in punkto Öffentlichkeitsarbeit dazu gelernt. Die Nationalparkverwaltung scheint einen Stimmungsumschwung erreicht zu haben: Seit sechs Jahren läuft der Antrag zum Weltnaturerbe, der nordfriesische Kreistag hat ihn letztes Jahr einstimmig bestätigt.

Um nur einige der Erfolge des Nationalparks zu nennen: Heute sind 46 Prozent der Salzwiesen aus der Nutzung genommen. Zu den Gewinnern zählen besonders die Brutvögel und Hunderte spezialisierter Insektenarten. Seehunde und Kegelrobben sind in beachtlicher Zahl anzutreffen. In Abstimmung mit den Fischern und dem zuständigen Bundesministerium ist das Wattenmeer heute eine verkehrsberuhigte Zone. Die Jagd im Nationalpark wurde eingestellt, die Herzmuschelfischerei untersagt. Damit ist die Natur im Nationalpark nicht nur bewahrt worden, sie hat sich auch neu entfalten können.


Ölförderung und Muschelzucht

Der Nationalpark - ein ungetrübtes Naturparadies also? Leider nein. Da wären allgegenwärtige Belastungen wie der Klimawandel, die Ausbreitung gebietsfremder Arten und die viel zu hohen Einträge von Nährstoffen. Zudem wachsen die Begehrlichkeiten hinsichtlich einer wirtschaftlichen Nutzung. Die explodierenden Rohstoff- und Energiepreise heizen Pläne und Investitionsprojekte in einer Dimension an, die den größten deutschen Nationalpark ad absurdum führen können. Beispiel Ölförderung: Im Gründungsjahr wurde als Kompromiss vereinbart, die Ölförderung im Wattenmeer generell zu verbieten; nur die Bohrinsel »Mittelplate« am Südrand des Nationalparks, sieben Kilometer vor der Küste, erhielt Bestandsschutz bis 2011. Schon damals protestierte der Naturschutz, denn in sensiblen Schutzgebieten ist die Ölförderung immer ein Gefahrenherd. Doch nun hat die RWE-Dea AG die Förderrechte für erhebliche Teile des nordfriesischen Wattenmeeres beantragt. Die Ölförderung im Nationalpark droht also noch ausgeweitet zu werden! Richtig aufregen kann sich Carl-Heinz Christiansen vom Landesvorstand des BUND über ein kürzlich genehmigtes Pilotprojekt im Naturschutzgebiet Beltringharder Koog. Es soll die Chancen für eine industrielle Miesmuschelzucht ausloten. »Unter dem Deckmantel des öffentlichen Interesses wird hier deutlich, welch niedrigen Stellenwert der Naturschutz beim Land und beim Kreis Nordfriesland de facto hat!«, so Christiansen. Denn dieser Teil des Nationalparks ist ein Refugium für bedrohte Tiere wie den Seeregenpfeifer, der zu den gefährdetsten Vögeln Europas zählt. Das Land begründet das Projekt mit der Produktion von Nahrungsmitteln und neuen Arbeitsplätzen. Dabei tragen Miesmuscheln nun wirklich nicht nennenswert zur Ernährung der Bevölkerung bei ... Dazu kommt, dass der Beltringharder Koog eigentlich als Ausgleichffläche für massive Eingriffe andernorts ons Wattenmeer bestimmt worden ist.

Und damit der Probleme nicht genug: Etliche Starkstromkabel, die Verklappung von Baggergut, geplante Kohlekraftwerke und Windparks,neue Ansprüche der Landwirtschaft und die fragwürdige Praxis des »Küstenschutzes« üben Druck auf das äußerst sensible Ökosystem aus. Waren es einst die Anlieger, die gegen den nationalpark ankämpften, und lokale Naturschützer, die einen ausufernden Tourismus befürchteten, so sind es heute zweifelsohne Faktoren von außen, die die Zukunft des Nationalparks gefährden.

Die Autorin ist stellvertretende Geschäftsführerein des BUND in Kiel.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Schleswig-Holstein - Fläche des Nationalparks umrandet.
- Rastende Ringelgänse vor einer Warft auf Hallig Hooge.
- Nur 2,3% unseres nördlichsten Nationalparks sind Festland - hier die Hamburger Hallig.
  Weitere Infos unter »www.wattenmeer-nationalpark.de«.
- Vielfältige Tierwelt im Nationalpark: Brütender Austernfischer, Kothaufen des Wattwurms und Seeanemone.


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Quelle:
BUNDmagazin 4/2008, S. 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009